Edgar Wallace
Das Gesicht im Dunkel
Edgar Wallace

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21

Dora Elton hörte, wie Martin nach Hause kam, und riß sich zusammen. Sie fror, obwohl sie noch in ihren Pelzmantel gehüllt war und in einem behaglich warmen Raum saß.

Lacy Marshalt war tot. Auch wenn sie nicht hinter jener Menge auf dem Portman Square gestanden und es gehört hätte, wäre es ihr zum Bewußtsein gekommen, denn die wilde Besessenheit, die sie gepackt hatte, war plötzlich von ihr gewichen. Und nun war ihr zumute wie einem Mörder am Morgen des Hinrichtungstages.

Der Türgriff drehte sich, und Martin Elton trat ein. Bei seinem Anblick zuckte ihre Hand zum Mund empor, um einen Schrei zu unterdrücken. Sein Gesicht und seine Hände waren schmutzig, sein Frackhemd mit Staub und Flecken bedeckt. Von dem Beinkleid hing ein Tuchfetzen herab und enthüllte ein zerschrammtes Knie. Die blutlosen Lippen machten sein Gesicht plötzlich alt, und die Augen lagen tief in den Höhlen.

Eine Sekunde lang blieb er in der Tür stehen und starrte sie an. Es lag weder Vorwurf noch Zorn in seinem Blick.

»Hallo, die Polizei ist also doch gekommen?« fragte er.

»Die Polizei?«

»Du schicktest sie doch her, um nach dem Geld zu suchen. Ich sprach mit Gavon: er hatte offenbar Lust, eine Haussuchung vorzunehmen. Du hast das doch wohl nicht vergessen?«

Sie hatte es wirklich vergessen. Es war inzwischen so viel geschehen!

»Ich habe es verhindert. Gavon glaubt, daß ich hysterisch bin.«

Er spreizte die schmutzigen Finger über dem Feuer aus.

»Der Ansicht bin ich auch. Aber jetzt will ich baden und mich umkleiden.«

Plötzlich fuhr sie mit der Hand in seine Tasche, holte einen großen Browning heraus und untersuchte ihn. Die Pistole war erst kürzlich abgefeuert worden und roch noch nach Pulver.

»Haben sie dich gesehen?« fragte sie leise.

»Ich weiß es nicht – es kann sein. Was willst du tun?«

»Zieh dich nur um. Ich habe noch einen Gang zu machen – in einer Viertelstunde bin ich wieder hier.«

»Schön«, erwiderte er dumpf.

Sie kannte eine Terrasse am Regent-Kanal und fuhr in einer Autodroschke hin. Nachdem sie den Chauffeur bezahlt und entlassen hatte, ging sie mitten auf die Brücke und ließ die Pistole hinabfallen. Sie hörte deutlich, wie die Waffe das dünne Eis durchschlug. Dann ging sie zu dem anderen Kanalufer und fand sehr bald wieder ein Auto.

Martin saß in seinem Ankleidezimmer und trank heißen Kaffee, als sie zurückkehrte. Er erriet, wo sie gewesen war.

»Es tut mir leid, daß du dich so dumm benommen hast – wegen des Geldes«, sagte er. »Ich hatte es mir anders überlegt und es Stanford zurückgegeben. Gavon war hier, während wir aus waren.«

»Ja, Lucy sagte so etwas. Was hast du mit deinen Kleidern gemacht?«

»Im Zentralofen«, erwiderte er kurz.

»Ich gehe jetzt zu Bett«, murmelte sie und bot ihm die Lippen zum Kuß.

»Frauen sind doch wunderlich«, sagte er vor sich hin, als sie das Zimmer verlassen hatte.

Er selbst ging nicht zur Ruhe. Sein Anzug lag für die erwartete plötzliche Vorladung bereit. Die ganze Nacht hindurch saß er grübelnd am Kaminfeuer – aber er bereute nichts. Er war eingeschlafen, als er um sieben von dem Hausmädchen geweckt wurde.

»Ein Herr möchte Sie sprechen – Captain Shannon.«

Martin erhob sich fröstelnd.

»Ich lasse bitten«, entgegnete er.

Dick Shannon kam sofort herein.

»Morgen, Elton! Gehört das Ihnen?« Er hielt ihm das goldene Zigarettenetui hin.

»Ja.«

Dick steckte es wieder ein.

»Wollen Sie mir bitte erklären, wie es kommt, daß wir es dort fanden, wo Marshalt ermordet wurde?«

»Um welche Zeit wurde der Mord begangen?« erwiderte Elton höflich.

»Um acht.«

Martin nickte.

»Um acht befand ich mich auf der Polizeiwache in der Vine Street und setzte Inspektor Gavon auseinander, daß meine Frau zeitweise an Geistesverwirrung leidet. Wußten Sie das nicht?«

In diesem Augenblick trat Dora bleich und hohläugig ins Zimmer.

»Was ist geschehen?« fragte sie.

»Shannon sagte mir eben, daß Lacy Marshalt tot ist. Das war mir ganz neu. Wußtest du es schon?«

»Ja – und warum ist Captain Shannon hier?«

»Weil mein Zigarettenetui wie durch Zauber sich auf das Dach des Malpas'schen Hauses verirrt hat«, entgegnete Martin lächelnd.

»Ich habe nicht gesagt, daß es dort gefunden wurde!« warf Dick ein.

»Dann muß ich es wohl geträumt haben«, antwortete Martin gelassen.

»Hören Sie, Elton, ich rate Ihnen, mir gegenüber so offen zu sein, als es mit Ihrer Sicherheit vereinbar ist«, warnte ihn Dick. »Wie kommt es, daß das Etui auf dem Dach von Portman Square 551 gefunden wurde?«

»Ich habe es dort verloren, als ich früher am Abend versuchte, in Marshalts Haus einzudringen, um – um eine kleine Abrechnung mit ihm zu halten. Aber es ist nicht möglich, das Dach zu erreichen. Auf das Haus nebenan kommt man ziemlich leicht hinauf, aber als ich von dort aus bei Marshalt eindringen wollte, stieß ich auf Schwierigkeiten. Und gestern abend wurde es noch schwieriger, weil sich ein Mann auf dem Dach befand – vermutlich ein Detektiv.«

»Wie kamen Sie denn wieder hinunter?«

»Das war das Erstaunliche. Jemand hatte glücklicherweise für einen Strick gesorgt, der am Schornstein angebunden und in regelmäßigen Abständen geknotet war – er war so bequem wie eine Leiter.«

Shannon überlegte einen Augenblick und ersuchte Martin dann, mit ihm nach der Vine Street zu kommen.

»Wir müssen Ihre Geschichte genau nachprüfen«, sagte er.

Zu seiner Verwunderung wurden Martins Aussagen auf der Polizeiwache vollauf bestätigt.

»Ja, Mr. Elton war um acht Uhr hier und sah aus, als ob er von einem Maskenball käme«, erwiderte der Beamte auf Dicks Frage. »Ganz zerlumpt und beschmutzt.«

»Und diese Uhr hier geht richtig?« erkundigte sich Dick.

»Ja, jetzt geht sie wieder«, entgegnete der Inspektor. »Nur gestern abend blieb sie einmal stehen – gerade um die Zeit, als Sie hier waren, Mr. Elton. Es muß wohl an der Kälte gelegen haben, denn wir brauchten sie fast gar nicht aufzuziehen, um sie wieder in Gang zu bringen.«

»Die dumme Uhr wird Sie wahrscheinlich vor dem Galgen bewahren«, sagte Dick, als sie wieder draußen waren. »Ich habe mir eine Vollmacht für eine Haussuchung bei Ihnen verschafft und werde jetzt damit beginnen.«

»Wenn Sie etwas finden, was für Sie von Wert ist, werde ich der erste sein, der Sie beglückwünscht«, erwiderte Elton kühl.


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