Edgar Wallace
Das Gesicht im Dunkel
Edgar Wallace

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

15

Lacy Marshalt war in schlimmster Laune. Shannons Knöchel hatten rote Flecke auf seinem Gesicht hinterlassen, und er hatte eine schlaflose Nacht verbracht. Er saß noch beim Frühstück, als Tonger hereinkam und Mr. Elton anmeldete.

»Guten Morgen, Elton!«

»Guten Morgen, Marshalt!«

Martin legte Zylinder und Stock beiseite und begann langsam, seine Handschuhe auszuziehen. Dann zog er einen Stuhl heran.

»Ich schrieb Ihnen kürzlich und ersuchte Sie, meine Frau nicht wieder zu Tisch einzuladen«, sagte er ruhig. »Seit dieser Warnung ist sie trotzdem zweimal bei Ihnen gewesen. Das darf nicht wieder vorkommen.«

»Ihre Frau war gestern mit ihrer Schwester hier. Audrey aß bei mir, und Dora kam her, um sie abzuholen . . .«

»Aber an jenem Konzertabend war Audrey doch wohl nicht hier?« fragte Elton mit einem bitteren Lächeln.

Marshalt antwortete nicht.

»Für die Gelegenheit wird sich schwer eine Ausrede finden lassen. Sie sind ein schlauer Kerl, Marshalt – ein dunkler Kunde allerdings auch, wenn ich nicht sehr irre. Ich denke, es ist nicht erforderlich, daß ich die üblichen heroischen Redensarten vorbringe und Sie zum Beispiel darauf hinweise, daß es besser ist, ein lebendiger Millionär zu sein als – sonst etwas. Die Geschworenen würden Ihren Anverwandten vermutlich ihr Beileid aussprechen – eine Auszeichnung, die mir nicht zuteil werden dürfte. Aber es ist viel angenehmer, einen Bericht über das Ableben anderer Leute zu lesen, als die Hauptrolle bei dem eigenen zu spielen.«

Er erhob sich wieder und griff nach Stock und Hut.

»Guten Morgen, Mr. Marshalt. Sie brauchen meine Frau nicht erst anzurufen. Ich habe unseren Apparat vorsichtshalber in Unordnung gebracht, bevor ich das Haus verließ.«

Er nickte ihm noch einmal zu und ging.

*

An einem strahlenden Wintertag seufzte Audrey erleichtert auf, als sie gegen Mittag ihre täglichen Schreibereien erledigt und das große, schwere Kuvert in den Hotelbriefkasten gesteckt hatte.

Wer war nur dieser Mr. Malpas, und welche Geschäfte betrieb er? Mit Unbehagen dachte sie an die bevorstehende Unterredung, die vielleicht ein enttäuschendes Ende für sie nehmen würde. Aber noch mehr beschäftigte sie die Freundschaft, die zwischen ihrer Schwester und Marshalt zu bestehen schien. Sie war entsetzt darüber und hätte trotz aller bösen Erfahrungen dieses Verhalten nicht von Dora erwartet.

Als sie zum Lunch hinunterging, überreichte ihr der Portier einen Brief, der eben für sie abgegeben worden war. Sie erkannte die Handschrift auf den ersten Blick und las die Mitteilung staunend:

»Ich verbiete Ihnen, Marshalt wiederzusehen. Der Antrag, den er Ihnen heute machen wird, muß abgelehnt werden.

Malpas.«

Ungehalten über diesen gebieterischen Ton steckte sie den Brief ein und ging zum Speisesaal. Sie war noch nicht mit ihrer Mahlzeit fertig, als ein Angestellter ihr auch schon das angekündigte Schreiben von Marshalt brachte. Der Mann begann mit demütigen Entschuldigungen, erklärte, daß er sich selbst sein rohes Benehmen niemals verzeihen könne, und schloß mit den Worten:

»Aber ich kenne Sie länger, als Sie ahnen, und ich liebe Sie heiß und aufrichtig. Wenn Sie einwilligen, meine Frau zu werden, machen Sie mich zum Glücklichsten aller Sterblichen.«

Ein Heiratsantrag! Empört stand sie auf, um ihre Antwort unverzüglich zu Papier zu bringen.

»Ich danke Ihnen für Ihre Zeilen, die wohl ein Kompliment für mich bedeuten sollen, aber ich bedaure, Ihren Antrag nicht in Erwägung ziehen zu können.

Audrey Bedford.«

»Senden Sie das durch Eilboten ab!« sagte sie zu dem Portier.

Sie hatte einen Entschluß gefaßt, und am Nachmittag fuhr sie zur Curzon Street. Das Dienstmädchen erkannte sie nicht wieder und meldete sie Mrs. Elton als »Miß Audrey«.

Wenige Minuten später standen sich die beiden Schwestern gegenüber. Dora sah die Besucherin zornglühend an.

»Nur ein paar Worte«, sagte Audrey.

»Jede Sekunde, die du in meinem Haus verbringst, ist zuviel! Was willst du?«

»Ich möchte dich bitten, Marshalt aufzugeben, Dora.«

»Um ihn dir zu überlassen?«

»O nein, ich verachte ihn. Ich will nicht predigen, Dora, aber Martin ist doch nun einmal dein Mann, nicht wahr?«

»Ja, er ist mein Mann.«

Das klang so verzweifelt, daß Audrey unwillkürlich Mitleid fühlte und sich ihrer Schwester näherte. Aber Dora wich mit haßerfüllten Blicken von ihr zurück.

»Rühr mich nicht an, du Gefängnisdirne! Du willst, daß ich Marshalt aufgebe, daß ich ihn dir überlasse? Ach, wie ich dich hasse! Von jeher hab' ich dich gehaßt! Marshalt aufgeben? Ich werde ihn heiraten, sobald ich Martin los – sobald es soweit ist. Hinaus mit dir, Audrey Torrington!«

»Torrington!« wiederholte Audrey tonlos. Dann wandte sie sich ab, ging zur Tür hinaus und die Treppe hinab.

Aber nun geriet Dora außer sich.

»Du hinterlistige Diebin!« schrie sie. »Dich will er heiraten! Aber das soll niemals geschehen – nie!« Im Nu hatte sie aus einer an der Wand befestigten Waffentrophäe einen langen Dolch herausgerissen und stieß zu. Audrey duckte sich instinktiv, und der Dolch fuhr in den Türpfosten. Dora zog ihn heraus und stieß wieder zu. In ihrer Todesangst strauchelte Audrey und fiel.

»Jetzt hab' ich dich!« kreischte Dora wie wahnsinnig und hob die Waffe.

Aber plötzlich packte jemand ihr Handgelenk. Sie fuhr herum und starrte in ein Paar belustigte Augen.

»Wenn ich eine Filmaufnahme unterbreche, tut es mir leid«, sagte Slick Smith. »Aber vor Stahl habe ich Angst – richtige Angst!«

*

Slick Smith führte die fassungslose junge Frau nach oben, brachte ihr ein Glas Wasser und sprach beschwichtigend auf sie ein.

»Daß sich die Frauen doch immer wieder über irgendeinen Mann bei den Haaren kriegen! Und dieses Mädchen scheint so nett zu sein. Sie ging doch ins Gefängnis, um Sie zu retten?«

Erst jetzt kam Dora zum Bewußtsein, daß er ein Fremder für sie war.

»Wer sind Sie?« fragte sie mit stockender Stimme.

»Ihr Mann kennt mich. Ich bin Smith – Slick Smith aus Boston. Verehrte Mrs. Elton – er ist es nicht wert!«

»Nicht wert? Von wem sprechen Sie denn?«

»Von Lacy Marshalt. Das ist ein ganz übler Bursche – das müssen Sie doch schon gemerkt haben. Martin mag ich leiden, und es würde mir verdammt leid tun, wenn er gerade in dem Augenblick gefaßt würde, in dem er den Revolver auf sich selbst richtete. So was kommt vor. Und vielleicht würden Sie im Gerichtssaal sitzen, und er würde Ihnen zulächeln, wenn der Richter die schwarze Kappe aufsetzte, bevor er Elton nach der Totenzelle schickte. Und Sie würden wie gelähmt sein und daran denken, welch ein elender Kerl Marshalt war, und daß Sie beide Männer ins Grab gebracht haben.«

»Hören Sie auf! Sie machen mich verrückt –«

»Sie wissen nicht, was für ein Hundsfott dieser Marshalt ist –«

Sie hob abwehrend die Hand.

»Ich weiß . . . bitte, gehen Sie jetzt!«

Als Slick Smith das Haus verließ, kam Elton gerade die Stufen herauf.

»Zum Teufel, was suchen Sie denn hier?« fragte er gereizt.

»Ich wollte Ihnen sagen, daß Sie sich in acht nehmen und nicht so leichtgläubig sein sollten. Das vortrefflich gemachte Geld, das Stanford Ihnen andrehen will, wurde auch mir angeboten. Giovanni Strepesi in Genua verfertigt es und hat schon eine Menge in Umlauf gesetzt, aber – als Nebengeschäft ist Einbruch weniger riskant, und Bakkarat eine wahre Sinekure.«

»Ich weiß nicht, wovon Sie reden –« stammelte Martin.

»Und ich sage Ihnen, selbst der Schwindel von Malpas ist besser als Stanfords neue Liebhaberei!«

»Welchen Schwindel betreibt denn Malpas?«

Slick überlegte einen Augenblick.

»Ich weiß es nicht genau. Aber ich rate Ihnen, nie allein zu ihm ins Haus zu gehen! Ich sah ihn einmal – aber er bemerkte mich nicht. Deshalb bin ich noch am Leben, Elton.«


 << zurück weiter >>