Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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11. BUCHWALDE

Heinz holte das Versäumte in vollem Maße nach. Die Sonne stand schon hoch über dem Rindendach des Waldhauses, als er aufwachte und sich den Schlaf aus den Augen rieb. Er sah sich im Gemache um, das jetzt nicht ganz so unfreundlich schien als gestern bei der Fackelbeleuchtung. Durch ein kleines, hochgelegenes Fenster an der Giebelseite erhielt es zur Notdurft Licht. In der einen Ecke lehnten Jagdspieße von verschiedener Länge, Fangeisen und dergleichen Gerät; an den Pflöcken hingen Netze; im Winkel hinter der Lade lagen Tierfelle aufgeschichtet, darüber waren einige leere Bienenkörbe gestapelt. Neben seinem Lager stand eine irdene Schale mit Wasser, auf der Lade eine Kanne mit Met neben Brot und Käse. Der Waldmeister war also schon wieder eingekehrt und hatte für seinen Gast gesorgt.

Draußen wurden Stimmen laut. Heinz eilte an die Haustür. Dort fand er Gundrat im Gespräch mit zwei Leuten, von denen der eine Waistute war. Sie trugen seinen Harnisch, seinen Eisenhut, die Armbrust, den Mantelsack und was sich sonst auf seinem Pferde befunden hatte, und legten die Sachen neben dem Hause ab. Seid Ihr endlich auf? rief der Waldmeister dem Junker zu. Das nenn' ich einen gesegneten Schlaf! Hab's auch einmal so gut gehabt. Der Teufel hole das verdammte Volk! Ist sonst ehrliches Gesindel, aber wenn sie ein Pferd sehen, können sie das Diebsgelüst nicht unterdrücken. Ich habe gewettert und gedroht im Heidenwall, und was ist erreicht? Daß sie das da im Walde gefunden haben. Der Dieb hat's abgeworfen, sagen sie. Pah! Sie können die Waffen nicht brauchen, das Pferd findet aber seinen Reiter. Sicher weidet es mit geknebelten Vorderfüßen auf einer ihrer versteckten Wiesen am Melno-See. Aber diesmal verstehe ich keinen Spaß, ihr Langfinger. Vor Abend steht der Gaul angebunden an dieser Türklinke, oder ich hetze euch alle Hunde vom Herrenhofe auf den Leib!

Er sprach dann noch in der fremden Sprache auf sie ein, sie aber zuckten die Achseln und zeigten die leeren Hände und schienen ihre Unschuld zu versichern. Heinz griff in die Gürteltasche, holte einen Goldgulden vor und ließ ihn zwischen den Fingern drehen. Schafft mir das Pferd, und das da gehört euch, lockte er. Die schwarzen Augen der Waldleute blitzten, aber sie wiederholten doch nur ihr Gebärdenspiel, das wenig Hoffnung ließ.

In einiger Entfernung unter den Bäumen stand ein altes Weib, das wahrscheinlich aufzupassen hatte, was den beiden geschehen würde.

Heran, du Hexe, rief Gundrat, ich habe mit dir zu reden. Fürchte dich nicht! Wenn du gutwillig gehorchst, tu ich dir nichts.

Die Alte humpelte an ihrem Stabe heran. Du sollst dem Junker aus der Hand wahrsagen, fuhr Gundrat fort, und wehe dir, wenn du lügst! Laßt's Euch gefallen, Junker, wandte er sich an Heinz, sie ist eine kluge Frau, und Ihr wißt dann doch, wovor Ihr Euch zu hüten habt, wenn Ihr von der Zukunft etwas erfahrt.

Die Alte schüttelte den grauen Kopf. Kann nicht wissen, was wird sein, antwortete sie mit meckernder Stimme; kann nicht wissen keine Mensch, was wird sein. Machen die Götter alles, wie wollen.

Hört die verdammte Hexe, sagte der Waldmeister; tut wahrhaftig, als ob ich von ihren Heimlichkeiten nichts wüßte. Glaubt ihr nicht! Sie haben einen Gott, der heißt Curcho, und seine Priester nennen sich Pilwaiten. Aus der Zunft stammt sie ab. Sie haben auch noch andere Götter in ihrem großen Baum: den Perkun und Potrimpos und Pikoll und wie sie sonst heißen mögen, aber der Curcho ist der mächtigste, und von ihm erfahren sie mancherlei, wovon kein Christenmensch weiß. Haltet nur Eure Hand hin.

Die Alte wollte nicht darauf achten. Götter reden in Donner und Blitz, wandte sie ein, reden in Blut von Tier, reden in heilige Schlange, aber reden nicht aus Mund von alt Weib. Lassen gehen, lassen gehen, Waldmeister.

Gundrat löste seinen Leibriemen und schwang ihn durch die Luft. Rot vor Zorn schrie er: Es geht dir schlecht, Hexe, wenn du mich vor dem Junker Lügen strafst. Du wirst ihm aus dieser Hand da wahrsagen, oder der Riemen soll auf deinem Rücken tanzen.

Dabei ergriff er des Junkers rechte Hand und hielt sie ihr unter die Augen.

Die Alte hüstelte, blickte scheu zu dem Zornmütigen auf, murmelte ihre Sprüche und prüfte die Hand. Krieg und Wunden, sagte sie dann, Krieg und Wunden – viel Schwerter gekreuzen – viel rote Blut – viel Tränen.

Heinz lachte. Das andere stimmt für einen Kriegsmann, aber auch viel Tränen? Wer soll sie weinen?

Die Alte warf wieder einen Blick auf den Waldmeister, der noch den Riemen zusammengefaßt in der Hand hielt, und fuhr fort: Gute Schwester weinen – schöne Braut weinen – Ring nicht schließen – viele Not, viele Not! Aber mit Vater wieder vereinen –

Da sehe ich, was deine Kunst wert ist, Hexe! Mein Vater ist tot. Wie soll ich mich mit ihm wieder vereinen, wenn nicht am Jüngsten Tag im Himmel?

Sie zuckte die Achseln. Nichts wissen, Junker. Nur lesen, was stehen geschrieben – kommen zusammen, Vater – Sohn, bei eine Kreuz. Nichts wissen von selbst.

Und was wird das Ende sein, wie wird's ausgehen nach allem Kreuz und Leiden?

Die Alte hüstelte. Kann nicht finden, Junker, kann nicht finden. Aber Linie weit ausgehen – sehr weit. Kann sein langes Leben, kann sein Glück – wollen bitten große Götter, daß geben Glück und langes Leben –

Und Gesundheit, schloß Heinz lachend; auf dieses Sprüchelchen versteht sich jeder Bettler. Er gab ihr ein Geldstück und hieß sie gehen.

Ihr habt der Hexe nicht genug zugesetzt, meinte Gundrat, das Beste hat sie für sich behalten. Man muß das eigensinnige Volk kennen.

Ich weiß genug von dem, wovon man nichts wissen kann, antwortete der Junker. Allezeit ein Mann sein und den lieben Gott walten lassen, das ist meine Weisheit. Nun zeigt mir aber eiligst den Weg nach Buchwalde, ich sehne mich nach dem lieben Freunde.

Der Waldmeister schnallte wieder den Gurt um und nahm seine Armbrust auf. Ich bringe Euch durch den Wald, sagte er, weiter könnt Ihr nicht leicht fehlen. Aber stärkt Euch erst noch mit Speise und Trank. Wer weiß, ob Ihr je wieder mein Gast sein werdet. Das Rüstzeug schaffe ich Euch aufs Gut, sobald das Pferd gefunden ist. Oder schickt auch die Knechte danach.

Nach einer halben Stunde waren sie unterwegs. Der Wald lichtete sich bald, und vor ihnen lag eine weite Heide- und Ackerfläche, über die Dächer und Kirchtürme hinausragten. In der Ferne wurden die vier Ecktürme des Rhedener Schlosses und daneben rechts die Türme der Stadt Rheden sichtbar. Gundrat führte seinen Begleiter auf einen Feldweg und zeigte nach einem mit Bäumen bewachsenen Hügel; dahinter sollte Buchwalde liegen. Obschon ein Verirren jetzt nicht mehr möglich war, schien er sich doch von ihm nicht trennen zu können.

Ihnen entgegen kam aus derselben Richtung eine Reiterin. Das ist das Fräulein, sagte der Waldmeister.

Welches Fräulein?

Die Tochter des Ritters Arnold, den sie von der Buche nennen.

Meines Hans' Schwester also?

Hm – seine Halbschwester wenigstens. Des Junkers Mutter ist eine Deutsche gewesen. Der Ritter hat aber nach ihrem Tode nochmals geheiratet – eine Polin. Deren Tochter ist sie. Nehmt Euch in acht vor ihren Blitzaugen, die sind schon manchem gefährlich gewesen.

Heinz drehte heimlich sein Ringlein am kleinen Finger und lachte in sich hinein. Indessen war die Reiterin näher gekommen. Sie trug eine viereckige Kappe von rotem Samt mit blitzender Agraffe und hochaufstehender Reiherfeder über dem an der Stirn entlang geradlinig abgeschnittenen Haar. Auf ihrer Hand saß ein Falke. Ein Windspiel folgte dem schlanken Pferde.

Wenige Schritte vor den beiden Männern zog sie den Zügel scharf an und neigte sich ein wenig über den Hals des schäumenden Tieres. Ei, sehe ich recht: Gundrat? rief sie, eine Reihe perlweißer Zähne zeigend. Was hat das zu bedeuten, daß Ihr Euch aus Eurem Walde hinauswagt, und wem gebt Ihr das Geleite?

Der Alte lüftete seine Kappe. Es ist der Junker von Waldstein, antwortete er, der nach Buchwalde will. Er ward gestern vom Gewitter verschlagen und hat sein Pferd eingebüßt.

Sie betrachtete den jungen Herrn, der sich höflich verbeugte, aufmerksam. Der Junker von Waldstein – ah! den uns – Bruder Hans längst angekündigt hat. Seid willkommen, Junker! Ist's Euch genehm, so geleite ich Euch von hier ab nach meines Vaters Hause. Ihr seid abgedankt, Gundrat.

Sie lispelte ein wenig, und alles, was sie sagte, hatte eine fremd klingende Betonung, die sich jedoch dem Ohr leicht einschmeichelte. Ihr erweist mir viel unverhoffte Güte, Fräulein, antwortete Heinz, und es ziemt mir wohl zu prüfen, ob ich sie annehmen darf. Ich sehe, daß Ihr zur Jagd wolltet.

Sie lachte. Das laßt Euch nicht kümmern. Es ist schlechte Jagdzeit, und ich bin auch nur ausgeritten, weil's langweilig zu Hause war und weil ich meinen jagdlustigen Gesellen, Bobo, dem Falken, und Cilli, dem Hündchen, ein Vergnügen machen wollte. Nun, sie haben ihr Teil!

Lebt wohl, sagte der Waldmeister, ich bin Euch nun überflüssig! Er legte die Hand an die Kappe und entfernte sich.

Dank für Eure Gastfreundschaft! rief der Junker ihm nach und gesellte sich dann der jungen Dame zu, die ihr Pferd herumgeworfen hatte und es nun zu einer ruhigen Gangart zu nötigen bemüht war. Heinz schritt neben ihr her.

Verstand ich den Alten recht? fragte sie schon nach wenigen Schritten. Ihr habt Euer Pferd eingebüßt? Wie ist das zugegangen?

Er erzählte sein kleines Abenteuer am Heidenwall. Ja, bemerkte sie lachend, die Preußen sind geborene Pferdediebe wie die Litauer. Übrigens verstehe ich meinen Vater nicht, daß er das Volk noch immer da hausen läßt, trotz aller Mahnungen des Herrn Bischofs und seiner Geistlichen. Leidet man doch sonst nicht einmal die Ketzer, und die da sind schlimmer als Ketzer; sie wissen von dem Herrn Christus nichts und haben ihre eigenen Götter. Ich glaube, er scheut sich nur, es mit dem alten Waldmeister zu verderben, der sie in seinen Schutz genommen hat; sonst dürft Ihr an seiner Rechtgläubigkeit nicht zweifeln.

Das sagte sie mit großem Ernst. Gleich aber waren ihre Gedanken wieder bei dem Pferde. Wie schade, rief sie, daß wir nicht zusammen in den Hof einreiten können! Einer im Sattel, der andere zu Fuß, die halten schwer gleichen Schritt. Ihr seht, daß ich meinem Braunen schon fast die Zunge abdrücke, aber das Tänzeln kann er nicht lassen. Er weiß zu gut, daß ich sonst keine geduldige Reiterin bin und gern rasch über Weg und Feld hinfliege. Ruhig, Brauner, ruhig!

Heinz klopfte den Hals des Pferdes, unbekümmert um die Schaumspritzer, die nach rechts und links flogen. Ein schönes Tier, lobte er, zierlich und doch voll Kraft. Es scheint stolz zu sein auf die Reiterin, die es trägt.

Das Näschen hob sich, und die braunen Augen blitzten in die Ferne hinaus. Ihr solltet erst sehen, wenn's im Galopp geht! Seitwärts erstreckte sich eine weite Heidefläche, von Feldern eingefaßt, bis an den Weg heran. Gebt einmal acht! Sie schnalzte mit der Zunge, ließ den Zügel frei und setzte in hohem Sprunge über den Graben. Dann ging's im schnellsten Lauf und in weitem Bogen über Stock und Stein mit dem Windspiel um die Wette, das bald ein Häschen aufgejagt hatte. Heinz blieb auf dem Wege und folgte mit aufmerksamen Blicken der kühnen Reiterin. Er mußte sich gestehen, daß ihm noch nie die Reitkunst einer Dame so naturwüchsig erschienen war, und gab seinem Vergnügen durch lautes Klatschen in die Hände Ausdruck.

Nun, habe ich zuviel versprochen? fragte sie, als sie wieder an seiner Seite ritt.

Gewiß nicht, versicherte er; aber es ist auch eine Freude, Euch das schöne Tier meistern zu sehen, Fräulein. Ihr sitzt im Sattel wie festgewachsen.

Sie nickte ihm einen freundlichen Dank zu. Ich hab's von meiner Mutter gelernt, sagte sie. In Polen ist's eine Schande, nicht gut zu reiten. Mit Bruder Hans komme ich nicht gut fort. Er ist so bedächtig beim Reiten, als gälte es nur immer die Rücksicht, den Gaul nicht unnütz anzustrengen. Für ihn muß alles einen Zweck haben; für mich aber ist das Reiten an sich eine Lust, und ich denke mir, dem Gaul macht's auch mehr Vergnügen, wenn es recht toll hergeht. Reitet Ihr gern, Junker?

Das bejahte er, und sie verabredete nun sogleich mit ihm einen Wettritt, zu dem er sich das Pferd im Gutsstall aussuchen solle. So plaudernd kamen sie in die Nähe des bewaldeten Hügels, in dessen auslaufenden Rücken der Weg einschnitt. Wir sind gleich am Ziel, sagte sie, dort wird schon das Spitzendach des alten Hauses von Buchwalde sichtbar. Wir wohnen im neuen, das erst vor wenigen Jahren gebaut ist; meiner Mutter wollte es in dem finsteren Gemäuer nicht gefallen. Ihr Pferd war dem Fußgänger immer mehrere Schritte voraus, und die Reiterin schien recht ungeduldig zu werden. Es ist doch besser, ich melde Euch an, fuhr sie fort, als der Rand des Wäldchens erreicht war, und begrüße Euch dann an der Schwelle des Hauses nach Art der deutschen Schloßfräulein.

Ohne seine Antwort abzuwarten, jagte sie davon.

Heinz hatte, während er bergab schritt, hinlänglich Zeit, sich den Gutshof anzuschauen. Rechts lag das alte Haus – mächtige Fundamentmauern von unbehauenen Steinen und darüber ein Ziegelbau mit wenigen kleinen, tiefen und unregelmäßig eingelassenen Fensteröffnungen – auf einer Erhöhung, die durch einen tiefen Graben von dem Hügel ausgeschnitten war. Ein Eckturm überragte denselben knapp so weit, daß ein Wächter von der Platte zu der Zeit, als die Krone des Hügels noch kahl war, hinüberschauen und die Annäherung von Menschen bemerken konnte. Die ganze Anlage schien, wenn auch nicht zu kriegerischen Zwecken hergerichtet, doch mit Bedacht auf die Sicherung gegen feindliche Angriffe gemacht zu sein, denn auch auf der andern Seite setzte sich der Graben, wiewohl flacher, fort, und eine Zugbrücke, der freilich jetzt die Ketten fehlten, führte über denselben zu einem festen Tor. Nach der Farbe der Ziegel zu schließen, mußte der Bau weit über hundert Jahre alt sein; wahrscheinlich stammte er aus der Zeit, als bald nach der Eroberung des Kulmer Landes durch den Orden die deutschen Einzöglinge ihre Niederlassungen gegen die Einfälle der heidnischen Preußen zu schützen hatten. Die Stallungen und Scheunen lagen davor in der Ebene um einen viereckigen Hof, der wohl ursprünglich ebenfalls mit einem Graben und Palisadenzaun umwehrt, dann aber dem wachsenden Bedürfnis gemäß erweitert und freigelegt war. Rechts ein wenig ausgebaut und im rechten Winkel gegen das alte Gebäude streckte sich, von den Wipfeln der Buchen und Linden dahinter überragt, lang das neue Wohnhaus hin, einstöckig und weit über die Hälfte des Daches nur mit Stroh gedeckt. In einem Teiche mitten auf dem Hofe schwammen Enten. Weiter nach dem Hause zu stand ein uralter Lindenbaum, zwischen dessen Gabelästen der Waagebalken eines Ziehbrunnens eingelassen war. Jenseits des Vierecks setzte sich der Landweg zwischen einer Reihe von kleinen, teilweise recht verfallenen Häuschen fort, die den Gutsuntertanen und Gärtnern dienen mochten.

Hans eilte dem Freunde entgegen und umarmte ihn herzlich. Er führte ihn dem Hause zu, auf dessen Schwelle nun wirklich das braunäugige Mädchen zu seinem Empfange bereit stand. Meine Schwester Natalia, sagte er lächelnd, ein rechter Wildfang, wie du schon bemerkt haben wirst.

Das ist unartig, Johannes, schmollte sie und gab ihm einen Schlag auf die Schulter.

Er streichelte ihre Wange. Ich denke, du hörst es gern, wenn man dich so nennt?

Als ob ich immer nur zu Pferde säße!

Nun, am Spinnrocken bist du doch selten zu finden!

Jetzt im Sommer freilich! Da hat man auch Besseres zu tun. Sie bückte sich und klopfte Cilli den schlanken Rücken. Glaubt ihm nur nicht, Junker, ich habe in Küche und Keller viel zu schaffen und lasse mich morgens nicht wecken.

Er meint's nicht so schlimm, entschuldigte Heinz.

Sie drohte mit dem Finger. Das wollte ich ihm auch geraten haben!

Nun öffnete sie die innere Tür und ließ ihn in eine weite Halle ein, die den ganzen Breitenraum des Hauses füllte. Die mächtigen Balken querüber stützten sich auf Pfeiler mit bunter Bemalung; an der Wand zwischen den Fenstern waren Geweihe von Hirschen und Elchen oder auch Waffen angebracht. An die eine Schmalseite lehnte ein gewaltiger Kamin. Der Fußboden zeigte sich mit viereckigen Ziegeln von roter und blauer Farbe ausgelegt; lange Tische von Eichenholz standen darauf. Wartet hier freundlichst auf den Vater, bat sie und huschte durch eine schmale Seitentür fort.

Bald kam der Ritter vom Hofe herein, eine hohe, kräftige, bärtige Gestalt. Das Haar färbte sich schon grau, buschte sich aber noch dicht über der breiten Stirn. Eine tiefe Narbe auf derselben und eine zweite schräge auf der rechten Wange bewiesen, daß er nicht immer der friedliche Landmann gewesen war, als der er sich nun in bequemem Wams und weiter Hose über den kurzen polnischen Stiefeln vorstellte. Willkommen in Buchwalde! rief er dem Junker schon von weitem entgegen. Wir können Euch zwar nicht Danziger Kurzweil bieten, hoffen aber, daß Ihr's Euch trotzdem in unserem Hause recht lange wohl sein lassen werdet.

Heinz schlug in die breite Hand ein und dankte für den freundlichen Wunsch, versicherte aber zugleich, daß er schon am nächsten Tage wieder abreisen müsse, da er ohne Einwilligung seines Ohms, des Komturs von Plauen, von dem nächsten Wege nach der Marienburg abgewichen sei.

Davon wollten nun Vater und Sohn nichts wissen. Setzt Euch nur erst bei uns fest, Junker, sagte der Ritter, dann sollt Ihr nicht so bald loskommen. Es sind zwei Brüder meiner Frau hier, polnische Herren aus der Gegend von Slotorie, nicht gar weit von Thorn, die auch ein wenig deutsch sprechen. Sie werden Euch gut unterhalten, und sorgen wir nach unserer Pflicht als Verwandte und Wirte, daß sie sich in Buchwalde gefallen, so habt auch Ihr Euren Teil davon, ohne daß Ihr uns Dank schuldet. Die Briefe werden nicht so eilig sein. Reicht doch der Waffenstillstand noch bis Ende des Monats Juni, und etwas Wichtiges außer diesem unseligen Kriege kann's zur Zeit kaum geben. Habt Ihr zu Schwetz etwas Neues über die Sache erfahren?

Der Junker verneinte.

Nach den Berichten meiner Schwäger, der Herren von Kroczinski, fuhr der Ritter fort, rüstet der König von Polen diesmal mit aller Macht. Kommt es zur Schlacht, so weiß niemand voraus, wer Sieger bleibt. Verliert der Orden, so ist das Kulmer Land zunächst arg gefährdet, und mein Haus bietet Weib und Kind nicht ausreichend Sicherheit, denn selbst die wilden Tataren sollen aufgeboten sein. Es ist also beschlossen, daß Frau und Tochter mit den Schwägern nach Schloß Sczanowo gehen und dort die Entscheidung abwarten. Fällt sie zugunsten des Ordens, so haben sie gleichwohl dort wenig zu befürchten. Vorher aber wollen wir hier noch ein paar lustige Tage gemeinsam verleben, und denen dürft Ihr nicht fehlen.

Heinz gab darauf keine bestimmte Zusage, bat dagegen, die Frau des Hauses begrüßen zu dürfen. Der Ritter führte ihn sogleich zu ihr.

Sie befand sich in einem Gemach seitwärts der Halle, das recht wohnlich, aber mehr nach orientalischer als nach deutscher Sitte eingerichtet war. Die Wände zeigten sich mit wollenen Tapeten verkleidet; auf dem Fußboden lagen weiche Teppiche mit fremdländischen Mustern, und statt der Stühle standen darauf lange niedrige Gestelle, mit Decken und Kissen belegt. Eines derselben hatte Frau Cornelia eingenommen, eine verblühte, etwas fettleibige Schönheit. Sie lag darauf, den Kopf mit dem ungebundenen schwarzbraunen Haar auf den runden Arm gestützt, die Füße ein wenig eingezogen, so daß nur die Spitzen der Pantoffeln von rotem Saffian sichtbar wurden. Ihre Brüder saßen auf einem anderen Gestell gegenüber und spielten mit einer Schar großer und kleiner Hunde. In der Ecke stand ein Betpult und darauf neben einem Kruzifix von Elfenbein ein kleiner venezianischer Spiegel. Sie begrüßte den Gast, ohne sich zu erheben, bot ihm aber den Sitz auf dem Fußende ihres eigenen Diwans an und wiederholte ihre Aufforderung, bis er sich gesetzt hatte. Er wurde dann auch mit den Herren Michael und Jakob von Kroczinski bekannt gemacht, worauf dieselben gleich wieder das Spiel mit den Hunden begannen, zur nicht geringen Belustigung des Hausherrn, der weidlich über ihre tollen Sprünge lachte.

Die Polin richtete indessen in gebrochenem Deutsch an Heinz Fragen, wie sie die Höflichkeit erforderte. Als der Ritter aus seinen Antworten erfuhr, daß ihm sein Pferd gestohlen sei, zeigte er sich sehr ungehalten und schwur, daß er den ganzen Wald von dem heidnischen Gesindel reinigen wolle. Frau Cornelia warf ihm aus ihren großen, aber etwas matten Augen einen Blick zu und meinte seufzend, es sei auch endlich an der Zeit, daß er Gott die Ehre gebe. So sehr er polterte, begnügte er sich doch schließlich damit, einen reitenden Boten nach dem Melno-See zu schicken und im Heidenwall sagen zu lassen, daß das Pferd abends in seinem Stalle stehen müsse.

Er gab seinen Befehl in polnischer Sprache: der größte Teil der Dienerschaft war polnisch.

Das Mittagessen wurde in der großen Halle eingenommen. An derselben langen Tafel saßen Herrschaft und Hausgesinde; man aß aus irdenen Schüsseln mit Holzlöffeln, das Fleisch zerschnitt jeder mit seinem Dolch oder Arbeitsmesser. Auch Fische wurden aufgetragen und aus der Hand verzehrt. Knochen und Gräten warf man den Hunden zu.

Nach Tisch führte Junker Hans seinen Freund ins Freie hinaus. Hinter dem Wohnhause zog sich den Hügel hinan ein mit einem Lattenzaun eingehegter Garten. Es standen darin Obstbäume und Weinspaliere. Auf einem Rasenplatz weidete ein zahmes Reh, das Natalia sich auferzogen hatte. Sie lag nicht weit davon unter einer schattigen Buche und schien es nicht ungern zu sehen, daß die beiden jungen Herren zu ihr traten und sich gleichfalls ins Gras streckten. Sie behauptete, schläfrig zu sein, aber die hellen Augen waren so beweglich, daß Heinz, auf den sie sich von Zeit zu Zeit recht herausfordernd richteten, darüber lachte. Er solle zu ihrer Ermunterung etwas von dem Danziger Pfingstfest erzählen, forderte sie; Bruder Johannes – sie nannte ihn immer mit seinem vollen Taufnamen – habe nur die dürftigste Nachricht davon gegeben und gewiß das Beste vergessen gehabt. Denn wie es eigentlich zugegangen, daß er statt des Bechers einen Ring gewonnen habe, daraus sei man nicht recht klug geworden. Das ist wohl der Ring, fuhr sie fort, den Ihr da an der rechten Hand tragt? Man merkt's, woher er stammt, da er nicht einmal auf Euren kleinen Finger passen will. Und doch scheint er nicht eng zu sein. Weist doch einmal das Wunderding.

Er mußte ihn, so ungern er's tat, abziehen und ihr reichen. Sie lobte die zierliche Fassung der blauen Steine und steckte selbst den Ring nach der Reihe an jeden Finger ihrer schmalen Hand; für jeden war er zu groß. Ich müßte erst hineinwachsen, scherzte sie; die Danziger Kaufmannstöchter haben ein volleres Maß.

Und doch ist Maria Huxer gar fein gebaut, versicherte Heinz, und eine kleinere Hand glaube ich vorher nicht gedrückt zu haben!

Ihr habt ihr die Hand gedrückt – ei, ei!

Heinz errötete. Beim Tanz.

Drückt man den Damen beim Tanz die Hand im Artushofe zu Danzig?

Ihr wollt mich verlegen machen, und es gelingt Euch. Er griff nach dem Ringe.

Sie schloß neckisch die Hand. Erst beschreibt mir das Fräulein und sagt, wie Ihr den Ring gewonnen habt. Nicht wahr, Maria hat himmelblaue Augen und flachsblondes Haar?

Er schüttelte den Kopf. Es war ihm nicht lieb, so ausgefragt zu werden, aber sie gab den Ring nicht eher frei, bis sie alles wußte. Dann mahnte sie ihn an den Wettritt.

Das ist Torheit, sagte Hans, du bist zu waghalsig beim Reiten und wirst noch einmal Schaden nehmen.

Nun bestand sie erst recht auf ihrem Stück. Wir wollen sogleich nach dem Stall gehen, schlug sie vor, und die Pferde aussuchen. Wenn Ihr wollt, trete ich Euch auch meinen Braunen ab und wähle mir ein anderes.

Sie sprang auf, tanzte singend über den Rasen hin, umarmte und küßte das Reh und winkte den Junkern, ihr zu folgen. Man muß ihr schließlich in allem den Willen tun, bemerkte Hans, auch in dem Unvernünftigsten.

Die Pferde mußten sofort gesattelt werden. Auch die polnischen Herren gesellten sich nun zu ihnen und wollten mit von der Partie sein. In scharfem Trabe ging's hinaus bis zur Heide. Dort auf dem mit Steinen überschütteten und mit allerhand dichtem Kraut bewachsenen Boden sollten die eigentlichen Reiterkünste beginnen. Wer folgt mir? rief das Fräulein, die Gerte schwingend. Ihre Begleiter setzten mutig nach, aber bald gab Junker Hans das Rennen auf, und auch die Polen blieben zurück. Sie seien nicht daran gewöhnt, auf den großen Pferden zu reiten, entschuldigten sie sich. Heinz war dicht hinter dem Braunen her. Schlagt mich an, wenn Ihr könnt, rief sie ihm zu, und lenkte plötzlich links und dann wieder rechts ab. Nun war's ihm eine Ehrensache, nicht ausgelacht zu werden. Immer aufmerksam auf die Steine im Wege, suchte er ihr Pferd beim Seitensprunge abzufangen. Aber wenn ihm das auch ein paarmal gelang, so wußte sie es doch so schnell herumzuwerfen und zugleich den schlanken Körper so geschickt zur Seite zu biegen, daß seine Hand sie nicht erreichte. Endlich half ihm doch eine Kriegslist zum Ziel, indem er unerwartet seinen Gaul parierte und den Braunen so bei der Wendung auflaufen ließ. Angeschlagen! rief er, indem er ihre Schulter berührte.

Sie gab ärgerlich dem Braunen mit der Gerte einen Schlag über den Kopf. Es gilt, sagte sie. Aber nun nehmt Ihr Euren Vorsprung; ich will Euch noch vor jenen drei Steinen anschlagen.

Das ist unmöglich.

Versuchen wir's!

Er setzte von neuem die Hacken ein. Aber sei's, daß sein Pferd schon ermüdet war, sei's, daß er dem Fräulein die Revanche nicht zu schwierig machen wollte, er zeigte sich jetzt beim Ausweichen lange nicht so geschickt, als vorhin beim Verfolgen, und mußte sich schon hundert Schritte vor den Steinen für besiegt erklären.

Natalia war befriedigt. Ihr seid ein guter Reiter, Junker, sagte sie, aber wenn Ihr einmal den Feind hinter Euch habt, könnte es Euch doch schlecht gehen.

Dazu, hoffe ich, soll's niemals kommen, antwortete er.

Wißt Ihr, daß es vor Euch noch keinem gelungen ist, mich anzuschlagen? fragte sie nach einer Weile. Vor einem Jahre war der Großschäffer von Königsberg, Herr Georg von Wirsberg, hier auf Burg Rheden, um in Handelsgeschäften des Ordens nach Thorn zu gehen, verkehrte auch viel auf den Gütern in der Nachbarschaft und war häufig unser Gast. Der hatte sich lange am Hofe des Königs Wenzel von Böhmen aufgehalten und wußte viel zu erzählen von kühnen Jagdritten in den böhmischen Wäldern und wie er allen stets voraus gewesen. Ich glaubte anfangs, daß er prahle, weil er auch sonst gern den Mund voll nahm, aber er war wirklich ein trefflicher Reiter, wie ich's ihm bezeugen muß. Mit dem hab' ich auf dieser selben Heide auf Anschlagen geritten, dreimal, und es ist ihm nicht gelungen, mich zu treffen, so nahe er mir auch kam. Euch hab' ich den Sieg lassen müssen.

Treiben auch die Deutschordensritter solches Spiel? fragte Heinz verwundert.

Ei, entgegnete sie lachend, es trägt mancher den weißen Mantel mit dem schwarzen Kreuz gar feierlich im Kapitelsaal, der außerhalb der Schloßmauern ein lustiger Geselle ist! Ich weiß nicht, wie dieser Georg von Wirsberg zu seinem Gelübde kam, aber so viel ist gewiß, daß es ihm das Leben nicht verkümmert. Er ist ehrgeizig und verschlagen, dabei geschmeidig und von feiner Lebensart, in allen höfischen Künsten wohlerfahren und bei vielen großen Fürsten sehr angesehen. Er hätt's vielleicht auch außer dem Orden zu etwas gebracht.

Durch Frauengunst? fragte der Junker. Er wußte selbst nicht, wie ihm das auf die Zunge kam.

Sie sah ihn forschend an. – Kann sein.

Die anderen Herren ritten ihnen entgegen und nahmen sie in ihre Mitte. Die Polen erschöpften sich in Lobsprüchen der Reitkunst des Fräuleins. Laßt nur das Rühmen, sagte sie, die Lippe beißend, ich merke doch, daß ihr mir nur die Niederlage versüßen wollt. Von heute ab gehe ich keine Wette mehr ein.

Hans von der Buche nahm den Freund ein wenig zur Seite. Es freut mich, zischelte er ihm zu, daß du ihr nicht den Sieg gelassen hast. Sie wird nun nicht mehr so übermütig sein.

Aber ich werde mich schnell um ihre Gunst gebracht haben, meinte Heinz. Das fürchte nicht, entgegnete jener. Gerade im Gegenteil. –

Natalia fand es schon langweilig, im Schritt zu reiten. Sie gab ihrem Braunen einen leichten Schlag mit der Gerte und sauste davon, dem Hofe zu. Die Herren folgten.

Gegen Abend fand sich im Gutshause eine ansehnliche Gesellschaft ein. Die ganze Nachbarschaft war zu Ehren der polnischen Verwandten geladen. Herren und Damen kamen zu Pferde. Da wurde der Landesritter Nikolaus von Renys vorgestellt und sein Bruder Hannus, der jetzt von Polkau hieß, da er eine reiche Witwe geheiratet hatte, die dort angesessen war; ferner Friedrich von Künthenau, der bei Rheden im Dorfe Kittnow begütert war, mit seiner Frau und seinen Töchtern. Es war bekannt, daß diese drei zu den Stiftern des Eidechsenbundes gehörten: der vierte, Nikolaus von Künthenau, war kürzlich verstorben, sein Sohn aber, Nitsche mit Namen, fehlte nicht. Auch einen Ritter Otto von Konyad hörte Heinz nennen, einen Ritter Nikolaus von Pfeilsdorf, einen Hans von Czippelyn, der Erbschulze im Dorfe Szcepil war, einen Günther von der Delau und andere, die ihm Hans als Eidechsenritter bezeichnete. Einige von ihnen trugen auch das Zeichen der Eidechse an ihrem Hut oder auf der Gürtelschnalle oder im Schwertknopf. Alle brachten sich nach polnischer Sitte eine zahlreiche Dienerschaft mit, so daß es auf dem Hofe und in den Ställen bald lustig zuging.

Die jungen Herren und Fräulein vergnügten sich im Garten auf dem Rasen mit Ballspiel. Bald fanden sich auch drei Zigeuner ein, die auf wunderlich gestalteten Saiteninstrumenten eine wilde Musik machten, wie sie Heinz noch nie gehört hatte. Natalia forderte zum Tanz auf, und sogleich wirbelten die Paare im Kreise um. Es war nicht der gewohnte Reigen, zu dem man antrat, sondern ein Schleifer, der Ungarisch genannt wurde, und es folgte darauf eine polnische Mazurka. Heinz wollte sich nicht auf den Tanzplan wagen, weil er sich ungeschickt zu benehmen befürchtete; aber Natalia wollte nicht leiden, daß er müßig zur Seite stehe. So umfaßte er sie denn und drehte sich mit ihr auf dem Rasen nach dem Takte der rauschenden Musik um, bis ihm der Kopf schwindelte. Es glückte besser, als er erwartet hatte, und das Fräulein lobte wenigstens die Sicherheit seiner Führung. Er beteiligte sich nun lebhafter, kehrte aber immer wieder zu seiner ersten Tänzerin zurück, da keine ihm gleich gefällig über alle Fehler hinweghalf und ebenso leichtfüßig über den Boden hinschwebte.

Als es dunkelte, wurden Teertonnen angezündet und rund im Kreise lange Pechfackeln in den Boden gesteckt. Schwarzer Rauch lagerte sich über den Tanzplatz oder zog durch die Kronen der Bäume; wie in rotem Licht drehten sich die Paare, bald grell beleuchtet, bald wie Schatten aus der Dunstmasse auftauchend. Und immer lockender schwirrten die Saiten, klirrten die Schellen.

In der Halle war der Schenktisch aufgestellt. Man ging ab und zu, aß und trank. Die älteren Herren hatten sich an eine kleinere Tafel zusammengesetzt und füllten eifrig aus großen irdenen Kannen ihre Becher. In den Ringen an den Pfeilern staken brennende Holzspäne, von den Dienern beobachtet und oft erneut; der Rauch fand seinen Abzug durch die offenen Türen und Fenster. Die Frauen, wenn sie nicht draußen zuschauten, gingen zu zweien und dreien in der Halle auf und ab oder sammelten sich um Frau Cornelia, die in einer Ecke bunte Decken über die Holzbänke hatte breiten lasten zu weicherem Sitz. Zierlich gestaltetes Zuckerbrot, das in Thorn gebacken war, wurde war herumgereicht.

Es war schon spät geworden, als Heinz die Nachricht erhielt, daß sein Pferd angelangt sei. Er ging deshalb auf den Hof, es in Empfang zu nehmen. Bleibt nicht zu lange fort! rief ihm Natalia nach. Waistute hatte sich nicht durchs Hoftor hineingewagt und übergab draußen den Gaul mit seinem Gepäck. Alles sein in Ordnung, versicherte er, viel laufen nach Pferd – kluge Leute verstecken. Der Junker gab ihm den versprochenen Goldgulden, worauf der Bursche sich eiligst aus dem Staube machte. Nun tauchte auch hinter einer Hecke eine lange Gestalt auf und verschwand in derselben Richtung. Heinz glaubte den Waldmeister zu erkennen, aber er hörte auf seinen Zuruf nicht. Wahrscheinlich hatte der Alte sich selbst Überzeugung verschaffen wollen, daß er sein Eigentum zurückerhalte.

Eine Weile stand der Junker da, den Zügel des Pferdes in der Hand, und schaute in die Nacht hinaus. Aus der Ferne ließ sich der schwirrende Ton der Musik vernehmen. Wär's nicht das gescheiteste, jetzt aufsteigen und davonreiten? überlegte er. So lustig er beim Tanz gewesen war, jetzt, wenige Minuten nach seiner Entfernung aus dem Kreise der Fackeln, schon überkam ihn eine fast schwermütige Stimmung, als ob doch alle Lust der Welt eitel und eine schwere Versuchung zu fliehen sei. Er konnte den Gedanken an den Waldmeister und seine Geschichte nicht loswerden; so unheimlich seine Waldhütte war, er hätte am liebsten auch diese Nacht dort zugebracht. Es war ihm, als ob er ihm nachreiten müsse.

Schon setzte er den Fuß in den Bügel, da klopfte ihm eine Hand auf die Schulter. Er blickte rasch um und erkannte Hans, der ihm nachgegangen war. Warum rufst du nicht einen von den Stallknechten? fragte er. Komm, wir führen den Gaul auf den Hof und geben ihn dort ab. Ist dir's recht, eine halbe Stunde mit mir allein zu sein? Wir haben einander heute noch so wenig gehabt.

Aber man wird dich beim Tanz vermissen.

Eher dich, Heinz. Willst du gleich wieder auf den Rasen?

Nein, nein! Mir ist der Kopf wie berauscht – von der Musik, von dem Dunst der Fackeln, von dem fremden Wirbeltanz –

Ich glaub's, Heinz. Im Artushof zu Danzig ging's ehrbarer zu, der Tanz brachte keinen außer Atem. Den jungen Fräulein blitzten nicht so feurig die Augen, und sie warfen sich nicht ihren Tänzern an die Brust, sondern reichten ihnen nur beim Umkreise zierlich die Fingerspitzen. Ich sehe dich noch immer mit Maria Huxer den Reigen führen. Ja – hier triffst du schon halb und halb polnische Wirtschaft. Man gewöhnt sich nicht so leicht daran.

Er nahm ihm den Zügel aus der Hand und warf ihn einem Stallbuben zu, faßte ihn unter den Arm und zog ihn fort, dem alten Hause zu. Er sprach weiter von den Danziger Festtagen, als ob er recht absichtlich den Freund ableiten wollte, und dieser hörte mit immer größerem Behagen zu. Sein erhitztes Blut beruhigte sich mit jedem Schritte mehr. Ich habe ein Stübchen in dem alten Bau, sagte Hans, als sie sich dem Graben und der Brücke näherten, da bewahre ich meine Bücher und Skripturen auf. Willst du's sehen? Auch an einer Wachskerze fehlt mir's nicht.

Heinz willigte gern ein. Auf der Brücke vor dem Portal stand aber ein Mann von der fremden Dienerschaft mit einem Spieß, der wehrte ihnen den Eintritt. Der Ritter von der Buche sei mit mehreren seiner Gäste in dem Hause, und er hätte strengen Befehl, niemand durch das Tor zu lassen, wer es auch sei. Heinz sah den Freund verwundert an. Der aber führte ihn ohne Widerspruch zurück und schlug den Weg am Graben entlang nach dem Waldhügel hinter dem Hause ein. Sie umgingen dasselbe, indem sie allmählich anstiegen.

Laß dich's nicht wundern, begann Hans nach einer Weile wieder das Gespräch. Sieh dort nach dem Eckturm – das Fenster oben ist erleuchtet. Da liegt ein kleines, fest eingewölbtes Gemach, das vor hundert Jahren der Türmer bewohnt haben mag. Jetzt ist es stets verschlossen. Ich erinnere mich, als Knabe gern die steile Mauertreppe hinaufgestiegen zu sein bis zur Platte, von der sich der ganze Hof und der Hügel und die Landschaft dahinter überschauen ließ. Eines Abends waren hier viele Herren aus der Nachbarschaft zum Besuche gewesen, und am Tage darauf fand ich zu meinem großen Leid ein Schloß vor die Tür gelegt. Seitdem wird das stille Gemach nur selten geöffnet, immer wenn wieder gewisse Nachbarn hier zusammentreffen. Ich weiß jetzt, daß die Eidechsen dort ihre Heimlichkeiten haben. Sie sorgen durch eine Wache, daß man sie nicht störe, denn was sie beraten, soll niemand wissen. Nicht alle, die heute zu Gast sind, gehören zu den Eidechsen. Mit Absicht werden aber solche Festtage gewählt, damit im Schlosse zu Rheden der Komtur Nikolaus von Melin von der geheimen Zusammenkunft nichts erfährt. Einer nach dem andern entfernt sich still aus der Halle, man vermißt sie kaum oder gibt sich den Anschein, sie nicht zu vermissen. Nach der Beratung finden sie sich dort wieder ein.

Warum treiben sie's aber so versteckt? fragte Heinz.

Das weiß ich natürlich nicht, antwortete der Freund, denn ich bin nicht eingeweiht, und wenn ich's wäre, dürfte ich sicher nicht darüber sprechen. Aber seit dein würdiger Oheim, der Komtur von Schwetz, mich so eindringlich vor dem Bunde gewarnt hat, bin ich aufmerksamer geworden auf das Gespräch der Männer, die das Abzeichen tragen, und habe da manches gehört, das mir nicht sonderlich gefallen hat. Man ist unzufrieden mit der Ordensherrschaft, obschon die Beschwerden nicht groß sind. Da ist dem einen die Ordensmühle im Wege, dem andern der Krug beschwerlich, den die Herren zu ihrem Vorteil auf der Schloßfreiheit gebaut haben, dem dritten gefällt es nicht, daß er in den Seen nicht mit beliebigen Netzen fischen darf. Die Hauptsache ist aber, daß der Landadel hierzulande nicht so viel Macht über seine Leute hat als der drüben in Polen, und auch der Herrschaft in ihre Angelegenheiten nicht dreinreden darf, während dort der König in allen wichtigen Dingen Rat annehmen muß. Die Gutsherren und die Köllmer in den Dörfern des Kulmer Landes sind deutsche Einzöglinge, aber das Landvolk, das ihnen dient, ist meist polnisch, und der Orden hat sich mit gutem Grunde die Gerichte über alle Nichtdeutschen vorbehalten, damit sie nicht Bedrückte würden und auch gegen die Herren zu ihrem Recht kämen. Das gefällt aber den Herren nicht, und sie möchten's in ihrem Belieben haben wie ihre Vettern in Polen, denen der Bauer mit Leib und Gut zu eigen ist. Darum sind sie auch dem König im Herzen nicht gram wie die Ritter in den Schlössern, und wünschen ihm wohl gar heimlich den Sieg.

Aber sie werden sich doch nicht weigern dürfen, gegen ihn ins Feld zu ziehen?

Das wagen sie freilich nicht. Der Kulmer Bannerführer, Herr Nikolaus von Renys, den du in der Halle gesehen hast, hat schon das Aufgebot erlassen. Buchwalde hat nach der alten Verschreibung einen Ritterdienst zu leisten, und es gehören drei Pferde dazu. Mein Vater selbst wird in den schweren Waffen reiten, und es ist schon verabredet, daß ich ihn begleite als sein Knecht, denn er will, daß ich mir die Sporen verdiene. So werden auch die andern alle zur Stelle sein, daß keine Klage gegen sie laut wird. Aber wie sie die Waffen brauchen, ist doch damit noch nicht gesagt.

Wie, du wolltest sie beschuldigen – fuhr Heinz erschreckt auf.

Ich vertraue dir nur, was mich besorgt macht. Einen Tag erst bist du hier, und doch wird dir schon vieles Absonderliche in die Augen gefallen sein, was dir zu denken gibt. Ich bin darin aufgewachsen, und doch – nach diesen drei Jahren … du glaubst nicht, wie fremd ich mich in der Heimat fühle – wie fremd! Meine Stiefmutter –. Er stockte.

Sie muß einmal sehr schön gewesen sein, sagte Heinz, um doch etwas zu sagen.

Und wird ihren Landsleuten noch jetzt dafür gelten. Sie hat auch sonst treffliche Eigenschaften, ist großherzig und ohne Falschheit. Nie hat sie mich's fühlen lassen, daß ich nicht ihr rechtes Kind war, nie stand sie mir beim Vater im Wege, nie hat sie aus mir etwas anderes machen wollen, als nach meinen Anlagen aus mir werden mochte. Vielleicht wär's ihr lieb gewesen, wenn ich mich dem geistlichen Stande gewidmet hätte, aber dann sicher mehr aus einem anerzogenen Hange der Frömmigkeit, als aus der Berechnung, daß ihre Tochter den Grundbesitz erben könne. Es ist wahr, der Grund von alledem geht wenig in die Tiefe; sie lebt gern leicht fort und läßt den Dingen aus einer Art von Gleichgültigkeit ihren Lauf, die ich doch lieber Sorglosigkeit nennen möchte; denn sie kann auch recht leidenschaftlich wünschen und handeln, und wen sie haßt, der mag sich vorsehen. Eine Mutter ist sie mir doch nie gewesen, immer nur – die polnische Frau, deren Sprache ich erst lernen mußte. Die Polin ist sie auch geblieben. Sie hat nicht deutsche Sitte angenommen in dem deutschen Hause, sondern das deutsche Haus nach polnischer Weise eingerichtet und meinen Vater daran gewöhnt, sich wohl darin zu fühlen. So ist er nun vielleicht noch mehr als die anderen Bündischen geneigt, die eigene Herrschaft geringzuschätzen und sich nach der fremden zu sehnen. Das hat mir schon recht schwere Stunden gemacht.

Heinz drückte ihm die Hand. Bleibe du nur treu, so kommt in Zukunft doch wieder alles ins Rechte, antwortete er.

Sie gingen einige Schritte schweigend weiter. Es war nun eine Stelle auf dem Hügel erreicht, von der aus man in den Garten und auf den Tanzplatz blicken konnte; die Musik war hier deutlich zu hören. Was denkst du von meiner Schwester, Heinz? fragte Hans plötzlich.

Sie ist das reizendste Geschöpf, was der liebe Herrgott auf die Erde gesetzt hat, rief der Freund ohne Besinnen, aber freilich –

Aber freilich? Sprich nur aus.

Es ist schwer zu sagen. Sie zieht mich an und stößt mich auch wieder ab. Nein, das trifft's nicht, sie stößt mich nicht ab, aber ich habe in ihrer Nähe das Gefühl, als müßte ich absterben. Es ist lächerlich, aber wenn ich ganz wahr sein soll, muß ich bekennen, daß mich etwas wie Angst und Furcht in ihrer Nähe befällt, als wäre ich meiner nicht mehr sicher wie sonst, und müßte tun und leiden, was ihrer Laune gefällt. Nur daß mir sehr wohl dabei ist! Sie hat so merkwürdige, zwingende Augen –

Die sind von der Mutter, fiel Hans ein, und das heitere, helle Lachen hat sie wieder vom Vater. Es treiben sich zwei Geister in ihr um, und meist tauchen sie immer neckisch auf und ab, so daß bald der eine, bald der andere in raschem Wechsel sein Gesicht zeigt. Du sprichst mit ihr ganz ernst, und im nächsten Augenblick fliegen ihre Gedanken davon wie eine Schar Spatzen. Du hörst sie über ein Nichts ausgelassen lachen, und gleich darauf fragt sie dich etwas, das kein Professor beantworten kann. Stundenlang sitzt sie auf einem Stühlchen zu den Füßen ihrer Mutter und läßt sich geduldig das Haar kämmen, was Frau Cornelia angenehm beschäftigt, und dann wieder ist ihr das schnellste Pferd nicht schnell genug; sie spielt zärtlich mit dem kleinen Reh und befreit mitleidig eine Fliege aus dem Spinnennetz, ihre Dienerinnen haben aber fast täglich rot geweinte Augen. So ist sie wie ein rechter Kobold, den man stets fangen möchte und nie halten kann. Ich bin in das närrische Zwitterding von Polnisch und Deutsch so verliebt, als es nur ein Bruder sein kann; aber manchmal habe ich mir schon im stillen Glück gewünscht, daß ich der Bruder bin. Ihr Mann … Wie denkst du dir ihren Mann? Ich fürchte, wie sie einmal ist, wird sie einen Deutschen nicht glücklich machen und mit einem Polen nicht glücklich werden. Man zerbricht sich über so etwas den Kopf, wenn das Herz beteiligt ist.

Heinz mochte wohl diese Frage zu schwierig finden. Er gab darauf nicht Antwort, dachte vielleicht auch gar nicht darüber nach. Er wies aber mit der Hand nach dem Tanzplatz und sagte: Brechen die Tänzer nicht auf?

Hans meinte, sie würden in die Halle ziehen und dort ihr Vergnügen fortsetzen. So früh trenne man sich hier nicht.

Sie stiegen hinab, dem Rasenplatz zu, der sich allmählich leerte.

Ich muß noch einmal mit ihr tanzen, sagte Heinz; dann weise mir die Lagerstelle an, ich will morgen früh aufbrechen.

Die Musikanten spielten schon in der Halle. Wo bleibt ihr denn? rief Natalia den Freunden zu. Ist der Junker von Waldstein schon so bald müde?

Er umfaßte sie und drehte sie so rasch im Kreise um, daß sie nach einer Weile selbst rufen mußte: Es ist genug!

Es ist genug, wiederholte er. Lebt wohl, Fräulein, morgen schlaft Ihr noch, wenn ich schon auf der Landstraße reite!

Sie lachte dazu.

Hans brachte den Freund nach dem alten Hause, das jetzt nicht mehr gesperrt war. Er selbst ging ebenfalls nicht mehr nach der Halle, sondern legte sich mit ihm zur Ruhe, nachdem er ihm noch ein seltenes Buch mit schönen gemalten Buchstaben gezeigt hatte.

Oft mußte der Gast sich von der einen Seite auf die andere werfen, ehe er einschlafen konnte. Die Töne der Zigeunermusik schwirrten in seine Träume hinein.

Aber nicht viel später, als er sich's vorgenommen hatte, war er am nächsten Morgen auf und zu Pferde. Hans gab ihm den Abschied bis aus dem Hoftor hinaus und entließ ihn mit einem herzlichen Händedruck.

Als er in allerhand Gedanken vertieft an der Heide vorüberkam, hörte er von den hohen Steinen her ein helles Lachen. Er schaute um und sah den Kobold zu Pferde. Guten Morgen, Junker! rief ihn die bekannte neckische Stimme an.

Heinz wollte seinen Augen nicht trauen. Seid Ihr schon so früh auf, Fräulein? fragte er verwundert.

Euch das Geleite zu geben. Aber in Wahrheit: Ich bin lieber gar nicht zu Bett gegangen, um nicht zu verschlafen. Ich hatte mir's nun einmal vorgenommen, Euch zu überraschen. Reitet nur im Trabe weiter, wenn Ihr wenig Zeit habt, ich folge bis zum Kreuzwege. Rechts geht's nach Lessen und Christburg.

Sie trabte neben ihm hin. Plötzlich lenkte sie ihren Braunen mit einem scharfen Ruck dicht an seinen Gaul heran, schlug ihn mit der Hand auf die Schulter und rief: Angeschlagen! Ihr habt den letzten – gebt ihn mir bald wieder!

Damit jagte sie in Windeseile davon.


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