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Kleist als Erzähler

Wir besitzen nur wenige und an Umfang schmale Werke erzählender Art von Kleist. Aber unter diesen ist keines von minderer Vollendung. An keiner Stelle eine »Liebe zweiten Ranges«. Denn was Kleist in der Anekdote, in der Novelle, im Roman gestaltet hat, immer ist es der gleiche, nämlich der kühnste Einsatz gewesen: Denn der Tatenmensch und Schicksalsspieler in Kleist hat auch in seiner Prosa alles auf die letzte als die ihm einzig und allein gemäße Karte gesetzt. Daher das Spannende, Aufregende, Hinreißende von der ersten bis zur letzten Zeile.

Aber in Kleist waltete auch eine andere Natur, er war auch der Mann des Gewissens, der preußische Offizier, oft ohne Uniform, aber in seiner Seele nie außer Dienst. Vom altpreußischen Exerzierreglement kam er ohne Übergang zum kategorischen Imperativ des Kant; und wenn Kant als die beiden höchsten Errungenschaften des Menschen »den Sternenhimmel über und das sittliche Gesetz in sich« preist, so ist ihm dabei ein unbekannter Schüler, Heinrich von Kleist, wahrhaftig »auf den Knien seines Herzens« nahe gewesen.

Der »Spieler« in Kleist gibt dem Prosawerk die phantastische Flugkraft, immer vom tiefsten Punkt der Erde abzustoßen, immer dem höchsten Punkt der Erde zuzustreben. In den Werken dieser Art ist immer Erdbeben, Erdbeben des festen Landes und der Seele. »Marquise von O...« mit dem grauenhaft-zauberhaften Brande der Festung, »Das Erdbeben in Chili« mit der sich spaltenden Erde, »Verlobung in St. Domingo« mit allen Feuerflammen empörter Rassen und eruptiver, zerfleischender und blutender Herzen.

Die andere Seite ist der »Untersuchungsrichter der Pflicht« in Kleist. Eine im Rechte unbeirrbare Hand führt schicksalsmäßig wie die Hand eines Gottes die Protokolle der Seele und die Protokolle der winzigsten Tatsachen im »Michael Kohlhaas«. Hier spricht der sittliche, das heißt, der mit sich im Gleichgewichte befindliche Mensch, der richtet, indem er bloß berichtet.

Was aber ist Kleistisch? Was ist die ihm allein zugehörende Art, die Welt in ihrer Herrlichkeit und ihrem Grauen zu sehen? Welcher Art ist seine Wahrheit, so wahr, wie sie dem allzufrüh Gestorbenen zuteil werden konnte? Die Natur hatte Kleist in seinem Können, Wollen und auch in seinem Versagen einmalig geschaffen. So ist das Siegel seines gleichzeitig aristokratischen und kosmisch-gütevollen Wesens jedem seiner Sätze eingeprägt, ja es ist bis in die geringste Verbindung weniger Worte erhalten, so daß man, wie bei etruskischen Vasen, an einer winzigen Scherbe den Künstler, den Schöpfer und Besitzer erkennt. Einmalig ist alles, was dieser Mann geschaffen hat, und es haben ihn auch nur einmalige Ereignisse im Leben einmaliger Menschen beschäftigt. Ist dies das Kleistische? Ist es die mühevoll errungene Form, die sich, wie seine Zeitgenossen bestätigen, in seinen Arbeiten durch stetes Ausstreichen und Ändern äußert? Dies wäre ein Flaubertscher Zug, aber der einzige, denn außer diesem ist zwischen dem Schöpfer der »Trois contes« und dem. Schöpfer des »Michael Kohlhaas« keine Verbindung. Ist es die »Verwirrung des Gefühls«, die Goethe dem Dichter vorwarf? Mit Recht vorwarf? Man darf es bezweifeln. Wenn Goethe den Kleist bekämpfte, da bekämpfte er auch das Kleistische in seiner eigenen Brust; er kämpfte gegen den stets wie bei der Atalanta verborgenen und gedämpften, aber nie erloschenen Feuerbrand.

Wer jene herrliche Stelle im »Kohlhaas« gelesen hat, wo der Kohlhaas im Gespräch oder beim Verhöre mit seinem mißhandelten Knecht Herse seinen gerechten Zorn zügelt, wo er sich »mit Gewalt« selbst Gewalt antut, um nur ja das klare, kühle Recht zu ergründen und um keinem unrecht zu tun, der muß diese »Verwirrung« bezweifeln. Verneinen wird diesen Vorwurf jeder, der in diesen einmaligen und ewigen Seiten sieht, wie hier ein dumpfer, naturgebundener Mann den Schleichwegen von Recht und Unrecht nachspürt bis zur letzten, bis zur tragischen, das heißt bis zu der an dem Weltzwiespalt zerschellenden Entscheidung. Wer kann dann noch dem Schöpfer solcher Seelen und Charakterzustände den Hang zur Verwirrung nachsagen? Viel eher ist es ein Übermaß an entgegengesetzten Kräften, das sich zerstört. Nicht, daß Kleist im unklaren sich gefallen, im Nebelhaften, Allegorischen sich zu lange gesonnt habe, durfte ihm Goethe vorwerfen, wenn er einen Blick auf den zweiten Teil des »Faust« warf.

Was Kleist unglücklich gemacht hat und groß zugleich, ist das Übermenschenmaß, das er an sich, auch in der Erzählung, gelegt hat. Er gab sich bis in seine letzten Fibern dem Werk und wollte als Gegengeschenk etwas dafür, das die Welt nicht geben kann: Versöhnung, Dauer, Harmonie, die Befriedigung des Metaphysischen, nicht des Sinnlichen in seiner Natur.

So wie Kohlhaas untergeht, aber in seinen Söhnen aufersteht, so auch er: Untergehen mußte er; nicht alt und gütig werden. Er hatte alles zu teuer bezahlt, als daß ihm die Welt und seine Zeit gerecht werden konnten. Die Welt tut, was ihr am leichtesten fällt: sie schweigt. Sie schweigt, weil sie das Große ebensowenig wieder in die Nichtexistenz zurückstoßen als es mit der höchsten Krone krönen kann. Nachdem Kleist seinen »Kohlhaas« geschaffen, hatte er den gewaltigsten Ansatz zu der grandiosen Aufgabe genommen. Historie und individuelle Triebe zusammenzuschweißen; eine Aufgabe, die der mittlere Goethe nicht einmal versucht hatte, weil der schon soviel einfachere, humanere Götz an der Grenze seiner, an der Grenze dieser seiner Kraft stand. Nachdem aber der Kohlhaas wie aus Erz dastand und lebte mit seiner Überleuchtkraft, seiner durchdringenden Wahrheit und dienenden Treue, da war die Zeit da, Kleist die rechtmäßige Nachfolge Goethes als Erzähler zu geben. Dazu fehlte es seinem Jahrhundert an Mut. Das, was Kleist von seiner »Penthesilea« sagt, dieses herrliche, männlich weiche Götterwort: »Mein innerstes Wesen liegt darin, der ganze Schmerz zugleich und Glanz meiner Seele«, das konnte Kleist um so mehr vom »Kohlhaas« sagen.

Er konnte das Schweigen, die Gleichgültigkeit seiner Zeit, die magische Leere um sich selbst nicht ertragen. Er konnte das nicht, worin Goethe Meister war, er konnte nicht alt werden. Einmal sagt er: »Der Mensch wirft alles, was er hat, in eine Pfütze, nur nicht sein Gefühl.« Daran muß der Überstarke gestorben sein.

Sein Tod war Kleistisch wie sein Leben. Er präsentierte seinen Feinden keine unbezahlten Rechnungen. Sein Tod war soldatisch – Kantisch und phantastisch zugleich. Er wollte als Gesunder sterben neben einer Kranken, als Mann und Held neben einem Weibe und als ein Ungebrochener, Unzerbrechbarer über seinem Schicksal. Er hat in seinen Erzählungen stets den Sieg des menschlichen Gemütes über den herzzerreißenden Jammer gestaltet. So geht sein Michael Kohlhaas in Größe, in Überlegenheit über die verwirrte Welt unter.

Untergang ist nichts, nichts Tod und Weltenbrand, aber alles das Gesetz; dem Gesetze treu starb er, wie er lebte. »Doch sollen wir stets des Anschauens würdig wieder aufstehen«, hat er in einem seiner Dramen gesagt. So ist er uns auferstanden und wird uns bleiben, nicht allen zwar, nicht vielen zwar – aber wenigen alles bedeutend.


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