Alexander von Ungern-Sternberg
Tutu
Alexander von Ungern-Sternberg

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[Einleitung]

Sylvan und A. von Sternberg sind eine Person, nämlich Alexander Freiherr von Ungern-Sternberg. Sein Leben weicht von dem der meisten Dichter gründlich ab, es verschaffte ihm die ausgebreitete Menschenkenntnis und Welterfahrung, gesellschaftliche Gewandtheit und Großzügigkeit, die man häufiger bei Diplomaten und Geschäftsleuten als bei Schriftstellern findet. Sternberg wurde am 22. April 1806 auf dem väterlichen Gute Noistfer bei Reval geboren. Der erste Dichter, dessen sämtliche Werke er las, war nicht Shakespeare oder Schiller, sondern der mit seinem Vater befreundete August von Kotzebue. Seine auf der Grenze von Rührstück und Posse siedelnden Lustspiele haben Sternbergs Sinn für das Komische, namentlich für die Gesellschaftssatire, sehr früh entwickelt. Die alten Gebäude Revals und das Meer nährten aber zugleich in ihm romantische Neigungen. Besonders zog ihn das Schauerliche an. Daher vertiefte er sich, als er Kotzebue leid wurde, in die Dichtungen Ludwig Tiecks, der als das Haupt der romantischen Schule galt. Nach dem Tode des Vaters wurde Sternberg zu einem Oheim nach Dorpat geschickt. Dort besuchte er das Gymnasium und die Universität. 1829 kam er nach Petersburg und bewunderte Nikolaus I., »in dem die absolute Herrschergewalt vielleicht ihren letzten, aber auch glänzendsten Triumph feiert«. 1830 verließ Sternberg Rußland, in dem die Cholera wütete, und betrat in Lübeck deutschen Boden. Er ging nach Dresden zu Tieck, aber der alternde Dichter entsprach in keiner Weise dem Idealbilde, das der junge Balte sich von ihm gemacht hatte, sondern erschien diesem als ein kalter und unfreundlicher Egoist. Trotzdem blieb Sternbergs Schaffen noch lange im Banne der Tieckschen Märchen und Novellen. Er lernte in Dresden nicht nur die empfindsame Elisa von der Recke und ihren Seelenfreund, den moralphilosophischen Dichter Tiedge, sondern auch den Kunsthistoriker Karl von Rumohr kennen, den Verfasser des »Geistes der Kochkunst« (1823). Dieser erschien ihm freilich als ein pedantischer Gelehrter ohne jedes gesellige Talent. Inzwischen verbreitete sich die Cholera immer weiter. Hegel erlag ihr in Berlin, Schopenhauer flüchtete von dort nach Frankfurt; auch Dresden galt nicht mehr für sicher. Daher reiste Sternberg 1831 mit seinem Freunde, dem Baron Otto von Stackelberg, nach Süddeutschland und ließ sich in Mannheim nieder. Dort verkehrte er am Hofe der Großherzogin Stephanie, der Adoptivtochter Napoleons I., mit Hortense, der Mutter Napoleons III. In Baden lernte er den abenteuernden Lord Stanhope, den Beschützer Kaspar Hausers, kennen. In Mannheim schrieb Sternberg die Novelle »Die Zerrissenen« (1832) und fand damit den Ausdruck für die seelische Struktur der Zeit. Es handelt sich um ein Gemisch von empfindsamem Weltschmerz mit weltmännischer Blasiertheit und Liederlichkeit. Schon Byron hatte das Faustische in düsteren Weltschmerz verwandelt, aber ohne ihm die erhabene Würde abzustreifen. Den »Zerrissenen« fehlte jede Größe. Sie sind das, was Goethe »problematische Naturen« nannte, nämlich Menschen, die mit sich und mit der Welt nichts anzufangen wissen, aber diesen Zustand ungemein interessant finden und endlos über ihn reden. In der Ausgestaltung dieser weltanschaulichen Gespräche ist Sternberg noch immer durchaus der Schüler Tiecks. Im »Eduard«, der 1833 erschienenen Fortsetzung der »Zerrissenen«, nennt er ihn sogar »den größten jetzt lebenden Dichter«. Er hatte aber damals schon in Stuttgart Gustav Schwab, Uhland und Lenau, in Weinsberg Justinus Kerner gesehen und gesprochen. Bei einem längeren Aufenthalt in Weimar stellten sich die jungdeutschen Dichter Dingelstedt, Gutzkow und Freiligrath ein, um dort wie Sternberg die Umwelt des erst kürzlich heimgegangenen Goethe zu besichtigen. Bei dem berühmten Arzte Froriep traf Sternberg in Weimar Thiers, der damals das Jenaer Schlachtfeld für sein Werk »Konsulat und Kaiserreich« studierte. Unermeßlich erweiterte sich dann der Kreis der literarischen Bekannten Sternbergs in Berlin, wohin er 1841 endgültig übersiedelte. Die dichtenden Zeitgenossen gingen fast sämtlich in den »Tutu« über. Wie dieser entstand, berichtet Sternberg im ersten Teile (1855) seiner aufschlußreichen »Erinnerungsblätter«: »Noch lange vorher, ehe diese Flut von Illustrationen über unsern Büchermarkt hereinbrach, brachte ich nach Muster der guten illustrierten Werke der Franzosen, besonders eines Grandville und anderer, auf Aufforderung der Buchhandlung Weber in Leipzig die Zeichnungen zu dem Märchen ›Tutu‹ aufs Papier, und nach diesen Originalen schuf der Holzschnitt des Herrn Unzelmann in Berlin die bekannten Blätter.« . . . »Ich habe mit Vergnügen an diesem Buche gearbeitet; es ist das einzige, das seine Entstehung ganz allein dem Griffel verdankt. Ich entwarf bei traulicher Abendlampe im Kreise von ein paar vertrauten Freunden die Zeichnungen, und am Morgen darauf schrieb ich mit ebensolchem Behagen und mit derselben Freudigkeit den Text.« Vergnügen, Behagen, Freudigkeit geben in der Tat sehr im Gegensatze zu dem gequälten Stile der »Zerrissenen« jeder Seite des »Tutu«, der 1846 erschien, das Gepräge. Aus dieser Stimmung rissen den Dichter die Stürme des Jahres 1848. Die Märzrevolution erschien ihm als ein Verbrechen. »Zitternd vor Erbitterung, bis in die Fingerspitzen angefüllt mit Wut gegen dieses Volk«, um seine eigenen Ausdrücke zu gebrauchen, schrieb Sternberg den konservativen Tendenzroman »Die Royalisten« (1848). Seitdem galt er als Wortführer der Reaktionäre, wie er fünfzehn Jahre früher auf Grund der »Zerrissenen« als Führer ihrer Gegner gegolten hatte. Der ehemalige russische Gesandte in Berlin, Baron Meyendorff, drängte Sternberg, völlig ins Gebiet der politischen Schriftstellerei überzugehen, aber der Dichter merkte bei der Arbeit an seiner Broschüre »Erfurt«, daß ihm das Gebiet nicht lag, und verließ es. 1850 vermählte er sich in Dresden mit Karoline Luise von Waldow. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in der Uckermark auf einem Gute, das seinem Schwager gehörte. Er starb am 24. August 1868 in Dannenwalde (Mecklenburg).


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