Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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39. DAS GERICHT ÜBER DIE VERSCHWORENEN

Georg von Wirsberg hatte, nachdem Natalia ihn verlassen, sich mühsam nach der Tür und bis auf den Gang hinausgeschleppt. Dort hatten ihn nun aber die Kräfte gänzlich verlassen, so daß er nicht rufen konnte, sondern ohnmächtig liegenblieb. So fand ihn sein Diener Liszek in der Frühe, nachdem er vergebens bei seinem Gemache angeklopft hatte, und brachte ihn auf sein Lager.

Hier kam er zwar zu sich, war aber wegen des großen Blutverlustes sehr schwach, so daß er nur leise ein weniges sprechen konnte. Er trug Liszek auf, in der Kammer und auf dem Gange die Spuren der nächtlichen Tat möglichst zu beseitigen und im Schlosse zu verbreiten, er sei auf der Landstraße von einem Strolche überfallen und verwundet worden. Nach der Firmarie wollte er nicht gebracht sein, sondern in seinem eigenen Zimmer liegenbleiben, wo er's bequem genug habe. Würde sein letztes Stündlein geschlagen haben, so sollte Liszek alle Papiere verbrennen, die er in dem Wandschranke finden würde, so daß nichts davon dem Hauskomtur oder seinem Nachfolger in die Hände fiele. Danach schlief er wieder ein.

Liszek tat, wie ihm geheißen war, holte aber auch den Bader aus der Stadt, der sich auf die Chirurgie verstand, und führte ihn an das Krankenbett. Dieser untersuchte die Wunde und erklärte sie für nicht lebensgefährlich. Er machte einen kunstgerechten Verband, gab Verhaltungsmaßregeln mit aller seinem Stande eigenen Wichtigkeit und Umständlichkeit und versprach dreimal täglich wiederzukommen, nach dem hohen Patienten zu sehen. Die Erzählung, die Liszek von dem Unfall gab, wollte ihm aber gar nicht einleuchten. Der Komtur sollte zu Pferde gewesen sein, als er den Stoß von dem Wegelagerer erhielt: das paßte gar nicht zu der Richtung, in der die Wunde verlief. Sollte man doch meinen, sagte er kopfschüttelnd, der Herr Komtur müßte mit seinem Gegner recht Brust an Brust gestanden haben. Sei's, wie's sei, antwortete Liszek polnisch, das der Bader sehr gut verstand, sorgt nur dafür, daß der gnädige Herr bald wieder zu seiner Gesundheit kommt. Und hütet Euch, in Eurer Badestube etwas zu erzählen, das Ihr nicht genau wisset: es könnte Euch für guten gar schlechten Lohn einbringen.

Bei aller Pflege stellte sich doch ein Wundfieber ein, das mehrere Tage anhielt und den Kranken nicht zu klarer Besinnung kommen ließ. So geschah's, daß er nichts tat, um Natalia nachzuforschen, auch nichts davon erfuhr, daß der Gutsherr von Buchwalde sich entfernt hatte. Die Nachricht von seiner Verwundung lief freilich im Kulmer Lande um und beunruhigte die Verschworenen, die sich's so zusammenreimten, daß ein Feind des Komturs von seinem Verkehr mit den Eidechsen Kenntnis gehabt und ihm bei der Rückkehr von Buchwalde aufgelauert habe; aber an Verrat dachten sie nicht. Nur meinte Nikolaus von Renys, als sein Bruder mit einigen anderen von den Häuptern zu ihm kam, genauere Nachfrage zu halten, es könne geraten sein, daß jeder Tag und Nacht ein gutes Pferd in seinem Stalle gesattelt stehen habe, da man sich mit gefährlichen Plänen trage und jede Zögerung verderblich sein könne. Es wüßten schon zu viele um die Sache, und ohne den Komtur könne man doch keinen Schritt weiter. Sie verabredeten zugleich ein Losungswort, das einer dem andern zuschicken wollte, wenn schleunige Flucht über die Grenze geboten sei.

Als nun der Großkomtur mit seinen Begleitern über Roggenhausen hinauskam, teilte er die Schar und sandte einige auf Seitenwegen voraus, Niklas von Renys auf seinem Hofe zu überfallen und aufzuheben, indes er selbst nach Rheden reiten würde. In den Dörfern sollte es kein Aufsehen machen, daß man mit so vielen Pferden anrücke, damit niemand vor der Zeit gewarnt werde.

Wirklich gelang es, Niklas zu überraschen. Sie sagten ihm's auf den Kopf zu, daß er ein Verräter an dem Herrn Hochmeister und dem Lande sei, und daß er seit Jahren schon mit dem König von Polen in geheimem Verkehr stehe. Sie sollten's ihm beweisen, rief er. Da faßte einer von den Kreuzherren seine Schulter und schüttelte sie derb. Ich will dir's beweisen, Nitcze, sagte er, daß du zumeist unser Unglück in der Tannenberger Schlacht verschuldest. Denn mit eigenen Augen hab' ich's gesehen, daß du das Kulmer Banner heruntergerissen hast, da die Deinigen dem Herrn Hochmeister zu Hilfe eilen wollten, und war doch der Feind noch nicht über euch her. Da wandte sich alles zur Flucht, und das war dein verräterischer Wille. Tannenberg ist dir unvergessen, und hier ereilt dich die Strafe. Auf dieses Wort hob der Eidechsenritter drohend die Faust und rief: So wollte ich, euer ganzes Geschlecht wäre auf dem Tannenberger Felde ausgerottet bis auf die Wurzel, und kein einziger von euch dem Tode entflohen! Es ist ein Jammer, wie ihr das Land verderbet! Rächt euch an mir, wie ihr könnt, aber wisset, daß der König von Polen seine Freunde an euch rächen wird mit Strömen Blutes an eurer festen Schlösser und Diebeslöcher Vernichtung. Es kommt der Tag, da man euch vergelten wird, was ihr an Konrad Letzkau und Arnd Hecht und Barthel Groß getan habt und was ihr mir nun zu tun gedenkt!

Sie ließen ihm die Hände auf den Rücken binden und ihn auf einen Wagen werfen, wobei seine eigenen Diener helfen mußten. Dabei hatte er Gelegenheit, dem einen heimlich zuzuflüstern, er solle sich eiligst aufs Pferd werfen und zu seinem Bruder, Hans von Polkau, zu Friedrich von Kyntenau, zu Hans von Czippelin und zu Günter von der Delau reiten, ihnen berichten, was hier geschehen sei, und das verabredete Losungswort nennen.

Da sie nun merkten, daß er etwas im geheimen verhandelte, und auch fürchteten, daß er unterwegs ein Geschrei erheben und seine Helfershelfer heranziehen könne, steckten sie ihm einen Knebel in den Mund und warfen einen Mantel über ihn. So brachten sie ihn über Land nach Graudenz und setzten ihn dort ins Gefängnis und übergaben ihn dem Komtur, Herrn Johann von Buchau, daß er ihn über seine Missetat scharf befrage und seine Mitschuldigen erforsche. Als man ihm mit der Folter drohte, gestand er unter Verwünschungen des Ordens alles ein und nannte die vier, die er gewarnt hatte. Die waren glücklich über die Grenze entkommen, und man fand die Nester leer.

Indessen so das Haupt des Eidechsenbundes unschädlich gemacht wurde, war der Großkomtur mit seinem Gefolge in Schloß Rheden eingeritten und hatte sich sofort alle Schlüssel ausliefern lassen. Georg von Wirsberg fand er in seinem Gemache auf dem Bette liegend und wach. Der Bader hatte eben seine Wunde frisch verbunden und gute Hoffnung gegeben. Der Komtur erschrak, als der Großgebietiger plötzlich mit mehreren Bewaffneten eintrat, wurde kreidebleich und zitterte am ganzen Leibe. Wie kommt's, Bruder Jürge, fragte Herr Hermann Gans, daß wir Euch krank zu Bette finden, warum erschreckt Euch unser Besuch?

Da stotterte er etwas von dem nächtlichen Überfall. Der Großkomtur aber entgegnete streng: Lügt nicht, sondern gebt der Wahrheit die Ehre. Wir wissen, daß Ihr Eures Gelübdes schlecht geachtet und einen Jungfrauenraub auf Eurem Gewissen habt. Wahrlich, bei sehr unwürdigem Kampf habt Ihr diese Wunde davongetragen. Aber auch in Eurem Amt habt Ihr Euch schwer vergangen, wenn wir recht über Euer Tun und Treiben unterrichtet sind. Seht zu, wie Ihr Euch deshalb verantwortet.

Ich bin krank und schwach, sagte Wirsberg mit zitternder Stimme, und das Sprechen wird mir schwer. Zu anderer Zeit will ich Euch gern Rede stehen und alle bösen Verleumdungen niederschlagen.

Das Kapitel ist Euer Richter, antwortete der Großkomtur, wartet die Anklage ab. Meines Amtes aber ist's, Eure Bücher und Papiere in Beschlag zu nehmen, damit ich mich Eurer Schuld versichere, wenn Ihr schuldig seid. Gebt mir also die Schlüssel zu allen Behältnissen, die Ihr verschlossen haltet, damit ich mich überzeuge, daß Ihr nichts Unrechtes zu bewahren habt. Nicht eher gehe ich von Eurer Seite.

Nun schloß der Komtur die Augen und dachte eine Weile in sich hinein, was zu tun sei. Daß er verraten worden, konnte ihm nicht zweifelhaft bleiben. Aber noch konnte der Hochmeister keine Beweise gegen ihn in Händen haben; sicher wollte der Großkomtur sie sich erst hier an Ort und Stelle verschaffen. Sie waren in dem Wandschranke zu finden und machten seine Schuld ganz offenbar. Gab es denn keinen Ausweg zur Rettung? Vielleicht doch! Einen höchst gefährlichen freilich. Aber war er andernfalls nicht unter allen Umständen verloren?

Wollt Ihr mir ein kurzes Gespräch unter vier Augen gönnen, Herr Hermann Gans? fragte er. Der Schein mag gegen mich sein, aber ich kann nicht sprechen vor diesen Zeugen, weil ich Geheimnisse des Herrn Hochmeisters zu hüten habe, in dessen Vertrauen ich war. Hört mich an und tut dann, was Ihr für Eure Pflicht haltet.

Der Großkomtur überlegte einen Augenblick. Dann winkte er den andern, sich zu entfernen. Ich kann's Euch nicht abschlagen, sagte er, und ich wünschte wohl, daß Ihr Euch rechtfertigen könntet.

Als sie allein waren, ergriff Georg seine Hand, drückte sie krampfhaft und flüsterte: Macht mich nicht unglücklich, Bruder Hermann. Was ich getan habe, habe ich zu unseres Ordens Bestem getan und hoffe mir der Brüder Dank zu verdienen. Kenne ich Euch nicht gut genug? Habt Ihr mir nicht einmal, als ich als Großschäffer Euer Haus besuchte, bei einer Kanne Wein das Herz ausgeschüttet? Seid Ihr nicht, wie noch viele andere Brüder sonst, der ernstlichen Meinung, daß der Deutsche Orden krank ist durch und durch und sich mit eigener Anstrengung nimmermehr zur Gesundheit bringen kann? Weiß ich nicht, daß Ihr unzufrieden seid mit dieses Meisters Regiment, das den Umständen nicht Rechnung trägt und zu neuem verderblichem Krieg drängt? Ich kenne Heinrich von Plauen wie keiner von den Brüdern. Sein Unverstand ist so groß wie seine Tapferkeit und persönliche Mannhaftigkeit. Er meint Polen und Litauen die Spitze bieten zu können und sieht in seiner Verblendung nicht, daß der König von Böhmen ein unzuverlässiger Freund ist und der König von Ungarn den Orden nur ausbeuten will zu seinen eigenen Zwecken, daß die Brüder sich nur murrend seiner sehr unzeitgemäßen Strenge beugen und daß er durch seine hartnäckige Weigerung, Polen zu befriedigen, das Land gegen sich aufbringt. Ohne Opfer an Land und Leuten, Städten und Burgen ist der Friede nicht zu schließen; das wißt Ihr so gut als ich. Heute sind diese Opfer noch erträglich, übers Jahr werden die Forderungen zu unerschwinglicher Höhe angewachsen sein, und der Orden wird sich zu jeder Bedingung, auch zu der schmachvollsten, verstehen müssen. Niemand als Plauen will den Krieg, und – daß wir gerecht gegen ihn sind – er muß ihn wollen, da seine Ehre verpfändet ist. Raten die Gebietiger ihm ab, so wird er sich seine Freunde an anderer Stelle suchen, um durch sie seinen Willen durchzusetzen. Wollen wir dem Orden und dem Lande helfen, so gibt es nur ein Mittel: das Haupt zu wechseln, ehe die Glieder kraftlos sind.

Und das war Euer Plan, Bruder Jürge?

Das war mein Plan. Dieser Plauen will den Orden zurückzwingen in Zustände, die keinen Boden mehr haben in der Wirklichkeit. Er verlangt von uns Tugenden, die nur erwachsen konnten in Zeiten, in denen andere Lebensaufgaben den Menschen gestellt waren. Er sagt: Es soll so sein! Aber es ist nicht. Daran muß er zugrunde gehen, wenn nicht heute, so morgen; und das eine fragt sich nur, wie viele von uns er mit sich reißt. Setzt mich in das Haus von Akkon, und meine Gedanken sollen auf nichts gerichtet sein, als wie ich an Kranken die Werke der Barmherzigkeit übe und fromme Pilger zu den heiligen Stätten geleite. Macht dieses Preußenland wieder zu einer Heidenburg und laßt mich ausreiten mit einer Schar tapferer Ritter, sie zu bestürmen, so will ich nur danach trachten, den ewigen Lohn zu gewinnen, und zu Gottes Ehre hungern und dürsten, arm sein und keusch. Aber wir sind die Herren eines großen Landes geworden. Sollen wir da leben wie die Knechte, daß die eigenen Untertanen über uns spotten? Der Mantel, den ich trage, das Schwert, das ich schwinge, das Pferd, das ich reite – die sind nicht mein. Ist das noch eine Wahrheit? Unser Oberhaupt ist ein mächtiger Fürst, und wir sind des Landes oberster Adel – so hat's die Zeit gebracht, und eitel Torheit ist's, sie anders zu wollen, als sie sich uns gibt. Denn Menschen sind wir, und Menschenwerk ist alles, das von uns ausgeht; den Menschen aber zwingt die Zeit!

Der Großkomtur hörte aufmerksam zu und ohne die Miene zu verziehen. Was er hörte, schien ihn nicht zu überraschen, auch nicht zu erschrecken oder zu erzürnen. Er hatte beide Hände aufs lange Schwert gestützt und sah nachdenklich vor sich hin. Und wer, fragte er nach einer Weile, sollte an Plauens Stelle treten?

Wer der nächste ist am Hochmeisteramt, antwortete Wirsberg, sich aufrichtend, und den Mut hat, zu nehmen, was die Gunst der Umstände bietet. An Euch hatte ich gedacht, Bruder Hermann Gans.

An mich –?

An Euch, so wahr ein Gott im Himmel lebt und meine Gedanken kennt. Ich weiß, daß ich nicht Herr der Marienburg werden konnte ohne Euren Willen, daß ich nicht Macht habe über das Wahlkapitel ohne Euer Jawort. Das durfte ich freilich denen nicht sagen, deren Arm ich mich versicherte. Gab ich ihnen Versprechen, so wollten sie sich deshalb auch an mich halten können. So hat's das Aussehen, als ob ich selbst nach der höchsten Ehre geizte. Aber ich bin der Narr nicht, nach etwas zu greifen, das ich doch nicht halten kann. Vielleicht kommt einmal auch meine Zeit. Auf Ritterwort schwöre ich's Euch, Ihr solltet Hochmeister sein nach meinen Gedanken.

Da der Großkomtur hierauf schwieg, griff Wirsberg unter sein Kopfkissen und zog ein Schlüsselbund vor. Diese Schlüssel öffnen Euch alle meine Behältnisse, fuhr er fort. In jenem Wandschrank findet Ihr meine Briefschaften. Nehmt sie an Euch, bevor ein Dritter davon weiß, und verbrennt sie, so waren sie nie auf der Welt, und ich habe keine Zeugen, die meinen geheimsten Plan verraten. Ihr aber habt heute erfahren, was Ihr in kurzem doch erfahren solltet. Wählet nun! Vernichtet mich und kräftigt Plauens Macht, um alle Zeit sein gehorsamer Diener zu bleiben, oder laßt mich im stillen gewähren und seid des Ordens Haupt, ehe das Jahr sich wendet.

Der Großkomtur nahm die Schlüssel und schien sie in der Hand zu wiegen. Ohne ein Wort zu sprechen, schritt er langsam nach der Fensternische und trat seitwärts hinter den Vorhang, so daß er dem Kranken nicht sichtbar war. Was in ihm vorging, konnte derselbe nur erraten, aber ein plötzliches Aufleuchten der Augen bewies, daß er auf den Sieg hoffte. Voll Spannung wartete er auf die Entscheidung der nächsten Minute, und sie dünkte ihm ewig lang.

Der Mann, von dem sein Schicksal abhing, ließ sich Zeit. Als er dann wieder ins Zimmer zurücktrat, war sein Aussehen sehr verändert. Er trug den Kopf hoch und schritt frei aus, um die Lippen war ein spöttisches Lächeln merkbar. Bruder Jürge, sagte er, ich hab's ruhig überlegt und meine Wahl getroffen. Ihr habt große Dinge unternommen, aber Eure Mittel sind unzulänglich, sie durchzuführen. Ich mag nicht mit Euch auf Abenteuer ausziehen und darum …

Er ging rasch auf die Tür zu und öffnete sie. Tretet ein, rief er seinem Gefolge zu, und seid Zeugen dessen, was geschieht! Georg von Wirsberg hat sich des Landes- und Hochverrats schuldig bekannt. Ich verhafte ihn wegen solcher Schuld und entsetze ihn seines Amtes als Komtur von Rheden. Sobald seine Wunde so weit heil, soll man ihn in des Ordens Haupthaus schaffen, auf daß er vom Kapitel gerichtet werde.

Der Komtur warf ihm einen Blick zu, feindlich wie ein Dolchstich, und sank matt auf sein Lager zurück. Was weiter geschah, beachtete er nicht.

Als Liszek sah, wie die Sache hier stand, und daß er dem streng bewachten Komtur schwerlich werde helfen können, machte er sich heimlich aus dem Staube, die Thorner Freunde und den Bischof von Kujawien zu warnen. Frau Cornelia von der Buche packte sofort ihre Sachen und reiste nach Sczanowo ab. Viele Polen begleiteten sie, die sich besuchsweise in der Stadt aufgehalten und in ihrem Hause verkehrt hatten. –

Auf die Kunde von diesen Geschehnissen im Kulmer Lande ließ Heinrich von Plauen sich nach dem Turm führen, in dem Hans von der Buche gefangensaß, und sagte: Lieber, ich habe dich wahr und treu befunden, redlich und ohne Falsch. Von großer Gefahr hast du unser Haus gerettet, und vielleicht danke ich dir das Leben. Du bist frei und sollst fortan meinem Herzen nahe sein, denn ich sehe wohl, daß es Gottes gütige Hand ist, die dich zweimal in größter Not zu mir geführt hat. Daß du aber wissest, wie wir dir für deine Treue Ehre zu geben gesonnen sind und dich den Besten im Lande zuzählen wollen, so knie nieder und empfange hier von meiner Hand den Ritterschlag mit meinem eigenen Schwerte. Ein Ritter, das heißt ein Streiter für Gottes Gerechtigkeit auf Erden, gehst du über diese Schwelle. Bleibe dieses Tages eingedenk! Er wandte sich an die Gebietiger, die ihn begleiteten. Ihr seid Zeugen.

Hans sank vor ihm nieder und drückte seines Rockes Saum an die Lippen. Der Meister berührte seine Schulter mit dem Schwert und sprach die Worte der Ritterweihe. Dann hob er ihn auf und küßte ihn. In der Kapelle war ein Dankgottesdienst angesagt, und dorthin nahm ihn der Meister mit sich, daß die ganze Brüderschaft verwundert war, den Mann an seiner Seite zu sehen, der vor einer Stunde noch im Turm gefangensaß. Switrigal maß ihn mit argwöhnischen und feindlichen Blicken, während sie nicht weit voneinander vor dem Altar knieten. Bei Tisch mußte er neben Plauen sitzen. Niemand aber erfuhr, welchen Dienst er geleistet hatte, sondern das blieb des Meisters und seiner obersten Gebietiger Geheimnis.

Als Plauen ihn entließ, sagte er zu ihm: Es ist uns unvergessen, lieber Getreuer, daß wir dir eine Gnade zugesagt haben, die du dir solltest erbitten können nach deines Herzens Begehr. Jetzt ist uns die Zeit knapp bemessen, und gar ernste Geschäfte erwarten uns. Gedulde dich also bis zu unserer Rückkehr und überlege deine Bitte wohl, damit wir dir gewähren mögen, was dir wahrlich zum Heile gereicht.

Der junge Ritter wußte, daß es für ihn keines Überlegens bedürfe, schwieg aber und trat bescheiden zurück. Er war frohen Mutes, als er nach der Vorburg eilte, in des Gießmeisters Hause sein Glück zu künden.

Heinrich von Plauen aber brach noch selbigen Tages nach Graudenz auf und nahm seine Gebietiger und viele seiner Ritter mit sich, daß es ein stattliches Gefolge wurde. Einen Eilboten schickte er nach Danzig zu seinem Bruder. Dem schrieb er, was geschehen war, und trug ihm auf, sofort nach der Marienburg zu reiten und dort in seiner Abwesenheit den Befehl über die Besatzung zu übernehmen. Nachdem Georg von Wirsberg ihn so schnöde getäuscht, glaubte er einen so wichtigen Posten keinem von den Brüdern anvertrauen zu können als seinem Blutsverwandten.

In Graudenz übergab der Hochmeister das Gericht über Niklas von Renys, der dort im Kerker saß, dem Vogt zur Leipe, der von alters her im Kulmer Lande der oberste Gerichtsherr über die Landsassen war an des Hochmeisters Statt. Er und seine Mitverschworenen sollten nach des Landes Gesetz und altem Herkommen von ihresgleichen in besetztem Landding öffentlich gerichtet werden, damit man den Orden nicht zum zweitenmal eines heimlichen Verfahrens beschuldigen könne wie bei dem Danziger Streit. Deshalb beauftragte der Vogt den Landrichter des Kulmer Landes, Herrn Austin vom Czegenberge, der berufen war, das Landding zu hegen. Weil es sich aber um eine wichtige Sache handelte, zog er auch den Landrichter von Schwetz, Herrn Aßwerus, zu, damit alles in rechter Form geschehe und kein Einspruch seitens der Flüchtigen erfolge. Diese nun setzten den Tag. Und man wurde eins, eine Ritterbank zu halten im Landding, da Niklas von Renys ritterlichen Standes war, wie auch jeder von den vier Geflüchteten, und keiner als Schöppe über sie zu Gericht sitzen dürfte mit Recht als die, die gleichfalls ritterlichen Standes oder des Ordens Lehnsleute waren.

Darauf schrieb der Hochmeister ins Kulmer Land und berief zu sich auf diesen Tag nach Graudenz alle seine Ritter und Knechte, die seine Mannen waren oder sein wollten. Wer da aber nicht käme, fügte er hinzu, den wolle er nicht für seinen Mann halten. Darüber entstand große Bestürzung bei denen, die sich mitschuldig wußten, und alle beeilten sich, nach Graudenz zu reiten und dem Herrn Hochmeister ihren schuldigen Gehorsam zu bezeigen, damit sie vielleicht die Gefahr von ihren Häuptern abwendeten.

An die vier flüchtigen Eidechsenritter erging ein Ladebrief, auf denselben Tag zu erscheinen.

Da versammelten sich auf dem Markte zu Graudenz alle Ritter und Knechte aus dem Kulmer Lande. Der Vogt zur Leipe sah zu, daß alles nach Glimpf zugehe, und hatte einige Leute mit Spießen an den Ecken des Platzes aufgestellt, auf dem das Ding gehegt werden sollte, damit gute Ordnung walte. Darauf wählte er selbst aus den Erschienenen die ritterbürtigen Schöppen, die er für die zuverlässigsten und treuesten hielt, und besetzte mit ihnen die Ritterbank. Es war eine größere Zahl als sonst gewöhnlich, wegen der Wichtigkeit der Sache.

Darauf übergab der Vogt zur Leipe dem Landrichter die Bank und wies den Schreiber an, über den ganzen Hergang ein Protokoll aufzunehmen, daß man daraus hinterher ersehen könne, wie alles nach dem Rechten gegangen sei. Er selbst saß nicht mit, zog sich aber auch nicht zurück, sondern behielt sich die oberste Leitung und Aufsicht vor, wozu er wohl befugt war. Nun wurden die Schöppen vom Landrichter eingeschworen. Ein jeder für sich nach der Reihe leistete den Eid: »Zu der Bank, dazu ich erkoren bin, da will ich auch sitzen, recht Urteil finden nach Klage und Widerrede nach meinen besten Sinnen«, wozu der Landrichter amen sprach.

Dann wurde Niklas von Renys aus dem Gefängnis herbeigeholt und der Bank vorgestellt. Die vier Flüchtigen wurden dreimal vom Herold aufgerufen, erschienen aber nicht. Nun klagte der Vogt sie sämtlich an, daß sie eine geheime Verschwörung unter sich und mit dem Komtur von Rheden gemacht hätten, der alles dessen geständig sei, und daß sie das Kulmer Land an den König von Polen bringen wollten und dem Herrn Hochmeister nach dem Leben getrachtet hätten. Niklas von Renys war durch die strenge Kerkerhaft ganz gebrochen; er wagte nicht, seine Geständnisse zu widerrufen. Nur erbot er sich zu einem Eide, daß er von einem Anschlag auf das Leben des Herrn Hochmeisters nichts wisse, auch nie dazu geraten habe. Sollte dies von dem Komtur zugestanden sein, so habe derselbe gelogen, um etwa seine eigene Schuld zu verringern. Er hoffe hierauf wohl zehn und mehr Eideshelfer unter seinen Genossen zu finden, die ihn von Jugend auf kennten und solcher Tat nicht fähig hielten, dies auch vor Gott versichern wollten. Sind doch auch unter euch Schöppen viele, schloß er, die lange im Lande und meine Nachbarn waren. Jetzt freilich wendet ihr das Gesicht von mir ab und möchtet am liebsten nicht wissen, wie ich heiße, denn ihr fürchtet, daß man euch geheimen Einverständnisses beschuldige, wenn ihr mir einen freundlichen Blick gönnt. Aber ich vertraue doch eurer Ehrenhaftigkeit, daß ihr solche Furcht besieget und nicht falsch gegen mich zeuget. Wahrlich, eine Schande ist's für den Mann, der zur Bank erkoren ist, wenn er um Freundschaft oder Feindschaft oder aus Menschenfurcht oder Eigennutz Urteil spricht. Dessen gedenket!

Da mischte sich der Vogt zur Leipe ein und sagte: Dir soll dein Recht werden, Nitcze – das war der Familienname der Renys. Aber es ziemt sich wohl, Euch vor dieser Ritterbank zu erinnern, daß wir doch wissen, weshalb Ihr im Kulmer Lande eigentlich den Eidechsenbau aufgerichtet habt. Denn es war Euch ein Dorn im Auge, daß im Landgericht nach dem Recht und nicht nach Freundschaft verfahren und auch der kleine Mann gegen Euch geschützt wurde, und daß wir Euch von der Landesritterschaft nicht einreiten lassen wollten mit Eurer ganzen Sippe und einer großen Schar Gewaffneter, Eure Ansprüche gegen die Bauern und gegen des Herrn Bischofs Amtsleute mit Gewalt durchzusetzen. Da machtet Ihr den Bund, daß einer dem andern helfe. Deshalb hör' ich's nicht gern, daß du die Schöppen auf ihren Eid verweisest, Nitcze.

Diese Rede gefiel dem Landrichter nicht, und er ließ deshalb keine Entgegnung zu, sondern antwortete selbst, daß er allezeit der Schöppen Freiheit gewahrt habe und auch ferner wissen werde zu wahren, und fragte sogleich Niklas von Renys, ob er sich selbst verteidigen oder seine Sache durch einen geschworenen Vorsprecher auszustehen gedenke. Darauf antwortete derselbe: Weder will ich selbst für mich verteidigen, noch mir einen geschworenen Vorsprecher kiesen. Sondern was ich getan habe, das mag ich nicht leugnen und auch nicht bereuen. Bei solchen Dingen soll man nicht sagen, sie seien zu Recht oder zu Unrecht. Sondern ob sie gelingen oder nicht gelingen, das ist ihr Maß. Ich weiß nicht, wie diese Sache ausgekommen ist, aber es muß ein Verräter unter uns gewesen sein, und gegen Heimtücke wehrt sich auch der tapferste Mann vergebens. Hätten wir's durchgesetzt, so wären wir die Richter und die Ordensherren ständen vor uns, ihr Urteil zu erwarten. Und wer weiß, wie es besser zu des Landes Nutz und Frommen wäre! Gebet acht, wie's kommen wird. Jetzt wehrt ihr euch, das kleine Kulmer Land dem König abzutreten, um Frieden zu erlangen, aber die Zeit ist nicht fern –

Da unterbrach ihn der Landrichter, der sah, daß der Vogt schon aufgesprungen war und mit der Faust drohte, verwies ihm solche Rede als ungehörig und fragte, was er noch zur Sache anzuführen habe. Darauf schüttelte der Ritter das Haupt und antwortete nur: Tut mit mir, wie Ihr wollt. Ich beuge mich nicht und will nicht um mein Leben bitten. Sehet zu, welche Saat aus meinem Blut aufsprießen wird.

Es entstand eine Bewegung unter den Schöppen, und der Vogt rief: Macht ein Ende, Herr Landrichter! Da befragte der die Ritterbank: Was soll geschehen, der solchen Landesverrats an seinem Herrn und Meister geständig ist? Und die Schöppen antworteten einstimmig: Er soll vom Leben zum Tode gebracht werden durch Enthauptung. Darauf brach der Landrichter den Stab über ihm.

Als Niklas von Renys nun abgeführt war in sein Gefängnis auf der Burg, fragte der Landrichter weiter: Was soll denen geschehen, die gleichen Verbrechens schuldig, aber außer Landes flüchtig sind? Und die Antwort lautete: Man soll sie nach alter Gewohnheit zu einem anderen Tage laden, damit sie sich verantworten.

Nach diesem Spruch hob der Landrichter die Ritterbank auf, und der Vogt berichtete nach seiner Pflicht alles, wie es geschehen war, dem Herrn Hochmeister. Der sagte: Es geschehe, wie die Ritterbank gesprochen hat.

So wurde am nächsten Morgen auf dem Marktplatze zu Graudenz ein Gerüst aufgeschlagen und Niklas von Renys, nachdem er seiner Ritterwürde entkleidet war, vor allem Volk enthauptet.

Die vier Flüchtigen aber lud der Hochmeister vor eine zweite Ritterbank über vierzehn Tage auf die Brücke der Marienburg. Zugleich berief er ein Generalkapitel des Ordens, um Georg von Wirsberg zu richten.

Auf den bestimmten Tag fanden sich die Schöppen pünktlich ein, und es ward wieder vom Landrichter das Ding gehegt auf der Brücke der Marienburg. Der Herold rief die Namen der Geladenen in alle vier Winde, aber sie erschienen nicht. Da fragte der Landrichter wieder, was ihnen geschehen solle von Rechts wegen. Und die Schöppen antworteten: Man soll sie zum dritten und letzten Male laden vor dieselbe Bank über zwei Nächte von Rechts wegen.

Da lud sie der Herold durch lauten Ruf vor versammeltem Volk unter freiem Himmel, über zwei Nächte zu erscheinen auf der Brücke der Marienburg und Recht zu nehmen von dieser Ritterbank.

Als nun auch diese dritte Ladung vergeblich war und weder die vier Eidechsenritter sich meldeten noch ein bestellter Vorsprecher, forderte der Landrichter »von des obersten Herrn wegen« den Spruch der Ritterbank, was die bestanden wären, die ein solch Verrätnis wider ihren rechten Erbherrn täten. Darauf wurde ihnen von der Ritterbank einmütig zugeteilt: daß ihr Leib in eine Ächtung zu ewigen Tagen gesetzt werde, ihre Güter aber in der Herrschaft Gnade fallen sollten.

Diesen Spruch nahm der Herr Hochmeister an und ließ verkünden von den Rathäusern, auf den Märkten der Städte und in den Kirchen des Landes, daß die Geächteten in den Orten und Städten, da Kulmisch Recht üblich, Laub und Gras, Wegs und Stege nicht sollten gebrauchen, und keiner seiner Dienstpflichtigen mit ihnen Gemeinschaft haben, sie atzen, tränken und behausen, ihnen Rat, Hilfe und Förderung tun dürfe, sondern verpflichtet sei, sie zu melden und anzusagen bei schwerer Pön, damit alle Untertanen wüßten, wie denen geschehe, die sich des Verrats schuldig machten, seien sie hoch oder gering. Darüber erschraken die Bösewichte, die der Herrschaft Unheil wünschten und mit heimlicher Freude auf den Ausbruch des Aufstandes gewartet hatten, um sich mit gewaffneter Hand anzuschließen; Bürger und Bauern jedoch, die im Herzen dem Orden treu waren, meinten nicht anders, als daß nun bessere Zeiten kommen würden, und sagten: Nun sieht man doch, daß wir wieder einen Herrn haben, der seiner nicht spotten läßt und Gerechtigkeit übt im Lande.

Das Generalkapitel aber war dem Herrn Hochmeister nicht so zu Willen, als er wohl wünschte. Des Komturs Schuld freilich mußte für erwiesen gelten. Auch war Herr Friedrich von Wirsberg überfallen und nur mit Not für seine Person entkommen; in seiner zurückgelassenen Habe fanden sich weitere Beweise gegen den Komtur. Deshalb ließ nun Heinrich von Plauen im Kapitelsaale den versammelten Gebietigern durch seinen Kanzler vorstellen, wie Georg von Wirsberg ein Verräter sei, nicht nur an seinem Orden, zu dem er geschworen, sondern auch an dem Lande, von dem er ein Stück habe abreißen und zu Polen bringen wollen. Also habe er sich doppelt schwer vergangen und sei nicht nur zu richten nach des Ordens Statut, sondern auch nach weltlichem Gesetz. Wie nun sein Helfer Niklas von Renys zu Graudenz sein Haupt habe auf den Block legen müssen wegen solcher Schuld, so sei es billig, daß auch der eigentliche Urheber solcher Schandtat gleiche Strafe leide und sein Verbrechen mit dem Tode büße. Sollten ihn also aus dem Orden stoßen und dem Arm der weltlichen Gerechtigkeit übergeben, damit jeder im Lande wisse, wessen sich auch der Höchste zu versehen habe, und daß mit gleicher Hand geteilt werde.

Dem Kapitel gefiel eine solche Sprache nicht. Es wollte einen der Seinigen so tief nicht fallen lassen. Auch mochte mancher im Innersten sich mit verschuldet wissen und bedauern, daß die Sache ein solches Ende genommen hatte. Man wußte nicht, was in Zukunft geschehen könnte, und wollte nicht möglicherweise sich selbst im voraus ein Urteil sprechen. Dazu erschien vielen der Hochmeister schon zu mächtig, und sie fürchteten, daß er sich allzusehr im Lande beliebt mache, wenn er des Ordens Schande aufdecke und einen der Brüder dem weltlichen Richter überliefere oder selbst über ihn richte wie über einen von des Ordens Untertanen. Es sollte nicht gleiches Recht im Lande sein, sondern jeder von der Herrschaft sich über dem gemeinen Landesrecht wissen und der Bürger keinen Unterschied machen zwischen Haupt und Gliedern, sondern den gesamten Orden als seinen Landesherrn achten. Auch hatte Hermann Gans, der Großkomtur, der das Kapitel leitete, nicht vergessen, was Georg von Wirsberg ihm unter vier Augen gesagt hatte, und hielt es nicht für geraten, ihn ganz zu verderben. Deshalb nahm er nun unter dem unanfechtbaren Vorwande, des Ordens Gesetz hüten zu müssen, für den Angeklagten Partei und sagte: Keinem von uns mag es entgehen, daß der Bruder Georg, weiland Komtur von Rheden, sich schwer versündigt hat und die schwerste Strafe verdient. Fragt sich's aber, nach welchem Gesetz er gerichtet werden soll, so habe ich nur diese Antwort: nach des Ordens Statuten. Denn er ist aufgenommen in die Brüderschaft des Deutschen Hauses und hat sich zu Maria, unserer Herrin, geschworen für sein Leben und Sterben. Sowenig es ihm nun belieben kann, aus der Brüderschaft zu scheiden und weltlich zu leben, sondern die Tür ist hinter ihm geschlossen für immerdar, sobald er den Eid geschworen und das Kreuz genommen, sowenig können wir ihn seines Eides entbinden und das Kreuz von ihm nehmen. Was er Gutes schafft, das wächst dem Orden zu, was er Übles tut, das mag der Orden richten. Aber seinesgleichen sind nicht außerhalb, die über ihn Macht hätten, und niemand hat zu fordern, daß er ihm gerecht werde, außer dem Orden selbst. Darum, was er gegen das Land verbricht, das verbricht er gegen den Orden, und was er dem Landesfürsten Übles sinnt, das hat er gegen den Hochmeister zu vertreten. So wolle es dem Herrn Hochmeister gnädigst gefallen, von solcher Neuerung abzustehen und das Kapitel als alleinigen Richter anzuerkennen.

Damit waren alle Gebietiger einverstanden, und Heinrich von Plauen mußte sich fügen, da er selbst von seinen obersten Ratgebern verlassen war. Er wußte wohl, wo das hinaus sollte, und täuschte sich nicht. Denn als der Großkomtur nun des Ordens Statuten aufschlagen ließ, fand man nichts auf den Fall Bezügliches als dies: »Wenn ein Bruder gegen den Meister oder seine Obersten Gesellschaft oder bösen Rat gehabt hat und daran gefunden wird, so soll man den Bruder, der dieses verschuldet, büßen mit der Jahresbuße, und ist die Schuld so ungefüge, oder hat er sie so lange getrieben, oder ist er so oft in Schuld verfallen, so ist das billig, daß man ihn in die Eisen schlage oder in den Kerker lege oder noch ein Jahr zu der Jahresbuße hinzufüge oder mit ewigem Gefängnis beschließe.« Die Todesstrafe aber kannte das Ordensgesetz nicht. So gab es nun ein Hin- und Widerreden wegen des Maßes der Strafe, und der Großkomtur sagte: Bedenkt, liebe Brüder, daß des Ordens Chronik von der schrecklichen Missetat des Ritters Hans von Biendorf erzählt, der vor nun wohl achtzig Jahren aus gemeiner Rachsucht den hochwürdigsten Herrn Hochmeister Werner von Orseln überfiel, als er nach getanem Gebet aus seiner Kapelle ging, und ihn mit einem Dolch ermordete. Da wollten die Brüder ihn in ihrem gerechten Zorn zu Tode bringen und erbaten dazu in Rom des Papstes Genehmigung. Aber der Papst Johann, dieses Namens der zweiundzwanzigste, genehmigte das nicht, sondern verurteilte ihn zu ewigem Gefängnis, darin er bei Wasser und Brot sein Leben beschließen sollte – was ihm zwar, wie man berichtet, schwerer als der Tod gewesen. Hat nun Georg von Wirsberg dem Herrn Hochmeister nach dem Leben getrachtet, so hat der allgütige Gott doch solches Äußerste gnädigst abgewendet und den Herrn Hochmeister behütet. Billig aber rechnet man's dem Schuldigen zugunsten, daß seine Schuld nicht vollendet worden nach seinem bösen Willen, denn wir Menschen richten die Tat. Also überleget wohl, welche Strafe gerecht ist, daß ihr niemand Überlaß tuet.

Dagegen aber stand der alte Oberst-Spittler, Herr Werner von Tettlingen, auf, der dem Meister wohlwollte und dem Orden treu ergeben war. Der sagte: Bedenket auch, liebe Brüder, daß hier Milde wenig am Platz ist und die ganze Brüderschaft von Grund aus verderben kann. Denn was einer in der Leidenschaft tut gegen seinen obersten Herrn, weil er sich gekränkt glaubt, das ist so arg noch nicht, als wenn ein anderer reiflich und mit kaltem Blut überlegt zum Schaden der ganzen Gemeinschaft und des Landes. Darum, ob ich schon selbst gern verzeihe, dünkt mir doch für diesen schweren Fall die schwerste Strafe nicht zu hoch und jede Milderung eine ungerechte Kränkung unseres gnädigsten Herrn Hochmeisters und ein Schimpf für das Land, und so stimme ich für ewiges Gefängnis. Gott helfe mir!

Dem wagte der Großkomtur nicht zu widersprechen, um nicht Verdacht zu erregen, gab also seine Stimme desgleichen. Und so nach ihnen die andern alle. –

Der Hochmeister ließ des Kapitels Spruch vollstrecken. Aber ein rechtes Genüge tat derselbe ihm nicht. Nicht auf seine Lebenszeit, sagte er, sondern auf meine habt ihr ihn eingekerkert, das weiß ich wohl. Mir aber wird sein Gefängnis sehr beschwerlich. Denn es wird nicht an Briefen des Königs von Böhmen, des römischen Königs und vieler anderer Herren fehlen, die seine Freilassung erbitten, und mir wird man's als Härte und Feindschaft rechnen, wenn ich Gnade nicht walten lasse. Darin aber soll man mich fest finden.

Die Schätze, die Georg von Wirsberg im Schlosse zu Rheden zusammengebracht hatte, wurden in der Kammer aufgefunden. Man glaubte aber, daß er einen Teil der kostbaren Stücke und viel gemünztes Geld irgendwo im Hause heimlich vermauert habe. Er selbst freilich leugnete standhaft und hat auch nie ein Geständnis abgelegt.


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