Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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8. SCHLOSS UND STADT SCHWETZ

Wo das Schwarzwasser von dem pommerellischen Hügellande her in die Weichsel einfließt und gegen den mächtigen Fluß hin eine scharfe Landspitze abgrenzt, lag und liegt noch heute – auf einer wahrscheinlich von Menschenhand aufgeschütteten Erderhöhung von kaum dreißig Fuß über dem Wasserspiegel – die alte Burg Schwetz.

Sie hatte schon den pommerellischen Fürsten gedient, als sie noch dieses Land beherrschten, und war ein Jahrhundert vor Beginn dieser Geschichte tapfer von den kujawischen Herzögen Casimir und Przimislaus gegen den anstürmenden Deutschorden siebzig Tage lang verteidigt worden, bis der Verräter Gendowiz die Stricke und Sehnen an den Kriegsmaschinen zerschnitt, daß nun das Ordensheer sich bedrohlich nähern konnte. Nun schloß die Besatzung einen Vergleich, daß sie die Burg übergeben wolle, wenn nicht binnen Monatsfrist Entsatz von Polen käme. Er kam nicht, und so fiel die Burg dem Orden zu.

Dann hatte etwa in der Mitte des Jahrhunderts der Hochmeister Dietrich von Altenburg sie fast vom Grund auf ausgebaut und stark befestigt. Bis zu den niedrigen Flußufern hin reichten die mächtigen Futtermauern, aus rohen Granitblöcken aufgeschichtet. Sie gewährten Schutz gegen den ersten Anprall des Feindes. In ihrem Viereck erhob sich das eigentliche Schloß, äußerlich anzuschauen wie ein gewaltiger Würfel von rotem Ziegelstein, an den vier Ecken von rund ausgebauten Türmen überragt, von denen drei mit Spitzdächern versehen waren, der nordwestliche aber als Hauptturm oder Bergfried die andern überragte und mit einem ausspringenden Zinnenkranz gekrönt war. Dem aufmerksamen Beschauer konnte es nicht entgehen, daß sich nur an zwei Seiten zwischen den Türmen Dächer abhoben, die beiden anderen Seiten aber zum Abschluß des Burgraumes aus starken und hohen Mauern mit mehreren Reihen schmaler Lichtöffnungen bestanden. Trat man von der mit Palisaden befestigten Vorburg hier über die Zugbrücke durch das Tor in der einen dieser beiden Mauern auf den Burghof, so fand man denselben von Hallen in zwei Stockwerken umgeben; starke Pfeiler waren mit Bogen verbunden und der Raum zwischen ihnen und der Wand mit Balkendecken überdacht. Von diesen Korridoren führten Türen zu den verschiedenen Gemächern der beiden Stockwerke, zu den Wehrgängen und Türmen. In dem Flügel links vom Eingang nahmen die Kirche und der Kapitelsaal, schon äußerlich erkennbar durch je drei hohe Bogenfenster, den ganzen Raum ein. In dem Flügel geradeaus befanden sich das Refektorium, die Küche, die Rüstkammer und mancherlei Gelasse zu Vorräten, auch die Zimmer der Komturs und das in jedem Ordensschloß zu Besuchen des Hochmeisters eingerichtete, sonst nicht benutzte Gemach. Rechts war an die innere Mauerseite ein Gebäude von Fachwerk angebaut, in dem die Ritter ihre Schlafkammern hatten und ihre Harnische aufbewahrten; man nannte es das Schlafhaus. Von der Kirche mußten die Ritter dorthin über den offenen Hof und am Brunnen mitten auf demselben vorbeigehen. Das ganze Gebäude hatte ein düsteres und schweres Aussehen; die darin wohnten, mußten rauhe Kriegsleute sein, denen der Verzicht auf alle Annehmlichkeiten des Lebens Pflicht war und die sich stets zum Kampfe gerüstet hielten.

In dem Schlosse Schwetz befand sich regelmäßig nur ein Konvent von acht Ritter- und vier Priesterbrüdern. Auch jetzt war ihre Zahl nicht vermehrt, aber viel anderes Kriegsvolk hatte in den Räumen des Haupthauses, in den Wirtschaftsgebäuden der Vorburg und weiterhin auf den Domänenvorwerken einquartiert werden müssen. Denn hier, wenige Meilen von der polnischen Grenze, sammelte sich ein Teil der in Deutschland geworbenen Söldner, die der Komtur zu mustern und zu verpflegen, wohl auch aus seinen Beständen besser zu bewaffnen hatte. In dem gegen die Weichsel und das Schwarzwasser hin mit langen Mauern geschützten Raume zwischen Schloß und Stadt Schwetz waren Zelte aufgeschlagen, in denen sie in der jetzigen guten Jahreszeit unter freiem Himmel lagerten, soweit sie in den Häusern nicht Platz fanden. Heute war nun noch der kürzlich vom Hochmeister zum Vogt der Neumark ernannte Bruder Michael Küchmeister von Sternberg, auf der Reise dorthin begriffen, mit ziemlichem Gefolge eingetroffen und im Schlosse aufgenommen, so daß nun alle Räume gefüllt waren und die Beamten vollauf Beschäftigung hatten. Auch so aber ließ sich in dem düstern Hause kein munteres Treiben oder gar Lärmen vernehmen. Kaum ein lautes Gespräch wurde in dem Burghof oder in den Hallen gehört, und in der Kapelle setzten die Brüder ihre vorgeschriebenen Andachten fort. Der Geist der Strenge und der Ordnung schien über allem zu walten und jede Ausschreitung unmöglich zu machen.

Auf dem Parchan, dem erhöhten Außenraume zwischen Futtermauer und Schloß, der sich in mäßiger Breite am Flusse entlang zog und die freie Aussicht über die Niederung und die dahinter aufsteigenden Berge, über die Strominseln, Weidenkämpen und Sandhaken gewährte, gingen zwei Männer in lebhaftem Gespräche auf und ab. Sie schenkten dem breiten Strom und der sonnigen Landschaft kaum einen Blick und schienen diesen Ort nur gewählt zu haben, um recht ungestört miteinander verkehren zu können. Der eine, ein Mann nicht viel über Mittelgröße, aber kräftig gebaut, mit breiten Schultern, völligem Nacken und einem Kopf, der fast zu groß schien für den gedrungenen Körper, und dessen mächtige Stirn sich über den tiefliegenden Augen vorwölbte, trug ein knappes Lederwams, eine Hose von grobem Tuch und eine geschlitzte Kappe ohne jeden Schmuck. Es war der Komtur der Burg, Heinrich von Plauen. Sein Gast, der Vogt der Neumark, war höher gewachsen und zierlicher in seiner Erscheinung und Kleidung. Das lange, schmale Gesicht mit der feingeformten Stirn, der scharfgeschnittenen Nase, den dünnen Lippen und dem spitzen bartlosen Kinn schien mehr einem vornehmen Staatsmann als einem Krieger anzugehören. Er hatte den weißen Mantel gleichfalls abgelegt, trug aber einen bequemen Hausrock mit feinem Pelzwerk verbrämt und von einem kostbaren Gürtel mit getriebenen Spangen lose zusammengehalten, dazu eine weiche gesteppte Kappe mit hutartigem Rande und Feder. Man erkannte in Haltung, Gang und Sprache sofort den Mann von hohem Adel.

Heinrich von Plauen und Michael Küchmeister von Sternberg, beide aus edlen deutschen Geschlechtern stammend, hatten sich schon als Jünglinge befreundet. Ungefähr zu gleicher Zeit waren sie in den Deutschen Orden eingetreten, beide weil sie als jüngere Söhne auf Land und Leute nicht Anspruch hatten, Sternberg aber getrieben von dem ehrgeizigen Gedanken, durch die Verbindungen seiner Familie in der Bruderschaft bald eine hervorragende Stellung einzunehmen und vielleicht selbst einmal deren fürstliches Haupt zu werden, Plauen infolge trüber Lebenserfahrungen und unter dem Druck einer Stimmung, die nach völliger Abkehr von der Welt verlangte. Sie hatten dann teils in Preußen, teils in den deutschen Besitzungen des Ordens mancherlei Ämter bekleidet und immer nur vorübergehend Gelegenheit gehabt, freundschaftlich miteinander zu verkehren. So war es ihnen wenig bemerklich geworden, wie sehr sie in Sinnesweise, Anschauungen und Gewohnheiten voneinander abwichen. Auch jetzt konnte es den Anschein haben, als ob nur ein zufälliger Umstand sie miteinander in Verkehr brachte, in Wirklichkeit aber hatte Sternberg mit guter Absicht seinen Weg über Schwetz genommen und die Reise so eingerichtet, daß er hier einen Rasttag halten konnte; er kam von der Marienburg, und es war ihm darum zu tun, sich mit Plauen über manches, was die Zukunft anging, zu verständigen.

Es ist, wie ich es Euch künde, sagte er, während des Gehens das Kinn in die Hand stützend, Ihr habt keine Abberufung zum Heere zu gewärtigen. Der Meister hat uns beide auf die verantwortlichsten Posten gestellt und ist doch nicht imstande, uns so auszurüsten, daß wir ernstlich den Feind aufhalten können, wenn er sich mit ganzer Macht gegen uns wenden sollte. Um die Neumark ist der Streit entbrannt, wenigstens gibt sie den Vorwand zu dem feindseligen Benehmen des Königs. Ich halte es für wahrscheinlich, daß er vor allem bemüht sein wird, sie in seinen Besitz zu bringen, um beim Friedensschluß ein Pfand zu haben und seine Ansprüche unmittelbar an demselben durchzusetzen. Im offenen Felde werde ich ihm schwerlich lange standhalten können, der eingeborene Adel ist wenig zuverlässig, und die festen Schlösser mit Söldnern zu verteidigen, scheint allemal eine bedenkliche Sache. Ich fürchte, es ist da wenig Ruhm zu ernten. Ihr aber sollt hier an der Grenze den Strom hüten und den Übergang hindern, wenn der Feind von dieser Seite her angreifen sollte, bis der Hochmeister sich mit dem Hauptheer auf ihn werfen kann. Zudem ist's Eure Aufgabe, die Straße für die aus Deutschland eintreffenden Hilfsvölker offen zu halten und sie unter dem Schutze der Burg zu sammeln. Laßt uns in steter Verbindung miteinander bleiben, damit wir der eine dem andern beispringen können, wenn es not tun sollte.

Es wäre mir wahrlich lieber, antwortete Plauen, der Meister reihte mich mit meinem Aufgebot in sein Heer ein, so wüßte ich doch, daß ich ihm etwas nütze wäre. Geradeaus auf den Feind – siegen oder untergehen –, das ist meine Losung. Übrigens glaube ich nicht sonderlich daran, daß die Polen hier einfallen. Sie werden sich mit den Litauern vereinigen wollen, um von der Freundschaft des Königs mit dem Großfürsten Vorteil zu ziehen, und das muß weiter östlich geschehen. Dann aber werden sie den kürzesten Weg einschlagen. Leicht möglich, daß wir hier untätig liegen, während die Brüder sich im Kampfe große Ehre gewinnen. Aber es komme, wie es bestimmt ist: der Meister ist meines unverbrüchlichen Gehorsams versichert.

Sternberg lächelte mit halbgeschlossenen Augen. Es ist doch noch nicht so ganz sicher, meinte er, daß in dem bevorstehenden Kampf viel Ehre zu gewinnen ist. Man kann nicht wissen … Er zuckte die Achseln.

Der Komtur blieb stehen und sah ihn mit seinen ruhigen grauen Augen fragend an. Ihr könntet an unserm Siege zweifeln?

Ich zweifle nicht an der Tapferkeit unserer Brüder, obschon viele unter ihnen sind, die sich der Waffen entwöhnt haben; aber man führt heute nicht mehr den Krieg wie vor hundert Jahren. Nicht ein Kreuzzug gegen die Ungläubigen wird gerüstet, sondern Land steht gegen Land, Herrschaft gegen Herrschaft. Gegen uns sind die Völker aufgeboten, und gegen Tausende müssen wir Tausende ins Feld stellen. Unsere Ritter sind nur die Anführer, die Hauptleute; ihr guter Wille entscheidet nicht allein. Unter ihnen kämpfen die Städter und Landleute, die nach ihren Briefen zur Heeresfolge verpflichtet sind, aber ungern Haus und Hof verlassen und lieber in Frieden ihre Handelschaft betreiben oder ihren Acker bauen. Den geworbenen Söldnern ist aber wenig Vertrauen zu schenken. Sie kämpfen nicht wie die Scharen, die uns ehedem zu Hilfe eilten, um Gottes willen und zu Ehren der Jungfrau Maria, sondern um klingenden Lohn, und sie werden uns nicht länger treu sein, als unsere Schatzkammer gefüllt ist. Sie ist aber nicht unerschöpflich, und das Land steuert uns nicht nach Bedürfnis, sondern nach alter Gewohnheit. Zieht sich der Krieg in die Länge, so kann Mangel nicht ausbleiben.

Plauen schüttelte den Kopf. Ihr macht Euch ohne Grund schwere Gedanken, entgegnete er. Sind es doch dieselben Feinde, die wir schon so oft geschlagen haben; sie werden darum nicht tapferer geworden sein, daß sie sich Christen nennen. An der Spitze des Ordens aber steht ein ritterlicher Mann, der die Ehre der Brüderschaft hochhält und uns wohl zum Siege verhelfen soll, wenn wir gesamt desselben Geistes sind.

Der Vogt ging einige Schritte schweigend neben Plauen her. Er schien zu überlegen, ob er sich ihm noch weiter eröffnen könne. Niemand wird des Herrn Hochmeisters Person höher schätzen als ich, sagte er dann mit vorsichtiger Zurückhaltung, aber er ist ein feuriger Kriegsmann, und ich weiß nicht, ob wir uns bei diesen Händeln nicht lieber ein bedächtiges Haupt zu wünschen hätten. Seit Ulrich von Jungingen gewählt ist, treibt er zum Kriege. Wahrlich, sein Bruder Konrad tat wohl daran, auf dem Krankenbett vor dieser Wahl zu warnen. Man wird zu spät bereuen, auf ihn nicht gehört zu haben.

Wie? fuhr Plauen auf, und die grauen Augen blitzten plötzlich von lebhaftem Feuer. Sollten wir's noch länger mit Verhandlungen versuchen, da der listige Feind doch offenbar nur Zeit gewinnen wollte? Schon zu lange hat die Friedensliebe Meister Konrads gezögert. Man ist seines Lobes voll, weil unter seiner Regierung Handel und Wandel blühten, die Speicher der Ordenshäuser sich füllten und überall der Wohlstand im Lande sich mehrte. Aber die ihn spöttisch »die gnädige Frau Äbtissin« nannten, wußten, was sie vermißten. Zur rechten Zeit starb er, seiner zahmen Weisheit bis ans Ende froh zu bleiben, aber an der Erbschaft, die er seinem Nachfolger hinterließ, haben wir alle nun schwer zu tragen. Unvermeidlich war von Anfang an der Kampf mit diesen Nachbarn, die nur darauf lauerten, uns zu schaden. Hätte er zugegriffen, als König Jagello noch im Streit mit seinem polnischen Adel und mit seinem Vetter, Herzog Vitowd, verfeindet war, er hätte ihn mit einem kräftigen Schlage vernichtet. Nun hat er sich von seiner Schlauheit überlisten lassen. Immer hoffte er auf den Beistand König Sigismunds von Ungarn und König Wenzels von Böhmen, die doch nur freundliche Worte hatten und für sich selbst sorgten, bis nun der Feind übermächtig geworden ist. Sollten wir die Entscheidung noch länger hinhalten, um uns noch mehr zu schwächen und bei den deutschen Fürsten alles Vertrauen einzubüßen? Vergeßt nicht, daß die Forderungen des Polenkönigs unverschämt werden.

Gerade wie seine Macht gewachsen ist, sagte Sternberg. Vielleicht habt Ihr recht, Bruder Heinrich, daß vor Jahren unsere Mühe geringer gewesen wäre. Aber was nützt es, mit Zahlen zu rechnen, die längst von der Tafel fortgelöscht sind? Was jetzt, da alles so gekommen ist, am besten geschieht oder unterbleibt, darum handelt es sich. Das Land ist nun einmal durch den Frieden verwöhnt und sähe lieber über sich einen friedlichen Fürsten als eine streitbare Ritterschaft; die Städte trachten nur nach Erweiterung ihrer Privilegien, und der Landadel neidet dem Ritter sein Herrenrecht; in den Konventen selbst aber herrscht Unzufriedenheit bei denen vom niederen Adel, daß sie nicht nach Würdigkeit zu Ämtern befördert werden. So wird zur Zeit überall nicht die volle Kraft eingesetzt werden, und eine verlorene Schlacht könnte üble Folgen haben. Der Hochmeister aber – so scheint mir's – ist des Sieges zu gewiß.

Soll er seine Sache verloren geben, ehe er zum Kampfe auszieht? fragte der Komtur unwillig. Das gerade freut mich, daß er keinem Bedenken Raum gibt, wo nichts mehr zu bedenken ist, sondern zuversichtlich zum Schwerte greift. Der Mutige gewinnt!

Sternberg sah mit finsterm Blick über die Brüstung der Mauer hinweg ins Weite, ohne doch einen Gegenstand aufzufassen. Ich komme von der Marienburg, sagte er nach einer Weile, und war wochenlang um den Hochmeister – glaubt mir, ich habe nicht umsonst Augen und Ohren gehabt. Er beherrscht die Dinge nicht, wie es die Klugheit fordert; sein edler Sinn gibt sich Täuschungen hin, weil er seine Umgebung nach sich mißt. Man rüstet mit fieberhafter Eile, etwa in der Art wie vor Jahren zu einem Kreuzzuge, und Ulrich sehnt ungeduldig den Tag heran, wo er in glänzender Rüstung den Streithengst besteigen und den Seinen voran kämpfen kann, erstaunliche Werke der Tapferkeit verrichtend. Man spricht von der Kriegsfahrt wie von einem ritterlichen Turnier, zu dem die ganze Fürstenschaft als Zuschauer geladen ist, und will nicht sehen, mit welchem Feinde man's zu tun hat. Das wird nimmer gut.

Der Komtur zog die Stirn in Falten. Ich höre ungern, sagte er, daß Ihr den Meister so scharf tadelt. Wir haben ihn über uns gesetzt und müssen nun auch unter ihm stehen. Zudem scheint mir's, Ihr seid ein Schwarzseher geworden, Freund Sternberg. Weil Ihr selbst Euch aufs Ratschlagen und Unterhandeln gut versteht, wollt Ihr des Mannes andere Art nicht gelten lassen. Wir sind aber ein Ritterorden, und es ziemt ihm, einen Ritter an der Spitze zu haben. Fehlt es ihm doch auch nicht an klugen Beratern, die bedenken, was der Krieg fordert. Wie ich erfahre, rüstet man in der Marienburg mit allem Ernst, gießt schweres Geschütz, sammelt Waffen, zieht Söldner heran. In Monatsfrist wird ein Heer aufgestellt sein, wie es dieses Land noch nie vorher gesehen hat, und an tapferen Führern wird es ihm nicht fehlen.

Sternberg stützte wieder nachdenklich das Kinn in die Hand, während er neben dem Freunde den Parchan entlang ging. Es kann zweierlei geschehen, begann er nach einer längeren Pause, und auf beides muß man sich gefaßt machen. Eine große Schlacht steht bevor, und wir können siegreich sein oder sie verlieren. Hört mich ruhig an, fuhr er fort, da Plauen den Kopf rasch gegen ihn wandte. Beides ist in seinen Folgen fast gleich bedenklich. Wir können siegreich sein, und dann werden wir nach neuen Siegen lüstern werden, die doch dem Orden keinen dauernden Gewinn bringen können, aber des Landes Mark aufzehren. Wir können die Schlacht verlieren, und dann steht unsere ganze Herrschaft auf dem Spiele. Denn der König wird nach einem Siege nicht anders Frieden machen, als wenn wir uns ihm unterwerfen, und es gibt unter den Gutsherren und Bürgern deren genug, die nicht so ungern –

Nicht weiter! unterbrach der Komtur. Ihr sprecht von Dingen, die man nicht für möglich halten soll. Unsere Untertanen werden nicht vergessen, welchen Dank sie dem Orden schuldig sind, und Verräter will ich sie nicht schelten lassen, ehe sie's verdienen. Wenn aber Unzufriedenheit im Lande umgeht, woher kommt das? Schließen wir nicht die Augen gegen das nächste. Im Orden selbst herrscht nicht mehr die alte ritterliche Zucht. Die strengen Artikel, wie sie uns als unverbrüchliches Gesetz gegeben sind, werden lästig. Man deutet, man umgeht sie, wie man kann, und die Gebieter gehen mit üblem Beispiel voran. Weil der Orden als Körperschaft Herr ist über dieses Land, so meint nun jedes Glied seinen Teil der Herrschaft für sich haben zu können und in Freuden leben zu dürfen. Viele Hunderte kleine Herren aber erträgt das Land unwillig. Darum müssen wir zurück zur alten Einfachheit und Strenge, zurück zu Armut, Keuschheit und Gehorsam, damit wir stark bleiben als ein Ganzes, ob wir gleich viele sind, und allezeit gerüstet bleiben zum Kampf um Gottes willen!

Sternberg lächelte. Jedes Jahr hat seine Saat und seine Ernte, entgegnete er, und wir zwingen die Welt nicht zum Stillstand. Als der Orden hier einzog, galt's, das Heidentum auszurotten in diesem Lande, und als er nach langen Kämpfen gesiegt hatte, seinen Besitz zu sichern gegen die Heiden ringsum. Seine Aufgabe ist erfüllt, seit die Litauer die Taufe angenommen haben; seine alte Vollmacht, die er aus dem Morgenlande mitbrachte, erlosch. Die neue Zeit fordert ein neues Gesetz, und die es ihr weigern, verstehen sie nicht. Wir haben ein Land, und es will regiert sein: wir sind die Herren und wollen herrschen. Da wir aber viele sind, so fragt sich's, wie wir's am besten ordnen, daß jeder nach seiner Bedeutung teilhabe an der Herrschaft und mitsorge zu ihrer Erhaltung. Der Hochmeister ist ein Landesfürst geworden. Sollen wir arme Ritterbrüder bleiben? Ein ehrgeiziger Mann kann leicht vergessen, daß er nur von seinesgleichen gewählt ist, und die Brüder verkürzen, ohne das Statut greiflich zu verletzen. Ist er ein Kriegsheld und lacht ihm das Glück, so wächst die Gefahr. Darum müssen wir wachen, daß des Ordens Haupt nur mit unsern Gedanken denkt und mit unsern Händen schafft. Die Ehre wollen wir ihm wohl gönnen, aber die Macht muß bei uns sein. So meinen's alle, die ich im geheimen darüber gesprochen habe, und ich hoffe auch Eurer Zustimmung sicher zu sein, Bruder Plauen.

Der Komtur schüttelte den mächtigen Kopf. Ihr irrt, rief er, zählt mich nicht zu Euren Gleichgesinnten! Wenn ich zur Meisterwahl ins Kapitel trete, wen wähle ich dann? Den besten, stärksten, tüchtigsten, den fürstlichsten von allen. Denn ich verspreche ihm zu dienen, und ich kann mit treuem Herzen keinem dienen, dem ich nicht Hochachtung zolle und volles Vertrauen schenke. Wer aber an die Spitze gestellt ist, der soll sich auch verantwortlich wissen für all sein mannhaftes Tun, und nicht bei seinen Untergebenen anzufragen verpflichtet sein, was seiner Würde ziemt und was ihm die Ehre gebietet zu tun oder zu lassen. Ein Mann soll er sein, nicht ein Kind am Gängelbande. Einen Fürsten will ich auf dem Hochmeisterstuhl, nicht eine Puppe in seinen Gewändern. Und so will ich ihm gehorsamen, wie ich Gehorsam fordern würde, wenn mich die Ehre des hohen Amtes träfe. Welche Tat kann man denn von dem erwarten, dem die Hände gebunden sind? Selbst muß er sein, und frei bewähre er sich!

Der Vogt schlug die Augen nieder vor seinen leuchtenden Blicken und zog den Hausrock dichter über der Brust zusammen, als wär's rätlich, sich in seinem Innersten zu verschließen. Ihr seid noch immer der alte Eisenkopf, sagte er, sich zu einem scherzenden Ton zwingend, und meint der Welt ihren Lauf vorschreiben zu können. Kommt's einmal wieder zur Meisterwahl – hoffentlich in langen Jahren nicht –, nun, so wißt Ihr, daß Ihr auf meine Stimme nicht zu rechnen habt. Gute Freunde werden wir gleichwohl bleiben können.

Er hielt ihm die Hand hin, aber Plauen schien es nicht zu bemerken. Gott verhüte, antwortete er ernst, daß der Brüder Gedanken sich einmal zu solchem Zweck auf mich richten. Meister Ulrich ist zum Glück jünger als ich und wird mich nach aller Voraussicht lange überleben. Ich geize nicht nach der Ehre, eine so schwere Last auf mich zu nehmen, und weiß wohl, daß ich nicht danach geartet bin, ein Herr zu sein, wie er Euch gefallen könnte. Ich tue meinen Dienst – heute als Komtur, morgen, wenn es der Meister so bestimmt, als einfacher Ritter hier oder dort und dem Geringsten gehorsam, über den ich jetzt gebiete. Nichts will ich, als ein starkes Glied in der Kette sein, die sich den Deutschen Orden nennt. Ihr sagt, er habe seine Aufgabe erfüllt. Nicht so, Sternberg! Der Heidenschaft hat er dieses Land abgewonnen, und mit seinem Blute hat er es gedüngt, mit dem edelsten deutschen Blute. Nicht leer hat er die Kampfstätte gelassen; aus allen Gauen des Heimatlandes hat er die kräftigsten Arbeiter hierher zusammenberufen und jedem seine Scholle angewiesen. Hier ist Sachsen und Franken, Bayern und Schwaben! Rundum aber bedrohen Polen und Massowier, Litauer und Szamaiten die Grenzen dieser deutschen Nordwacht und möchten das Licht auslöschen, das hier angezündet ist und ihnen die blöden Augen blendet. Deutsche Lehre, deutsche Sitte, deutsches Recht sind ihnen ein Greuel. Wir aber stehen mit dem Schwert in der Hand, daß der Bürger hinter uns in friedlicher Arbeit sie hege und pflege und verbreite zu unseres Herrn Christi Freude. Das ist unser Beruf!

Während er so mit feurigem Eifer sprach, hatte er die Kappe abgezogen und stand nun barhaupt da, dem Winde die hohe Stirn bietend, der vom Flusse her über die Mauer strich und das aufstehende krause Haar wellte. Nun erst zeigte sich die ganze Mächtigkeit dieser Stirn, und jeder Muskel des Gesichts schien von einer eisernen Sehne gestrafft. Sternberg wagte keine weitere Entgegnung, sondern legte nur die Hand auf seine Schulter und sagte: So verstehe ich's auch – unsere Wege sind nur verschieden. Hätte der Orden viele, wie Ihr seid! Dann wandte er sich ab und lehnte sich über die Brüstung der Mauer. Ein großes Holzfloß wurde eben von Dsimken mit langen Stangen mühsam weitergeschoben und von der Sandbank mitten im Fluß abgehalten. Das schien ihn zu beschäftigen.

Nun läutete vom Burghofe her eine helle Glocke zum Mittagessen. Der Komtur bat seinen Gast, ihm zu folgen; es war ihm lieb, daß das Gespräch sich nicht fortsetzen konnte. Gab es ihm doch schon genug zu denken. In den Hallen auf dem Hofe war für die Dienerschaft des Vogts und für die Knechte des Hauses gedeckt; auch ein Teil der Söldner wurde hier und in der großen Küche unter dem Kapitelsaal gespeist. Die beiden Männer schritten dem Flügel zu, in dem das Refektorium lag. Für Euch ist ein Platz an der Firmarietafel bereit, sagte Plauen, ehe sie eintraten; Ihr werdet an bessere Kost gewöhnt sein, als sie auf unseren Konventstisch aufgetragen zu werden pflegt. Nehmet vorlieb bei unseren Kranken. Befehlet Ihr, so leiste ich Euch da Gesellschaft, ob ich mich sonst schon ungern von den Brüdern ausschließe. Einem so werten Gast zuliebe wird einmal eine Ausnahme von der Regel gestattet sein.

Michael Küchmeister würde vermutlich gern dieses Anerbieten angenommen haben, das sich in jedem anderen Hause eigentlich von selbst verstanden hätte. Nun wollte er aber seinem strengen Wirt nicht weichlich erscheinen und lehnte deshalb die Vergünstigungen höflich ab. Erlaubt, antwortete er, daß ich mit Euren Rittern das Mahl teile, und laßt es bei der Tafel hergehen wie alle Tage. Soll ich Euch wirklich ein werter Gast sein, so darf ich nicht Störung ins Haus bringen, und mit dem Freunde soll man nicht Umstände machen.

Wie es Euch gefällt, ist mir's genehm, sagte der Komtur und ließ ihn durch die schmale Tür in den hochgewölbten Remter ein.

Die Ritter standen schon hinter ihren Stühlen von einfachem Holz und warteten auf das Zeichen, sich setzen zu dürfen. Einer der Priesterbrüder sprach ein Gebet. Dann nahm der Komtur neben seinem Gast oben an der Tafel Platz; zwischen ihnen und den Zunächstsitzenden blieb ein Raum frei. Mehrere dampfende Schüsseln mit einer Gemüsesuppe und Lammfleisch wurden aufgetragen; dazu schnitt sich jeder ein Stück von dem schwarzen Brot ab, das von Hand zu Hand ging. Auf dem Tische standen Kannen voll leichten Bieres, je eine mit zugeteiltem Maß für jeden Tischgenossen. Man trank aus kleinen Schankbechern von Glas. Der Gast erhielt Wein in einem silbernen Becher, Kop genannt, aus des Komturs Tresor, und einen Nachtisch von Butter und englischem Käse. Während des Essens herrschte streng nach der Ordensregel tiefstes Schweigen: nur las der Priesterbruder, an dem heute die Reihe war, von Zeit zu Zeit aus einem Buche vor.

Nach aufgehobener Tafel räumten die Diener die Schüsseln und Kannen fort, der Tisch selbst blieb stehen. Nun begann eine lebhaftere Unterhaltung, indem die Ritter zu zweien oder dreien in die tiefen Fensternischen traten oder auch miteinander die Langseite des Saales auf und ab gingen. Zwei von ihnen vergnügten sich auch mit dem Schachzabel, zu dem ein kleiner Tisch hergerichtet war. Der Vogt trat heran und bewunderte gebührend die künstlichen Figuren, die ein Ordensbruder mit geschickter Hand selbst aus Birnbaumholz geschnitzt und mit allerhand Farben bemalt hatte. Auch bei den anderen Gruppen verkehrte er rundum und mischte sich freundlich in das Gespräch.

Nach einer Stunde ging jeder an sein zugewiesenes Geschäft oder zu Waffenübungen auf den Parchan oder in die Kapelle zum vorgeschriebenen Gottesdienst in den Gezeiten. Sternberg verabschiedete sich von seinem Wirt. Man muß es Euch nachrühmen, sagte er, Ihr haltet gute Ordnung; vor hundert Jahren kann es in einem Ordenshause nicht anders zugegangen sein.

Ich will das als ein Lob nehmen, antwortete Plauen, ob Ihr es schon mit einem Lächeln begleitet. Ich hoffe, meine Ritter werden, so geschult, in jeder Not ihre Schuldigkeit tun. Er trug dem Kellermeister auf, dem edlen Gast und seinem Gefolge reichliche Wegkost mitzugeben, und verließ den Vogt nicht eher, bis dieser aufs Pferd gestiegen und über die Brücke geritten war. –

An demselben Tage zur Vesperzeit langte noch ein anderer Gast an: Junker Heinz von Waldstein. Er war mit dem Weichselkahn gekommen, der beim Städtchen Schwetz Rast machte, um Waren für dortige Krämer abzuladen und frisches Fleisch zur Kost für die Schiffsleute an Bord zu nehmen. Da er Briefe an den Komtur vorzeigen konnte, hatte man ihn ungehindert durch die Mauerpforte nach der Zeltgasse ausgelassen. Im Schlosse wurde er sogleich durch einen der Halbbrüder gemeldet.

Der Komtur saß in seinem kleinen Gemach, das in seiner Schmucklosigkeit einer Mönchszelle glich, auf einem ungepolsterten, steiflehnigen Stuhl neben seinem Schreiber und revidierte das Zinsbuch. Mancherlei Rückstände der Zinspflichtigen waren dort eingetragen, auch Darlehne notiert, die einigen von den eingesessenen Gutsherren oder Schulzen zum Aufbau von Gebäuden nach erfolgtem Brandschaden oder zu anderen wirtschaftlichen Zwecken aus der Ordenskasse bewilligt waren. Nun schien es Zeit, diese Außenstände einzuziehen, ehe der Krieg die Rückzahlung erschwerte, und deshalb sollten Einmahnungen an die Schuldner ergehen.

Als dem Komtur angezeigt wurde, daß der Junker von Waldstein vor der Tür auf Einlaß warte, erheiterte sich sein Gesicht. Er stand rasch auf, klappte den Folianten zu und trat ans Fenster, dem Schreiber den Rücken zukehrend. Der hatte aber wohl bemerkt, daß ihm das Blut in die Stirn geschossen war, wie wenn ihn sonst der Zorn anwandelte, und hielt sich ganz ruhig auf seinem Platz, weitere Befehle abzuwarten. Plauen stand eine Weile und schaute auf den Strom hinaus über die schmale Landspitze hinweg, an der sich das Schwarzwasser mit ihm vereinte. Die rechte Hand hatte er unter das Wams gesteckt und hielt sie dort auf der Brust. Vielleicht schlug sein Herz stärker als gewöhnlich, vielleicht hatte er sich mit schweren Gedanken abzufinden, die ihn plötzlich bestürmten?

Dann wandte er sich zurück und hieß in ruhigem Tone den Schreiber gehen. Der Gast sollte eintreten. Er setzte sich wieder auf den Stuhl und stützte den Kopf in die Hand.

Heinz blieb an der Tür stehen und verbeugte sich tief. Er wartete auf eine Anrede. Da sie nicht erfolgte, begann er selbst: Hochwürdigster Herr Komtur, ich hoffe, Euch durch Euren Bruder, den Kaiserlichen und Reichshofrichter Herrn Heinrich von Plauen, und durch Euren Vetter, den edlen Heinrich Reußen, im voraus gut empfohlen zu sein. Sie haben mich zu Euch nach Preußen geschickt mit diesen Briefen, die sicher alle nähere Auskunft geben, damit ich mich Euch von Angesicht vorstelle und erfahre, ob Ihr mich in Eurem Dienste brauchen oder dem Herrn Hochmeister empfehlen wollt. Man hat mir gesagt, daß ich zu Eurem Hause gehöre.

Der Komtur musterte ihn, während er die Briefe überreichte, mit seinen grauen, ernsten Augen so eindringlich, daß er ein wenig verschüchtert den Blick senkte. Es war ihm, als müsse dieses erste Begegnen darüber entscheiden, wie er für alle Zeit dem würdigen Manne genehm oder unlieb erscheinen solle, und blitzschnell durchzuckte ihn der Gedanke, keine Nacht in dem finstern Schlosse bleiben zu dürfen, wenn er die Probe nicht bestehe. Darüber konnte ihn nun freilich ein mit freundlicher Betonung gesprochenes: Du bist willkommen, Heinrich, beruhigen. Das vertrauliche Du sagte ihm, daß er sich wirklich zum Hause gehörig betrachten dürfe.

Plauen las die Briefe oder überflog wenigstens ihren Inhalt. Dabei schweiften seine Blicke fortwährend über das Papier zu dem bescheiden Wartenden hinüber und schienen an dem stattlichen jungen Manne mehr und mehr Wohlgefallen zu finden. Zuletzt öffnete er auch den Brief des Danziger Komturs. Was darin stand, schien ihn lebhaft zu fesseln: er las offenbar Zeile für Zeile, und manchmal blitzten die Augen freundlich oder nickte zustimmend der Kopf. Als er fertig war, legte er das Schreiben neben sich auf den Tisch, stützte die Hand darauf und erhob sich vom Stuhl. Bruder Johann von Schönfels schreibt mir, daß du dich brav gehalten hast im Kampfe mit den Seeräubern, sagte er, und zu Pfingsten beim Stechspiel der Danziger. Das freut mich zu hören. Sei mir nun doppelt willkommen. Ich hoffe, du wirst unserem Orden gute Dienste leisten, wo man sie auch fordert, und dir zu eigenen Gunsten des Herrn Hochmeisters Dank verdienen.

Mit diesen Worten schritt er auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. Wie er ihm dann aber ganz nahe kam und die von der Freude über dieses Lob glänzenden Augen ihn hell anblitzten, wurde er anderen Sinnes. Er legte ihm beide Hände auf die Schultern, zog ihn an sich und küßte ihn auf Stirn und Mund. Heinz wurde ganz eigen zumut bei dieser Liebkosung, die ihm ganz unerwartet kam und so wenig zu der strengen Haltung des Ordensgebietigers paßte. Er bückte sich, Plauens Hand zu küssen, die nun die seinige erfaßt hatte und kräftig drückte. Der Komtur ließ es geschehen.

Wundere dich nicht, sagte er dann, daß ich dich wie einen lieben Verwandten begrüße. Du bist es mir durch deine leider so früh verstorbene Mutter, eine treffliche Frau, die ich warm verehrte und deren Andenken sich mir durch dich erneuert. Ich finde in deinem Gesicht manchen Zug wieder, der ihr angehörte. Oh, wie vieles wäre heut anders, wenn Gott ihr länger das Leben gelassen hätte!

Die Augen wurden ihm feucht, während er so sprach und den Jüngling liebevoll betrachtete. Aber rasch faßte er sich wieder und ward seiner Rührung Herr. Du erinnerst dich meiner schwerlich, fuhr er mit festerer Stimme fort, aber ich habe den Knaben in dem einsamen Waldhause oft besucht, wo er seine ersten Lebensjahre verbrachte, und wir waren damals gar gute Freunde. Dann geschah es auf meine Verwendung, daß du von meinen Verwandten aufgenommen wurdest, da ich selbst als Bruder des Deutschen Ordens deine Erziehung nicht leiten konnte. Hatte ich dich aber viele Jahre aus den Augen verloren, so doch nicht aus dem Gedächtnis. Oft hat man mir zu meiner Freude Löbliches von dir berichtet, denn lieb war mir's zu hören, daß du zum geistlichen Stande nicht Neigung hattest und ein wackerer Kriegsmann werden wolltest. Dazu ist nun hier in Preußen reichlich Gelegenheit, und deshalb rief ich dich zu mir. Zeige dich auch ferner meines Vertrauens würdig, und es soll dir an meiner Fürsprache nicht mangeln.

Er fragte nun nach seinen Verwandten und Freunden in der Heimat, ließ sich von der Reise berichten und hörte aufmerksam zu, als Heinz von den letzten Vorfällen in Danzig und dem Streit zwischen Schloß und Stadt wegen der Vitalienbrüder erzählte. Da fehlt die feste Hand, bemerkte er zwischenein. Man muß die Bürger bei allen ihren Rechten erhalten, wie man's ihnen gelobt hat, aber nicht die mindeste Anmaßung dulden, den Geist der Widersetzlichkeit im Keim ersticken. Was sie heute ungestraft versuchen, werden sie morgen zu erzwingen bemüht sein. Ich war vor dreizehn Jahren Kumpan des Komturs zu Danzig und Hauskomtur daselbst, kenne Letzkau und Hecht und alle die anderen Stimmführer im Rate der Rechten Stadt und weiß wohl, wohin sie streben. Damals freilich haben sie nicht gewagt, Gericht zu halten ohne mich, wenn ich dabeisein wollte. Dafür sind wir denn auch als gute Freunde geschieden.

Heinz erlaubte sich keine Entgegnung darauf, so sehr ihm auch gerade das trotzige Wesen der Ratsherren gefallen hatte; er merkte wohl, daß der Komtur in diesen Dingen seine Ansicht fest begründet hätte und auf seine grüne Weisheit wenig geben würde. Rasch lenkte er also davon wieder ab und sprach von dem lustigen Pfingstfest und von des Königs Artus Tafelrunde, bei der Johann von Schönfels das Szepter getragen. Auch dazu schüttelte der Komtur bedenklich den Kopf. Die Elbinger und Danziger haben sich den König Artus von Lübeck mit nach Preußen gebracht, sagte er, und man mag's ihnen wohl gönnen, daß sie sich beim Spiel seiner erinnern als eines ritterlichen Herrn; wer aber ernstlich Ritterschaft in sich trägt, der sollte sich nicht brauchen lassen zum Scherz, denn das bringt falsche Ehre, und wem ich gedient habe beim Spiel, dem muß ich hinterher auch ein gefälliger Herr sein, wenn ich nach dem Recht strafen sollte.

Auch darauf verhielt der Junker sich still. Er hatte es so nicht empfunden und es eher für etwas recht Vornehmes gehalten, daß der Danziger Komtur den kürzlich geschlichteten Streit vergaß und herablassend sich beim Spiel beteiligte.

Da nun durch sein Schweigen das Gespräch ins Stocken geriet, ging der Komtur ein paarmal in dem engen Gemach auf und ab, nahm wieder die Briefe auf, blickte hinein und legte sie auf den Tisch zurück. Heinz nahm an, daß er allein sein wolle, und entfernte sich nach der Tür. Nun winkte ihm jener aber, noch zu bleiben.

Man wird dir gesagt haben, begann er von neuem, daß du eine Schwester hast.

So ist es, hoher Herr.

Und daß du sie hier finden sollst.

Das hat man mir versprochen.

Plauen nickte. Du sollst Waltrudis sehen, sobald sie vorbereitet ist – nicht hier im Schlosse, das sie nie betrat, sondern in der Stadt, wo ein Freund sie in sein Haus aufgenommen hat. Sie ist fast drei Jahre jünger als du und deiner Mutter Ebenbild. Sie starb, bald nachdem sie diesem Kinde das Leben gegeben hatte.

Die letzten Worte sprach er leise und mit dumpfem Ton; die Augen trübten sich, und der Mund zuckte schmerzlich. Morgen, sagte er, morgen vielleicht schon. Geh jetzt – ich werde dir eine Kammer anweisen. Vor Abend spreche ich dich noch.

Heinz dankte im voraus für alle seine Güte und verließ das Zimmer. Der Schreiber, der so lange draußen in der oberen Halle gewartet hatte, ging hinein, sich zu erkundigen, ob die Arbeit fortgesetzt werden solle, kam aber gleich wieder zurück und meldete, daß er den Komtur an seinem Betpult kniend gefunden habe. Heinz schloß sich ihm an und ließ sich im Schlosse herumführen. Es geht hier wie im Kloster zu, zischelte der Schreiber, seit Herr Heinrich von Plauen vor drei Jahren eingezogen ist. Ich schrieb damals das Übergabeprotokoll und merkte gleich aus dem, wie er seine Fragen stellte und nichts in Vorratshaus und Rüstkammer übernahm, was er nicht selbst gesehen und geprüft hatte, daß die leichten Tage vorüber sein würden. Man muß es wohl sagen, daß alles in bester Ordnung hier ist und im Gebiete der Komturei. Jeder Ritter- und Schulzendienst ist ins Buch eingetragen, und darüber, was jedermann dem Hause zu leisten und zu zahlen hat, kann kein Zweifel aufkommen. Es ist auch gute Zucht und Frömmigkeit unter den Brüdern, aber man fürchtet den Herrn Komtur mehr, als man ihn liebt, und würde ein milderes Regiment nicht beklagen. Früher ging's hier lustiger zu, und auf den anderen Schlössern, hat man mir gesagt, nimmt man's mit den Statuten nicht so genau.

Das hatte mindestens für das Danziger Schloß seine Richtigkeit.

Gegen Abend schritt der Komtur, in seinen Mantel gehüllt, durch die Zeltgasse dem Städtchen zu. Die Söldner zogen sich zurück, wo sie ihn kommen sahen, um ihm nicht Rede stehen zu müssen. Es war immer, als ob er nur die Augen aufmachen dürfe, um irgend etwas Pflichtwidriges zu bemerken. Der Komtur geht wieder um, sagte einer von den Knechten leise; was er nur so oft noch spät am Abend in der Stadt treiben mag? Sein Geselle lachte. Was wird's sein? Man erzählt sich, er habe dort ein schönes Schätzchen – das wird er besuchen. Der andere schlug ihm mit dem Handschuh auf den Mund. Du, hüte dich, mahnte er ängstlich ausspähend, der hat seine Ohren, und in dem großen Schloßturm soll ganz unten ein finsteres Kellerloch sein, in dem man die Leute aufbewahrt, die zu laut sprechen.


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