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Da steht die Marienburg auf dem hohen Ufer der Nogat und spiegelt sich mit ihren hochragenden Türmen, spitzen Giebeln, mächtigen Strebepfeilern und zackigen Zinnen im Abendscheine in den klaren Fluten des breiten, langsam hinziehenden Flusses. Viel wird überall in deutschen Landen und weit über seine Grenzen hinaus im ganzen römischen Reich an Fürstenhöfen und in Ritterburgen von ihrer Herrlichkeit gesagt und gesungen; ein Wunder der Christenheit nennt man sie. Aber wer sie mit Augen sah, bekannte gern, daß keine Beschreibung genügte, ein volles Vorgefühl von ihrem majestätischen Ernst und von der Mächtigkeit des Eindrucks auf die Seele des Schauenden zu geben. Das ist das Haupthaus des Deutschen Ordens, das ist die Wohnung des Hochmeisters, den die mehr als tausend Brüder nah und fern, die Blüte des deutschen Adels, zu ihrem obersten Gebietiger erkoren haben, und der ein Fürst ist über Burgen und Städte, Land und Leute, den mächtigsten Herren gleich.
Und da steht sie noch, hoch und hehr, wie vor hundert Jahren jener Meister Siegfried von Feuchtwangen sie fürstlich ausbauen ließ, als er des Hochmeisters Residenz für alle Zeit hierher verlegte, wie einer seiner Nachfolger, Dietrich von Altenburg, sie prächtig ausschmückte und erweiterte, wie die Gäste jenes Winrich von Knieprode sie bewunderten, der des Ordens Stolz und Ruhm war, wie sie allen den Festglanz geschaut hatte, mit dem noch Konrad von Jungingen wenige Jahre zuvor seine Fürstlichkeit umgeben hatte. Noch war kein Stein aus ihrem Zinnenkranze gebrochen, noch blickte aus ihrer Nische am Chorschlusse der St.-Annen-Kapelle das Riesenbild der Jungfrau Maria, der Schutzheiligen des Ordens, über die Stadt hinaus in ein reiches, gesegnetes, friedliches Land. Stets als Sieger waren die Streiter heimgekehrt, die aus dieser Burg auszogen, nachdem sie ihren Schutz erfleht.
Zwei gewaltige Rundtürme deckten auf dem linken Ufer der Nogat die über ein steinernes Joch in der Mitte des Flusses hingeführte Pfahlbrücke. Sie endete drüben vor einem Tor mit Doppelspitzbogen zwischen zwei runden, mit Zinnen gekrönten Türmen. Auf dem Strebepfeiler zwischen den beiden Durchgängen saß ein Mittelturm wie ein Helm auf. Rechts und links fügten sich die Mauern an, durch Pfeiler verstärkt. Man gelangte in einen weiten Vorraum und an eine zweite, noch mächtiger aufsteigende Mauer, die zugleich den Burgplatz fundamentierte. Dort erhob sich rechts das alte, schon im vorigen Jahrhundert erbaute Haus, die eigentliche Burg, kräftig in dem ganzen massigen Aufbau und doch nicht plump. Rechts wurde die vordere Wand überragt von dem Spitzgiebel des Flügelgebäudes und einem viereckigen Türmchen, links ragten zu beiden Seiten des anderen Giebels zwei viereckige Türme mit Zinnenkranz und Spitzdach auf. Hoch über sie hinaus strebte der schlanke Wachtturm, von dem man bei klarer Luft das Land bis zu den Häusern von Elbing und Preußisch-Holland überschauen und den Drausensee blinken sehen konnte, eine schwindelnde Höhe. Gegenüber, der Stadt Marienburg zugekehrt, trat die Marienkapelle mit ihrem zierlichen Bau über das Vieres hinaus und bis an den Burggraben vor.
Ein tiefer, trockener Graben, von einer Brücke überspannt, trennte die Burg von dem mittleren Hause mit seinen drei Flügeln und dem vorspringenden Prachtbau, der eigentlichen Residenz des Hochmeisters. Welches Wunder der Baukunst, stark und anmutig zugleich! Die Front nach dem Wasser hin wurde von zwei viereckigen Mauerpfeilern eingefaßt, die hoch oben auf weit vorragenden Gesimsen das Gezack der Zinnen trugen. Dazwischen sah man wie in ein Spalier von drei schmalen Mauerstreben auf die tiefe, meist verschattete Wand mit den Fenstern in drei Geschossen. Damit aber alle Einförmigkeit und Schwere aufgehoben werde, hatte der Baumeister im Mittelgeschoß, wo die Prunkgemächer lagen, zwischen den Fenstern die Mauerstreben durch zierliche Säulen unterbrochen, daß nun die Gemächer lichter wurden und die Höhe zweigeteilt erschien. An dieses Haupthaus schloß sich auf der Rückseite ein Seitenflügel mit weiten, hohen Fenstern unter dem zinnentragenden Wehrgange an; darin befand sich der Konventsremter, dessen Spitzbogendecke sich über drei schlanken Steinpfeilern bis unter das Dach wölbte. Dort war der Ort für die glänzenden Feste, die der Meister fremden Fürstlichkeiten oder den Gesandten mächtiger Reiche zu Ehren veranstaltete.
Daran schloß sich, von der Pfahlbrücke gesehen, noch weiter links die Vorburg an, ein weiter Raum, befestigt ringsum mit Mauern und Türmen. Da stand das riesige Kornhaus des Ordens mit vier Schüttungen übereinander, das Haus für die neue Stückgießerei, die Pulvermühle; da hatten die Ställe des Meisters, des Großkomturs und der Ritter, die Schirrkammern, die Vorratshäuser ihren Platz. Aber auch nach der rechten Seite hin setzten sich die Befestigungen über das alte Schloß hinaus fort und umfaßten die auf seiner Rückseite sich anlehnende Stadt mit ihrem gotischen Rathause und einer weit sichtbaren Kirche.
Junker Heinz von Waldstein fand seine Erwartungen weit übertroffen. Wenn er gemeint hatte, wie in den Schlössern zu Danzig und Schwetz nur in den Schloßhof eintreten zu dürfen, um sogleich bemerkt und zurechtgewiesen zu werden, so irrte er sehr. Es gab da so verschiedene Burghöfe und Vorplätze und Freiheiten, Durchgänge und Brücken, daß man ganz verwirrt werden konnte, und überall war das lebhafte Getreibe von Menschen, die mit sich selbst so sehr beschäftigt schienen, daß sie auf den jungen Gesellen, der sein Pferd am Zügel nach sich führte, gar nicht achteten. Da tummelten die Ritter ihre Rosse, da musterte der Pferdmarschall die Hengste, die auf den Vorwerken zum Kriegsdienst ausgewählt oder von anderen Komtureien hergeschickt waren. Da wurden die Söldner gemustert, die aus Schlesien und Mähren angelangt waren, da übten die Hauptleute ihre Haufen im Waffendienst. Auf einem Vorplatze schlug man Zelte auf, um sie sogleich wieder auseinander zu nehmen, wenn alle Stücke sich beisammenfanden, und sie auf großen Wagen zu verpacken. An einer anderen Stelle arbeiteten die Stückknechte mit schweren Geschützen, die aus dem Metzhause gekommen waren, indem sie dieselben mit Windemaschinen auf Untergestelle mit Rädern heben ließen. Dann wurden acht, zehn und mehr Pferde vorgespannt, um eine Fahrt rund um den Platz zu versuchen. Sie gelang nicht sogleich, denn die Pferde zogen ungleich an, sie bäumten sich, schlugen über die Stränge. Weiterhin vor den Speichern und Vorratshäusern war eine ganze Wagenburg aufgefahren. Hunderte von Händen waren damit beschäftigt, sie mit Lebensmitteln aller Art, Decken, Lanzen und Pfeilen zu beladen; die Aufseher trieben zur Eile an, Schreiber gingen ab und zu und notierten die einzelnen Ladungen. Heinz mußte froh sein, daß man ihn endlich nach langem Herumirren zu dem Marstall wies, wo er sein Pferd unterstellen könne. Der Raum war aber schon so gefüllt, daß er nur mit Mühe ein freies Plätzchen an einer Raufe ermitteln konnte. Es blieb ihm nichts übrig, als selbst etwas Heu aufzuschütten und einen Stalleimer mit Wasser aus dem Brunnen zu füllen, damit sein müder Gaul sich erfrische.
Dann suchte er sich wieder den Weg zurück nach dem mittleren Hause, seine Briefe abzugeben. Dort war aber in den Korridoren und auf den Treppen ein solches Gedränge von Menschen, daß er lange zur Seite stand und meinte, abwarten zu müssen, bis die Menge sich verzogen habe. Es war aber ein fortwährendes Gewoge auf und ab, so daß er sich endlich überzeugte, er würde so bis zum Abend stehen und warten können, ohne doch seinen Zweck zu erreichen. Deshalb brauchte er nun seine Schultern, zwängte sich in den Treppenaufgang hinein und ließ sich bis zum oberen Flur hinausschieben. Dort war der Raum freier; in Gruppen standen Ritter, Priesterbrüder, Soldhauptleute, Bürgermeister und Ratmannen von verschiedenen Städten, die allerhand Anliegen an den Meister hatten, Withinge mit Botentaschen, Kämmerer und Hofleute. Die Türen zu den Gemächern des Hochmeisters waren belagert, immer drei und vier zu gleicher Zeit begehrten Einlaß; aber die Lanzenknechte hielten Ordnung und sorgten dafür, daß nicht mehr Leute in die Vorzimmer hineingehen durften, als sich daraus entfernten. Als Heinz endlich an die Reihe kam, half es ihm doch wenig, einige Schritte vorzudringen. Es hieß, die Gesandten des Königs von Ungarn, der Großgraf Nikolaus von Gera und der Edle Stibor von Stiborziz seien beim Herrn Hochmeister, und die Unterredung werde vermutlich lange dauern. Ihr Gefolge stand da in fremdartigen Trachten. Ein Hauskomtur suchte die Zudrängenden soviel als möglich abzufertigen, indem er sie anhörte und an die Ordensbeamten wies, die Geschäften ihrer Art vorstanden, Heinz wurde bedeutet, daß heute nicht die mindeste Aussicht sei, beim Hochmeister vorgelassen zu werden; er solle aber seine Briefe auf den Tisch legen, so werde er sie gelegentlich hineinschaffen. Das schien dem Junker zu unsicher. Nach einiger Zeit kam der Großkomtur aus des Meisters Gemach und sagte, die Herrschaften würden sogleich zur Abendtafel gehen. Viele von den Wartenden folgten ihm, um wenigstens bei ihm, als des Meisters Stellvertreter, ihr Anliegen anzubringen.
Heinz trat wieder auf den Korridor hinaus und stellte sich in eine der Fensternischen, unschlüssig, was weiter zu tun, und doch nicht gewillt, das Haus ohne irgendeine bestimmte Auskunft zu verlassen. Da stand er wohl eine Stunde und meinte, endlich werde sich doch einer von der Dienerschaft seiner annehmen müssen, wenn die dringenderen Geschäfte besorgt seien. Es fragte ihn nun aber niemand nach seinem Begehr. Unmutig dachte er schon daran, sein Pferd wieder aus dem Stalle zu ziehen und in der Stadt eine Herberge zu suchen, als er einen alten Ordensbruder langsam und nachdenklich vorübergehen sah. Das gutmütige, stille Gesicht flößte ihm Vertrauen ein. Er trat vor, zog seine Kappe ab und sagte: Ehrwürdiger Herr, gefalle es Euch, einen Fremden zurechtzuweisen, der heute zum erstenmal dieses Haus besuchte und ein Quartier zur Nacht nicht entbehren kann. Ich darf mich nicht entfernen, bis ich dem Herrn Hochmeister eine Botschaft ausgerichtet habe.
Der Bruder blieb stehen und betrachtete ihn mit seinen aufmerksamen Augen. Wer seid Ihr, und wer sendet Euch? erkundete er.
Der Junker gab Auskunft. Als er den Komtur von Schwetz nannte, lächelte der Alte freundlich. Den kenne ich gar wohl, sagte er, und er ist ein wackerer Ritter von alter, guter Art, wie es leider nicht mehr viele in unserem Orden gibt. Denn Hoffart schlägt Rittertum. Ich glaube wohl, daß Euch das Getreibe hier verwirrt. Ihr seid in einem Fürstenschlosse, nicht in einem Ordenshause, und der nahe Krieg schafft viel Unruhe. Gott der Herr wolle alles zum besten wenden!
Kann ich Euch nützen, lieber Sohn, so tu ich's gern, des braven Plauen wegen. Kommt zunächst mit mir an die Firmarietafel. Ich gehöre zu den Kranken und Gebrechlichen, die dort gespeist werden, und räume Euch mit des Spittlers Genehmigung willig meinen Platz ein, wenn er die Speisen schon verteilt haben sollte. Dann mögt Ihr in meiner Zelle schlafen. Es steht da noch das Bett für den Krankenpfleger, den ich vor einigen Tagen brauchte. Morgen wollen wir weiter zusehen, wie Eure Angelegenheit zu fördern ist. Haltet Euch an mich, und daß Ihr mich allezeit zu finden wißt, sage ich Euch, daß man mich den Bruder Wigand von Marburg nennt. Merkt Euch den Namen.
Heinz dankte ihm für seine Güte und folgte ihm die Treppe hinab über die Brücke nach dem hohen Hause, das sie durch ein hochgewölbtes Portal betraten. Bruder Wigand versäumte nicht, in die Kirche einzutreten und ein kurzes Gebet an einem Seitenaltar zu sprechen. Der Spittler nahm den Gast auf seine Empfehlung gütig auf und hatte genug Speisevorrat und Tafelbier für beide.
Die Schlafzelle lag nicht weit davon; sie gehörte zum Spital und bot mancherlei Bequemlichkeit, die den Ritterwohnungen fehlte, so auch einen kleinen Ofen, durch den der Raum im Winter erwärmt werden konnte. In die dicke Mauer war eine tiefe Fensternische eingeschnitten, der Fußboden in derselben durch einen hölzernen, mit einer Binsendecke belegten Tritt erhöht. Es stand dort ein Tisch unter der durch Ölpapier gegen das Eindringen der kalten Luft verwahrten Lichtöffnung. Darauf lagen aufgeschlagene Bücher, auch mehrere Federn und Pinsel neben kleinen Schälchen mit schwarzer und roter Flüssigkeit. Das oberste Blatt eines der Bücher war erst zur Hälfte mit kurzen ungleichen Reihen beschrieben. Das ist meine Werkstätte, erklärte Bruder Wigand. Ich schreibe gern gute Bücher ab und bin auch vom Herrn Hochmeister über des Hauses recht ansehnliche Liberei gesetzt. Ist meine Gesundheit nicht zu schwach, so lehre ich in seiner lateinischen Schule. Die wird nun freilich lange Ferien haben, da die jungen Gesellen statt der Feder das Schwert zur Hand nehmen, und wenn sie sich wieder in der Schulstube sammeln, so viel ihrer mit heiler Haut davongekommen, liege ich vielleicht schon als stiller Mann neben stillen Männern auf dem Parchan, wo unweit der St.-Annen-Kapelle unser Begräbnisplatz ist. Wie Gott will!
Heinz fragte den Bruder, was er zur Zeit schreibe und warum er die Reihen nicht ganz ausfülle. Der antwortete lächelnd: Das da schreibe ich nicht aus anderen Büchern ab, sondern es ist mein eigenes Werk zu nennen. Seit früher Jugend bin ich in diesem Ordenslande und habe viele Heerfahrten begleitet und lange ein Heroldsamt bekleidet und mancherlei erfahren, was mir des Aufbewahrens wert schien. So hab' ich beschlossen, eine Chronik des Ordens zu schreiben und sie in Reime zu bringen, daß sie sich leichter dem Gedächtnis einpräge. Vor vielen Jahren ist sie schon beendet worden, denn was nach Meister Wallenrods Tode geschehen, mochte ich nicht aufnehmen, damit das Buch keinen der Brüder verdrieße. Ich schreibe es nun säuberlich ab für des Herrn Hochmeisters Liberei. So habe ich meine Beschäftigung täglich und bin doch nicht ganz ein unnützer Mitesser.
Der Junker bat ihn, etwas aus dem Buche vorzulesen, da er wohl merkte, daß der Schreiber mit ganzer Seele bei seinem Werke sei. Wigand ließ sich auch nicht lange bitten, schlug einige Blätter zurück und las vor von der Schlacht bei Rudau, in der Hennig Schindekopf, der tapfere Komtur, gegen die Litauerfürsten Kynstut und Oljerd kämpfte und siegend den Heldentod starb. Dann meinte er, daß es Zeit sei, zur Ruhe zu gehen. Ein andermal wolle er ihm von dem Ehrentisch vorlesen, den Meister Wallenrod vor der großen Kriegsreise nach Litauen seinen Gästen gedeckt habe. Dergleichen werde sich nicht mehr wiederholen in diesen Landen.
Am nächsten Morgen nahm er ihn mit sich und führte ihn zu dem obersten Kämmerer, der den Hochmeister nach dem Aufstehen zu bedienen und zu kleiden hatte. So kommen wir schneller zum Ziele, meinte er, als wenn wir bei einem der Gebietiger anklopfen. Diese Leute sind immer um den Meister und erkunden leicht die günstigste Stunde, wann ein Fremder ihn sprechen kann. Wendet man sich an sie, so schmeichelt's ihnen, daß man sie für vielvermögend hält; und so sind sie gern nützlich. Er täuschte sich denn auch nicht. Der Kämmerer nahm die Briefe an sich und versprach, sie dem Meister abzugeben, bevor er noch mit Geschäften behelligt sei; so werde er ihnen sicher mehr Aufmerksamkeit schenken. Ein Geschenk vermehrte noch seinen Eifer, zu dienen.
Es war noch zu früh, auf die Vorlassung zu warten. Bruder Wigand zeigte seinem jungen Freunde die Bibliothek des Schlosses, in der sich gegen fünfzig geschriebene Bücher geistlichen und weltlichen Inhalts befanden, ein Schatz, den Junker Heinz schwerlich nach seinem vollen Wert zu würdigen verstand. Dann sagte er ihm, daß er als ältester Herold die Anfertigung der Fahnen zu beaufsichtigen habe, und gestattete seine Begleitung nach dem Raume der Vorburg, in welchem die Maler arbeiteten. Da waren zwei große seidene Fahnen mit des Hochmeisters Wappen schon fertig ausgehängt: sie zeigten auf weißem Grunde ein goldenes Kreuz mit schwarzen Rändern, an den Spitzen erweitert; mitten darauf lag ein goldenes Kreuz mit schwarzem Adler; die dem Fahnenstock abgewandte Seite des Tuches war zweimal geschlitzt. Prächtig glänzte die Goldstickerei. Ebenso kostbar waren vier kleinere Banner des Meisters hergestellt. Mehrere andere von Leinwand wurden mit des Meisters Wappen in Gold bemalt, eine größere Zahl begnügte sich mit einfacherer Malerei in Farbe. Tücher, die bereits benutzt und verblichen waren, wurden sorgfältig übermalt. Die Arbeiter bewiesen viel Geschick in ihrer Kunst; es waren, wie Bruder Wigand erzählte, dieselben, die auch im Kapitelsaal die großen Figuren aus der Heiligengeschichte auf die dreieckigen Wandabschnitte zwischen den Gewölbebogen künstlich aufgetragen hatten.
Im Vorbeigehen wurde dem Gießmeister Ambrosius aus Nürnberg im Gießhause ein Besuch abgestattet. Er verstand die Kunst, das Metall zu mischen und Geschütze in einer Größe herzustellen, wie man sie bisher nicht für möglich gehalten hatte. Freilich war es ihm noch nicht gelungen, den Guß aus einem Stück zu formen, aber er brachte die Teile geschickt und fest zusammen, so daß ein Springen bei angemessener Pulverladung nicht zu befürchten war. Alle Ballisten und Katapulten und wie die Wurfmaschinen sonst heißen mögen, sind dagegen Kinderspiel, sagte er. Mit zehn solchen Röhren will ich mir's wohl übernehmen, die festeste Mauer niederzuwerfen, und das aus einer Entfernung, wo auch kein Pfeil oder Schleuderwurf von den Zinnen her treffen soll.
So sind auch unsere Schlösser nicht mehr sicher, meinte Wigand, wenn der Polenkönig sich ähnliches Geschütz zu schaffen weiß.
Der Nürnberger zog die Achseln. Es ist so, antwortete er. Aber die Kunst, so große Stücke zu gießen, ist noch ein Geheimnis weniger Werkmeister, und die Kosten sind so groß, daß nur sehr reiche Fürsten sie aufbringen können. Auch hat's erhebliche Schwierigkeiten, so schwere Massen von einem Ort zum anderen zu bewegen, da die Räder der Wagen den Druck nicht aushalten oder auf schlechten Landstraßen so tief einsinken, daß den Zugtieren die Kraft versagt. Wäre das nicht zu bedenken, so könnten wir leicht noch mächtigere Röhren zusammenschweißen.
Das sicherste bleibt immer, äußerte Wigand, den Feind in seinem eigenen Lande anzugreifen und in offener Feldschlacht niederzuwerfen, damit er an die festen Schlösser nicht heran kann. Den Einfällen der Litauer werden sie wohl noch lange Zeit standhalten.
Sie gingen nun nach dem Residenzschlosse zurück. Im Vorzimmer vor des Meisters Gemach standen schon wieder Ordensbeamte, Hauptleute und Boten, die Einlaß begehrten. Es waren polnische Männer aufgegriffen, die in Bettlerkleidung das Land durchstreiften, um für den König zu kundschaften, und die nun verräterische Aussagen gemacht hatten, ihr Leben zu retten. Auch waren in der Nacht Briefe von den Komturen der Grenzburgen angelangt: daß der Feind ein großes Heer zusammenziehe und Großfürst Witowd seine Litauer, aber auch wilde Russen und Tataren dem König zuführe. Sein Bruder Switrigal, der ihm feindlich gesinnt und im geheimen mit dem Orden verbündet war, hatte Boten geschickt und melden lassen, daß er ihn nicht aufzuhalten vermöge. So hatte der Meister wieder Arbeit die Fülle für diesen Tag. Gleichwohl wurde Heinz von Waldstein auf des Kämmerers Meldung vorgelassen.
Er trat in ein prächtiges Gemach mit hoher Wölbung, Fenstern von buntem Glase, gestickten Teppichen an den Wänden und farbige Malerei darüber. Meister Ulrich von Jungingen, ein Mann in kräftigstem Lebensalter, groß und schlank gewachsen, blondhaarig und mit feurigen blauen Augen, saß in einem Lehnstuhl von schönem Schnitzwerk, in dem die Adlerköpfe und -klauen vergoldet waren. Zu beiden Seiten standen die Großgebietiger und Hauskomture, seiner Befehle gewärtig. Auf einem Tisch mit Steinplatte lagen Papierrollen, Siegel, Federn. Heinz ließ sich vor dem Meister auf ein Knie nieder und küßte die Hand, die er ihm gnädig zureichte.
Ihr seid mir durch Bruder Heinrich von Plauen gut empfohlen, begann der Meister mit glockenheller Stimme, und Euer Aussehen ist das eines kernhaften Jünglings, den es höchste Ehre dünkt, Ritterschaft zu erwerben unter denen, die ritterliche Ehre hochhalten und über alles schätzen. Wohlan! Wenn Ihr für die Heilige Jungfrau Leib und Leben einsetzen wollt in diesem bevorstehenden Kampf, wie Bruder Heinrich schreibt, so nehme ich Euch auf seine Fürsprache gern in meinen persönlichen Dienst und gestatte Euch, an meiner Seite zu reiten und des Meisters großes Banner mit Eurem Schwert zu decken nebst den anderen tapferen Männern, die dazu berufen sind. Wollt Ihr mir Treue geloben auf echtes Manneswort?
Ich gelobe Treue auf echtes Manneswort, antwortete der Junker, und daß ich von Eurer Seite nicht weichen will und von Eurem Banner nicht lassen, solange meine Hand das Schwert führen kann.
So erhebt Euch, sagte der Meister, und haltet Euch auf den ersten Ruf bereit. Der Feind rüstet mit Macht, aber wir sind nicht unvorbereitet und gedenken ihn ritterlich aufzusuchen. Er wandte sich an einen der Hausbeamten: Sorgt indessen bis zur Abreise für meinen Dienstmann.
Er winkte mit der Hand. Schon traten andere Leute vor. Heinz verneigte sich ehrerbietigst an der Tür noch einmal und verschwand hinter dem Vorhange, den der Kämmerer zurückfallen ließ.
So hatte er erreicht, was für den Augenblick zu erreichen war: aus des mächtigen Fürsten eigener Hand empfing er seinen Dienst. Nun konnten die Verwandten und Freunde für ihn nichts mehr tun; seine Sache war's, ihrer Empfehlung Ehre zu machen und sich als einen tapfern Kämpfer zu bewähren. Daß ihm dies gelingen werde, zweifelte er nicht, da ihm jetzt vollauf Gelegenheit geboten war. So kehrte er frohgelaunt in Wigands Zelle zurück.
Seine Gedanken flogen hoch. Er war gerade in der Stimmung, sich durch die Erzählung von Meister Wallenrods Ehrentisch noch mehr anzufeuern. Und so ließ sich denn der Alte erbitten, den Abschnitt aus seinem Buche vorzulesen. Im Jahre des Heils 1393 war's, als Konrad von Wallenrod mit mehr als 50 000 fremden und eigenen Kriegern in Litauen einrückte, die Heiden mit dem Schwert zu züchtigen. Unaufhaltsam drangen sie vor. Auf einer Insel im Memelfluß unweit Kauen wurde der Ehrentisch unter einem prächtigen Zelt aufgestellt. Auf der Morgenseite des Flusses stand das Ordensheer, das der Ordensmarschall führte; gegenüber schauten die deutschen Kreuzfahrer, vom Großkomtur befehligt, dem Schauspiel zu. Zwölf Ehrenritter waren auserwählt und nahmen Platz an der Tafel. Damit jeder aus den beiden Heeren sehen könne, wurde das Zelt nach der Anrichtung weggezogen, den Tafelnden aber hielt man zum Schirm gegen die Sonne breite Hüte von goldenem Stuck übers Haupt, denn die Sonne war heiß und schien auf den Tisch, von dem das goldene Gefäß weithin erglänzte. Auf den Tisch trug man nichts auf als Gefäße ganz von Gold oder übergoldet. Dreißig Schüsseln wurden gereicht und zu jedem Gericht neue Teller und neue Löffel, zu jeglichem Getränk aber, das aus allen Landen da war, besondere Geschirre, und nur einmal durfte aus jedem Becher getrunken werden, dann stand wieder ein anderer da. Woraus ein jeder aß und woraus er trank, wie oft auch gewechselt wurde, das war alles sein, und er behielt es als Ehrengabe. So aßen sie von elf Uhr am Morgen bis zwei zur Vesperzeit. Viel Herolde aber lobten, während sie tafelten, mit rühmenden Worten die Taten derer, die Hilfe und Ehre getan in Preußen dem würdigen Orden. Der erste am Tisch war ein Ritter aus Österreich, Kinodius von Richardsdorf, der hatte in der Türkei vierzig Männer in guten Waffen, die ihm nachjagten, allein zu Boden gestreckt und mannhaft erschlagen. Den zweiten Platz hatte Markgraf Friedrich von Meißen, weil sein Geschlecht den Orden nicht verlassen hat in Nöten. Der dritte war der Graf Hildermidus aus Schottland, der ward geehrt seines Vaters wegen, denn er hatte sich töten lassen, damit sein Herr der König leben bleiben mochte, da ihm der König von England nach dem Leben trachtete. Als der vierte war Graf Rupert von Württemberg gesetzt, der aus Demut nicht die Kaiserkrone hatte annehmen wollen, wiewohl er doch erwählt worden war. Dann kam der Hochmeister, und von ihm rühmten die Herolde wahrhaftig, daß er reich von Gütern und eine auserwählt schöne Jungfrau, eine Gräfin von Habsburg, ihm zur Ehe angetragen war, er aber aus Liebe zu Maria alles abschlug und geistlich wurde. Der sechste war Degenhard, ein Bannerherr aus Westfalen, der hatte den Mördern seines Vaters vergeben, weil sie ihn anflehten um Mariens willen. Den siebenten nannte man Friedrich von Buchwalde, der hatte sein Leben lang nie einem etwas versagt, der ihn bat bei der Ehre des Ritters St. Georg, und so folgten noch fünf andere, und die Herolde priesen ihre löblichen Taten und frommen Werke.
Als Wigand den siebenten erwähnte, gedachte Heinz seines Freundes, dessen Namen er führte. Und er fragte, ob jener aus demselben Geschlecht gewesen. Darauf nannte Wigand ihm einen älteren Bruder des Ritters, Arnold von der Buche, der bei Rheden angesessen sei. Er sei im Kampfe gegen die Litauer gefallen.
An einer solchen Tafel zu sitzen dachte Heinz sich nun als die höchste Ehre, die ein ritterlicher Mann erwerben könne, und so erkundigte er sich fleißig, ob jenes der einzige und letzte Ehrentisch gewesen. Wigand aber antwortete darauf, der Deutsche Orden habe vor alters von Papst und Kaiser das Privileg zugesprochen erhalten, daß der Herr Hochmeister ihn seinen Gästen decken lassen möge, wann und wo er wolle, und daß wohl auch einmal in seinen Zeiten Ritterschaft noch so geehrt werden könne, obschon das Kreuz nicht mehr gepredigt werde gegen die Heiden. Es wird wieder not tun, fügte er hinzu, wenn es sich bewahrheitet, daß Russen und Tataren gegen Mariä Burg anrücken.
Da Heinz den Alten so bewandert fand in des Landes Geschichten, meinte er die Gelegenheit nutzen zu müssen, sich über alle Dinge eingehend zu unterrichten, die ihm jetzt nahelagen und zu wissen erwünscht waren. Sein Dienst bei dem Hochmeister ließ ihm für jetzt noch viel freie Zeit; man kümmerte sich, da immer neue Menschen zuströmten und Weisung erhalten wollten, kaum um ihn, so daß er nach Belieben Burg und Stadt besichtigen oder auch in Wigands Zelle verweilen konnte. An einem der nächsten Abende nach der Vesper, als er dort den alten Herrn mit Schreiben beschäftigt fand, sagte er: Mag es Euch nicht verdrießen, Herr Wigand von Marburg, wenn ich Euch noch um eine Auskunft bitte, und lacht mich nicht aus, wenn ich etwas frage, was hierzulande wahrscheinlich jedes Kind weiß. Es ist Euch aber bekannt, daß ich aus dem Reich eingewandert bin, und dorthin dringt spärlicher und ungenauer die Kunde von dem, was über dieses Ordensland hinaus im fernen Osten geschieht und geschehen ist. Wir haben die Namen der Litauerfürsten Witowd und Jagiel nennen hören und wissen, daß Wladislaus Jagello nun ein christlicher König von Polen ist; wie die Dinge aber des näheren zusammenhangen und welchen Grund es hat, daß der würdige Deutsche Orden von diesem Fürsten so hart bedrängt wird, das möchte ich erfahren, ehe ich selbst das Schwert ziehe. Euch, der Ihr des Landes Chronik geschrieben, wird es ein leichtes sein, mich in Kürze zu unterrichten.
Wigand lächelte dazu, ein wenig geschmeichelt. Ich muß es loben, antwortete er, daß Ihr nicht wie ein Soldknecht um Lohn dienen, sondern wissen wollt, für welche Sache Ihr streitet. Aber so leicht ist das nicht, was Ihr von mir fordert. Denn die Geschicke jener fernen Länder sind dunkel, und es lebt dort niemand, der sie aufgeschrieben hätte, und so sehen wir von mancherlei Tun die Folgen, aber nicht den inneren Zusammenhang. Vieles davon steht in meinem Buche; wollte ich es Euch aber lesen, so möchten wohl Tage hingehen, bis ich zu Ende käme, und bei den vielen Kriegsfahrten, Einfällen und Belagerungen würde sich Euer Gedächtnis nur verwirren. So will ich denn versuchen, knapp zusammenzufassen, was mir das wichtigste scheint. Höret denn:
Es ist Euch bekannt, Junker, daß in diesem unserem Lande voreinst die heidnischen Preußen wohnten, und daß sie vom Deutschen Orden niedergeworfen und nach mancherlei Aufständen gänzlich unterjocht und ausgerottet oder zum Christentum bekehrt sind vor nun hundertundfünfzig Jahren. Ihre Nachbarn im Osten aber waren die heidnischen Litauer, und sie bewohnten ein weites Reich, dessen Grenzen noch niemand gemessen hat, und fürchteten die Waffen der siegreichen Kreuzherren und der Schwertbrüder in Livland und fielen fast jährlich in deren Gebiete ein, Burgen und Höfe zu zerstören und Vieh fortzutreiben. An der Grenze entlang aber liegt ein Land, das heißt Szamaiten, und um das war nun vor alters der Streit. Die Litauer hätten es auch wohl behauptet und dem Orden noch mehr Schaden getan, wenn nicht Uneinigkeit unter ihnen selbst und ihren Fürsten gewesen wäre, daß sie gegeneinander um die Oberherrschaft kämpfen mußten. Davon will ich nun erzählen.
Vor hundert Jahren etwa hatte Litauen einen Fürsten, der hieß Witen; sein Sohn aber war Gedemin, und er brachte die ganze Macht des Landes an sich und herrschte viele Jahre. Gedemin aber hatte sieben Söhne und teilte unter sie das Land. Der dritte war Olgierd, dem gab er die Herrschaft Krewo, und der Fürst von Witebsk, der keine Söhne hatte, nahm ihn zu seiner Tochter; der fünfte aber war Kynstut, der erhielt die Herrschaft Troki. Diese beiden standen in großer Liebe und Ehrung. Und sie besprachen sich untereinander, wie sie ihre Brüder herabsetzen wollten. Und es gelang nach ihrem Wunsch, sie zu unterwerfen, daß sie nun die oberste Macht hatten. Darauf bekämpften sie den Orden und führten vor jetzt vierzig Jahren ein mächtiges Heer nach Preußen und drangen ins Samland vor, bis Hennig Schindekopf ihnen bei Rudau entgegentrat und sie aufs Haupt schlug, selbst aber das tapfere Leben einbüßte.
Daß die Litauer nun bei Rudau geschlagen wurden und die Flucht ergriffen, dafür war noch ein besonderer Grund, der wenigen bekannt ist. Olgierd hatte nämlich zwölf Söhne und liebte am meisten den Jagello, Kynstut aber hatte sechs Söhne und zog Witowd den andern vor. Und sie hatten diese beiden jungen Prinzen mit sich genommen, als sie in Preußen einbrachen. Da nun aber bei Rudau der Kampf schwankte, ließen sie die jungen Prinzen in Sicherheit bringen, und das war ihr eigenes Verderben. Denn als die Litauer dessen gewahr wurden, glaubten sie die Schlacht verloren und begaben sich eiligst zur Flucht.
Jagello und Witowd aber, die jungen Prinzen, waren miteinander erzogen und liebten einander wie Brüder und hatten Freundschaft geschlossen für ihr ganzes Leben. Da sie nun sahen, daß die Ihrigen geschlagen wurden und viele Tausende auf dem Felde zu Rudau unter dem Schwert der Ritter verbluteten, da ward ihr Gemüt beschwert, und ein tiefer, unauslöschlicher Haß gegen den Deutschen Orden kam in ihre Seele, daß sie sich die Hände reichten und bei ihren heidnischen Göttern einen schrecklichen Schwur taten, nicht nachzulassen, bis seine Macht gebrochen sei. Den Schwur haben sie nicht vergessen, obschon nochmals viel Feindschaft zuzeiten unter ihnen herrschte; denn Witowd war ein edler Mann und großen Herzens und verzieh immer wieder, was der boshafte, heimtückische Jagello gegen ihn sündigte, jenes Schwures wegen.
Als nun Olgierd gestorben war, trat Jagello, dem er sterbend seine Liebe zugewandt hatte, in seine Stelle als oberster Großfürst neben Kynstut, der sein Oheim war. Und Kynstut liebte ihn wie seinen Sohn und vertraute ihm. Er ward aber arg getäuscht. Denn Jagello wollte über das ganze Land herrschen und verband sich heimlich gegen ihn mit dem Orden, den er doch im Grunde seines Herzens haßte. Als Kynstut davon Nachricht erhielt, befragte er ihn; Jagello aber leugnete unter falschen Schwüren, und der arglose Mann glaubte ihm. Erst da ward er seine Tücke gewahr, als Jagello gegen alle Sitte seine Schwester dem ihm verhaßten Voidelo vermählte, einem gemeinen Manne, der sich von Olgierds Bäcker zu seines Sohnes erstem Günstling aufgeworfen hatte. Da er nun auf dessen bösen Rat auch den Sohn Kynstuts, Andreas Weidat, bekriegte, fiel der ergrimmte Großfürst über ihn her, nahm ihn in Wilna gefangen und ließ Voidelo henken. Da wär's wohl auch Jagello ans Leben gegangen, wenn nicht Witowd, der alten Freundschaft eingedenk, für ihn bei seinem edlen Vater gebeten hätte, daß er ihn freigab und ihm verzieh.
Das lohnte der schändliche Jagello beiden mit Undank. Denn er ließ nicht von seinem heimlichen Bündnis mit dem Orden, fiel von ihnen ab, da er zur Heeresfolge gegen den Fürsten von Nowgorod aufgeboten war, überwand sie durch Hinterlist, indem er sie unter dem Anerbieten eines Vergleiches zu sich lockte, und verhaftete sie. Seinen Oheim Kynstut, für den der Orden sich verwandte, ließ er nach Krewa ins Gefängnis bringen und dort erwürgen. Es hieß, er sei an einer Krankheit gestorben, und er wurde in allen heidnischen Ehren bestattet, auf einen großen Scheiterhaufen gelegt und verbrannt mit allen seinen Hunden und Rossen unter feierlichen Blutopfern, wie es nach altem Brauch einem litauischen Großfürsten ziemlich war. Und dieser ist der letzte, der so heidnisch bestattet worden.
Witowd aber saß in einem leidlichen Gefängnis, und seine Gemahlin Anna nebst zwei Mägden durften bei ihm ein und aus gehen. Diesen schwatzten die Wächter aus, daß es mit Witowd ebenso stehe wie mit seinem Vater, und daß die Boten, die ihn ermorden sollten, schon angelangt seien. Da stellte Frau Anna ihm vor, wie die Mädchen immer zum Betten kämen; sie würde ihm aber die Kleider eines der Mädchen anzulegen geben; so würde er hinausgehen mit dem andern Mädchen und jenes bei ihr zurückbleiben. Und er kleidete sich in den Anzug des einen Mädchens und ging mit dem andern hinaus und begab sich aus der Stadt und eilte zu den Deutschen und Preußen. Als er aber bei den Deutschen weilte, in Marienburg bei dem Meister, so kamen zu ihm viele litauische Fürsten und Bojaren, und er begann mit Hilfe der Deutschen das litauische Land mit Krieg zu überziehen, nahm auch das Christentum an und wurde getauft mit dem Namen Konrad. Aber im Herzen blieb er heidnisch gesinnt und vergaß nicht seines Schwures.
Indessen so geschah es, daß Ludwig, der Ungarn und der Polen König, starb, ohne männliche Erben zu hinterlassen.
Zwar hatte er seine älteste Tochter Maria mit dem Markgrafen Sigismund verlobt und diesen zu seinem Nachfolger bestimmt, aber die polnischen Großen waren ihm abgeneigt, da sie für ihre Herrschaft fürchteten, und riefen Ludwigs jüngste Tochter Hedwig zu ihrer Königin aus, unter dem Beding, daß sie ihre Hand nach des Landes Gutbefinden verschenken sollte.
Da beschloß Jagello, jetzt Oberherr von Litauen, um sie zu werben, und lockte Witowd wieder zu sich heran, seiner Feindschaft ledig zu werden, und es gelang ihm, seinen Vetter zu gewinnen. Nun zog er mit großem Gefolge gegen Krakau und trat als Freier der schönen Prinzessin Hedwig auf gegen den schlesischen Herzog Wladislaus und den masowischen Herzog Ziemowit und Wilhelm von Österreich, den Hedwig liebte. Er versprach den gierigen Magnaten, daß er seine Schätze mit nach Polen bringen und sich mit allen seinen Brüdern und Untertanen taufen lassen wolle, und daß er der Krone Polen die Länder Litauen und Szamaiten verkörpern und die Ordensländer Kulm und Pommerellen zurückerobern werde, und darauf sprachen sie ihm die Hand ihrer Königin zu. Hedwig aber hatte Abscheu gegen den häßlichen, verschlagenen heidnischen Mann und nahm Wilhelm von Österreich zu sich, den sie liebte, und gestand ihm fünfzehn Nächte durch alle Rechte eines Gemahls. So meinte sie, sich Jagello verhaßt zu machen und ihren Willen durchzusetzen. Der jedoch zwang sie schamlos, sein Weib zu werden, und ließ sich taufen, und jeder Litauer erhielt einen weißen Rock, dafür ließ er sich taufen. So waren die Reiche Litauen und Polen in einer Hand vereinigt, was der Orden nimmer hätte zulassen sollen. Aber es ist geschehen. Auch als nach Jahren Hedwig im Wochenbett starb, wußte er die Krone Polens zu behaupten, da er Anna, Gräfin von Cili, des polnischen Königs Kasimir Enkelin, heiratete. Und so ist er nun selbst ein mächtiger König.
Seit jener Zeit hat er Witowd zu seinem Statthalter in Litauen angenommen, und sie haben bald in Feindschaft, bald in Freundschaft miteinander gelebt, zuletzt aber in Freundschaft. Und ihr Schwur ist fest geblieben, und nun sie die Macht haben, der Orden aber geschwächt ist, gedenken sie ihre Heere zu vereinigen und die Deutschen niederzuwerfen. Gott und die Heilige Jungfrau mögen uns schützen!
Als Bruder Wigand so seine Erzählung geendet hatte, faltete er die Hände und sprach ein langes, bewegtes Gebet. Sein junger Freund aber folgte seinem Beispiel. Dann dankte er ihm herzlich für die gute Auskunft, legte die Finger der rechten Hand auf den Kreuzgriff seines Schwertes und gelobte dem Orden treu zu dienen gegen den tückischen Jagello, seinen Todfeind. Witowd aber mochte er nicht so sehr schelten, da er edelmütig gehandelt hatte und dem Orden, wenn er ihn bekriegte, stets ein offener Feind gewesen war.
Noch einige Tage vergingen in Unruhe. Heinz besuchte gern den Meister Ambrosius von Nürnberg, der mit seiner Familie neben dem Gießhause Wohnung hatte, und ließ sich in allem unterrichten, was der brave Mann von seiner Kunst verraten durfte. Oft fand sich auch Wigand bei ihm ein, und immer wurde ein ernsthaftes Gespräch geführt, an dem der Junker seine Freude hatte.
Dann hieß es, daß in der Kirche mit großer Festlichkeit die neuen Fahnen und Banner geweiht werden sollten. Heinz durfte als des Meisters Knappe zugegen sein. Ein feierlicher Zug bewegte sich vom Residenzschlosse aus nach der alten Burg, durch die prachtvolle Vorhalle und den reich gezierten Eingang in die Kirche. Meister Ulrich von Jungingen, in ritterlicher Rüstung und den weißen Mantel über den Schultern, nahm gegenüber dem Hauptaltar unter dem gewölbten Thronhimmel Platz, der von zwei runden, aus gelblichgrünem Kalkstein gearbeiteten, schön geglätteten Pfeilern getragen wurde. Zu beiden Seiten und an den Seitenwänden entlang ließen sich die Gebietiger und die ältesten Brüder in die Ritterstühle nieder, die über sich eine Empore mit kunstvoller Steinbrüstung hatten. Die andern Brüder nahmen auf Bänken ihren Sitz; es waren ihrer gewiß mehr als siebzig. Neben ihnen stellten sich die Soldhauptleute und viele von den Landesrittern auf, die zugezogen waren. Vor dem Hauptaltar wurde ein Hochamt abgehalten, eine kleine Orgel in der Mauernische begleitete die feierlichen Gesänge. Dann folgte die Fahnenweihe durch die Priesterbrüder.
Darauf trat der Meister durch eine kleine Tür in der Rückwand des Thronhimmels in den Kapitelsaal. Die Ritter folgten ihm auf anderem Wege, aber außer ihnen wurde niemand eingelassen. Bruder Ulrich hielt hier das letzte Kapitel vor seinem Abzuge zum Heere ab, und was beraten wurde, galt für alle als Heimlichkeit.
Eine Stunde darauf schmetterten die Trompeten. Der Meister bestieg sein reich gezäumtes, weißes Schlachtroß. Mit einem prächtigen Gefolge von Rittern und Knappen zog er aus der Marienburg zum Kampfe aus. Ich begrüße dich als Sieger, oder nie mehr! rief er der stolzen Feste zu, als er das letzte Tor hinter sich hatte. Als Sieger oder – nie mehr!