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»Ich kann mich noch lebhaft besinnen; welchen angenehmen Eindruck die Bekanntschaft Ledas auf mich machte«, hub der Graf an.
»Wie, Sie haben Leda gekannt?« fragte Iduna.
»Und weshalb soll ich sie nicht gekannt haben?« entgegnete der Graf. »Ich denke, mit demselben Rechte, wie unser Gast eben von dem Hofe Neros erzählte, kann ich mich mit der Bekanntschaft einer Geliebten Jupiters brüsten.«
»Freilich wohl«, bemerkte die Gräfin achselzuckend. »Sie müssen uns nur aber auch mit ebender Ausführlichkeit von Ihrer Bekanntschaft erzählen, als es eben in betreff des tyrannischen Kaisers geschehen ist, und womöglich müssen Sie uns durch Ihren Bericht ebenso sanfte Tränen der Rührung entlocken, wie es das tragische Schicksal der armen Metella vermocht hat.«
»Das zu tun werde ich nicht imstande sein«, entgegnete der Graf, »um so weniger, da mein Zusammentreffen mit der schönen Prinzessin, die durch ihr Talent, Eier zu legen, so berühmt geworden, nur heiterer Natur war. Ich traf die interessante Dame, als ich ihr einen Morgenbesuch abstattete, gerade beim Geschäfte des Eierausbrütens.«
»Ich hoffe, daß dabei nichts vorfiel, was gegen den Anstand verstieß«, sagte die dicke Dame, die für die Bekleidung der Hottentotten sorgte.
»Durchaus nichts, meine Gnädigste. Die Prinzessin saß auf einer Art offenen Taburett, in dessen Vertiefung man das auszubrütende Ei gelegt hatte. Sie trug einen leichten Morgenrock von Seide mit Falbeln besetzt, Glacéhandschuhe, Armbänder, eine weiße Rose im Haar, und las in einem Roman, der ungefähr in der Tendenz und dem Geschmack des Paul de KockPaul de Kock (1793-1871), Pariser Dichter. Seine zahlreichen Romane schildern das französische Bürgertum. geschrieben war.«
»Eine sehr übelgewählte Lektüre für eine Prinzessin«, bemerkte die dicke Dame.
»Ohne Zweifel, aber was tut man nicht, wenn man vier Stunden ununterbrochen Langeweile vor sich hat und gezwungen ist, sich nicht auf einen Moment vom Platze zu rühren?«
»In dem Fall muß man die arme Frau entschuldigen; aber wovon sprachen Sie mit ihr? unmöglich doch vom Eierlegen?«
»Ich berührte nur obenhin dieses merkwürdige Naturspiel, im übrigen sprach ich mit ihr von Dingen, von denen man gewöhnlich zu Frauen spricht, die keine Eier legen. Nebenbei besah ich mir die Anordnung ihres Amöblements. Es war da ein Sofa, von den Grazien gestickt, eine Mundtasse, von Minerva bemalt, und ein Ofenschirm mit einem sehr schülerhaft gemalten Rosenbukett von der Hand der Venus. Die Prinzessin lobte alles; denn sie liebte ihre illustren Verwandten leidenschaftlich, und in ihren Augen schadete es einer Göttin nichts, daß sie elende Tapisserie machte oder noch elender malte.«
»Während Sie sie sprachen«, fragte die dicke Dame, »stellten Sie nicht Untersuchungen an über die Form und Farbe des Eies? Es würde mich unbeschreiblich gereizt haben zu sehen, ob es vollkommen weiß und fehlerlos gewesen. In einem naturhistorischen Kabinette hat man mir einmal ein Ei gezeigt, das blaßgelb mit roten Punkten war, ein solches würde ich mir gewählt haben, wenn ich in der Lage der Prinzessin gewesen und mir die Wahl freigestellt worden wäre.«
»Wie kann man die Eitelkeit bis zu dem Punkte treiben?« sagte die Gräfin, indem sie der dicken Dame mit dem Finger drohte. »Wenn man Ihnen heutigentags erlaubte, Eier zu legen, würde es nicht eine geziemende Demut von Ihrer Seite verraten, wenn Sie sich begnügten, nur einfach weiße zur Welt zu bringen?«
»Ich weiß nicht«, entgegnete die Dame, »in gewissen Dingen bin ich gerne luxuriös. Ich liebe die Pracht in Kleinigkeiten. Doch fahren Sie nur fort in Ihrer Erzählung, lieber Graf!«
»Ich habe noch vergessen zu bemerken«, sagte dieser, »daß bei der Verzierung der Wände in Ledas Wohnung sich Jupiters Porträt bemerkbar machte, und zwar in zweifacher Auffassung. Auf dem einen Bilde war er als Schwan dargestellt mit dem grand cordon des Olympischen Hausordens, in dem andern war die Schwanenmetamorphose nur angedeutet, man hatte ihm einen langen dünnen Hals gegeben, eine hohe weiße Krawatte à la Talleyrand und ein weißes gepudertes Toupet. Er sah darin wie ein Diplomat aus der alten Schule aus.«
»Es war eine häßliche Diplomatie«, bemerkte die dicke Dame, »ein junges Mädchen zu einem Fehltritt zu verleiten, der sie in die Naturgeschichte der Vögel hinüberversetzte. Aber diese alten Diplomaten waren zu jeder Schändlichkeit aufgelegt und bereit.«
»Es ist jetzt nicht von den alten Diplomaten die Rede, sondern von den Göttern«, sagte die Gräfin, »und Sie werden gut tun, meine Liebe, die Erzählung nicht weiter zu unterbrechen.«
»Meinethalben«, entgegnete die dicke Dame und setzte sich in ihrem Stuhl zurecht, um ruhig fortzuarbeiten.
»Es ist nicht zu sagen«, fuhr der Graf in seinem Berichte fort, »welche Verwirrung dieses fremdartige Ereignis in der ganzen Familie Ledas hervorbrachte. Die kleinen Familienskandale unserer Tage sind äußerst dürftige und armselige Klatschereien, gegen diesen großartigen Stoff gehalten, der unerschöpfbar schien. Aber die Sache hatte ihre Privatunannehmlichkeit. Ledas Vater war der König Tyndarus, und dessen Vater war der König Glaukos. Dieser ehrliche Mann aß ungemein gern Eierspeise. Er aß die Eier als Omelettes, als Eierkuchen, er aß sie in Pasteten und in Törtchen, kurz in allerlei Gestalten.
Seitdem aber seine Enkelin das Glück oder das Unglück gehabt, mit einem Ei niederzukommen, wurden in der Küche des Königs Glaukos alle Eierspeisen untersagt, weil man nicht wissen konnte, ob die Eier eines natürlichen oder unnatürlichen Ursprungs waren.
Selbst das eine Ei zum Frühstück erlaubte sich der alte Mann nur mit großer Vorsicht, immer mit dem Gedanken beschäftigt, daß, indem er den Löffel aufhob, um die Eierschale zu zertrümmern, er seiner Nachkommenschaft zu nahe treten könne. Wahrlich, es war auch recht wohlgetan, dem alten Mann sein Frühstück zu verderben! Nicht genug, daß einen ein liederlicher Sohn in tausend Verlegenheiten stürzt, nein, er kann auch so weit gehen, uns in eine Verwandtschaft mit einer omelette aux fines herbes zu bringen!«
»Das ist eine anstößige Geschichte«, sagte die dicke Dame seufzend, »und es wäre besser, man hätte sie uns nicht erzählt.«
»Indessen«, setzte der Graf seine Erzählung fort, »blieb ich so lange im Palaste der Prinzessin, bis das erste Paar Eier ausgebrütet war und Kastor und die schöne Helena das Licht erblickten. Demzufolge ordnete man eine Art Familienfeierlichkeit an, zu der die Götter und Göttinnen des Olymps sich versammelten, ausgenommen der Papa, der, ich weiß nicht, aus welchem Grunde, wegblieb. Er erschien weder als Schwan mit dem grand cordon, noch als alter Diplomat mit einer Halsbinde à la Talleyrand; er kam gar nicht. Wahrscheinlich schämte er sich und scheute die Spöttereien Minervas.
Aber kein Umstand der Welt konnte die Grazien abhalten zu erscheinen.
Sie machten sich mit Merkur auf den Weg und langten im Palaste des Königs Tyndarus an, ziemlich ermüdet und in derangierter Toilette.
Bei dieser Gelegenheit lernte ich diese berühmten drei Mädchen kennen, die einst auf der Teetasse meiner Großmutter ich mich erinnere abgebildet gesehen zu haben und die damals schon meine volle Bewunderung sich erwarben.«
Die dicke Dame konnte es hier nicht lassen, in einen Ausruf der Freude auszubrechen. »Wie wundervoll«, sagte sie, »mit den Grazien gesprochen, sie von Angesicht zu Angesicht geschaut zu haben! Wie fanden Sie diese allerliebsten kleinen mythologischen Närrinnen?«
»Ich muß gestehen«, entgegnete der Graf, »daß ich ziemlich alltägliche Geschöpfe vor mir sah, und ich bekenne, daß die jungen Damen unsrer Salons viel eher verdienten, in die Mythologie aufgenommen zu werden, als diese drei berühmten Schönheiten.«
Bei diesen Worten sah der Erzähler Melanie an, die lebhaft errötete und ihren Blick senkte. Tutu hatte sein Auge auf die Gräfin gewendet, und Don Zerburo, der die Wahl hatte, entweder mit der dicken Dame zu liebäugeln oder in den Kamin zu starren, wählte das letztere.
»Es ist unerträglich«, murmelte er vor sich hin, »wie langweilig die Verliebten sind.«
»Die Eröffnung des Balls«, setzte der Graf seine Erzählung fort, »fand statt, indem Juno dem König Tyndarus die Hand reichte und mit ihm ein Menuett begann.
Man muß gestehen, daß eine Frau, der ihr Mann eine so arge und anstößige Untreue gespielt hatte, sich nicht besser in die Umstände fügen konnte, als es die stolze Beherrscherin des Olymps tat.
Nicht allein, daß sie es edelmütig verschmähte, sich an ihrer eierlegenden Nebenbuhlerin zu rächen, sie tanzte sogar auf der Taufe der Bastarde. Diesem Beispiele folgten alle Göttinnen, und ich erhielt die Ehre, mit Minerva zu tanzen, die mir auf die Füße trat. Beim Souper wurde Nektar in Fülle getrunken, und als man sich erhob, tanzten Merkur und die Grazien die Polka auf eine so mutwillige Weise, daß einige mißbilligende Blicke und Reden laut wurden. Der alte König Glaukos hielt auf Anstand.
Als ich mich verabschiedete, fand ich die junge Wöchnerin leidend; sie winkte mich an ihr Bette heran und gab mir ein Stück Eierschale, die ich zum Andenken in meine Brieftasche legte. Die Naturforscherversammlung, der ich unglücklicherweise dies merkwürdige Fragment mitteilte, um darüber Forschungen anzustellen, hat es verschwinden gemacht. Ein unwürdiges Mitglied, entflammt von einer allzuheftigen Begierde, die Natur zu erforschen, hat mir meinen Schatz entwendet, um ihn einer chemischen Analyse zu unterwerfen. Ich geriet außer mir, als ich diesen Raub inneward, und habe dem Räuber lange, wiewohl vergeblich, nachgesetzt.
Nach den neuesten Nachrichten hat Leda noch viele, doch nicht mehr so berühmte Eier gelegt. Die meisten dieser Knäbchen kamen auf die Welt und wurden Virtuosen und Gelehrte, daher es auch in unsern Tagen nichts Ungewöhnliches ist, BübchenMit den Bübchen sind die Jungdeutschen gemeint, besonders Karl Gutzkow (1811-1878). In die 1845 erschienene zweite Auflage seiner »Öffentlichen Charaktere« hatte er Schleiermacher, Georg Büchner, Bettina, Charlotte Stieglitz u. a. mit der Bemerkung aufgenommen: »Den politischen sollten sich auch einige literarische Charaktere anreihen.« Diesen Satz meint Sternberg. Das Bild müßte also eigentlich die Unterschrift tragen: »Karl Gutzkow schreibt über Literatur und Politik.« In den »Erinnerungsblättern« (Teil VI. S. 12) äußert Sternberg über Gutzkow: »Das Leben dieses Mannes, den das Feuer des Ehrgeizes verzehrt, ist nur ein ängstliches Vorwärtstreiben auf dem Wege der literarischen Zelebrität.«, denen die Eierschale noch auf dem Kopfe klebt, das Piano spielen oder über Kunst und Literatur, über Staat und öffentliches Leben aburteilen zu hören.«