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Neuntes Kapitel.
Zwei Schreibweibchen.

Der Einband von Paulus Wikrams neuen Gedichten war doch wohl nicht ganz so schlecht, wie ihn der Buchbindermeister Schönfisch gescholten hatte. Das Buch hatte die verschiedenen Fährlichkeiten, in denen es gewesen war, ausgehalten, ohne sichtbaren Schaden zu nehmen. Der Schutzumschlag und das feste Pappdeckelfutteral hatten ihre treuen Dienste gethan, und um das Innere des Buches hatte sich ja niemand eingehender gekümmert als der sorgfältig und schonungsvoll verfahrende Telegraphist Böhringer. So stand das Buch wohlbehalten wieder auf seinem Platz im Buchladen und harrte weiterer Geschicke. Es war nicht mehr lange bis Weihnachten, und wenn das Buch jetzt nicht bald gekauft wurde, so konnte es im Frühjahr in großer Gesellschaft den Krebsgang antreten, in die Verlagsbuchhandlung zurück.

In der Holderschen Buchhandlung ging's jetzt so lebhaft zu, wie es in den letzten Wochen vor Weihnachten zu gehen pflegt. Bilderbücher, Jugendschriften, Moderomane fanden fröhlichen Absatz; Klassiker wurden nicht ganz selten gekauft, namentlich in illustrierten schön gebundenen Ausgaben, in denen man nicht zu lesen verpflichtet ist; Prachtwerke und Übersetzungen aus fremden Litteraturen hatten auch nicht zu klagen; von neueren deutschen Poeten fanden die längst erbangesessenen noch den gewohnten Zuspruch, wenn auch eine leise Minderung ihres Ansehens zu bemerken war – selbst Heinrich Heine mußte bereits zur Illustration seine Zuflucht nehmen, um seinen Heiligenschein zu wahren; die Werke der Glaubensgenossen von Max Leu und Sam Wetherell, sowie diejenigen ihrer ausländischen Vorbilder, obschon in Leihbibliotheken eifrigst begehrt, galten doch noch nicht für passend aus den Weihnachtstisch; ganz wenige gute Dichter aus neuer Zeit begannen nach unsäglichen Geduld- und Leidensproben schwachen Fuß auf dem Weihnachtsmarkte zu fassen, andere wie Paulus Wikram waren offenbar immer noch zu zarten Alters, um sich in diesem Gedränge geltend machen zu können.

Swemelin und seine Hilfsgeister hatten alle Hände zu regen, um der Kundsame gerecht zu werden; auch Werbelin huschte häufig gnomenartig durch das Gedränge der Käufer und Karl August Holder selbst griff zuweilen eigenhändig drein, um eleganteren Kunden zu rascher Erfüllung ihrer Wünsche zu verhelfen. Eines Nachmittags – es ging gerade etwas ruhiger zu – betrat Fräulein Emma Kluge den Buchladen in Gesellschaft einer jungen anmutigen Frau, deren Anzug mehr auf Geschmack als auf große Wohlhabenheit zu deuten schien. Diese wurde von Swemelin als Frau Haldenwang begrüßt und begehrte einige Bilderbücher und Jugendschriften zur Auswahl mit nach Hause zu nehmen. Swemelin bediente die Damen mit dem Aufwand all seiner Liebenswürdigkeit, wobei er aber sichtlich bestrebt war, den Hauptanteil derselben Fräulein Kluge zukommen zu lassen, obwohl diese durchaus keine Wünsche hatte sondern nur Frau Haldenwang als ihre Freundin begleitete. Das Fräulein sah aber auch so frisch und jugendlich aus in Pelzkäppchen und Schleier, mit dem von der Winterkälte leicht geröteten Gesicht, daß es Swemelin nicht zu verdenken war, wenn er sich rasch die Frage überlegte, ob er nicht seine flüchtige Bekanntschaft mit Frau Haldenwang ausnützen solle, um der Erfüllung seiner Wünsche einen Schritt näher zu kommen. Als diese nun gar im Vorbeigehen fragte, warum er sich so lange nicht mehr bei ihr habe sehen lassen, versicherte er eifrig, daß er sich in Bälde wieder das Vergnügen eines Besuches machen werde.

Während die Bücher für Frau Haldenwang zusammengepackt wurden, warf sie einen Blick auf das Büchergestell, wo die neuere Lyrik dem Weihnachtsgeschäft unbeteiligt zuschaute, und fragte, ob sie sich nicht auch hier etwas zur Ansicht mitnehmen dürfe Swemelin beeilte sich, die lästige Phaläna wieder einmal um ein Haus weiter zu schicken, und so zog diese abermals in Gesellschaft von Kinderschriften auf Abenteuer aus.

»Du begleitest mich noch nach Hause zum Kaffee,« sagte Frau Haldenwang auf der Straße zu Emma Kluge, und diese, welche von Frau von Nowikoff nicht streng an Zeit und Stunde gebunden wurde, folgte der Aufforderung.

»Ja, das ist freilich gut merken, daß der Herr dir den Hof macht,« bemerkte im Weitergehen Frau Haldenwang mit behaglichem Lächeln, »und wenn du selber Lust hast, deine Dienstbarkeit bei deiner russisch-schwäbischen Landsmännin mit dem Joch der Ehe zu vertauschen, so wüßt' ich eigentlich nicht viel dagegen einzuwenden, daß du – –«

Emma Kluge nahm ihrer Freundin das Bücherpaket ab, schob ihren Arm in den ihren und sprach mit gedämpfter Stimme, während ihr Gesicht sich noch um einen Ton höher rötete: »Die Dienstbarkeit könnte ich jetzt gewohnt sein und das Leben, das ich bei Frau von Nowikoff führe, ist zwar etwas langweilig, aber doch so bequem, als es unsereins verlangen kann, das eben einmal aufs Dienen angewiesen ist. Und ich habe mir's zuweilen schon ganz hübsch ausgedacht, so allmählich zum alten Jüngferchen einzuschnurren und dabei mit der Zeit ein Sümmchen zurückzulegen, von dem man in seinen alten Tagen bescheiden leben könnte. Ich weiß eigentlich nicht, was an dem Altjungferntum so schreckliches sein soll; aber –«

Sie stockte und Frau Haldenwang setzte ein: »Aber du denkst dir eben den Beruf einer Hausfrau und Mutter doch noch schöner als die Altjungfernfreiheit, und damit hast du ganz recht. Wenn dir dies eine junge Witwe bezeugt, welche drei Kinder und eine alte Mutter mit Sorge und Mühe zu ernähren hat, so darfst du's schon glauben. Ein ander Ding ist's freilich, als junge Mädchen zu träumen pflegen; und gar, wer ein frühes Grab zu schmücken hat, wie ich, kann des Mitleids wert erscheinen neben einem sorgenlosen alten Mädchen. Aber noch keine Stunde hab' ich bereut, daß ich jung gefreit habe. Das darfst du mir glauben!«

»Ich glaub's auch,« erwiderte Emma Kluge langsam. »Aber – ja, wenn ich zwanzig Jahre alt wäre, wie du warst, als du vor den Altar tratest, und wenn ich einen Mann liebte, wie du den deinen – aber –«

»Ja so, jetzt verstehe ich dein Aber!« versetzte die junge Witwe. »Wenn's so steht, ist's freilich etwas anderes.«

»Nein, du verstehst mich noch nicht,« sagte Emma eifrig. »Komm', wir machen noch den Umweg über die Promenade. Die Sonne scheint noch so schön und es ist gar nicht so grimmig kalt.«

Es war grimmig kalt und der Spaziergänger auf der Promenade waren nur wenige. Aber das Mädchen, das dem Ende ihrer Jugend entgegen ging und nicht viel vom Reiz des Lebens gesehen hatte, achtete der Kälte nicht in der Erregung einer Seele, die über ihr Schicksal entscheiden sollte, ohne ihrer selbst gewiß zu sein. Was konnte sie dafür, daß das, was ihr ernste Seelenqual zu sein schien, andre zum Lachen reizte?

Nachdem Fräulein Emma Kluge eine Weile geredet hatte, unterbrach sie Frau Haldenwang: »Aber jetzt, um Gotteswillen, Emma, hör' auf! Mir wird's komisch, ich kann mir nicht helfen. So, so steht's bei dir? Dann rat ich dir: eile, daß du unter die Haube kommst! Riskiere ja nicht, zum alten Jüngferchen einzuhutzeln: diese Dame möchte mehr Schrullen haben, als man verzeihen kann! – Sei nicht beleidigt, mach' dir die Sache klar! Also: der Bucklige war vor Zeiten in dich verliebt; du hast's gemerkt und es hat dir geschmeichelt, weil dir der Mann geistreich vorkam; du hast Mitleid mit ihm gehabt wegen seiner Mißgestalt und hast doch so ein bißchen mit ihm gespielt, weil du ein junges Ding warest und romantisches Zeug im Kopfe hattest. Das nehm' ich dir gar nicht übel, das hätten hundert andere auch so gemacht. Loben will ich's zwar auch nicht, und wenn ich dazumal davon gewußt hätte, so hätt ich dir tüchtig den Kopf gewaschen. Aber jetzt ist's vorbei und das Männlein wird Geist genug gehabt haben, um sich selbst den Kopf zurecht zu setzen. Und jetzt kommt der andere von dem wunderlichen Paare, das die ganze Stadt kennt: der ist gerade, stattlich, brav, hat seine Mucken wie alle Männer, liebt dich, will dich haben, kann ein Weib ernähren, und du, gereifte Jungfrau, wärst nicht abgeneigt, ihm deine Freiheit zu opfern. Ja, leugn' es nur nicht: er gefällt dir ganz gut, wenn er auch nicht so viel Geist hat, wie der andere! Muß denn jeder Mann Geist haben, der uns gefallen soll? Also gut – das wäre in Ordnung und könnte seinen Gang gehen, wie's eben im Leben geht; in den Büchern freilich geht's oft anders. Das muß ich wissen – schreibe ja selbst! Also: und nun quälst du deine arme Seele mit dem Gedanken, der Bucklige könne als böser Geist in das Glück sich drängen, das der Gerade dir anbietet? Hör', Mädchen, dir summen Romane im Kopf! Wärst du zehn Jahre jünger, so hätt's keine Gefahr. Wer aber in deinem Alter noch solche Grillen füttert, soll keine alte Jungfer werden, sondern heiraten, so lang's noch Zeit ist. Das vertreibt die Grillen, dafern der Leib gesund ist wie der deine! Also basta: du nimmst den Geraden, wenn du ihn magst, und fürchtest den Buckligen nicht! Im übrigen ist's kalt und Zeit, daß wir zum Kaffee kommen.«

Damit schloß das resolute Frauchen ihre Standrede, streckte der Freundin die Rechte hin und lachte ihr fröhlich ins Gesicht. Emma Kluge aber war nicht imstande, so schnell den Humor ihrer eigenen Seele zu begreifen. Sie nahm die Sache noch immer pathetisch und war für den Augenblick beleidigt.

»Und das ist der Dank für mein Vertrauen, das ist der Trost, den du mir giebst, nachdem ich dich ins Innerste meines gequälten Herzens habe blicken lassen? Leb' wohl!« So sprach sie und wandte sich zum Gehen. Frau Haldenwang aber ergriff ihren Arm. »Willst du mir nicht meine Bücher geben,« sagte sie lachend, »ehe du dein Unglück weiter trägst? Mach' kein dummes Zeug, sondern komm'! Der Kaffee wird kalt!« Und sie zog die mäßig Widerstrebende mit sich. Schnellen Schrittes aber ohne weiteres Reden ging's ihrer Wohnung zu.

Die Wohnung lag im vierten Stock, nicht eben im feinsten Stadtviertel, und war recht beschränkt. Aber schon an der Gangthüre vernahm man fröhliche Kinderstimmen und den Eintretenden stürmten drei Kinder entgegen, ein kräftiger Knabe von sechs Jahren und zwei jüngere Mädchen, hübsch und anmutig, wie die Mutter. Das mitgebrachte Paket zog natürlich ihre erste Aufmerksamkeit auf sich; als ihnen aber bedeutet wurde, daß sie hier gar nichts zu forschen und zu untersuchen haben, wenn sie das Christkind nicht verscheuchen wollen, beeilten sie sich, der Mama und der Tante Emma, wie sie Fräulein Kluge nannten, Mäntel und Hüte abzunehmen und mehr geschäftig als praktisch aufzuheben. Während Frau Haldenwang den Kaffeetisch ordnete, drängten sie sich um die Knie der Tante mit tausend Fragen und Wünschen, und obwohl Emma Kluge anfangs etwas zerstreute Antworten gab, kam sie doch bald in Zug und es war leicht zu sehen, daß sie eines von den Mädchen war, welche auf Kinder eine wohlbegründete Anziehungskraft üben. Dann erschien eine weißhaarige Frau mit der Kaffeekanne, die Mutter der Frau Haldenwang; ihr Äußeres verrieth, daß sie kränkelte, aber eine sanfte Stimme, eine freundliche milde Art, an allem teilzunehmen, trug mit dazu bei, den harmonischen Eindruck glücklicher Häuslichkeit hervorzubringen. Es war, als sei der Vater und Herr dieses Hauses nur ausgegangen; und auch die Sauberkeit und Behaglichkeit der einfachen Zimmereinrichtung ließ nicht ahnen, daß die Sorge ums Brod oft mit grauem Fittich durch dieses Zimmer schwebte. Auf einem kleinen Schreibtisch am Fenster lagen beschriebene Hefte: unter den Büchern, welche dort standen, befanden sich einige kleine Schriftchen, deren Titelumschlag den Schriftstellernamen Maria Halde zeigten. Ein Nähtisch daneben trug einen Stoß angefangener und fertiger weiblicher Handarbeiten, die schwerlich zum Gebrauch im eigenen Hause bestimmt waren.

Unter munterem Plaudern von allerlei Kleinigkeiten wurde der Kaffee getrunken, dann nahm die alte Frau die Kinder mit fort in ihr Zimmer und Frau Haldenwang konnte das mitgebrachte Paket öffnen. Wikrams Gedichte wurden vorläufig beiseite gelegt und die beiden Freundinnen vertieften sich in die Kinderbücher. Von dem, was sie unterwegs gesprochen, war nicht mehr die Rede. Aber Frau Haldenwang täuschte sich kaum, wenn sie annahm, daß die friedliche Wärme und gesunde Frische, welche der Freundin hier entgegenwehte, auf ihre Gemütsstimmung jetzt vorteilhafter wirken werde, als weiteres Predigen.

Aber es dauerte nicht lange, so klingelte es heftig draußen an der Gangthüre, man hörte, wie eines der Kinder öffnete, eine laute und scharfe weibliche Stimme fragte, ob die Mama zu Hause sei, ein hastiger Schritt schlurfte auf die Zimmerthüre los, und nach kurzem Klopfen, ehe Frau Haldenwang Herein rufen konnte, trat ein mit schlampiger Eleganz gekleidetes Weiberwesen herein, in welchem man ein Mädchen von vielleicht fünfundzwanzig Jahren vermuten konnte. Auf einer leidlich wohlgebildeten Gestalt saß ein Kopf mit ganz kurz geschorenen Haaren und kleiner Mütze, ein Paar kecke Augen gafften aus einem Gesicht von einer Häßlichkeit, welche ohne weiteres als Entschuldigungsbrief für die ärgsten Verbrechen hätte gelten können. Während sie mit der breiten Nase nach dem Kaffeeduft schnüffelte, der im Zimmer zurückgeblieben war, wünschte sie nachlässig guten Tag, riß das Mützchen vom Kopf und machte Miene sich zu setzen. Frau Haldenwang stellte sie ohne besondere Freundlichkeit ihrer Freundin vor als Fräulein Nassau, Schriftstellerin.

»Mein Schriftstellername ist Käthchen Schönkopf,« fügte die Vorgestellte bei. »Sie brauchen aber dabei nicht an Goethe zu denken, Fräulein. Es ist nur wegen des Kontrastes zu der Fratze da.« Das sagte sie ganz ohne Humor, im gleichgiltigsten Tone, und machte dabei mit der Hand eine kurze Bewegung nach ihrem Gesicht, als ob sie sich selbst aufs Maul schlagen wollte. »Schreiben Sie auch?« fragte sie dann.

Emma Kluge antwortete mit einem kurzen Nein und machte Anstalten, sich zu verabschieden. Die Person war ihr auf den ersten Blick so gründlich zuwider, daß sie, zumal in ihrer heutigen Gemütsverfassung keine Minute länger als nötig dieselbe Luft mit ihr hätte atmen mögen. Frau Haldenwang machte auch keinen Versuch, sie zum Bleiben zu bewegen; sie begleitete die Freundin aus dem Zimmer und draußen sagte sie: »Mußt nicht glauben, daß das eine Freundin von mir sei. Sie hat mich unaufgefordert schon einigemale besucht; ich weiß nicht, was sie eigentlich von mir will, sie sprach so etwas von Kollegialität und gemeinsamen Standesinteressen. Ich glaube, sie ist nicht so schlimm als sie aussieht, und ihre Häßlichkeit verdient Mitleid.«

»Sie kokettiert ja damit!« warf Emma unwillig ein

»Vielleicht! Andere kokettieren mit anderem,« sagte Frau Haldenwang gutmütig. »Wir wollen's den Männern überlassen, hart über solche Geschöpfe zu urteilen. Aber schade doch, daß sie uns gestört hat. Also auf baldiges Wiedersehen! Überleg' dir meine Predigt! Ich will schon mithelfen, das alles recht wird.«

Darauf ging sie in die Küche, um zu sehen, ob noch eine Tasse Kaffee für ihren Besuch übrig sei.

Käthchen Schönkopf hatte sich indessen breit auf den Sofa gesetzt, ihre Handschuhe von den Fingern gerupft, Paulus Wikrams Gedichte erspäht, das Buch ohne weiteres aus dem Futteral gerissen, einige Blätter hin- und hergezaust und mehr mit der Nase als mit den Augen in den Versen herum gestöbert; hatte dann das Buch weggeworfen und nach dem nahen Schreibtisch hinübergegriffen, um ohne Umstände ein dort liegendes Manuskript an sich zu ziehen. Doch unterließ sie das, als sie Frau Haldenwang zurückkommen hörte. Diese brachte eine Tasse Kaffee und entschuldigte sich launig, daß sie nur noch die letzte Tasse anbieten könne. Das mache nichts, Kaffee sei Kaffee, erwiderte Käthchen Schönkopf und machte sich sofort über das Getränke. Sie stützte die Ellenbogen auf den Tisch, hielt die Tasse mit beiden Händen vor dem Mund und schlürfte hörbar und unsauber, schwatzte aber drunterhinein fortwährend von einem Vortrag über Frauenrechte, den sie dieser Tage mit angehört habe und an dem Frau Haldenwang viel versäumt habe. Sie sei beschäftigt, einen Aufsatz über diesen Vortrag in eine große Zeitung zu schreiben, an der sie nach manchen vergeblichen Versuchen endlich Mitarbeiterin geworden sei; sie werde übrigens den Vortrag durch einige eigene Gedanken ergänzen.

»Was schreiben denn Sie gegenwärtig?« fragte sie dann. Frau Haldenwang hatte schweigend zugehört, indessen die Bücher auf dem Tische zusammengeräumt und eine Handarbeit ergriffen. »Was ich schreibe?« erwiderte sie. »Wieder eine Geschichte für reifere Mädchen. Sie will aber nicht recht vom Fleck. Es wird mir so schwer wie nur je.«

»Warum denn? Soll ich Ihnen helfen?« fragte die andere forsch.

»Ach, das wird nicht wohl gehen,« antwortete Frau Haldenwang zaghaft. »Und man muß doch wohl selber machen, was man als sein Werk ausgiebt.« Sie beachtete das ironische Grunzen nicht, das über der Kaffeetasse ertönte, und fuhr fort: »Und warum mir's schwer wird? Sehen Sie, ich möchte doch etwas Lebenswahres schreiben, etwas, woran die jungen Dinger, für die's bestimmt ist, eine gesunde Kost, eine Anregung für Geist und Gemüt, einen gewissen Halt für's Leben hätten. Aber nun soll's doch auch unterhaltend sein, ich muß Geschichten erfinden, Verwickelungen und Lösungen, Spannungen und nicht gar zu alltägliche Ereignisse – und da hapert's? Es kommt mir alles so gesucht vor, so gemacht, so gar nicht recht natürlich und wahr, kurz so romanhaft. Und ich fürchte immer, ich könnte dem jungen Volk doch das Bild des Lebens fälschen, in die ohnedies oft etwas verdrehten Köpfchen noch mehr Wirrwarr hineinbringen, wie das ja leider Gottes die meisten Geschichten für junge Mädchen thun. Das bringt mich dann in Zweifel und Unruhe, hemmt mir den Fluß der Arbeit, sie rückt Tage lang nicht vom Fleck, und ich denke oft, es wäre am gescheitesten, man schriebe gar keine Bücher derart mehr und schickte das junge Volk kurzweg zu Schiller und Goethe.«

Käthchen Schönkopf stellte ihre Tasse ab, ließ den Löffel zu Boden fallen, ohne ihn aufzuheben, und lachte hellauf. »Sind Sie aber noch eine naive Frau! Sie haben das Handwerk noch lange nicht los. Lebenswahrheit – hm, nun ja! Sagen wir: realistische Darstellung, dann hab' ich nichts dagegen. Das beginnt jetzt am meisten zu ziehen, und man muß da nur nicht prüde sein! Auch wir Frauen nicht. Ich sehe nicht ein, warum wir nicht sogar ein bißchen sehr natürlich sein, ein bißchen Schweinchen dressieren sollen, wie ich's nenne, wenns Effekt macht. Wir verstehen das im Notfall noch besser als die Herren der Schöpfung, nur machen wir's weniger plump. Doch so darf man freilich nicht für junge Mädchen schreiben, wenns die Mütter kaufen sollen. Aber was Sie da von Erfindung reden, von eigener Erfindung – lieber Gott, wer nimmt's denn da so genau? Unsre Herren Konkurrenten männlichen Geschlechts etwa? Und welche Erfindung ist heutzutage nicht schon gemacht und verbraucht. Liebe Frau, da müssen Sie handfester dreingreifen! Nehmen Sie's getrost, wo Sie's finden! Hier ein Motivchen, dort einen Faden, da eine Figur, dort eine Situation, das alles nur ein bißchen neu gemischt und anders serviert – das ist Handwerksbrauch und es merkt's kein Mensch! Wofür hat man denn die ganze bisherige Litteratur, als um eine neue draus zu machen? Das lernt sich leicht und ich will Ihnen schon genauere Ratschläge geben. Sie müssen vorwärts kommen, sich einen Namen machen, Geld verdienen!«

»Aber ist denn das nicht litterarischer Diebstahl?« wandte Frau Haldenwang ein.

»Welche Unschuld!« rief Käthchen Schönkopf. »Wir schreiben ja doch nicht ab. Und wenn wir's thäten, wär's auch noch nicht das Schlimmste. Sie sind noch ganz und gar Novize, meine Verehrteste, Sie müssen die Weihen erst noch über sich ergehen lassen. Und nur ja um Gottes willen nicht die Begriffe des gewöhnlichen Lebens in die Litteratur herein bringen! Da gelten ganz andere Gesetze, das weiß Jedermann, nur der Anfänger in der Regel nicht. Litterarischer Anstand, litterarisches Gewissen – sehen Sie, das wächst nicht auf dem Boden der Alltagsmoral, das muß man erst bekommen im Umgang mit Seinesgleichen, im Anschluß an den Stand.«

»Ist das wirklich so?« fragte Frau Haldenwang ganz betäubt.

»Versteht sich, daß es so ist! Fragen Sie andere, fragen Sie die berühmtesten Tagesschriftsteller! Oh, man muß hineinsehen in die intimen Vorgänge des Schriftstellerlebens – da gehen einem Lichter auf! – Und warum wollen Sie sich denn beschränken auf Geschichten für reifere Mädchen? Damit kommen Sie nicht weit, namentlich bei den Begriffen, die Sie vorhin entwickelt haben! Sehen Sie, ich schreibe über alles und habe immer ein Dutzend Arbeiten zugleich unter der Feder. Das leichteste sind Novellen oder wenigstens Skizzen – es braucht nicht alles ausgearbeitet zu sein – flott hingeworfen mit wenigen kräftigen Strichen, das wirkt mindestens so viel und kostet weniger Zeit! Dann Plaudereien über Tagesfragen, über Biographisches, über wissenschaftliche Gegenstände – ja, staunen Sie nur! Das ist viel einfacher, als es aussieht! Man muß nur die Litteratur ein bißchen kennen, – es giebt ja so viel Bücher, die niemand liest. Daraus nimmt man interessante Abschnitte, macht sie etwas populärer gießt sie in angenehmere Form, wie's das Feuilleton, verlangt – mit einiger Übung geht das bald. Ferner Kleinigkeiten, Notizen über Kunst, Litteratur, Entdeckungen; auch übers ganz Alltägliche, Haus, Garten, Kindererziehung – da und dort etwas geschickt aufgegriffen und zu kurzen Artikelchen verarbeitet; das ist sehr gesuchte Ware. Über die Frauenfrage fliegen ja die Gedanken in der Luft, der allgemeinere soziale Hintergrund findet sich leicht, jedermann hat heute Interesse dafür und wir Frauen sind die Berufensten, hier mitzusprechen. Aber auch größere Arbeiten, Romane insbesondere, sind gar nicht so schwer zu machen. Stoff giebts genug, wenn man nur Zeitungen liest, namentlich die Rubrik »Unglücksfälle und Verbrechen« ist sehr ausgiebig; Schilderungen aus dem Leben der Großstädte, von der Nachtseite des sozialen Lebens geben Material die Fülle. Das Schema, nach dem die Handlung entworfen wird, wird einem bald geläufig, wenn man nur fleißig liest, und der Stil – nun, der bildet sich rasch.«

»Aber um alles in der Welt,« fragte Frau Haldenwang, »zu dem allem braucht's doch besonderes Talent?«

»Talent? Das Talent ist der Fleiß, der rasche Blick, das unerschrockene Zugreifen!«

»Ja, und kann man denn das alles drucken lassen?«

»Alles und noch viel mehr! Sie müssen nur nicht gleich an den Buchverlag denken! Man schreibt zunächst für die Zeitungen. Freilich kommt man nicht gleich überall an, die Herren Redakteure sind oft zäh wie Leder. Aber man ist eben noch zäher. Sehen Sie, ich habe immer mehr als ein Dutzend Arbeiten, große und kleine, unterwegs. Ich führe natürlich Buch darüber, ich weiß immer genau, wo ein Manuskript steckt. Wird's abgewiesen, so schickt man ein neues oder gleich eine ganze Auswahl; erhält man nicht schnellen Bescheid, so mahnt man und mahnt wieder, zuerst höflich, dann bestimmter, sogar grob, wenns sein muß – die Herren sind auch nicht immer höflich. Nur nicht Nachlassen, nur immer auf dem Platz sein, nur überall sein – am Ende muß man ankommen, und sitzt man irgendwo drin, so hält man sich das Nest warm. Und eine Hauptsache: keine hohen Honorarforderungen! Nur billig, sehr billig, so gewinnt man den Markt, die Masse bringt das Jahr über doch ein hübsches Sümmchen und die sogenannten vornehmen Schriftsteller haben das Nachsehen.«

»Aber das ist ja die reine Industrie!« bemerkte Frau Haldenwang.

»Natürlich ist's das! Das muß es sein, wenns der Mühe wert sein soll. So allein bringt man's zu etwas, so gewinnt man Namen und Geld.«

Frau Haldenwang schüttelte den Kopf. »So hab' ich mir's freilich nicht gedacht. Und so – nein, so kann ich's nicht treiben.«

»Dann lassen Sie's Lieber ganz bleiben und stopfen Sie Strümpfe!« sagte Käthchen Schönkopf höhnisch. »Aber ich bitte Sie: was wollen Sie denn eigentlich mit Ihrer Schriftstellerei, wenn Sie's nicht recht und gründlich treiben wollen? Warum schreiben Sie eigentlich?«

Frau Haldenwang schwieg einen Augenblick; eine Röte stieg in ihr Gesicht, sie verspürte etwas wie Lust, der unverschämten Fragerin die Thüre zu weisen. Aber sie war auch so verblüfft von diesen ihr völlig neuen Geschäftsgeheimnissen, daß sie sich wie ein unbeholfenes Kind vorkam vor dieser gereiften Person. Endlich sagte sie halb verschämt, halb trotzig: »Warum ich schreibe? Ich brauche mich nicht dran zu schämen. Ich bin Witwe mit einem Einkommen, von dem ich weder meine Kinder erziehen, noch meine alte Mutter erhalten kann. Ich mühe mich, mit Handarbeit etwas zu verdienen, aber dabei geht's auch knapp genug her. So dacht' ich, weil ja doch heutzutage so viele von der Schriftstellerei sich nähren, ich könnte auch aus diesem Wege etwas verdienen. Die paar kleinen Schriftchen, die ich habe drucken lassen, haben freilich nicht viel eingebracht, sind aber von Männern, auf deren Urteil ich etwas gebe wohlwollend beurteilt worden. Und so hab' ich's weiter versucht.«

»Also, also, da haben wir's ja!« entschied Käthchen Schönkopf, »Geld wollen Sie verdienen, so gut wie ich. Sie verdienen aber nichts, wenn Sie's nicht machen wie ich. Und Sie können's, wenn Sie nur wollen und sich belehren lassen. Wollen Sie denn etwa eine Dichterin werden und am Hungertuche nagen? Fällt Ihnen doch so wenig ein wie mir. Obschon ich auch schon lyrische Gedichte gemacht habe! Einige sind gedruckt. Aber sie bringen nichts. – Beiläufig: da haben Sie einen Band neuer Gedichte liegen. Gehört das Buch Ihnen? Das könnten Sie mir wohl ein paar Tage leihen.«

Frau Haldenwang sagte, sie habe das Buch nur zur Ansicht und bedaure deshalb, es nicht ausleihen zu können. »Ah bah,« sagte die andre, »damit nimmt man's nicht so genau. Geben Sie mir's nur! Oder – Sie wollen's ja wohl zuerst selbst lesen? Gut, dann hol' ich mir's in einigen Tagen.« – »Ja, ja,« fuhr sie fort und dehnte sich gähnend, »so treibt man's im Leben! Guter Gott, freilich würd' ich im Grund auch lieber heiraten und mich von einem Mann ernähren lassen. Aber da könnte mir's gehen wie Ihnen, und schließlich – wer nimmt mich mit meiner verdammten Visage? Zwar über die veralteten Begriffe von Liebe und Ehe bin ich natürlich hinaus, und wenn auch mein Gesicht recht häßlich ist, so wär' ich doch sonst nicht so übel!«

Sie lehnte sich frech im Sitze zurück und stemmte die Hände auf die Hüften. Nun aber war Frau Haldenwang mit ihrer Gutmütigkeit zu Ende. Purpurglühend vor Zorn sprang sie auf und rief: »Sie sind eine schamlose Person und mit Ihnen will ich nichts weiter zu thun haben!«

Käthchen Schönkopf jedoch kam durchaus nicht aus der Fassung; sie erhob sich gemächlich und sagte überlegen: »Eine andere würde das als eine Beleidigung betrachten. Ich bin zu klar in meinen Ansichten über Frauenrecht und Frauenwürde, als daß ich mich aufregen könnte. Ich habe mir diese Dinge philosophisch zurecht gelegt und könnte Ihnen eine Vorlesung darüber halten. Doch dafür sind Sie wohl heute nicht gestimmt. Also vielleicht ein andermal. Auf Wiedersehen!«

Damit drückte sie ihr Mützchen auf den Kopf und schlenkerte zur Thüre hinaus. Frau Haldenwang ging zornig und fassungslos im Zimmer hin und her und begann sich selbst anzuklagen, daß sie sich mit ihrer Schriftstellerei in solche Gesellschaft begeben habe. Die ganze Gemeinheit des Treibens, das sich vor ihr aufgethan hatte, kam ihr jetzt erst zum klaren Bewußtsein und in ihrer Unerfahrenheit wußte sie nicht zu scheiden zwischen dem, was allgemeine schlechte Gewohnheit des handwerksmäßigen Schriftstellertums und was seine frechste Ausgeburt sei. Daß gerade ein Weib ihr diese Fratze gezeigt hatte, konnte sie nicht verwinden und sie überlegte sich allen Ernstes die Frage, ob sie's nicht ihrer Selbstachtung schuldig sei, keine Feder mehr anzurühren.

In den nächsten Tagen las sie Paulus Wikrams »Phaläna« mit Andacht und Sammlung und fand darin manches Wort des Trostes für ihres eigenen Lebens Nöte und Mühen. Sie fand sich selber wieder über dieser Lesung; aber den Luxus, dieses Buch zu kaufen, konnte sie sich nicht gestatten. Sie schrieb sich die Gedichte ab, die ihr am meisten zu Herzen gegangen waren. Daran, daß Käthchen Schönkopf das Buch von ihr entlehnen wollte, dachte sie nicht mehr. Diese aber kam einige Tage später ganz harmlos wieder angestiegen; Frau Haldenwang war nicht zuhause und die unerschrockene Person ließ sich von der alten Frau das Buch geben mit Berufung auf die Zustimmung ihrer Frau Kollegin, wie sie sich ausdrückte. Ein Tag und eine Nacht, welche das Buch in ihrer Wohnung zubrachte genügte, um ihm deutliche Spuren dieses Aufenthaltes aufzudrücken. Am zweiten Tage lief ein Zettel von Frau Haldenwang ein, womit sie kurz und bündig sofortige Zurücksendung des Buches verlangte. Käthchen Schönkopf schrieb zwei Worte auf eine Karte, legte sie in das Buch und sandte es zurück. Frau Haldenwang mochte das Buch, das in diesen Händen gewesen war, nicht länger im Hause haben, sie packte es unbesehen zusammen und schickte es mit den nicht behaltenen Bilderbüchern in die Holdersche Buchhandlung zurück.


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