Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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20. ZWEI MEISTERSCHÜSSE

Seit jenem Tage, an dem Heinrich von Plauen sich gedemütigt und der König übermütig den Frieden auf seine Bedingungen verweigert hatte, war ein Glücksumschlag erfolgt, der beiden Teilen täglich bemerklicher wurde.

Jetzt erst zeigte der Statthalter seine ganze Willensstärke. Die Brüder mußten bekennen – was auch mancher im stillen denken mochte –, daß er bis an die äußerste Grenze der Nachgiebigkeit gegangen sei und nun nur Siegen oder Sterben übrigbleibe. Auch über sie kam etwas von dem mannhaften Trotz und der Todesverachtung ihres Führers, und jeder verdoppelte seine Tätigkeit.

Im feindlichen Lager aber machte sich bald genug der Mangel an allem Notwendigen geltend. Jagellos und Witowds vereinigtes Heer war zu groß, um auf einer Stelle gehörig verpflegt werden zu können. Weithin war die Gegend gänzlich ausgesogen. Barbarisch hatte der siegestrunkene Feind gewirtschaftet, aus Mutwillen und reiner Zerstörungswut die Scheunen angesteckt, die Ernten auf dem Felde vernichtet, das Vieh erschlagen und den Vögeln zum Fraß liegen lassen. Von Sparen und Haushalten wollten die Polen und Litauer nichts wissen. Langten einige Frachtschiffe an, so wurde im Überfluß geschwelgt, bis alles verjubelt war. Dann gab's wieder Hungertage. Bald mußten große Haufen weit ins Land ausschwärmen, um sich nur notdürftig zu nähren und einige Vitalien herbeizuschleppen.

Im Lager aber wüteten Krankheiten unter dem Kriegsvolk, das wochenlang unter freiem Himmel kampieren mußte; Tausende raffte die Ruhr hin. Man ließ in der Nacht die Leichen fortschaffen und vergraben oder in den Fluß werfen, damit Entmutigung nicht das ganze Heer ergreife.

Überall wurden breite Lücken in die Linien der Belagerer gerissen, und die vollständige Absperrung der Burg schien schon nicht mehr möglich. Boten aus derselben gingen bald ab und zu, die fernen Freunde verständigend und zum Beistand aufrufend.

Da wurde der König besorgt und fing wieder an, viel mit seinen Bischöfen und Kaplänen zu knien und zu beten, damit Gott sich nicht von ihm wende. Sogar neben seinem Zelt, das auf einer Uferanhöhe am Flusse stand, hatte er eine Feldkapelle gar köstlich herrichten und mit den schönsten Gerätschaften ausstatten lassen, die aus den Kirchen des Landes und den Kapellen der Ordensburgen geraubt waren. Es wurde ihm aber wenig Trost und Beruhigung davon. Was ihm die Priester auch von der Macht Gottes sagten, in seinem abergläubischen Herzen hatte eine ganz andere Vorstellung Gewalt über ihn. Das große Bildwerk der Jungfrau Maria mit dem Jesuskinde in der äußeren Chornische der Marienkapelle konnte er in seinem farbigen Glänze nicht leuchten sehen, ohne von tiefem Neide ergriffen zu werden, daß der Orden einen so sichtbaren Schutz habe. Rief doch Plauen auch die Heilige Jungfrau an, als er zornig sein Zelt verließ! Und es war sicher, daß die Himmelskönigin auf seiner Seite stand.

Dieser Gedanke verfolgte ihn Tag und Nacht. Zuletzt gab er ihm sogar in einer Versammlung seiner Kriegsobersten Worte. Unsere Kugeln und Schleudersteine sind auf jener Seite machtlos, sagte er geheimnisvoll, denn die Jungfrau wehrt sie für die Belagerten ab oder macht sie unschädlich. Glaubt mir, solange das Bild dort mit der Goldkrone auf dem Haupte ins Land hinausschaut, ist all unser Mühen vergeblich. Sie beten zu ihm, und die Jungfrau sorgt im Himmel dafür, daß Gott uns nicht erhört.

Das vernahm des Königs erster Büchsenmacher, ein gewalttätiger und abergläubischer Mensch, den es schon lange gekränkt hatte, daß seine Schießkunst so geringen Erfolg hatte. Nun meinte er wohl zu wissen, worin der Grund zu suchen sei. Immer hatte er seinen Stückknechten aufgegeben, die Kirche und besonders das Heiligenbild zu schonen. Jetzt sah er ein, wie sehr er sich durch diese falsche Rücksicht geschadet hatte, und meinte seines Königs Besorgnisse leicht beseitigen zu können.

So ließ er sich denn von einem Priester Absolution erteilen und stellte eine mächtige Steinbüchse gerade gegenüber dem Chorabschnitt der Marienkapelle und dem wundertätigen Bilde auf. Den Schützen, die ihm zur Hand gingen, wurde bange, denn sie mußten wohl merken, was er vorhatte, und sie warnten ihn ernstlich. Aber er lachte darüber und sagte: Ihr sollt sehen, ihr Narren, daß das Ding von Stein und Ton zusammengeklebt ist und in Staub zerfällt, sobald meine Kugel dagegen fliegt. Wenn aber die Krone am Boden liegt, wird des Ordens Widerstand ein Ende haben und der König in die Burg einziehen. Ruft herbei, so viele mit eigenen Augen sehen wollen, was geschieht. Manchen guten Schuß hab' ich in meinem Leben getan: dieser aber wird mein Meisterschuß sein. Wenn der König mir einen reichen Lohn zahlt, sollt ihr nicht leer ausgehen.

Da lief die Kunde von diesem ungeheuerlichen Vorhaben durchs Lager, und eine große Menschenmenge sammelte sich um die Steinbüchse. Es hieß, der König habe den Schuß befohlen und es sei ihm in der Nacht durch einen Engel offenbart worden, daß er in die Burg einziehen werde, wenn er das Steinbild in der Nische niederwerfen und in den Chor der Kapelle eine Bresche schießen lasse. Die einen schüttelten furchtsam den Kopf dazu, die andern meinten, es habe sich ergeben, daß die Ritter mit dem Bilde Abgötterei getrieben hätten und deshalb vom Papst in Rom verflucht seien. Es wäre daher ein gutes und gottgefälliges Werk, diese Sünde von der Welt zu tilgen!

Der Büchsenmacher kümmerte sich um diese Reden und die ängstlichen oder neugierigen Gesichter der Umstehenden nicht, sondern schüttete grobkörniges Pulver in ein Säckchen, mehr als das doppelte Maß von dem, was sonst zu einem kräftigen Schuß gehörte, packte es fest zusammen und schob es in die weite Öffnung des Rohrs, so weit sein nackter Arm reichte. Dann half er mit einer Stange nach, die unten einen Holzkloben hatte, und stampfte dreimal fest auf. Darauf wählte er unter den Steinkugeln am Boden die schwerste und glatteste, rollte sie zwischen den Händen und warf sie prüfend in die Luft, ob sie beim Falle auf die Erde zerspringen werde. Sie bewährte sich und wurde nun sorgfältig in die Büchse geschoben und mit einem Graspfropfen festgehalten. Nun stellte er sich an das Kopfende und richtete nochmals scharf.

Gespannt blickte die Menge bald auf ihn, bald auf das Bild. Da rief einer: Das Christuskind hat die Hand aufgehoben und mit dem Finger gedroht! Laßt ab, Meister! Ein anderer äußerte ängstlich zu den Nachbarn: Seht, seht, die Jungfrau bewegt zornig die Augen! Einige stimmten bei, andere stritten. Man war in allgemeiner Aufregung: die meisten hätten gewünscht, der Schuß wäre unterblieben.

Indes schüttete der Büchsenmeister, ohne sich beirren zu lassen, feines Pulver auf die Platte um das Zündloch und stellte einen Blechreiter gegen den Wind, daß es nicht herabgeweht werde. Dann ließ er sich die brennende Lunte reichen, klopfte sie ab, rief ein weithin hörbares: Nun gebt acht! und brachte die feurige Kohle vorsichtig von hinten her ans Pulver.

Eine Sekunde lang herrschte atemloses Schweigen.

Dann gab's einen entsetzlichen Knall, wie man ihn noch nie von einer Steinbüchse vernommen hatte. Eine gewaltige Pulverwolke hüllte das Geschütz ein und wurde nur langsam vom Winde fortgetragen. Unversehrt stand das Marienbild; mit mildem Ernst wie sonst lächelte die Jungfrau zu dem Kinde auf ihrem Arm hinab. Das Rohr aber war geborsten und abgesprengt. Mit geschwärztem Gesicht und verbranntem Haar lag der Büchsenmeister auf dem Boden, deckte die Hände über die Augen und wimmerte kläglich.

Einige von seinen Knechten hoben ihn auf und trugen ihn fort. Um Himmels willen, was ist Euch geschehen, Meister? fragten sie. O meine Augen, meine Augen, rief er jammernd, ich bin blind!

Da erfaßte die Menge Furcht und Entsetzen. Viele sanken auf die Knie, erhoben die Hände zu dem Bilde und beteten um Vergebung ihrer Sünden. Die meisten flüchteten eiligst und trugen durch das Lager die Schreckenskunde: Der Büchsenmeister des Königs sei mit Blindheit geschlagen, weil er sich an der Mutter Gottes versündigt habe.

Auch Jagello erfuhr, was geschehen war. Er riß sein Gewand über der Brust auf und rief: Weh uns, das ist eine üble Vorbedeutung! Nun werden unsere Feinde hohnlachen, unsere Freunde aber mutlos werden. Betet, betet, daß noch schwereres Unheil von uns abgewandt werde!

Er gelobte der Heiligen Jungfrau eine Kirche zu bauen, so prächtig sie noch nie in einer gethront habe, wenn sie den Frevel seines vorwitzigen Dieners gnädig verzeihen wolle. Aber er glaubte selbst nicht an solche Gunst, und ihm zitterte das Herz wie die zum Schwur erhobene Hand.

In der Burg wußte man bald, was vorgegangen war, und auch hier sah man's als ein Wunder an, daß der Schuß auf das Muttergottesbild sich gegen den frechen Schützen selbst entladen und ihm für immer das Licht der Augen geraubt hatte. So wuchs das Vertrauen auf die gute Sache. Das Kriegsvolk verlangte nun selbst zu Ausfällen vor die Tore hinausgeführt zu werden, und so weit drangen diese Rennhaufen in des Königs Lager ein und so verbissen war ihr Kampf mit dem zwar entmutigten, aber noch immer übermächtigen Feinde, daß die anführenden Ritter und Hauptleute oft große Mühe hatten, sie wieder hinter die Mauern zurückzubringen. Den Königlichen geschah dadurch großer Schaden, und da kaum eine Nacht verging, in der sie nicht aufgestört wurden, so wuchs ihre Unzufriedenheit. In seinem Unmut sagte der König: Wir wähnten, sie seien von uns belagert; allein wir sind's mehr von ihnen.

Wie zum Lohn für seine Standhaftigkeit gingen dem Statthalter nun auch wiederholt gute Nachrichten zu. Die beste brachte ein heimlich eingeführter Brief des Königs von Ungarn. Er ermutigte darin die Verteidiger der Burg, sich tapfer zu halten, und versprach schleunigst in Polen einzufallen und zum Ersatz der Marienburg herbeizueilen. Plauen ließ den Inhalt dieses Schreibens seinen braven Truppen unter Trompeten- und Posaunenschall verkünden. Die Königlichen hörten den Lärm bis ins Lager und verwunderten sich darüber, daß man im Schlosse schon frohe Feste feiere, da sie selbst doch nur Not und Plage hätten.

Nun meinte der Statthalter auch nach außen hin beweisen zu müssen, daß die Sache des Ordens nicht aufgegeben sei. Es kam darauf an, die Freunde mit Geld zu versehen und zur Werbung von Söldnern aufzufordern. So berief er denn den alten Wigand, übergab ihm Wechsel über dreißigtausend Dukaten und Briefe an die Komture in Deutschland und verabredete mit ihm eine List, wie er damit wohlbehalten durch das königliche Lager kommen solle. Es wurde ein Herold zum König geschickt, der um freies Geleit für einen alten Ordenspriester bitten sollte, dessen Körper die Strapazen der Belagerung nicht länger ertragen könne. Jagello, der sich gegen einen Mann der Kirche nicht hart erweisen wollte, ging darauf ein und wurde überlistet. Bald zogen von Deutschland auf allen Straßen Heerhaufen heran.

Bis sie in Preußen anlangen konnten, hatte es freilich noch gute Weile. Aber auch in der Nähe drohte dem König eine nicht zu verachtende Gefahr. Er erhielt glaubhafte Nachricht, daß der Landmarschall von Livland mit einem großen Heer in Königsberg angelangt sei und im Vertrauen darauf das ganze Niederland an den Haff- und Seeküsten und weit ins Land hinein sich für den Orden erhebe. So berief er denn Witowd und schickte ihn mit einem Heerhaufen dem Marschall entgegen. Als der Großfürst aber an das Flüßchen Passarge kam, das sich bei Frauenburg in das Frische Haff ergießt, fand er schon ganz Ermland und Natangen in Aufstand und alle Straßen verlegt. Der Bischof Heinrich Vogelsang von Ermland, der sich einiger Schlösser bemächtigt hatte, hielt es selbst für geraten, ihn vor weiterem Vordringen zu warnen, und so mußte er unverrichtetersache zurückkehren. Vergebens hatte der tapfere und kriegskundige Mann früher seinen erlauchten Vetter gebeten, ihn mit einem Teil des Heeres nordwärts zu schicken, sich des ganzen Ordenslandes zu versichern. Eifersüchtig auf jeden Zuwachs seines Ruhmes, hatte der König ihn zurückgehalten. Nun war's zu spät, das Versäumte nachzuholen.

Jagello schäumte vor Wut. Täglich wurde der polnische Adel unter seinen Fahnen schwieriger, und die Burg, so viel er sie auch mit Büchsen und Bliden beschoß, wollte sich nicht ergeben. Dann sann er darauf, wie er sie durch Verräterei nehmen möchte. Er beriet deshalb mit dem schlauen Bischof von Kujawien, den er seit dem glücklichen Abschluß mit Danzig nun fast unausgesetzt um sich hatte. Der meinte wohl helfen zu können. Bei ihm war der ermländische Domherr Bartholomäus, Dechant zu Frauenburg, ein ränkesüchtiger und sehr verschlagener Priester, der sich vorher beim Statthalter in der Marienburg aufgehalten hatte, auch von ihm mit einer Summe Geld nach Danzig geschickt war, weil er seinen Worten vertraute, daß er sich mit seinem Bischof Heinrich verfeindet habe und dessen Rückkehr ins Land unter polnischen Schutz hintertreiben wolle. Dann hatte der Domherr aber doch gemeint, das Sicherste spielen zu müssen, und war heimlich ins Lager gekommen, seine Dienste anzubieten. Man konnte ihn nun leicht als Spion brauchen, und darauf stützte sich des Bischofs Johannes Plan.

Es ist Ew. Gnaden vielleicht nicht bekannt, sagte er zum König, daß der Baumeister des mittleren Hauses seine Kunst in einem besonderen Falle der Nachwelt vorzüglich wundersam hat erscheinen lassen wollen. Es ist ihm nämlich gelungen, das große Gemach, dessen Fenster dort zwischen den kleinen, die wuchtigen Mauerleisten unterbrechenden Säulen hervorschauen, auf einen einzigen dünnen Granitpfeiler zu wölben, der in der Mitte steht und die ungeheure Last des Oberbaues trägt. Jenes Gemach ist der Remter, in dem die Hochmeister stets ihre Konvente zum Kapitel zu versammeln pflegten und wo sicher der Statthalter jetzt von Zeit zu Zeit mit seinen Getreuen und den Soldhauptleuten zu Rate geht. Können wir nun erforschen, wann alle die Herren dort versammelt sind, so muß man dorthin mit einer Steinkugel schießen und den Pfeiler zu treffen suchen. Gelingt das, so stürzt unfehlbar das ganze Gewölbe zusammen und begräbt unter seinen Ziegelmassen alles, was sich Lebendiges im Saale befindet. Dann ist uns die Übergabe der ganzen Burg sicher.

Dieses listigen Anschlages war der König froh, und gern gab er seine Genehmigung. Er hieß den geschicktesten Büchsenmeister zu sich kommen und gab ihm auf, am Ufer der Nogat gegenüber dem mittleren Schlosse eine große und erprobte Steinbüchse zu einem Schusse bereit zu halten, der ihm noch angezeigt werden solle. Er versprach ihm eine große Summe Geldes, wenn er scharf ziele und glücklich treffe, dem Domherrn aber sicherte er die Ordensgüter zu Tolkemit und Bassenheim zu, sofern die List gelinge. Der Bischof Johannes hatte mit ihm dann noch geheime Rücksprache und wies ihn an seinen Diener Liszek, den er in der Burg gelassen habe, damit er für ihn kundschafte. Es ist ein verschlagener Bursche, setzte er hinzu, zehnmal für den Galgen reif gewesen und stets durchgeschlüpft. Er wird sich in den Remter einschleichen und kurz vor der Zeit, wenn die Versammlung stattfindet, eine rote Mütze an das Fenster hängen können. Es muß gerade an einer solchen Stelle geschehen, daß unser Büchsenmeister, wenn er auf die Mütze zielt, den Pfeiler trifft; das merkt Euch und schärft ihm ein. Somit Gott befohlen!

Der Dechant erhielt leicht Einlaß in die Burg, da man ihn als einen Freund des Statthalters kannte, und er richtete auch an diesen, um ihn ganz sicher zu machen, die Nachricht aus, daß der Landmarschall von Livland im Anmarsch sei. Darüber war große Freude, und Plauen schickte denn auch sogleich ins mittlere Haus und in die Vorburg, zum nächsten Vormittage seinen edlen Vetter, seinen Bruder und alle die anderen Ritter und Hauptleute zur Beratung, wie man dem Landmarschall am besten entgegenkomme, nach dem Remter zu entbieten. Der Dechant aber, als er seine Wünsche so gefördert sah, suchte eiligst Liszek auf, drückte ihm einige Goldgulden in die Hand und belehrte ihn, was er zu tun habe. Daran soll's nicht fehlen, versicherte der Bursche. Mir wird's schon recht langweilig in diesem Steinkasten, und es ist mir ganz lieb, wenn ich bald ausfliegen kann. So viel habe ich aber längst gemerkt, daß der Herr König mit Gewalt die Burg nimmer einnehmen wird.

Am nächsten Morgen mischte er sich unter die Diener des Hauskomturs, die im Remter die eichenen Tische und die Sessel zurechtzurücken und zu säubern hatten. Es war nicht auffällig, daß er öfters auch ans Fenster trat und hinaus schaute, was etwa der Feind treibe. Da sah er nun jenseits der Nogat seitwärts vom Brückenkopf die Schanze, auf der die große Steinbüchse lag, und stellte sich so, daß er genau in einer Linie an sich vorbei den Granitpfeiler und das Geschütz hatte. Dort hing er, als ob es ihm bei der Arbeit zu heiß werde, seine rote Mütze auf und vergaß sie dann absichtlich, als der Hausmeister die Leute hinaustrieb, da sich die Herren schon im Gange sammelten. Niemand achtete darauf.

Bald füllte sich das hochgewölbte Gemach mit allen den Edelsten, die in der Burg versammelt waren. Der Statthalter eröffnete frohen Mutes die Versammlung und forderte der Brüder und Genossen Rat. Lebhaft wurde hin und her gesprochen. Da krachte von drüben ein Schuß; eine mächtige Steinkugel riß die steinernen Leisten und bleiernen Einfassungen des Fensters fort, daß die Glassplitter durch den ganzen Saal flogen, sauste dicht am Pfeiler vorbei und schlug tief in die gegenüberliegende Wand ein, keinen der Anwesenden beschädigend. Trefflich hatte der Büchsenmeister gezielt: die rote Mütze war verschwunden. Seine Schuld war's nicht, daß die Kugel ein wenig aus der Bahn wich und den Pfeiler um einen Zoll verfehlte.

Das war auf uns abgesehen, rief Plauen. Ich wette darauf, daß eine Verräterei im Spiele ist. Gott hat diesmal gnädig geholfen. Aber wir wollen deshalb den Feind nicht in Versuchung führen, nochmals sein Glück zu erproben. Gehen wir hinüber nach dem Kapitelsaal, unsere Beratung fortzusetzen.

Mit gespannter Erwartung hatte der König aus einiger Entfernung das rote Zeichen beobachtet. Er vernahm auch den Schuß und sah das Fenster splittern. Aber das Haus fiel nicht ein, und bald antworteten die Belagerten mit einem so kräftigen Ausfall, daß er Not hatte, seine Person in Sicherheit zu bringen. Auch diese Hoffnung, sich der Burg zu bemächtigen, war vereitelt.

Wenige Tage darauf trat der Großfürst in sein Zelt und begehrte eine geheime Unterredung. Er sah finster aus und trug unter dem Eisenhut den Kopf gebückt.

Was ich dir zu sagen habe, Vetter, begann er, wird dir wenig gefallen – und mir selbst gefällt's wenig. Aber die Not zwingt mich zu einem verzweifelten Entschluß. Meine Litauer haben tapfer gekämpft und keine Mühe gescheut. Überall sind sie im Vordertreffen gewesen, wo es galt, den Feind im offenen Felde zu empfangen; die schlechtesten Lagerplätze hat man ihnen angewiesen, und sie haben nicht gemurrt. Nun sind aber ihre Reihen jämmerlich gelichtet. Tausende hat der Feind erschlagen, noch mehr Tausende sind der schrecklichen Krankheit erlegen, die im Lager wütet und gerade unter den Litauern, Russen und Tataren die meisten Opfer fordert. Deshalb sind die Bojaren zu mir gekommen und haben mir vorgestellt, daß mein ganzes Heer der Vernichtung geweiht sei, wenn ich sie nicht schleunigst zurückführe. Längst sei die Zeit verstrichen, für die sie sich zum Dienst gestellt, das Ende der Belagerung aber nicht abzusehen. Konnte ich widersprechen? Deshalb bitte ich deine Gnade, uns zu entlassen.

Da erschrak der König, daß er bleich im Gesicht wurde und am ganzen Leibe zitterte. Das geschehe nimmer, rief er, daß wir uns jetzt trennen! Bedenkt die Schmach, wenn wir diesen so glorreich begonnenen Krieg mit einem Rückzuge endigen, den Hohn des Feindes, wenn er uns von den Mauern der Burg das Lager abbrechen sieht. Sollen wir umsonst gekämpft und unserer Völker Blut vergossen haben?

Es ist alles bedacht, antwortete Witowd, bevor ich in dein Zelt trat. Unmögliches darf ich meinen Leuten nicht zumuten. Du weißt, daß auch unser Herrscherwille seine Grenzen hat, und ich habe auf den Gehorsam derer nicht zu rechnen, die sich von der Pest, dem unbesieglichen Feinde, bedroht sehen. Führe ich sie nicht, so werden sie ohne mich gehen. Dann ist mein Ansehen für alle Zeit hin, und ich werde dir auch künftig nicht zu Dienst sein können, König.

Jagello saß gebückt und maß ihn mit einem ängstlich lauernden Blick. Gestehe, daß du erzürnt bist, sagte er, ich weiß nicht worüber. Du willst mir deshalb Verlegenheiten bereiten.

Der Großfürst schüttelte das Haupt mit dem langen strähnigen Haar. Ich bin nicht erzürnt, entgegnete er ruhig, obwohl ich Grund hätte, es zu sein. Du hast auf meinen Rat nicht geachtet, mich zurückgehalten, wie du konntest, nicht wie einen Verwandten, sondern wie einen Diener behandelt. Aber bei unserer Väter Freundschaft, ich komme nicht im Zorn, sondern weil die Not mich zwingt.

Der König rückte auf seinem Sessel vor, ergriff seine Hand und drückte sie krampfhaft. Gedenke unseres Eides, Witowd, flüsterte er, unseres Racheschwures! Sollen wir unsere Rache nicht haben, da wir schon den Fuß auf des verhaßten Gegners Nacken setzten? Bei unserer Väter Freundschaft, die du anrufst, bleibe!

Unsere Zeit ist noch nicht um; wir haben hoffentlich noch einige Jahre zu leben. Lassen wir unserem Feinde eine Frist – weil es nicht anders sein kann. Und wann, meinst du, schlagen wir eine zweite Schlacht bei Tannenberg? Wann stehen unsere Lagerzelte wieder unter den Mauern dieser Burg? Das Glück lacht uns nicht zum andernmal, wenn wir ihm jetzt den Rücken kehren. Witowd – ich bitte dich – bleibe!

Und wenn du mir zu Füßen fielest, ich könnte dir keine bessere Antwort geben. Aber laß deshalb noch nicht alle Hoffnung schwinden. Deine Polen haben weniger gelitten, widerstehen kräftiger der bösen Krankheit. Dein eigenes Heer, gut verteilt und angeführt, reicht aus, die Belagerung fortzusetzen. Meinst du denn, ich lasse dir gern den Ruhm, die Marienburg zu bezwingen?

Der König wühlte mit den kurzen Fingern in seinem Haar. Haltet noch eine Woche stand!

Unmöglich!

Noch drei Tage – Witowd, drei Tage!

Ich will mit meinen Heerführern deshalb sprechen und diese drei Tage erbitten. Aber ich fürchte – Versprich ihnen, was du willst, zum Lohn; ich will ein Wort einlösen. Drei Tage nur! Eine lange Nacht hindurch rang der König mit seinem Stolz. Dann entschloß er sich mit Zähneknirschen zu dem ersten Schritt rückwärts. Er schickte einen Herold nach der Marienburg und ließ dem Statthalter den Frieden anbieten auf die früher vergeblich im Lager gestellten Bedingungen.

Heinrich von Plauen war aber jetzt nicht mehr desselben Sinnes. Vertrauend auf den tapferen Beistand seiner Streitgenossen und auf den Sieg der guten Sache, antwortete er: Saget Eurem Könige, daß ich nur damals jene Bedingungen für ihn hatte. Lebend kann ich das Haus nun und nimmer übergeben.

Am folgenden Tage zog Großfürst Witowd mit seinen Litauern ab. Die Lagerplätze waren so verpestet, daß sie nicht von andern Truppen besetzt werden konnten. Die Russen folgten ihm.

Wenige Tage später brachen auch die Herzöge von Masowien auf.

Im polnischen Lager ging das Gerücht um, daß von Norden her ein großes Heer im Anzuge sei und neuer Kampf mit dem erstarkten Gegner bevorstehe. Mehrere von den polnischen Großen rafften ihre Beute zusammen und machten sich heimlich aus dem Staube.

Aber noch wollte der König vom Abzuge nichts wissen. Unerträglich war ihm der Gedanke, die Frucht seiner Siege vor den Mauern der stolzen Feste wegwerfen zu müssen. Mit fieberhaftem Eifer griff er jetzt überall selbst ein, ordnete er Maßregeln zur festeren Umschließung der Burg an. Eine Woche und noch eine Woche hielt er stand.

Und schon schien es, als ob endlich doch die Belagerten durch den Hunger gezwungen werden sollten. Die Kornvorräte verminderten sich zusehends jeden Tag; das Schlachtvieh der Marienburger war längst aufgezehrt. Immer spärlicher wurden die Rationen der Krieger. Ausfälle nützten wenig, da die Gegend ringsum verheert war; gelang es auch einmal, ein Lastschiff zu nehmen, das den Königlichen Lebensmittel zuführte, so waren doch der Hungrigen zu viele. Voll Sorge erwartete der Statthalter an jedem Abend den Bericht seiner Kämmerer, daß die Speicher gänzlich geleert seien. Dann blieb nach so langer und tapferer Gegenwehr doch nur die Übergabe, und des Königs Beharrlichkeit siegte.

Da langte eines Tages gegen die Mitte des September hin glücklich ein Bote in der Burg an, der eine wichtige Nachricht brachte. Der Großschäffer von Königsberg, Georg von Wirsberg, sei unterwegs mit einer Flotte von Lastschiffen, alle beladen mit Lebensmitteln und Waffen. Sie sei über das Frische Haff gekommen und in die Nogat eingelaufen. Der Landmarschall von Livland decke sie gegen Elbing hin mit einem Heerhaufen, dürfe sich aber ohne Verständigung nicht näher heranwagen. Größte Eile sei geboten, damit der Transport dem Könige nicht verraten werde.

Das wußte auch Plauen. Er schickte sogleich den Boten zurück und ließ melden, daß er in einigen Stunden nach zwei Seiten zugleich ausfallen werde, um die Polen im Lager zu beschäftigen und indes der Flotte den Zugang zu öffnen. Sofort wurden alle nötigen Vorbereitungen getroffen, den Erfolg zu sichern. Das Kriegsvolk, das erfuhr, was zu hoffen stand, gewann neuen Mut.

Der Anschlag gelang vollkommen. Der König mußte zusehen, wie die Burg sich frisch verproviantierte und mit Mannschaft verstärkte. Als aber der Großschäffer von Königsberg vor dem Statthalter erschien, umarmte derselbe ihn tiefbewegt und sagte: Bruder Georg, das will ich dir nimmer vergessen! Deine Treue rettet die Burg.

Der König erhielt fast zu gleicher Zeit eine schlimme Botschaft: der König von Ungarn war in Polen eingefallen und verwüstete das Land. So hatte er dem Orden Wort gehalten.

Da beugte Jagello sich dem unvermeidlichen Geschick. Er gab Befehl zum Aufbruch. Aber die zusammengekrampfte Faust gegen die Burg schüttelnd, rief er: Jetzt weichen wir, doch wir kehren wieder, und dann soll euch die Jungfrau Maria nicht vor dem Verderben schützen. Nicht weil ihr Sieger seid, sondern weil ein anderer Feind uns abruft zu neuen ruhmreichen Kämpfen, lassen wir euch den Platz. Er muß uns ohne Schwertstreich in die Hände fallen, wenn jener niedergeworfen ist. Wehe euch, wenn wir wieder hier erscheinen. Dann keine Gnade!

In der nächsten Nacht sah man von den Mauern und Türmen der Burg ringsum hellen Feuerschein. König Wladislaus Jagello hatte hinter sich sein Lager in Brand gesteckt. Die ersten Strahlen der herbstlichen Sonne leuchteten schon in weiter Ferne auf den Helmkappen und Lanzenspitzen der Reiter, die den Abzug des gewaltigen Heeres deckten.

Es war am neunzehnten September des Jahres eintausendvierhunderundzehn, als das geschah »nach Schickung und Willen unseres Herrn«.

In der Marienburg aber lagen Tausende auf den Knien und sangen inbrünstig mit den Ordenspriestern: Tedeumlaudamus!


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