Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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13. IN BEIDEN LAGERN

Bald füllten sich nun alle Straßen, die aus dem Innern des Landes zur Südgrenze führten, mit Kriegsvolk. Michael Küchmeister von Sternberg deckte die Neumark als deren Vogt. Weiterhin bei Friedland zog der Komtur von Schlochau märkisches Volk und etliche Söldnerhaufen zum Schutz der Grenze zusammen. Wenige Meilen davon sammelte der Komtur von Tuchel seine Streitschar. Heinrich von Plauen hielt Schwetz mit dreitausend Mann besetzt und sollte stehenbleiben. Bei Thorn befehligte Eberhard von Wallenfels, Komtur von Ragnit; weiter ostwärts am Dremenzflusse entlang lag der Komtur von Virgelau, Paul Kotmann von Dademberg, mit ansehnlicher Streitmacht. Das Hauptheer aber sammelte sich um den Ordensmarschall nicht weit von Schwetz in einem Lager.

Von Norden her sandte der Landmeister von Livland Hilfstruppen; der Herzog von Stettin schickte seinen Sohn Kasimir mit sechshundert Rossen und etlichen Fähnlein Knechten; der Herzog Konrad von Öls führte seine Schlesier heran; Söldner aus Meißen, Franken und vom Rhein stießen dem Ordensmarschall zu. Aber auch in den Städten und auf dem Lande regte sich's überall, wenn man auch mit dem Auszuge bis zum letzten Termin wartete, um die Verpflegung nicht zu erschweren. Wer kriegspflichtig war, sorgte für seine Rüstung.

Die Komture, die noch auf ihren Schlössern saßen, hielten ihre Aufgebote bereit, musterten Mannschaften, Pferde und Waffen. Schulzen und Köllmer hatten leichten Roßdienst zu leisten und sich mit Plate, Eisenhut, Schwert und Schild zu gestellen. Ritter und Knechte des Gebietes, die größeren Grundbesitz hatten, sammelten sich mit ihren Hintersassen um den Bannerführer, der aus ihrer Mitte gewählt war. Die Angesehensten kämpften gleich den Deutschordensrittern auf einem gepanzerten Streithengst in voller Eisenrüstung mit Lanze und Schild, ihre Gesellen in leichteren Waffen. Der Komtur ordnete die einzelnen Kriegshaufen, übte sie ein und führte sie dann gesamt nach dem ihm angewiesenen Lagerplatz. Withinge auf schnellen Pferden ritten zwischen ihm und dem Ordensmarschall oder dem Hochmeister ab und zu, Botschaften zu überbringen und Befehle abzuholen.

In die Städte ging das Aufgebot an die Magistrate; nur im ganzen war die Zahl der zu stellenden Mannschaft bestimmt, die Bürgerschaft machte es unter sich aus, wie dieselbe aufzubringen. Da gab es nun Rats- und Gemeindeversammlungen und Morgensprachen der Ämter, und die ganze Stadt war in fieberhafter Erregung. War die gestellte Mannschaft so ansehnlich, so zog sie mit ihrem Schultheißen oder seinem Stellvertreter aus dem Rat unter eigenem Fähnlein dem Komtur zu. In den großen Städten rüstete man noch selbständiger zur Kriegsreise.

Der Hochmeister machte zunächst zu Engelsburg Rast und ließ sich dorthin von allen Seiten Bericht erstatten. Obschon der Weg von da bis Rheden nicht weit war, unterließ Heinz doch einen zweiten Besuch in Buchwalde. Der Ritter Arnold von der Buche war, wie er erfuhr, mit seinem Sohne Hans bereits dem Bannerführer des Kulmer Landes, Nikolaus von Renys, ins Feld gefolgt. Frau Cornelia und Natalia hatten sich im alten Hause eingerichtet, da das neue gegen allerhand herumziehendes Volk in dieser schlimmen Zeit nicht sicher genug zu sein schien. Der eine von den polnischen Herren war abgereist, der andere hielt sich noch dort auf, wahrscheinlich um die Damen im geeigneten Zeitpunkt über die Grenze zu bringen. Der Ritter mochte ihre Abreise jetzt noch nicht gewünscht haben, damit im Ordenshause kein Gerede entstehe. Unter solchen Umständen meinte Heinz sich zurückhalten zu müssen.

Dann verlegte Ulrich von Jungingen sein Quartier nach Thorn, um der Grenze näher zu sein. Hier versuchten die Gesandten des ungarischen Königs noch einmal, Verhandlungen zwischen ihm und dem König von Polen in Gang zu bringen. Sie mußten aber rasch abgebrochen werden, da Jagello auf Abtretung Szamaitens und des Dobriner Landes bestand, so scheinheilig er auch seine Friedensliebe versicherte. Der Hochmeister berief sich auf den Schiedsspruch des Königs von Böhmen, den Polen nicht angenommen hatte.

Wie Jungingen nun seine Streiter insgesamt überzählte, hatte er fünfzigtausend Mann aus Preußen und den Ordenslanden und dreiunddreißigtausend Mann Söldner unter fünfundsechzig Heerbannern zu seiner Verfügung, darunter sechsundzwanzigtausend Reiter, eine gar ansehnliche Macht, die aufwärts des Drewenzflüßchens bei dem Orte Kauernick auf sein Geheiß ein Lager bezog. Aber doppelt so stark war nach allen glaubhaften Berichten der Feind. Zu den sechzigtausend Polen unter fünfzig Heerfahnen waren mehr als vierzigtausend Litauer, Szamaiten und Russen unter gleich viel Fahnen gestoßen. Dazu gebot der König über vierzigtausend Tataren und mehr als zwanzigtausend Söldner aus Böhmen, Mähren, Ungarn und Schlesien. Seine Reiterei allein war an Zahl fast so stark als das ganze Ordensheer. Das mußte den Hochmeister besorgt machen, ob er schon der größeren Tapferkeit und Kriegserfahrung der Seinigen vertraute und auch auf einen Einfall des Königs von Ungarn im Polenland hoffen durfte, der eine Teilung des Heeres notwendig machen mußte. Doch ließ er eiligst aus dem Haupthause Marienburg und den andern Schlössern alles irgend entbehrliche schwere Geschütz heranschaffen, um darin wenigstens dem Feinde überlegen zu sein. Heinz war mit seinen Aufträgen fortwährend unterwegs hierhin und dorthin.

Jagello zögerte noch. Er schrieb Briefe nach Preußen, um sich der Stimmung im Lande zu versichern, machte Versprechungen, zog Erkundigungen ein. Aber als der Bischof von Leslau ihm die Antwort erteilte, er solle nicht zögern, zu ziehen und zu streiten gegen den Orden, da es ihm in der Offenbarung Johannis verkündigt sei, in Preußen einzuziehen, sitzend auf einem weißen Rosse und ein goldenes Kreuz an seinem Schilde tragend, da ward der abergläubische König überzeugt, daß er Sieger sein werde, und gab Befehl zum Aufbruch aus seinem Lager bei Ploczk. Alle Ritter und Edle aus fremden Landen, die unter ihm kämpften, schickten dem Hochmeister ihre Absagebriefe, sich im Streite wider den Orden an ihrer Ehre zu verwahren. Noch vor Ablauf des Waffenstillstandes in den ersten Tagen des Juli überschritt er die Grenze. Nun zog ihm der Meister entgegen und lagerte bei Soldau.

Dorthin kam Kunde von Greueltaten, die von den Königlichen in dem Städtchen Gilgenburg verübt waren. Die Bürger hatten sich nicht ergeben wollen und ihre Mauern tapfer verteidigt: Witowd aber mit seinen wilden Litauern und Tataren hatte sie in heftigem Anlaufe erstürmt und die Stadt geplündert. Schrecklich hausten die rohen Horden; von Männern machten sie alt und jung schonungslos nieder, Frauen und Jungfrauen, die sich in die Pfarrkirche flüchteten, peinigten sie in viehischer Weise. Das Sakrament zerrieben sie in den Händen und warfen es unter die Füße und trieben damit ihren Spott. Dann schleppten sie die schönsten von den Jungfrauen hinaus und ließen sie in die Sklaverei fortführen, die andern wurden in die Kirche eingeschlossen und mit derselben verbrannt.

Jammer und Wehklagen scholl durch das Lager von den Flüchtlingen, die mit Mühe und Not dem gleichen Schicksal entgangen waren. Da sahen des Ordens Untertanen, die Waffen trugen, mit Schrecken, welches Unheil dem Lande drohte, und riefen laut, daß sie gegen den Feind geführt werden wollten. Ingrimmig schlugen auch die deutschen Söldner ans Schwert und wollten für ihre Landsleute gegen die unchristlichen Horden kämpfen, daß solche Frevel nicht ferner das Land besudeln sollten. Das brachten Gebietiger und Hauptleute an den Hochmeister und baten ihn, eiligst das Zeichen zum Aufbruch zu geben. Ungern ließ er sich drängen, da er noch Verstärkungen erwartete, aber auch ihm schwoll das Herz vor Zorn, und weil er die Seinen so mutig sah, gab er nach und zog gegen den König.

Bei dem Dorfe Frögenau schlug er ein Lager auf.

Der König weilte noch bei Gilgenburg; des Ordensheeres rascher Vormarsch kam ihm unerwartet und ermutigte ihn wenig. So schickte er denn an diesem Tage nur den Großfürsten Witowd, seinen Vetter, mit den Litauern, Szamaiten, Russen und Tataren voraus, einen plötzlichen Überfall zu verhindern, während er selbst das Gepäck und die Gefangenen sichern wollte. So schlecht war plötzlich sein Vertrauen auf den Sieg geworden, daß er heimlich Befehl gab, auf allen Stationen Pferde für ihn bereit zu halten, wenn es zu schleuniger Flucht kommen müßte.

Witowd drang mit seinen Scharen bis zu den Dörfern Logdan und Faulen vor und lagerte dort, geschützt durch Wald, Gebüsch und Sumpf.

Es war eine schreckliche Nacht, die vom vierzehnten auf den fünfzehnten Juli. Ein furchtbarer Sturm erhob sich und brauste über die Ebene hin, mit immer heftigeren Stößen gegen die beiden feindlichen Lager anstürmend, als wollte er sie wegfegen vom Erdboden. Die Pflöcke wurden aus dem Boden gerissen, die Zelte weit fortgetrieben, die Stangen zerbrachen. Der Himmel füllte sich mit schwarzen Wolken, daraus zuckten von allen Seiten feurige Blitze, plötzlich die grause Finsternis über der Erde erhellend. Regenströme stürzten vom Sturme gepeitscht nieder und überschwemmten das Land. Entsetzt sprangen die Krieger auf, die sich nach den Marschmühen des Tages zur Ruhe gelegt hatten; über kein Auge kam auch nur eine Stunde Schlaf.

Heinz von Waldstein hüllte sich fest in seinen Mantel und durchwanderte die Lagerstraßen. Oft mußte er stehenbleiben und sich abwenden, um das Unwetter gegen seinen Rücken anbrausen zu lassen, oder sich an dem Pfahl eines Feldzaunes halten. Er wußte, wo der Kulmer Bannerträger seinen Stand hatte und vermutete den Freund in seiner Nähe zu finden. Sein Herz konnte nicht froh werden. Er sorgte nicht um sein Leben, aber der Gedanke war doch nicht abzuweisen, daß er's morgen in der Schlacht verlieren könne, und das Unwetter hob die Stimmung nicht. Noch einmal wollte er den lieben Freund umarmen.

Nach einigem Suchen traf er auf eine kleine Gesellschaft von Männern, die sich hinter einem schwerbeladenen Wagen postiert hatten, den der Sturm vergeblich umzuwerfen bemüht war. Auf der Seite gegen den Wind hatten sie Spieße in die Erde gesteckt und eine Leinwand daran befestigt, die nun einigen Schutz gegen den Regen gewährte. Das Feuer war ausgeblasen. In der Dunkelheit ließen sich die Gesichter nicht unterscheiden: an der Stimme aber erkannte Heinz den einen der Lagernden als den Ritter Arnold von der Buche. Gottes Wunder, hörte er ihn sagen, wenn wir lebendigen Leibes noch den Morgen heranwachen. Es stürmt und blitzt, als ob die Welt untergehen wolle. Ich habe keinen trockenen Faden mehr, und mein Lederwams hält sonst doch dicht.

Wer weiß auch, ob wir nicht vor dem Jüngsten Tage stehen, antwortete eine tiefe Stimme. Es ist Zeit, daß des Ordens Hoffart zu Fall kommt.

Da müssen wir aber alle mit, meinte der Ritter lachend. Oder glaubst du, Bruder Nikolaus, daß die Eidechsen durchschlüpfen werden?

Diese Anspielung wurde mit einem kräftigen Gelächter gutgeheißen.

Ich wette darauf, nahm der Baß wieder das Wort, daß es bei den Polen drüben nicht halb so wettert und stürmt. Auf uns ist's abgesehen. Während die dort unter ihren Zelten ruhig schlafen, zwackt's uns an allen Gliedern, daß wir keine Minute Ruhe haben und morgen vor Müdigkeit von den Pferden fallen, bevor uns noch einer der großmäuligen Tataren anrennt. Gebt acht! Fällt mir die Fahne aus der Hand, so wißt ihr, weshalb es geschieht.

Heinz trat hinzu und grüßte. Die Vordersten sprangen auf und riefen: Wer da? Hans hatte ihn schon erkannt und nannte seinen Namen. Er sollte nun niedersitzen und erzählen, was man in des Hochmeisters Umgebung treibe und ob schon vom Feind Kunde sei. Er plauderte aber nicht einmal das wenige aus, was er beiläufig aus der Gebietiger Gesprächen erfahren hatte, nahm nach kurzem Aufenthalt Hans beiseite und führte ihn fort.

Sie gingen Arm in Arm. Es ist gar freundlich, daß du trotz Sturm und Regen kommst, sagte Hans. Wie ich mich nach dir gesehnt habe!

Es könnte leicht das letztemal sein, antwortete Heinz, daß wir so nebeneinander schreiten. Zwar am Siege des Ordens zweifle ich nicht – heißt seine Schutzpatronin doch Maria! Auch daß wir beide uns tapfer unserer Haut wehren werden, dafür stehe ich gut. Aber es könnte doch sein, daß der eine oder andere –

Der Sturm schien ihm die Worte vom Munde fortzustoßen. Was mich betrifft, bemerkte Hans, ohne ihm Zeit zu lassen, von neuem Atem zu schöpfen, so ist mir ein Tag wie der andere. Kein Mensch ist seines Lebens Herr; der aber, der es gegeben hat, nimmt es, wie und wann er's will. Den einen, der keine Gefahr ahnt, wirft er nieder auf freiem Felde, den andern leitet er heil aus der dichten Schar seiner Feinde, ob er schon sein letztes Stündlein gekommen glaubte. Was wir auch tun, es ist nur zu unserem Heil oder Unheil durch seinen Ratschluß. So bin ich meinetwegen ganz ruhig. Wer weiß auch, was ihm aufbewahrt wäre, wenn er sein Dasein verlängern könnte.

Das sind trübe Gedanken, antwortete Heinz kopfschüttelnd. Hilf dir selbst, heißt es, so hilft dir Gott.

Wenn er will, setzte der Freund hinzu. Glaube aber nicht, daß ich deshalb mein Leben weniger mannhaft verteidigen werde – weiß ich doch nicht, was er will. Schenkt er mir's, so weiß ich, daß er noch viel Schweres von mir fordern wird. Nimmt er mir's, so ist's gewiß, daß ich ihm zu nichts mehr nütze war. Versprich mir eines, Heinz! Wenn ich im Kampfe falle –

Es wird nicht sein.

Wenn ich im Kampfe falle, sage deiner Schwester nichts davon, daß mein letztes Wort ihr Name sein wird. Sie soll nicht wissen, daß ich sie geliebt habe.

Und meinst du, ihr Herz würde sich deshalb weniger betrüben?

Ich hoffe es.

Geh, ich glaube dir nicht. Du hoffst, daß du wiedergeliebt bist – sonst liebtest du nicht.

Es ist kein Wort zwischen uns gesprochen.

Und doch weiß jeder, was er weiß. Aber wie du willst! Ich für mein Teil denke darin anders. Ist mir einer von Herzen gut, so soll er auch sein Recht haben und um mich weinen dürfen, wie ich's um ihn täte, wenn ich ihn verlieren müßte. Helfen kann's freilich nicht, aber es beruhigt doch das Gemüt. Auch ich habe eine Bitte, Hans. Wenn du mich auf dem Schlachtfelde unter den Toten findest – zieh mir den kleinen Ring mit dem blauen Vergißmeinnicht vom Finger und gib ihn an Maria Huxer zurück. Sage ihr, daß ich ihn zu ihrem Andenken getragen habe bis zum letzten Hauch, und daß sie nun frei ist, da der Tod uns scheide. Willst du das?

Hans drückte seine Hand. Ich will's, wenn ich's kann. Sie waren wieder zu dem Lagerplatz unter den Wagen zurückgekehrt. Und versprich mir, dich nicht aus Übermut der Gefahr auszusetzen, bat er beim Abschiede. Deiner wartet viel Glück.

So bist du wissender als die alte Hexe aus dem Preußenwall, die mir wahrsagte, entgegnete Heinz. Ihre Prophezeiung war wenig tröstlich. Aber nun sage ich: wie Gott will. Lebe wohl!

Er umarmte den Freund und hielt ihn eine Weile an seine Brust geschlossen. Dann riß er sich los und eilte fort. –

Mit Morgengrauen war das Ordensheer auf. Das Lager blieb bei Frögenau stehen, die Kriegsscharen marschierten dem Dorfe Grünwalde zu. Von dort, aus mäßiger Höhe, konnte man über eine flache Talmulde hin drüben am Rande des Gehölzes die Vorposten Witowds erkennen.

Mit dem Rücken gegen Grünwalde gekehrt, hatte der Meister vor sich ein weites, ödes Feld, braune Heide zwischen fernem Gehölz. Links lag das Dorf Tannenberg auf einer sanften Erderhöhung, die sich nach rechts mit mancherlei Unterbrechungen bis zu einem Wäldchen fortsetzte. Dahinter noch mehr rechts lagen die Dörfer Schönwäldchen und Seemen an den sumpfigen Ufern des Semnitzflusses und des Großen Damerausees. Die Entfernung zwischen Dorf Tannenberg und dem Walde mochte fünftausend Schritte und mehr messen. Dort stellte der Meister, bis gegen die Absenkung vorrückend, sein Heer in zwei Treffen hintereinander auf. Kleine Korps zur Beobachtung des Feindes, wenn derselbe etwa eine Umgehung versuchen wollte, schob er links über Tannenberg und rechts über den Wald hinaus. Eine Reserve postierte er in drei kurzen Linien vor das Dorf Grünwalde und hinter das zweite Treffen. Eine kleinere Abteilung wurde bei Seemen hinter den Semnitzfluß gelegt, für alle Fälle den dortigen Übergang zu decken. So stand nach einigen Stunden das Heer in Schlachtordnung und erwartete den Angriff. Die Banner und Fahnen flatterten lustig in dem noch immer scharfen Winde. Vor das erste Treffen war das schwere Geschütz aufgepflanzt, wo irgendeine Erhöhung des Erdbodens seine Wirkung zu verstärken versprach.

Der Hochmeister aber, in strahlender Rüstung, ritt die langen Linien auf und ab mit zahlreichem Gefolge von Rittern, Knappen und Hauptleuten, überall freundlich grüßend und ermunternd. Traf er auf eine auserlesene Schar oder einen Führer, der ihm wohlbekannt und seiner Achtung wert war, so hielt er wohl auch an, lenkte sein Pferd seitwärts und unterhielt sich eine Weile. Das große Banner des Hochmeisters hatte er seiner Schar vorbehalten, das kleine war beschützt durch viele edle Kreuzherren und vorzügliche Söldner aus Deutschland, die dazu erwählt waren. Das Banner des Ordens: auf weißem, an der Seite zweimal geschlitztem Tuch ein geradliniges schwarzes Kreuz, führte der Ordensmarschall Friedrich von Wallenrod selbst als Kriegsoberster. Er hatte die Franken um sich geschart, da er selbst ein Franke von Geburt war und sein Geschlecht dort zu Hause. Dessen Wappen, auf rotem Felde eine silberne, viereckige, auf dem Helm sich wiederholende Schnalle, trug ein Anverwandter, der mit auserlesener Mannschaft dem Orden zugezogen war. Mit ihm sprach der Meister lange.

Fast noch länger aber mit dem edlen Ritter Georg von Gersdorf, der die Fahne des heiligen Georg, das Hauptbanner der Söldner, trug: ein weißes Kreuz auf rotem Grunde, der oberste Zipfel des Tuches ausgespitzt. Weiter folgte das Banner des Ordenstreslers; seine Zeichnung war gut gewählt: ein großer weißer Schlüssel mit drei kleinen schwarzen Kreuzen im Bart. Unter dem Großkomtur Konrad Lichtenstein standen die Söldner aus Österreich und Ordensbrüder. Die Fahne dort mit dem schwarzen Ochsenkopf, die Nasenlöcher durchbohrt von einem Ringe, gehörte Graudenz an, und der Komtur Wilhelm von Helfenstein führte sie. Und so trug jeder Komtur sein sonderliches Banner. Auch die Bischöflichen fehlten nicht. Da zeigte Marquard von Riesenburg das Banner des pomesanischen Bischofs: auf rotem Felde ein goldener, mit schwarzen Linien eingezeichneter Adler, der ein Schriftband in den Klauen und um den Kopf einen Kreis wie einen Heiligenschein trug, zwischen zwei Bischofsstäben. Das des ermländischen Bischofs aber hatte ein weißes Opferlamm, aus dessen Brust Blut in eine Schale floß. Drei rote Mitren waren auf die Fahne des Bischofs von Samland gemalt, und in der Nähe derselben flatterten auch die Fahnen der drei Städte Königsberg, jede mit einer Krone geziert zum Andenken an den erlauchten Stifter König Ottokar von Böhmen.

Wer kennt nicht der Thorner Wappen, das offene Tor mit Fallgatter und drei Türmen darüber, rot in weißem Felde? Es schmückte auch ihr Kriegsbanner, und der Bürgermeister von Thorn, Albrecht Rothe, führte es. Der Hochmeister ritt zu ihm heran und reichte ihm vom Pferde die Hand, damit man ringsum sehe, daß er den Thornern Vertrauen schenke und dem bösen Gerücht nicht glaube, sie hörten auf die Einflüsterungen des polnischen Königs und sehnten sich fort vom Orden. Eine Strecke weiter standen die Elbinger unter ihren Hauptleuten in drei Rotten; die Pfeifer und Trompeter spielten aber jetzt nicht auf wie beim Marsch, sondern sie waren Wappner geworden wie die anderen. Das Banner des Ordenshauses Elbing führte der oberste Spittler, Werner von Tettingen, ein schon bejahrter Mann, der aber doch nicht fehlen wollte im Kampfe.

Weiterhin die Fahne mit dem schrägen schwarzen Balken auf weißem Tuch gehörte Johann von Schönfels zu, dem Danziger Komtur. In seiner Nähe, aber doch gesondert von seiner Schar, standen die Männer der Stadt Danzig, wohl zwölfhundert an Zahl; ihr tapferer Hauptmann war Albrecht Mantel, ihr Fähndrich Andreas Fechter, aus berühmtem patrizischem Geschlecht. Auch hier hielt Herr Ulrich von Jungingen und tauschte freundliche Worte mit den Führern, denn es war ihm von Wert, die großen Städte sich und seinem Orden zu verbinden.

So stand das Heer schon lange in Schlachtordnung, als die Polen erst drüben auf den Höhen am Marensefluß und Laubensee und in den Gebüschen und Waldlichtungen bemerkbar wurden. Der König war vor Tagesanbruch aus seinem Lager bei Gilgenburg aufgebrochen, brauchte aber viele Stunden Zeit, sich mit Witowds Heer zu vereinen. Seiner eigenen Kriegskunst vertraute er wenig. In dem Schwertträger von Krakau, Zindram von Waschkowycz, hatte er aber seinem Heere einen ebenso tapfern als umsichtigen Führer gegeben. Zindram war klein und unansehnlich, aber die Polen wußten, daß sie sich auf ihn verlassen konnten. Freilich hatte er nicht völlig freie Hand, da der König sich die wichtigsten Entscheidungen vorbehielt.

Übrigens gedachte Jagello sich nicht zu nahe ans Kampfgetümmel zu wagen. Für ihn wurde auf der Höhe vor dem Laubensee seitwärts vom Dorfe Faulen ein großes und prächtiges Zelt aufgeschlagen. Darin stand ein Betstuhl mit kostbarem Kruzifix. Ein Kissen von rotem Samt war davor auf die Erde gelegt, und auf demselben kniete der König fast unablässig, mit krampfhaft gefalteten Händen Gebete murmelnd, wobei das häßliche Gesicht mit dem breiten gemeinen Munde und den heimtückischen Augen sich noch mehr verzerrte und die strähnigen Haare über die niedrige Stirn fielen. Zwei Bischöfe leiteten die Andachten und versicherten ihn des himmlischen Beistandes zum Lohn für seine Frömmigkeit. Gott habe große Zwecke mit ihm gehabt, da er seine Seele erleuchtete, daß er sich vom Heidentum zum Christentum bekehre, und ihm große Macht gegeben, alle Feinde der Kirche niederzuwerfen. Dieser Deutsche Orden aber trachte schon lange danach, sich von Rom loszulösen und dem Papst allen Gehorsam aufzusagen: mit Wohlgefallen vernehme er die hussitische Lehre und nehme ketzerisches Volk in seinen Schutz. Darum sei ihm der Untergang verkündet. Hinter ihnen sammelte sich im Zelt eine Schar von Geistlichen, Rauchfässer schwingend, Gebete murmelnd und eintönige Gesänge plärrend. Die Kriegsobersten aber und die Boten, die Großfürst Witowd sandte, um endlich den Befehl zum Ordnen des Heeres zu erhalten, mußten vor dem Eingang stehen und warten.

Da ritt ungeduldig der Großfürst selbst, ein stattlicher Kriegsmann, auf die Höhe am See und trat in des Königs Zelt. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und rief ihm zu: Ermanne dich endlich, Vetter! Genug hast du gebetet, Gott und alle Heiligen um den Sieg angefleht. Willst du ihn erringen, so zieh nun auch das Schwert und gib deinen Völkern das Zeichen zur Schlacht. Seit drei Stunden steht das Ordensheer gerüstet und zum Angriff bereit. Ich an des Hochmeisters Stelle würde keinen Augenblick zögern. Unsere Scharen sind ungeordnet, in den Wäldern zerstreut. Ein plötzlicher Überfall läßt das Schlimmste für uns befürchten. Auf, königlicher Herr! Ein männlicher Entschluß tut wahrlich not.

Jagello aber schüttelte seine Hand ab und sagte: Störe uns nicht in der Andacht. Gott ist's, der den Sieg gibt, und seine Heiligen sollen mir Fürbitter sein in der Bedrängnis, daß er seine Engelscharen mit flammenden Schwertern schicke, den Unsern voran zu kämpfen. Ich bin ein sündiger Mensch gewesen, bis Gott sich meiner erbarmte; nun will ich auch seiner nicht vergessen. Dabei verdrehte er die Augen und küßte das Kruzifix, das der Bischof ihm vorhielt.

Dann wandte er sich zur Seite, umfaßte ihn und zog Witowds Kopf zu seinem Munde hinab. Ich will dir's gestehen, Vetter, zischelte er ihm ins Ohr, es beängstigt mich dieser Kampf gegen die Streiter der Heiligen Jungfrau, und ich fürchte, Gott möchte der Mutter seines Sohnes beistehen, wenn sie an seinem Thron Fürsprache hält. Denn von allen Heiligen ist sie die mächtigste, und sie hat dem Orden viel zu verdanken seit zweihundert Jahren. Darum bin ich vorsichtig und werfe mich in den Staub und spare nicht große Versprechungen, daß ich sie vielleicht überliste. Schnell ließ er ihn wieder los und faßte die Hände der Bischöfe.

Witowd aber biß die Zähne zusammen und murmelte: Seine Zaghaftigkeit ist schuld, wenn wir trotz der Übermacht den Tag verlieren.

Er wäre für Polen verloren gewesen, wenn Ulrich von Jungingen weniger ritterlich gedacht und gefühlt hätte. Drei Stunden lang stand nun schon sein Heer, und der Mittag nahte heran. Von allen Seiten bedrängte man ihn, daß er des Feindes Zögern nützen und ihn überfallen solle, ehe er sich zur Schlacht geordnet hätte. Unwillig aber wies er diesen Rat zurück. Es ziemt uns nicht, sagte er, zu kämpfen wie wilde Horden und den Feind anzufassen, ehe er gerüstet dasteht. Ein Ritter legt seine Lanze nur ein gegen den festen Schild des Gegners in Waffen; eine Ehre soll es ihm sein, zu siegen. Sie haben uns herausgefordert, und sie sollen uns auf dem Plan finden. Die ganze Christenheit sieht auf uns; ritterlich wollen wir ihre Sache verfechten.

Da sah der Ordensmarschall wohl ein, daß der Meister fest war in seinem Entschluß, und da er selbst ritterlich dachte, konnte er ihn nicht schelten. Selbst meinte er nun aber etwas zur Förderung tun zu müssen, damit das Heer nicht ermüde. Mehrere edle Ritter aus seinem Gefolge sagten ihm, es sei Kriegsgebrauch, sobald das eine Heer bereit wäre und das andere erwartete, demselben ein Schwert zu schicken und es zum Kampf zu rufen. Dem stimmte Wallenrod zu, und ohne den Meister zu befragen, wählte er zwei Herolde zu dieser Botschaft, den Herold des Königs Sigismund von Ungarn, den schwarzen Adler im goldenen Felde auf der Brust tragend, und den Herold des Herzogs von Stettin, ebenso mit dem roten Greif im weißen Felde geschmückt, und schickte sie nach dem königlichen Zelte, indem er ihnen zwei nackte Schwerter mitgab.

Als die Herolde dort anlangten, fanden sie gerade Witowd bei dem König. So hatten sie keinen weitern Weg nötig. Jagello mußte sie wohl empfangen und ließ sich dazu von den Geistlichen nach einem Sessel führen. Witowd stellte sich neben ihn, auf sein mächtiges Schwert gestützt. Führt sie ein, befahl er, da der König zögerte.

Die Herolde traten vor, und der eine sprach mit lauter Stimme: Sehet da, wir reichen euch zwei Schwerter, das eine Euch, Herr König, das andere Euch, Großfürst Witowd, und rufen Euch damit zum Kampfe. Zögert nicht länger, die Zeit verderbend! Warum verbergt ihr euch in den Wäldern, warum entzieht ihr euch dem Kampfe, dem ihr doch nimmermehr entgehen könnt? Wohlan, wählet den Kampfplatz, wo ihr wollt, und nehmt diese Schwerter euch zur Hilfe zum Beginn des Kampfes! Und so legten sie die nackten Schwerter vor die Fürsten hin.

Da wollte Witowd grimmig auffahren und mit seiner Waffe eine schnelle Antwort geben. Der König aber hielt ihn zurück und erwiderte in salbungsvollem Tone: Hilfe haben wir niemals von einem andern erbeten als von Gott: in seinem Namen nehmen wir auch diese Schwerter an. Doch die Wahlstatt zu wählen geziemt uns nicht; wo sie Gott uns gibt, wollen wir sie nehmen als gegeben und erwählt.

Damit entließ er die Herolde.

Witowd aber, als sie sich entfernt hatten, stieß zornig sein Schwert gegen den Boden, daß es in der Scheide klirrte, und rief: So dürfen sie uns höhnen, weil wir feige Memmen sind! Der Mut wird ihnen wachsen, wenn wir so die Zeit verstreichen lassen; unsere Völker aber müssen zaghaft werden. Vergiß nicht, Vetter, daß ich reichlich Ursache hatte, dir zu zürnen und dich deinem Schicksal zu überlassen, denn du hast Eide gebrochen und bist schuld an meines Vaters Tode und hast mich hinterlistig in deine Gewalt gebracht, und jetzt duldest du mich nur neben dir, weil du mich brauchst.

Sieh, das ist alles vergessen des Eides wegen, den ich in deine Hand schwur auf dem Rudauer Schlachtfelde, daß ich nicht ruhen wolle, bis der Deutsche Orden vernichtet worden. Dazu kam ich her mit meinen Litauern. Wisse denn auch, daß ich dich zwingen werde zur Schlacht. Ich breche vor mit den Meinigen. Folge mir zum Siege, oder lasse mich schmachvoll im Stich! Wie du willst!

Mit diesen Worten verließ er das Zelt und ritt zu seinen Scharen auf dem rechten Flügel. Er zog sie aus den Wäldern heraus und stellte sie in drei Treffen auf, gute tausend Schritt Entfernung dem Ordensheer gegenüber, dahinter aber eine starke Reserve in vier Linien.

Nun ließ auch der König Zindram Befehl geben, die Polen auf dem linken Flügel in Schlachtordnung zu stellen, ebenfalls in drei Treffen, denn er hatte Volks genug, und es blieben ihm noch reichlich Truppen zum Rückhalt. Als ihm nun die Meldung gebracht ward, daß alles gerüstet sei, bestieg er ein Pferd und begab sich zu den Truppen. Die Anführer wurden zusammenberufen, und er hielt eine kurze Ansprache, ihren Mut anzufeuern. Mitzukämpfen aber gedachte er nicht. Im Schutz einer starken Leibwache zog er sich zu den Reservetruppen zurück, immer darauf bedacht, bei einem unglücklichen Ausgange sich die schnelle Flucht zu sichern. Sein feiges Herz hatte gezittert, als er die eiserne Phalanx des Ordensheeres gesehen. Zindram übergab er das Kommando. Ich vertraue dir viel an, sagte er. Dieser Tag entscheidet über das Schicksal zweier Reiche.

Der kleine Mann schüttelte den Kopf. Ich glaube nicht, antwortete er. Die Partie steht ungleich. Wenn wir in diesem Kampfe unterliegen, so gewinnt Polen nur nichts; wenn der Orden unterliegt, so verliert er mit der Schlacht das Land.

Jagello verzog sein häßliches Gesicht zu einem bitteren Lächeln.

Du denkst nur an Polen – ich aber trage eine Krone. Wenn ich die Schlacht gewinne, dann wird sie festsitzen auf meinem Haupte. Wenn ich besiegt nach Krakau zurückkehre –

Dann wird Zeit sein, daß Ew. Gnaden diesen Fall bedenken, ergänzte der Kronfeldherr. Hoffen wir auf den Sieg! Der Feind sieht stark aus; täuscht mich aber meine Erfahrung diesmal nicht, so sind seine Linien zu weit ausgedehnt. Darauf baue ich meinen Plan.

In Gottes Namen denn! sagte der König, bekreuzte seine Brust und ritt weiter.


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