Alexander von Ungern-Sternberg
Tutu
Alexander von Ungern-Sternberg

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Fünfzehntes Kapitel

Parabel

 

»Wenn es hier erlaubt ist, alles zu erzählen was einem eben durch den Kopf läuft«, hub der Graf an, nachdem Melanie geendet hatte, »so sehe ich nicht ein, weshalb ich nicht auch meine Parabel an den Mann bringen soll, die ich mir zu Nutz und Frommen der Liebhaber für dergleichen ausgedacht habe. Hier ist sie:

Der Sonne kamen die Klagen der Menschen zu Ohren, und sie war erstaunt zu hören, daß sie beschuldigt wurde, nicht so zu regieren, wie man es von ihr zu verlangen das Recht, wie sie es selbst bei ihrer Thronbesteigung versprochen hatte, und vor allen Dingen behauptete man, daß sie es nicht verstehe, die Jahreszeiten gehörig in Respekt und Ordnung zu halten, und daß eine Jahreszeit sich über die andre ungebührliche Dinge erlaube, wodurch denn entstehe, daß die Menschen frören, wenn sie gehofft hätten zu schwitzen, und daß manche Kräuter und Bäume, die entweder den Menschen nützlich oder ihnen angenehm wären, verdorrten. Man wollte sogar behaupten, es entstehe eine Hungersnot und ein allgemeines Leidwesen, weil die Sonne nicht zu regieren verstände. Die Sonne in ihrer Milde und Güte nahm sich den Vorwurf zu Herzen und beschloß, die Jahreszeiten streng zur Rechenschaft zu ziehen, um ihnen vorzuhalten, warum sie nicht ihre Pflicht täten. Die Jahreszeiten machten es wie faule Schulbuben, sie schoben die Schuld eine immer auf die andere, und immer war die gerade abwesende Jahreszeit die einzig schuldige. Kamen die Jahreszeiten aber zusammen, so sagten sie hinter dem Rücken der Sonne: ›Nicht wir sind schuld, sondern die Sonne.‹ Das ging so eine lange Zeit fort; eine allgemeine Unzufriedenheit nahm Platz. Der Mensch litt unter diesem Zerwürfnis unsäglich; die Klagen häuften sich wieder so arg, und der Lärm wurde so groß, daß endlich die Sonne beschloß:

einen vereinigten Landtag aller JahreszeitenDer »Vereinigte Landtag« der preußischen Provinzen wurde erst 1847 berufen. Sternberg gibt keinen Bericht, sondern beleuchtet nur satirisch die Erwartungen, die man hegte. Der Winter ist das östliche Preußen, der Sommer Brandenburg, der Herbst das Rheinland, der Frühling das preußische Mitteldeutschland. Winter und Sommer sind konservativ, der Herbst ist ein gemäßigter Liberaler, der Frühling ein sehr radikaler Demokrat.

anzubeordern. Wie die Menschen sich da freuten, als sie diesen Entschluß der Sonne erfuhren, ist gar nicht zu beschreiben. Sehr viele riefen: ›Nun werden wir immer Frühling haben‹; andere sagten: ›Nun wird der Winter nicht mehr so mächtig und so streng sein dürfen‹; wieder andere, die da gern Wasser tranken und den Wein nicht liebten, riefen: ›Nun wird man dem Herbste den Übermut nehmen‹, und wieder andere, die das heiße Beisammensitzen und das Schwitzen liebten, riefen: ›Jetzt werden wir in unserm schönen Lande voll heißen Sandes immer Sommer haben.‹ Die Sonne hatte aber gar nicht die Absicht, eine Jahreszeit vor der anderen zu begünstigen; sie wollte, daß alles sollte beim alten bleiben, allein, um den Menschen zu gefallen und sich einige erlaubte Schmeicheleien, wie sogar die Sonnen sie lieben, sagen zu lassen, gab sie sich die Miene, als ginge sie damit um, alles von Grund aus zu ändern.

Es kam nun der Tag des vereinigten Landtags heran, und in einem prächtigen Zuge erschienen die Jahreszeiten, alle in Person. Auf der Bank der Standesherren und des hohen Adels nahm der Winter Platz. Es war ein großer, starker Mann, mit unzähligen Sternen auf der breiten Brust und mit dem grand cordon des Polarstern-Ordens. Diese imposante Gestalt machte einen herrlichen und nicht zu beschreibenden Eindruck. Die Sonne empfing den Fürsten sehr achtungsvoll, obgleich sie heimlich mit ihm grollte und es ganz gern hatte, daß die andern Jahreszeiten ihm die Herrschaft streitig machten. Der Fürst war nicht ehrerbietig genug und trotzte manchmal der Sonne; wenigstens die Vorfahren des Fürsten hatten einmal behauptet, wenn er und die Seinigen es darauf anlegen wollten, könnten sie das Reich ganz für sich nehmen, und die Sonne könnte dann, wo es ihr beliebte, anderswohin promenieren. Diese aristokratische Rede hatte die Sonne nicht vergessen. Neben dem Fürsten Winter auf der Standesherrenbank nahm der hohe Adel Platz, der Sommer. Es war ein freundlicher, schwitzender Herr, der mit dem Winter sehr vertraulich tat, obgleich sie einander nicht leiden konnten. Auf der Bank des dritten Standes saß ein kluger, vorsichtiger Herr, mit verständigen Augen, die er überall hinrichtete, und der ein mächtiges Feuer in Rede und Gedanken kundgab, wenn ihm das Wort vergönnt wurde. Er sah nicht mehr ganz jung aus, allein er hatte grade die nötige Reife, die ihn tüchtig machte, über viele, wo nicht über alle, Dinge im Staat klug zu sprechen und weise zu urteilen. Es war der Herbst, und er war an einem großen, schönen Flusse zu Hause, wo die Menschen viel munterer und lebhafter sich gebärden, als anderswo. Der schöne Fluß, an dem er wohnte, war von oben bis unten hin mit den allerköstlichsten Weinreben bepflanzt. Sein Anzug zeigte an, daß er ein einfacher, schlichter Mann war, aber, wenn man genauer hinsah, sah man an seiner Weste Purpur und Gold flimmern, etwa wie reife Reben, die man dem Strahl der Sonne aussetzt; dann war in seinem Auge ein Leuchten und Flimmern, als spielte der Mondstrahl durch Laubengrün. Kurz, es war ein Mann, dem man gerne ins Auge sah, und dessen verständigem Worte man willig lauschte; aber freilich, so prächtig als der Winter war er nicht, und solch ein freundliches Lächeln wie der Sommer hatte er auch nicht. Er war still und ernst, aber dabei doch heimlich freudig, wie einer, der da denkt: ›Nun, meine Zeit wird auch schon kommen.‹ Der Frühling saß auf der allerletzten Bank, und sein Erscheinen auf einem so ernsthaften Landtage war nicht günstig. Er wußte von Politik eigentlich nichts, verstand auch nicht recht, was die Menschen von ihm wollten; er war ein noch ganz junger Mann und belustigte sich echt kindisch an tausend lustigen, mutwilligen Streichen und fand ein Vergnügen daran, alles Bestehende umzuwerfen und allen andern Jahreszeiten einen Possen zu spielen. Er schwatzte unaufhörlich, doch niemand wurde klug aus seiner Rede: er wollte heute dies, morgen jenes, und übermorgen wollte er weder dieses noch jenes. Alle andern Jahreszeiten konnten ihn nicht leiden, am meisten war er aber dem Herbst zuwider, weil er oft dessen Sprache annahm und auch gegen den Winter und Sommer opponierte, aber rein aus Possen und um sich einen Spaß zu machen. Ernst um die Sache war es ihm in keinem Dinge. Er war in jener Provinz des Reiches zu Hause, wo eine schöne, heitre Natur herrscht, und viele herrliche Gebirge und reizende Täler die Menschen poetisch und jugendlich erhalten, aber zugleich flüchtig, träg und wenig zum Nachdenken geneigt, mehr zur Liebe, zum Lachen, zum Genuß. Sein Anzug bestand in einem hellfarbigen Rock, mit einer Rose im Knopfloche, die er ›die jüngste Rose der Freiheit‹ nannte. In der Rechten schwenkte er eine Reitpeitsche und Sporen trug er an den Füßen. Er trank Champagner, und wenn er recht viel getrunken hatte, so wurde er gar fade und läppisch. Weil es aber doch der Frühling war, so liebten ihn die Menschen, allein es wäre die größte Torheit gewesen, wenn die Sonne ihn zum Herrscher über die andern Jahreszeiten gemacht hätte. Aber auch der Herbst sollte nicht herrschen, auch der Winter nicht, und nicht der Sommer. Die sollten alle in ihre gehörigen Grenzen zurückversetzt werden: dies beabsichtigte die Sonne, die ganz allein Selbstherrscherin bleiben wollte, wie es ihr auch zukam.

Fürst Winter sprach auf der Versammlung zur Sonne: ›Alle Übelstände kommen nur, weil du meine Macht über das Land geschmälert hast. Bedenke, daß ich eine der wichtigsten Provinzen des Reiches innehabe und daß ich in nächster Nähe des mächtigen Königs vom NordpolDer König vom Nordpol ist Zar Nikolaus I. Vgl. Anm. zu S. III. wohne; daß dieser König die Grundsätze, die ich hier vortrage, vertritt, und daß du aufhören müßtest, ihn als deinen Bundesgenossen zu betrachten, wenn du die uralten Rechte meiner Legitimität zu schmälern beabsichtigtest. Gibst du aber mir vergrößerte Macht, so will ich alle jene aufrührerischen Kräfte zu Boden halten, die die andern Jahreszeiten, meine Feinde, den Sommer ausgenommen, gegen dich loslassen. Glaube mir, die Menschen werden nur glücklich sein, wenn sie die eisernen Gesetze meiner konsequenten Regierungsweise auf ihrem Nacken fühlen. Willst du aber den Maximen und Irrlehren des Herbstes Beifall klatschen, mit dem unreifen Prahler und Spaßmacher Frühling kokettierenDen Vorwurf des Kokettierens, den hier der Winter gegen die Sonne erhebt, finden wir auch in den »Erinnerungsblättern« (Teil II. S. 7): »Die fürstliche Koketterie heutzutage ist eine Wissenschaft geworden, sehr mühsam zu erlernen und sehr undankbar auszuführen. Von der alten Kokette, Louis Philipp, an gerechnet bis auf die neueste Kokette, deren Namen wir nicht sagen.« Natürlich ist Friedrich Wilhelm IV. gemeint, der auf S. 169 als spazierengehende und auf S. 174 als schlafende Sonne erscheint. und zugleich dir die Miene geben, mein Freund zu sein: das geht nicht! Ich bin immer in deinem Lande herrschend gewesen, bedenke es wohl; der Herbst und der Frühling haben hier von jeher wenig zu sagen gehabt! Gib keinen Neuerungen Raum; ändere nicht, was frühere Zeiten weise eingerichtet haben.‹

Der Sommer sagte so ziemlich dasselbe, was der Winter sagte; nur war er so klug, dem Herbst und dem Frühling einige Schmeicheleien zuzuwenden, weil er wohl voraussah, daß diese doch noch einige Gewalt erhalten würden; er wollte es darum mit ihnen nicht verderben. Er setzte nur noch hinzu: ›Bedenke, daß in meiner Provinz deine Hauptstadt liegt; daß in meinem schönen heißen Sande deine große schöne, heiße, gradlinige Residenz sich befindet. Ich bin nicht so übermütig wie Fürst Winter, den ich übrigens meinen Freund und Gönner nenne, um zu wünschen, daß ich allein herrsche, nein, ich will gern dich als obersten Herrn anerkennen; aber du mußt, nach wie vor, mich und meine Kinder beschützen und auch bevorzugen; denn ich bin besser als die andern Jahreszeiten, den Winter etwa ausgenommen, und meine Kinder sind besser als andrer Leute Kinder.‹

Der Herbst sagte: ›Es kommt hier nicht darauf an, o Fürst, wer von uns Jahreszeiten herrsche, es kommt nur darauf an, welche Jahreszeit den meisten Segen und wahres Gedeihen der Menschheit bringe; denn der Menschheit dienst du sowohl, o Fürst, als wir ihr dienen. Um das Wohl der Menschen sind wir da – sie nicht unsertwegen. Was mich betrifft, so bin ich zufrieden mit dem Teil Herrschaft, das mir zugewiesen, wenn es mir nur gelingt, die andern Jahreszeiten zu guten Werken zu veranlassen, und daß ich dann die Summe dieser guten Werke den Menschen ungetrübt übergeben kann. Weiter will ich nichts. Nicht mir will ich dienen – auch nicht dir allein, o Fürst – sondern den Menschen. Innige und feurige Liebe zu ihrem Wohl erfüllt mich, und wenn ich aufbrause und zürne, so geschieht es wahrlich nicht, weil ich leide, sondern weil ich die Welt leiden sehe, die es besser haben könnte. Aus dieser Quelle fließt auch mein Eifer und meine Opposition. Wenn du uns nur recht in unsrer Treue und Wahrheit erkenntest, o Fürst, du würdest uns nicht zürnen!‹

Der Frühling schwatzte eine ungeheure Menge dummes Zeug. Nur so viel war davon verständlich, daß er allein herrschen wolle und niemand anders neben ihm. Der Landtagsmarschall mußte klingeln und dem Frühling das Wort verbieten. Er rannte hinaus, indem er die Tische in der Versammlung umwarf und den Königsmantel der Sonne mit Tintenflecken besprengte.

Der Schluß der Versammlung war: daß alles beim alten blieb. Die Sonne ging zu Bette.«


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