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Don ZerburoDer Name und die Abstammung Don Zerburos weisen auf Lesages »Hinkenden Teufel« (1707). Dort blickt der Student Don Zambullo mit dem Teufel Asmodeus, der die Dächer abhebt, ins Innere der Madrider Häuser., Student der Theologie, ein junger Mann von angenehmen Sitten, der aber die Welt wenig kannte und deshalb etwas scheu und zur Einsamkeit geneigt war, beschäftigte sich eines Tages in der Abgeschlossenheit seiner Studierstube mit der sogenannten geheimen Wissenschaft, mit der Kabbala und den mystischen Traktaten der alten Gnostiker und Theosophen. Er saß noch spät nach Mitternacht bei der Studierlampe und hielt vor sich aufgeschlagen des Theophrastus ParacelsusParacelsus (1493-1541), bedeutender Vertreter der inneren Medizin, zugleich Alchimist und Schwärmer. Nach ihm entspricht dem Makrokosmus, dem Weltall, der Mikrokosmus, der Mensch. An die Stelle der vier Elemente setzt Paracelsus die Grundsubstanzen Mercurius (Quecksilber), Sulfur (Schwefel) und Sal (Salz). Sind sie in einem Menschen richtig gemischt, dann wirkt der schaffende Lebensgeist (Archeus) ungehemmt in ihm. Sonst muß der Arzt das richtige Verhältnis wiederherstellen. Auf diesem sonderbaren Wege kam Paracelsus zur Erfindung der Quecksilberkur. Der schwedische Mystiker Emanuel Swedenborg knüpfte mit dem Archeus terrae (Erdgeist) an Paracelsus an, und Goethe gestaltete seine Gedanken dichterisch in Fausts Beschwörung des »Erdgeistes«. Diese Szene parodiert Sternberg, wie schon Tutus Worte: »Du hast mich gerufen«, zeigen. Lehre von den Dämonen und Engeln. Mit diesem alten Autor verglich er die Schriften eines neuern, der über diesen selben Gegenstand sich verbreitete, des Magiers Swedenborg und indem er sich gründlich in diese mysteriöse Materie vertieft hatte, kam er dahin, eine kleine Formel aufzufinden, die unter andern gleichgültigen Sätzen so künstlich versteckt war, daß nur ein sehr geübtes Auge sie entdecken, und ein schon geweihter Sinn sie in Anwendung bringen konnte. Diese Formel enthielt einen Anruf an einen Bewohner höherer Welten; es war nicht recht deutlich, ob dies ein Dämon oder ein Engel war. Nachgrübelnd über diese geheimnisvolle Phrase sprach Don Zerburo mehrmals die Formel leise vor sich hin, und er war eben im Begriff, sie als einen glücklichen Fund aufs Papier zu bringen, als er einen leichten warmen Atem über seine Schulter wehen fühlte. Wie verwundert war er, ein Wesen, das Licht verbreitete, und dessen Schönheit einen Bürger anderer Welten verkündete, dicht neben sich sitzen zu sehen. Dieses schöne Geschöpf – ob Weib oder Mann war ungewiß – lächelte ihn an und sagte mit einem bezaubernden Wohlklang der Stimme, indem es auf die Abbildung im Buche wies: »Welch ein unähnliches Porträt! Das soll ich sein, mein Freund! Findest du wohl die kleinste Spur, daß dies Wesen mir gleicht?«
»Nicht die mindeste!« rief der junge Student, »nicht die mindeste.« Er erschrak, als er diese Worte gesprochen; denn er hatte sich tollkühn, und ohne lange zu untersuchen, in das Geisterreich hineingestürzt. Eine halbe Minute war vergangen, und seit dieser kurzen Spanne Zeit war der Himmel, die Erde, er selbst etwas anderes geworden, die Welt hatte ihre Gestalt verändert – ein Engel sprach mit ihm, und er – welch eine maßlose Kühnheit – hatte dem Engel geantwortet. Alles dies war so schnell geschehn und schien so natürlich und folgerecht sich ereignet zu haben, als wäre es das alltäglichste Ereignis. Der junge Student wurde jetzt befangen und blöde, aber er unterließ es nicht, seine Blicke, wenn auch verstohlen, auf die Schultern und den schönen Hals seines nächtlichen Gefährten zu richten; diese waren von einer Weiße und Zartheit, wie die Blätter einer Lilie, die der erste Morgenstrahl rötet.
»Du hast mich gerufen. Was ist dein Begehr?«
»Ich dich rufen? Nimmermehr hätte ich diese Kühnheit gehabt, wenn ich gewußt, daß ich einen Geist der ersten Ordnung von seinem himmlischen Aufenthalt durch meine vorwitzigen Worte herabbemühte.«
»Der ersten Ordnung? Das bin ich nicht. Da wir alle samt und sonders aufrichtige Geschöpfe sind und die Lüge nur auf eurer Erde wohnt, so will ich dir sagen, was du an mir für eine Bekanntschaft machst. Höre mir aufmerksam zu!«
Der junge Student machte seinen Folianten zu, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, kreuzte die Arme auf der Brust übereinander und, indem er die Augen halbgeschlossen mit einem zärtlichen Blick auf seinem Gaste ruhen ließ, hing er mit ganzer Seele an den Worten desselben.
»Es ist noch nicht lange«, hob der lichtvolle Himmelsbürger an, »daß wir euch und eure Erde kennen, die kurze Spanne Zeit von sechstausend Jahren etwa. Ich entsinne mich noch ganz gut der Vertreibung eurer ersten Eltern. Ich war damals Engel von der fünften Rangordnung und hatte noch keine purpurne Feder in meinem rechten Flügel, seitdem bin ich eine Stufe höher gestiegen. Aber noch immer treib' ich mich in den untern Regionen des Himmels herum. Ich könnte weiter sein, ich könnte vielleicht gar schon als Engel der dritten Rangordnung die Fußspitzen der Seraphim sehn, wenn sie hoch oben im Licht den Dienst um die Erzengel versehn – aber ich hab' so viele Unarten an mir. Ich bin neugierig. Das ist ein garstiger Fehler!« Als der schöne Engel das sagte, kniff er ein Auge zu und machte höchst anmutig die Grimasse eines weinenden Kindes, gleich darauf herrschte aber wieder Schönheit und Lächeln auf seiner Stirn. »Als die kleine Person den verbotenen Apfel gegessen hatte und das große Unglück darüber seinen Anfang nahm, stand ich grade auf dem Absatz einer kompakten Morgen-Gewitterwolke, als ich unsern erhabnen Gabriel in entsetzlicher Eile, so daß seine Flügel wie Sturmwinde sausten, an mir vorübereilen sah. ›Was gibt es denn da wieder?‹ rief ich erstaunt bei mir selbst. ›Ist der alte Ring des Saturns entzweigebrochen? Hat man auf dem Uranus das große Dreieck zertrümmert? Geht die Riesensonne Pleja mit ihrem Gefolge von sieben Millionen Erden in ein falsches Himmelsgeleis über? Hat sich in der Urtiefe des östlichen Himmels ein fremder Körper eingefunden, ein Weltenmonstrum, sieben zusammengewachsene Sonnen, die sich, eine die andere, mit Feuer begießen? – Was ist's? Was gibt's?‹
Meine Fragen blieben ohne Antwort und so entschloß ich mich – was streng verpönt war – hinaufzuschleichen und in der obern Versammlung der Engel zu lauschen. Da standen sie, die schönen, trotzigen Gestalten, die militärischen Engel, mit den flammenden Schwertern an den marmornen Hüften. Soeben war die Exekution vollführt worden. Der Engel, der deine ersten Eltern aus dem Garten hinausgewiesen, erzählte noch von den Tränen Hevas, und diese Tränen wußte er so rührend zu schildern, daß ich mein Herz erbeben fühlte. ›Wie war es dir möglich?‹ rief einer der Engel, ›ein so schönes Weib zu beleidigen? Ich meinerseits hätte Heva vertrieben; denn so lautete der Befehl, aber ich wäre nicht imstande gewesen, eine schon namenlos Unglückliche durch meinen Hohn zu verletzen.‹ – ›Du wärst es nicht imstande gewesen? O ja, ich glaub's‹, entgegnete der Gescholtene. ›Dein Herz, das wissen wir, wird durch eitle Schönheit gerührt, das Unglück, die hilflose Schwäche entwaffnen dich – aber sind dies Gefühle, die dem Vollstrecker eines hohen Befehls ziemen?‹ – Diesen kurzen Zwist der Engel hatte der Engel der Sanftmut mitangehört, er entfernte sich sogleich, um höhern Orts den Verteidiger Hevas zu denunzieren. Der arme Ituriel empfing seine Strafe: er mußte Mensch sein, Bewohner desselben Planeten, dessen erste Bewohnerin er in Schutz genommen. Aber du hättest den Blick sehn sollen, mit dem er den Engel der Sanftmut niederschmetterte, als er eben im Begriff, in sein Exil zu gehn, seinem Ankläger auf den Stufen des Himmelssaales begegnete. Nie werde ich diesen furchtbaren Stolz, diese grenzenlose Verachtung vergessen, die aus diesem einen Blick, wie tausend zusammengeballte Blitze, auf den Ankläger niederbrannten. Lange Jahrtausende später sah ich Ituriel auf Erden wieder. Er trug die sterbliche Hülle eines Mannes und war ein berühmter Dichter, dessen Verse die Welt anstaunte und bewunderte, obgleich derselbe Trotz und Hohn, derselbe Enthusiasmus für die Schönheit, dieselbe stolze Anmaßung gegen die Befehle von oben, dieselbe wilde Kühnheit im Schutze der von Gott und der Welt Gerichteten in ihm loderten. Sein Erdenname war Lord ByronLord Byron (1788-1824), dessen Bild auf S. 21 zu jugendlich ausgefallen ist, wurde in der Literatur der Zeit gern mit Luzifer, dem gefallenen Engel, verglichen.. –
Ich komme vom Streit der Engel auf meine eignen unbedeutenden Schicksale zurück. Derselbe Engel der Sanftmut, der Ituriel gestürzt, denunzierte auch mich als einen unbefugten Lauscher. Meine Strafe war jedoch – weil ich mich sogleich in Demut fügte, und die Fußspangen des Engels der Sanftmut küßte – nicht hart.
Ich mußte auf einige Jahrtausende in die schwarze Höhlung eines Sonnenfleckens mich verkriechen. Als ich wieder hervorkam, war mein erster Flug auf die Erde. An einem schönen Sommermorgen langte ich auf ihr an. Ich glaubte, noch Heva auf ihr zu finden, aber die arme Kleine war längst, längst dahin. Sie hatte die Erde mit ihren Kindern und Kindeskindern bevölkert, und das Geschlecht Adams war unzählbar wie der Sand am Meere geworden.
Ehe ich meinen Ausflug auf die Erde unternahm, zog ich einen alten Reise-Engel zu Rat. Derselbe war ein Pedant, aber er hatte so viel gesehn und hatte über alle Dinge so schätzbare Bemerkungen gemacht, daß ich doch nicht umhin konnte, ihn trotz seiner Altklugheit und seinem Wuste gelehrter Zitate, hochzuschätzen. Wir schlugen in seiner Real-Enzyklopädie, ein Werk, das vollständig siebzig Millionen Folianten enthält, welches aber in einen kleinen sehr bequemen portativen Auszug von etwa einer Million Bänden gebracht worden, den Artikel ›Erde‹ nach, und fanden dort die magischen Vorsichtsmaßregeln verzeichnet, die den Geistern der höhern Ordnungen beim Besuch dieses Kügelchens, dieses Miniatur-Sterns, vorgeschrieben werden. Das Ur-Symbol der Erde, hieß es da, ist die mystische Floskel – das heißt die Zwei, die da strebt, Eins zu werden. Dieses Symbol ist durch die zwei Geschlechter ausgedrückt, die da streben, durch Liebe eins zu werden. Die Signatur dieses in Frieden sich lösenden Streits ist der Kuß. Ein höherer Geist also, der nicht der Erde verfallen will, hüte sich vor dem Kuß; denn augenblicklich wird er, sowie er küßt, das Geschlecht dessen annehmen, den er küßt, und dann in irdischem Kleide eine Gefangenschaft von drei Menschenaltern auf der Erde zubringen müssen. Du kannst dir denken, wie diese Formel mich entsetzte, und wie ich mir bei meinem Besuche auf der Erde vornahm, nie und unter keiner Bedingung jenes zärtliche Symbol, das von so arger Gefährlichkeit für uns war, weder selbst auszuüben noch von irgend jemand zu empfangen. Dem Himmel sei Dank, bis jetzt – hab' ich mit kluger Vorsicht alle Klippen umschifft, und ich bin doch bereits fünfmal auf der Erde gewesen; zweimal aus eignem Antriebe und dreimal durch Magier gerufen. Wenn dir's genehm ist, so erzähle ich dir etwas von diesen Besuchen; sie fielen zu gänzlich verschiedenen Zeiten, und ich sah schon manches Geschlecht, das dem heute lebenden wenig glich. Aber ehe ich weiter plaudre, erzähle du nun, wer du bist. Ich habe nicht die Gabe der Allwissenheit und folglich weiß ich auch nicht, mit wem ich's zu tun habe.«
»Ich gehorche gern deinem Befehle«, erwiderte der junge Student; »doch erlaube, daß ich, wie es bei uns Edelleuten Sitte ist, zuerst von meinen Vorfahren berichte.