Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Steig' nicht ins Dampfschiff, Freund, hier in Luzern!
Zur Sommerszeit nicht, wenn von nah und fern,
Was Geld hat, nach den Alpen kommt gekrabbelt
Und schiebt und quackt und schwirrt und hetzt und zappelt,
Freudlos geschäftig in der Reisefrohn,
Lord, Lady, Schulze, Müller, Levy, Cohn,
Madame und Monsieur in gediegenem Alter,
Kommerzienrat und Kameralverwalter,
Kravattenprächtig dort der Handlungsdiener
Und alles besser wissend der Berliner!
Mir graust, wenn diese schleimig fetten Schnecken
Allüberall an dem Gebirge lecken.
Und fliehst du zu der Jungfrau höchstem Gipfel,
Weht dir entgegen noch ein Schleierzipfel
Der Fexerei, der blöden Reisewut.
Zurück nach Zürich! Dort ist's noch still und gut –
Zwar nicht am Quai, wo die zwei großen Katzen
Von Gyps getront, von allen Reisefratzen
Begafft, grad wie der Löwe von Luzern
Und wie der altberühmte Mutz in Bern.
Doch weiß ich dort manch quelldurchrauschte Schlucht
Im stillen Bergwald, manche heimische Bucht
Am blauen See, die Bädeker nicht kennt,
Manch Wirtshaus auch, das dir kein Murray nennt,
In kühler Zunfthausstube manchen Wein –
Kehr um, komm mit, du sollst zufrieden sein!
»Nur sachte!« sprach der Freund und schob gemächlich
Den alten Filz von einem Ohr aufs andre.
»Das Reiseziefer ist mir nebensächlich,
Wenn ich auf meine Art die Welt durchwandre;
Mit dem Kulturvolk hab' ich abgeschlossen,
Das macht mir weder Ärger mehr noch Spaß!
Du siehst's noch immer zwischen Lieb' und Haß,
Heut hoffnungsfreudig, morgen schwer verdrossen,
Und weißt noch nicht, daß übermorgen schon
Der Teufel alles holt, mein lieber Sohn!
Vor eurem Zürich die höchste Achtung zwar!
Ich probte eure Weine voriges Jahr,
Die Schmiedstub' kenn' ich und ihr alt Getäfer,
Wie seine Rinde kennt der Borkenkäfer.
Doch heuer – nein, mein Freund, komm' du mit mir
Trotz Lord und Cohn und Mosje! Solch Getier
Ist uns zu oft schon übern Weg gekrochen.
Das läßt den Urirotstock ungebrochen
Und krümmt des Bristen straffe Linie nicht
Und raubt dem Urnersee kein Fünkchen Licht!
Den Rigi freilich lassen wir beiseit':
Dort macht sich das Geziefer gar zu breit!
Der ganze Berg zeigt wie ein alter Käs sich,
Wurmwegdurchzogen, flüssig, milbenfräßig.
Den Gotthard aber lieb' ich doppelt nur,
Seit unten durch das Loch saust die Kultur,
Und nicht Berlin noch Juda schafft mir Weh
Im Morgengrauen am Lucendrosee.«
In Gottes Namen! – Und wir steigen ein,
Nicht ohne Knurren ich. Im Frühlichtschein
Dampft noch der See; verheißend hängt die Wolke
Um des Pilatus felsenzackige Stirn;
Zur Rechten da und dort erglänzt ein Firn –
Das Schiffsdeck wimmelt von verschlafenem Volke,
Von Koffern, drauf in schreiend bunten Zetteln
Wirtshäuser aller Welt um Zuspruch betteln,
Von Schirmen, Mänteln, Augengläsern, Tüchern,
Seltsam geformten Mützen, Reisebüchern;
Die Brille, der blitzblanke Alpenstock,
Sie passen zum gebauschten Damenrock,
Und neben einem Jüngling, blond und fad',
Lehnt hier an Bord ein hohes Strampelrad.
Hol' euch –! »Geduld! Nur hier nicht Menschen suchen!
Es giebt noch andre Gründe, um zu fluchen.«
Nun ja denn! Doch warum den ersten Platz?
»Es ist bequemer hier, mein lieber Schatz!
Zu strengem Fußmarsch bin ich stets bereit –
Im Fahren lieb' ich mir Bequemlichkeit.
Du schämst dich doch wohl nicht an meinem Hut?
Alt ist er schon, doch mir getreu und gut,
Auch ward er dieses Frühjahr neu gewaschen.
So setz' dich doch! – Ah, die zwei Reisetaschen?
Die schieben wir beiseit' mit Seelenruh.
Die dicke Dame dort schaut grimmig zu?
Macht nichts! Mit rücksichtslosen Reiseflegeln
Verkehr' ich stets nach ihren eignen Regeln.
So, Freund! und jetzt den Blick ins Lichte, Weite!
Das Schiff geht ab.«
– Mir aber saß zur Seite
Ein feiner Herr im hellen Überrock,
Mit schwerem goldnem Knopf am festen Stock,
Mit wohlgepflegtem grauem Backenbart,
Die Augen klug und klein, die Züge hart,
Jedoch ein freundlich Lächeln um den Mund;
kurzbeinig neben ihm und kugelrund,
Viel Gold am Finger und am Augenglase,
Ein Männlein mit geschwungener Börsennase.
Sie sprachen laut, sie ließen sich nicht stören;
Ich aber mußte diese Weisheit hören:
»Das Höchste ist der Fortschritt der Kultur,
Und auf dem Kapital beruht er nur. –
Was ist die Neuzeit ohne Industrie?
Nehmt sie hinweg, so ist der Mensch ein Vieh. –
Die Eisenindustrie zu allermeist
Ist dieser Zeit wahrhaftiger heiliger Geist. –
Der Mensch ist nicht mehr Staub und Erdenwurm:
Des zum Beweise steht der Eiffelturm. –
Nur eines dürfen wir uns nicht verhehlen:
Bedenklich wird es, wenn die Kohlen fehlen. –
Auch ist es noch zur Zeit ein Übelstand,
Daß man die Kohle gräbt mit Menschenhand. –
Wo Hände sind, ist immer auch ein Magen,
Und wo ein Magen ist, giebt's öfters Klagen. –
Arbeiterklagen find' ich immer störend,
Und Forderungen gar sind mir empörend. –
Nun ja, die Leute wollen freilich essen,
Nur sollen den Respekt sie nicht vergessen! –
Im Grunde sind die besten unter ihnen
Nichts andres als lebendige Maschinen – –«
Maschinen, Herr? – fahr' ich den Grauen an.
»So sagt' ich, Bester. Stört Sie das etwan?«
Maschinen, Herr? Bei Gott, die Neunzigtausend,
Die an den Kohlengruben feiernd stehen,
Dem Hunger trotzig in das Auge sehen,
Sind das Maschinen, welche spindelsausend
Sich wie ein schwirrend Baumwollzwirnrad drehen?
»Was sonst? Maschinen sind im Grund wir alle!«
Wer das behauptet, ist's in jedem Falle!
»Die Wissenschaft beweist's!« – Die Wissenschaft?
»Ja wohl, mein Herr! Sofern aus Stoff und Kraft,
Aus Kraft und Stoff – –« »Versteht sich: Kraft und Stoff!«
Echo't der Dicke mit den Zappelbeinen;
Und von des Grauen glatter Lippe troff
Mir eiligst der Beweis, daß ich noch keinen
Versprengten Funken Wissenschaft geschaut,
Indes er trefflich jenen Kohl verdaut,
Den er dereinst am Wege aufgelesen,
Als »Kraft und Stoff« das Modewort gewesen.
Vom »Kampf ums Dasein« sprach der Mann sogar,
Von »Zuchtwahl« und »Vererbung« – Alles klar!
»Und somit,« schloß er mit vergnügten Mienen,
»Da seh'n Sie, Herr, wir Alle sind Maschinen!«
– Und wie Maschinen mögt ihr weiter surren,
So lang noch eurer Weisheit Schmieröl träuft,
Ein hirnlos Tagewerk herunterschnurren,
So lang der glatt endlose Riemen läuft!
Nur zu, nur zu! Macht alles zur Maschine,
Die ganze vielgepries'ne Weltkultur!
Die Wissenschaft sei Motor, Kunst: Turbine,
Der Genius: ein Zahn im Kammrad nur,
Der Menschenseele Sehnsucht: Schraubenwindung,
Gewissen: flottes Sicherheitsventil –
Und alles Gegenstand fürs Börsenspiel
Und patentiert als neueste Erfindung!
Nur zu, nur zu! Und heizt die Kessel tüchtig!
Es hält ja immer noch ein gutes Weilchen –
Ein scharfes Ohr zuweilen hört ein flüchtig,
Verdächtig Ächzen der Maschinenteilchen
Wie Menschenstöhnen oder Bestienknurren –
Nur zu, nur zu! Laßt's ruhig weiterschnurren!
Ein Angstnarr ist, wer von Gefahren schwatzt;
Ihr werdet ihm das Gegenteil beweisen,
Bis sich ein Schräubchen löst, ein Kessel platzt,
Dann – nun dann giebt es wieder altes Eisen!
Ihr Diener, meine Herrn!
– Ich sprang im Zorne
Vom Sitz empor und lief im Schiff nach vorne
Zum zweiten Platz. Mir folgt der Freund bedächtig
Und lächelnd klopft er mir die Schulter: »Prächtig!
Die Kerle sprachen wie ein Buch! Und du
Nicht minder! – Aber still! Hier höre zu!«
Den Pfaffen da? – Ein hübscher, eleganter,
Fast weltlich angethaner, wortgewandter,
Gab einem ländlich derben, der erbost
Und grämlich in die Welt sah, diesen Trost:
»Herr Bruder, nicht verzagt! Der Weizen steht
In schönster Blüte auf dem Kirchenacker.
Das Unkraut, das der Böse drein gesät,
Gedeiht indes fürs ewige Feuer wacker.
Was wir verflucht, das ist und bleibt verflucht,
Und jetzt schon greift's ein Blinder mit den Händen,
Wie sich die Völker wieder zu uns wenden,
Nachdem sie ohne uns ihr Heil versucht.
Recht gottlos lieb ich mir die Weltkultur,
Das füllt der heiligen Kirche Schafstall nur;
An halber Wissenschaft verdorb'ne Mägen,
Die sind für uns ein wahrer Gottessegen.
Aufklärung ist vom Teufel, doch nicht ganz:
Sehr dienlich ist uns ihre Toleranz!
Auch Freiheit nützt: die Völker werden schwierig,
Dann greift nach unsrer Hand die Staatsmacht gierig.
Des Mammons Häufung zwar ist überhaupt
Vom Übel und der Kirche nur erlaubt;
Doch wenn die Massen irgendwo verarmen,
Dann sind sie reif für christliches Erbarmen.
Für Not und Armut, Krankheit, Sünd' und Laster
Bei uns nur giebt es Arzenei und Pflaster –
Im Stillen glauben's alle, Hoch und Nieder!
Seh's, wie es will, uns braucht man immer wieder.
Der Kirche Fels steht fest in Ewigkeit,
An ihm zerschellt das Narrenschiff der Zeit!«
Da haben wir's! – »Still,« spricht der Freund, »nur hören!
Willst du dich wieder ohne Not empören?
Das Meer zerwäscht wohl auch ein Felsenriff,
Und mancher segelt selbst im Narrenschiff,
Der's niemals glaubt! Stör' diese Heiligen nicht;
Dort höre zu, was jener Biedre spricht
Im Arbeitskittel mit der klugen Brille!
Sechs andre horchen in andächtiger Stille
Auf ein erlösend Evangelium.«
Ich sah mich nach dem jungen Heiland um –
Er sprach ganz laut und ließ sich gar nicht stören.
Ich aber konnte diese Weisheit hören:
»Wähnt ihr vielleicht, wir kämpfen nur ums Brot
Und unser Banner sei die Lebensnot?
Die Not war nur der Weckuhr Rasselschlag,
Als noch die Arbeitswelt im Schlafe lag.
Jetzt sind wir wach und sorgen nicht bescheiden
Um Essen, Trinken, Wohnen und Sichkleiden,
Ein bißchen Schulsack, alten Weisheitsrost,
Gewissensruhe oder Herzenstrost,
Arzt, Apotheke, sorgenfreies Alter –
Wer leiert noch an diesem blöden Psalter!
Das dient als Köder für die Einfalt noch;
Wir aber brechen jetzt der Menschheit Joch,
Als Welterlöser von ureigener Sendung
Sind wir der Freiheit Anfang und Vollendung,
Und unser glührot Banner ist der Haß!
Der Liebe dünnes Fähnlein ist zu blaß;
Wir wollen nichts mehr von Versöhnung hören,
Wir wollen hassen, hassen und zerstören!
– Wähnt ihr, wir wollen anders nur erwerben
Als unsre Väter, anders sammeln, erben,
Ein neu Gesetz der Arbeit nur uns schaffen,
Im Lebenskampf uns schleifen bessre Waffen?
Schulmeister, wer an diesem Knochen nagt
Und sich in lahmer Mühsal weiterplagt!
Kennt ihr noch nicht der Menschheit schlimmsten Fluch?
Verzeichnet steht er noch in keinem Buch,
In unsrer Brust nur frißt er wie ein Geier,
Wer ihn nicht spürt, wird nimmermehr ein Freier!
Und dieser Fluch heißt: Grenze, Unterschied!
Gleich ist an unsrem Körper jedes Glied:
Brauch' ich das Auge, in die Welt zu schauen,
So brauch' ich meinen Magen, zu verdauen;
Brauch' ich das Hirn, Gedanken auszuschwitzen,
So brauch' ich meinen Werten, um zu sitzen.
Eins ist so not wie's andre – Stoff und Kraft
Ist alles, also lehrt die Wissenschaft!
Und Grenzen giebt es nicht in der Natur;
Entwicklung, Übergang ist alles nur!
So lehrt die Wissenschaft – potz Sakrament,
Ein dummer Tropf, wer das nicht weiß und kennt!
Ein Hund, wer sich zu unterscheiden wagt
Von dir, von mir, wer über andre ragt
Um eines Haares Breite! – Könnt ihr's fassen,
Warum wir hassen, was wir hassen, hassen?
Wir hassen alles, was nach oben geht,
Was überm allgemeinen Durchschnitt steht!
Und also lautet das Erlösungslied:
O Menschheit, schaff ihn ab, den Unterschied!
Dein Freiheitsideal ist dann erreicht,
Wenn einer wie ein Floh dem andern gleicht.
Dann schlingt um alle sich ein Bruderband,
Dann zieht sich grenzenlos von Land zu Land,
Dem Urschlamm auf dem Meeresboden gleich
Das große soziale Zukunftreich!
– Wie, lacht dort einer? Da ist nichts zu lachen!
Ihr Freunde, das sind bitterernste Sachen!
Mit unserm Ideal ist nicht zu spaßen:
Wir stehen da als breite, drohende Massen.
Schnell reift die Zeit, sie reift für die Gewalt,
Und das erklär' ich rund und kurz und kalt:
Uns täuscht nicht sogenannter Freundschaft List,
Und wider uns ist, wer nicht mit uns ist!
Geht's einmal los, so wird nicht lang gefackelt,
Und jeder Kopf, der uns zu hoch ist, wackelt.«
Er sprach's, und hinter seiner Brille zuckte
Ein Strahl von Wahnsinn. Doch nicht einer muckte
Von seinen Hörern; wie ein brandig Glimmen
Ging's über ihre stumpfen Züge hin;
Sie nickten grinsend, stierten blöd auf ihn
Und raunten weiter mit gedämpften Stimmen.
Mir aber sprach der Freund vergnügt ins Ohr:
»Das hat doch Schlag! So stellt's doch etwas vor!
Da steht das Stroh der Theorie im Saft,
Die wissen, wie man Paradiese schafft!
Zwar ist's dieselbe Weisheit Satz für Satz
Wie bei dem Grauen auf dem ersten Platz,
Nur wird sie auf dem zweiten Platz gepredigt,
Wo man der engen Handschuh sich entledigt.
Das ist die radikale Pferdekur
Für Gicht und Hühneraugen der Kultur!«
Ich sah ihn traurig an, er aber lachte:
»Nimm's nicht zu tragisch, Freund! Heut fährt's noch sachte,
Und bricht das Donnerwetter morgen los,
So reinigt's die vermufften Lüfte bloß;
Was stehen kann, bleibt stehn –« Weißt du's gewiß?
Schon manches, was ein Sturm zu Boden riß,
War saftig Holz, grün Laub und goldne Frucht – –
»Hast du die Äpfel gründlich untersucht?
Wurmäßig sind sie oft mit roten Backen:
Steh' du nur fest und laß die Äste knacken!
– Halt, was giebt's noch?«
Beim Zukunftheiland stand
Ein Herrlein, das Notizbuch in der Hand,
Der Schule zweifellos entlaufen kaum,
Auf üppiger Lippe leichten Schnurrbarts Flaum,
Die Augen matt, doch frech und ausgeschämt,
Den Mund mit selbstbewußtem Spott verbrämt,
Das Röckchen elegant, die Wäsche schmutzig,
Die Haltung schlampig, doch das Hütchen trutzig;
Und sein Notizbuch schwang der junge Held
Als wie ein Siegspanier im Schlachtenfeld.
Der Gleichheitprediger aber fauchte grimmig
Und seine Jünger murrten bärenstimmig.
»Lump, Spitzel, Schnüffelnase, Hetzspion!«
So klang's im überzeugten Märtrerton;
»Ins Wasser mit dem Kerl! Ersäuft das Vieh!«
Rasch tritt mein Freund hinzu: »Erlauben Sie!
Der Jüngling scheint politisch ungefährlich,
Ein Spitzel, werte Herren, ist er schwerlich;
Vielmehr –« »Was denn?« so heischt der grimme Chor.
Da richtet sich der Jüngling stolz empor
Und mit entschiedner Handbewegung spricht er:
»Was denn? Vernimm es, Volk: ich bin der Dichter!«
Die Wilden lachen, lassen ab vom Streite,
Schnell zieht der Freund den Herrlichen beiseite,
»Gerettet!« spricht er mit pathetischem Ton
Und flüstert mir ins Ohr: »Nicht lachen, Sohn!«
Der Jüngling aber wirst sich in die Brust:
»Der Dichter, ja, der von dem tollen Wust
Der Phantasie die Poesie entkettet
Und sie aufs Feld der Wirklichkeit gerettet.
Dies nämlich so: – Ich bitte, nur zu hören
Und mich durch Fragen keiner Art zu stören!
Um zu verstehn die neue Poesie,
Bedarfs der Kenntnis ihrer Theorie;
Sie ist des Dichters Weihe, seine Kraft
Und alle echte Kunst ist: Wissenschaft.
Im Anfang war die richtige Theorie.
Die Theorie bin ich. Nun hören Sie!
Die Phantasie hat lang genug getaumelt
Und mit den Füßen in der Luft gebaumelt;
Dem Unfug hab' ich nun ein End' gemacht
Und alle Phantasie hinausgebracht,
Auch jeden Funken von Begeisterung.
Die einzige Muse heißt Beobachtung.
Der wahre Dichterrausch ist Nüchternheit
Und im Notizbuch weht der Geist der Zeit.
Aufgabe ist: das Leben, das da ist,
Die Laus im Pelz, den Gährungspilz im Mist
Genau und mikroskopisch abzuschildern
Und keinen Schmutz und keinen Stank zu mildern.
Die Wahrheit ist des Dichters höchster Zweck:
Wahrheit liegt nicht im Wein, sie liegt im Dreck.
Ein Schmutzfink ist ja selber die Natur;
So schreit' ich keck auf ihrer heiligen Spur,
Ganz nackt wie sie, unschuldigschamloskeusch,
Nur weniger einfach und mit mehr Geräusch;
Ich schreie, lärme, brülle, schimpfe, tobe
Und nähre mich von saftigem Eigenlobe
Und stoße, was noch hängt am alten Brauch,
Mit meinem Ellenbogen vor den Bauch.
Das zahme Alter hat nicht Saft noch Kraft;
Ich bin noch jung und folglich jungenhaft.
Des Dichters Hauptorgan ist seine Lunge,
Der Menschheit Blüte ist der Großstadtjunge.
Denn in der Großstadt ganz allein gedeiht
Der Geist, die Kraft, die Poesie der Zeit.
Dort lernt der Junge die Natur verstehn
Und ohne Phantasie das Leben sehn,
Dort thut er ab das Sehnen und das Schmachten;
Dort lernt das Weib er kennen und verachten;
Dort weht um ihn in kohlendunstiger Luft
Des sozialen Elends feinster Duft;
Dort wässert zeitig ihm nach dem das Maul,
Was wurmig ist und überreif und faul,
Und als ästhetisches Grundprinzip der Zeit
Erkennt er bald: brutale Häßlichkeit.
Dort wächst der Dichter. Dort bin ich gewachsen
Und ließ dahinten alle Schönheitsfaxen.
Was dort ich sah, beschreib' ich treu und drastisch,
Erbarmungslos langweilig – auch bombastisch,
Denn seit die Phantasie geräumt, den Platz,
Ist mir der Schwulst höchst schätzbar als Ersatz.
Bon selbst versteht sich, daß ich Prosa schreibe
Und niemals Versezüchterei betreibe:
Der Mann der neuen Dichtung ist der Mann,
Der keine Verse macht, weil er's nicht kann.
Und mein Erfolg: nie sah ich Augen leuchten
Ob meiner Dichtung, nie ein Aug' sich feuchten;
Mein Leser glotzt, wie man ins Leben glotzt,
Das nun einmal von Ekelhaftem strotzt –
Das ist genug. Was macht's, wenn einer höhnt,
Der sich des alten Quarks noch nicht entwöhnt?
Was frag' ich nach dem Phantasiegelichter?
Ich bin es doch, ich erst, ich bin der Dichter!
Was frag' ich nach der Rührung Thränenbächen?
Mein hoher Ruhm ist: wahr bis zum Erbrechen.«
Das Schiff bog in den See von Uri ein,
Herüber glänzte dort der Mythenstein,
Drauf Schillers goldner Name leuchtend steht.
Verächtlich grinste unser Erzpoet
Und hub schon an, umständlich zu beweisen,
Daß Schiller gar kein Dichter dürfe heißen.
Da in den Lüften plötzlich welch Gestöhn!
Und von den Bergen welch ein dumpf Gedröhn!
Graugrün der See – halloh, das ist der Föhn!
Der pfeift vom Gotthard her sein Schelmenlied,
Daß jäh zum Tanz des Seees Wellen springen;
Das Schiff tanzt mit – das giebt ein gröblich Schwingen!
Und auf dem Schiff tanzt ohne Unterschied,
Was nicht mit Niet und Nagel festgemacht;
Das fegt die faule Alpenbummlerpracht,
Fegt Pfaff um Pfaff zerknittert unter Deck,
Der Welterlöser schlottert bleich vor Schreck,
Und elend hingequetscht am Schiffsbord steht
Wahrhaftig am Erbrechen der Poet.
Die Sonne aber strahlt am Himmel weiter
Und alle Firne stehen blank und heiter;
Vom Mythensteine, wellenschaumbespritzt,
Noch immer Schillers goldner Name blitzt,
Und durch den Wald am Rütli jauchzt der Föhn.
Mein edler Freund spricht ruhig: »So ist's schön!«
Dann schwingt er johlend seinen alten Hut –
Ein Windstoß, und den Filz verschlingt die Flut.