Alexander von Ungern-Sternberg
Tutu
Alexander von Ungern-Sternberg

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Fünftes Kapitel

Leiden einer Tochter Thalias. Der Mann mit redlichen Absichten und der Sohn des Bolero

 

Welch ein beklagenswertes Los ist das einer Schauspielerin, die da alt wird und noch Liebhaberinnen spielt. Oh, welch ein verwüstetes Leben! Zahllose erlogene Liebeserklärungen hat sie angehört, und zu jeder hat sie gelächelt und jede dankbar angenommen. Unter papiernen Rosen hat sie geträumt und das erste keusche Erwachen der Liebe geheuchelt; Seufzer hat sie emporgesendet in den bestaubten Theaterboden, und was alle anderen Mädchen als das süßeste Geheimnis tief im Busen verbergen, damit eilte sie an die Theaterlampen und schrie die Worte der Liebe, die man nur flüstern darf, laut dem Publikum zu. Armes Herz! Die Virtuosenhand der Dichter spielte auf dir wie auf einem Instrumente; du mußtest kunstgeübt Note auf Note anschlagen, und wehe dir, wenn du einen unreinen oder gar falschen Ton anklingen ließest. Welch eine grausame Kunst, die sich das reine Herz eines Mädchens zum Material erwählt, das sie zerstückelt und auseinanderfasert, um daraus ihre blendenden Gewebe zu fertigen! Himmel! welch eine grausame Kunst! Langsam bereitet sie sich ihr Opfer vor. Die süße Mädchenunschuld, das Erröten der ersten Neigung, der zarte Fruchthauch des Herzens, die zum ersten Male erzitternde Fiber – oh, alles, alles muß langsam angequält, mühsam erkünstelt werden! Welch eine grausame Kunst! Und nachher fliegt dies arme Geschöpf, das ihr um jede Tugend, um jede wahre Liebe, um jede echte ungekünstelte Empfindung gebracht, mit dem allezeit fertigen Theaterherzen auf der Bühne herum, eine lechzende Liebeskünstlerin, eine verbrauchte Geliebte, ein Leihexemplar der Liebe, das von einer Hand in die andere gegangen ist, das ein Arm dem andern zuschleudert, ein Theater-Romeo dem andern! Hundert ungeübte Histrionen, deren Atem von der Schenke duftete, deren Liebeszauber in irgendeiner unreinen Küche zusammengebrüht worden, werfen ihre Arme um dich und tasten sich an dir heran zu der Virtuosität, die dann der Pöbel der Galerie wiehernd beklatscht! Oh, und jeder Romeo, jeder Faust, jeder Egmont ist dir zuletzt recht; du bist für jeden Julia, Gretchen, MargaretaDie Geliebte Egmonts heißt nicht Margareta, sondern Klärchen.. Dein abgenutztes Herz hat nur seine Marionettenzuckungen, die ihm eingelernt sind und die es täglich, wenn die Uhr sieben geschlagen, öffentlich abspielt. Armes, armes Kind! Wie oft sank der Vorhang und sah dich bekränzt als glückliche Braut, beneidet und bewundert, im Lichtglanz und im Lächeln; aber kaum war die Scheidewand gefallen, welche die kleine Gruppe auf der Bühne von der großen Gruppe jenseits derselben trennte, so lösten sich die Arme deines Bräutigams von deiner Taille; schläfrig und gähnend sieht er sich nach dem Diener um, der ihm den Mantel reicht, um nach Hause zu gehen. Deine Mutter, deine Schwestern, die dich eben so heiß umschlossen hielten, dein alter Vater, der dich mit Tränen im Blick segnete, die edeln Freundinnen, die den Brautkranz über deinem Haupte hielten – alle wenden sich rasch von dir ab und eilen keuchend und schreiend über die Bühne. Du stehst allein. Eine Dienerin hält dir die warmen Winterschuhe hin, du schlüpfst hinein, und wenige Minuten darauf sitzest du in deinem einsamen Stübchen und starrst in die kalte Winternacht hinaus. Welch ein armseliger Hochzeitsabend! Wie viel Lüge! Und morgen bist du wieder Braut – und übermorgen wieder und dann wieder, und diesen Brautabenden folgt nie eine glückliche Nacht, nie ein Morgen, wo du als junge Frau aufwachtest – du bist bestimmt, ewig jung zu sein – ewig hoffend –. Ach, eine jammervolle Jugend, eine erbärmliche Hoffnung!« –

»Teile mir von diesem armen Geschöpf doch etwas Näheres mit«, rief Don Zerburo. »Vor deinem Blicke lag gewiß ihre Vergangenheit entschleiert.«

»Gewiß«, erwiderte Tutu, »ich sah ihre glänzenden Stunden, ihre sonnenbeschienenen Tage an mir vorübergleiten, und manches anziehende Bild entrollte sich meinen Augen. Während die Alte noch freudeglühend die Summe überzählte, die ihr durch meine Vermittelung zuteil geworden, sah ich im Spiegel der Vergangenheit dies zitternde Haupt, von den Locken der Jugend umwallt und von den Rosen der Liebe geschmückt.

Zuerst erblickte ich das schwächliche, magere Kind, wie es bei einer geizigen alten Verwandten Magddienste verrichtete. Der arme Student, der im ersten Stock des Hauses Musikstunden gibt, wird zuerst auf die helle, glockenreine Stimme aufmerksam, die aus dem Dachstübchen hervortönt. Er, selbst arm und verlassen, nimmt sich der Armen, Verlassenen an. Er begegnet der Kleinen auf der Treppe. Er nimmt ihr den schweren Holzkorb ab und trägt ihn hinauf; ein Ritterdienst, den der künftige Meyerbeer der künftigen Mademoiselle RachelElisa Rachel (1820-1858), die Sternberg auf den folgenden Seiten Elisara nennt, sang seit 1830 in Pariser Kaffeehäusern, studierte dann Musik auf dem Konservatorium und ging zum Schauspiel über. In der Deklamation wurde sie von Samson unterrichtet. Ihre größten Erfolge errang sie in den Tragödien Corneilles und Racines. Als eine solche Königin ist sie auf Seite 58 dargestellt, Samson auf Seite 57 – als Theseus. leistet. Den Sonntag darauf spricht er an dem Freitische, den er bei einem reichen Krämer seines Stadtviertels erhält, von seiner neuen Bekanntschaft, und ein dicker Herr, der sich beim Dessert die Weste aufknöpft, hört vornehm lächelnd zu. Dieser dicke Herr ist der Intendant der Oper? – o nein, es ist nur der Barbier des Intendanten, durch ihn erfährt aber sein Kunde das Dasein Elisaras – dies ist der Name unsers Theater-Findlings. Der Machthaber über die Kulissenwelt sendet einen seiner Werber aus, und zum Glück für das Mädchen trifft seine Wahl auf einen jener ehrlichen, alten, ergrauten Theater-Invaliden, einen aus der alten Garde Melpomenens, der die gutmütigen Polterer und die Helden zweiten Ranges gespielt hat. Er besitzt noch Feuer genug, um im Dienste der Kunst zu erglühen, aber zum Glück nicht mehr Feuer genug, um seine jungen Schülerinnen vom Pfade der Tugend abzuleiten.

Jetzt wird Elisara das Programm der Kunstleistungen der Bühne vorgelegt, und sie soll sich entscheiden. Sie sieht einträchtig auf einer Tafel zusammen dargestellt die hüpfenden Beine der Tänzerin, die tragische Maske der Schauspielerin, das Notenblatt der Sängerin. Welch ein Feld des Ruhms, in so kleinem Rahmen zusammengedrängt! Welche Seufzer, welch ein Enthusiasmus! welch Entzücken, oh, welch eine Rührung, von dieser einfachen symbolischen Darstellung ausgehend! Hier ist das Glück Tausender, der Stolz und der Ruhm ganzer Generationen! Dies ist das Hohepriesterschild auf der Brust unserer frivolen Zeit. Elisara wählt das mittlere Symbol, und sogleich stellt sich ihr alter Lehrer in Position und deklamiert ihr, mit einem alten Lorbeerkranz auf dem Kopfe, den Theseus vor, wie er die Anklage Phädras und den Verrat Hippolyts erfährt. »Ihr Götter! rächt einen Vater, der verraten ist!« ruft er, und staunend und voll Rührung betrachtet er seinen kleinen Zögling. »Mein Kind«, sagt er zu ihr, »du wirst es nie bedauern, so gewählt zu haben, wie du zu meiner Freude gewählt hast. Unsere Kunst ist die einzig wahre Kunst, die andern sind neben ihr nur verächtliche Künste, trostlose Künste. Die Beine einer Tänzerin laufen mit ihr schnurstracks in die Hölle, die Kehle einer Sängerin vertrocknet bald, aber hast du einmal vor dem Volke geredet mit den goldenen Worten der Dichter, so bleibt ewig etwas Königliches an dir haften, und würden auch die Lumpen einer Bettlerin dir einst zuteil!« Er hatte wahr geredet.

Die Lumpen waren ihr zuteil geworden, aber es haftete doch noch in Gebärde und Stimme etwas Königliches an dem alten, armen Weibe. Im Dienste des Schönen gestanden zu haben, ist immer noch, auch in später Erniedrigung, ein Trost.

Wie reizend war unsere Kleine, als sie zum ersten Male eine Königin darstellte! Wie ungeschickt hielt sie das Zepter und gleich einem schönen Apfel, den man im Grase gefunden, so hob sie den Reichsapfel empor und winkte damit ihrem alten Lehrer, der sie lächelnd und zärtlich von den Kulissen aus beobachtete. Nie ging eine schönere junge Königin über die Bretter dieser lampenbeleuchteten Welt.

Sie war ganz Jugend und Anmut. Von diesem Augenblicke an herrschte sie! An diesem Abend errang sie den Sieg über die erste Liebhaberin, der sie ihre Demanten und ihre Verehrer raubte. Ein Heer von Sklaven fand sich in ihrem Vorzimmer ein. Ein gichtbrüchiger alter Bankier erklärte zu gleicher Zeit seiner Gicht und seiner Tänzerin den Krieg und ging unter die Fahne der neuen Siegesgöttin. Ein Ereignis, das alle Klatschschwestern der Residenz in Bewegung setzte.

Aber der Triumph wird durch einen Umstand verleidet; dieser ist, daß Alizia, die Primadonna des Balletts, zu gleicher Zeit den Kulminationspunkt ihrer Berühmtheit und Beliebtheit erreicht hat. Es ist eine schöne, groß und voll gewachsene Blondine, ein sinnliches Geschöpf voll Kapricen, ein hübsches Weib ohne Tugend, eine Kokette, wie der vornehme Pöbel sie liebt, eine farbige Blume, wie die Sonne des Parterres sie zeitigt, nicht das heimliche Feuer der Kunst. Wenn sie die plastischen Formen ihres schönen Körpers an den Lampen des Proszeniums vorüberführt, fährt ein ekelhaftes Feuer in die Körper der Greise, während die keusche und männliche Jugend den Blick niederschlägt. Mit dieser Tochter Terpsichores tritt die Tochter Melpomenens in Kampf. Das Heer der Liebhaber teilt sich, ein Teil bleibt zu den Füßen Elisaras, der andere Teil schart sich um den Triumphwagen Alizias, wenn er noch hinter den Kulissen weilt und die schöne Nymphe eine Tasse Schokolade trinkt.

Nach dem Schauspiel sind bei beiden Göttinnen des Tages Versammlungen. Bei Alizia treffen die Schwätzer der Residenz zusammen, die brillanten Hohlköpfe, die Elegants, die das Meisterwerk ihres Schneiders zur Schau tragen, Männer mit monströsen Bärten, pflichtvergessene Väter, die nach Patschuli duften, Männer mit versteinertem Gewissen und vergoldeter Tabatière, junge Prinzen, die um jeden Preis einen schlechten Ruf erlangen wollen, Habitués der Cafés und Kasinos, unheilbare Schmarotzer und Parasiten, die nicht erröten, für eine Schüssel Bayonner Schinken, in Bordeaux gekocht, ein albernes sinnliches Weib bis in den dritten Himmel zu erheben und sie zum Genius des Jahrhunderts zu ernennen. – Zu Elisara schleichen dagegen die bleichen Jünglinge, die irgendeine heimliche Liebe zu einem großen Dichter im Herzen tragen, die Pagen Goethes, die Hermelinmantelträger Shakespeares, die Opferknaben an der Büste Schillers, die zärtlichen Geister, deren Antlitz immerdar in einem feuchten Enthusiasmus gebadet ist, die in Versen träumen, und die mit jedem Vollmond eine neue Tragödie zustande bringen. Diese interessanten unpraktischen Naturen, die zu dem Theater in einem pathologischen Verhältnis stehen, das ihnen Wunden schlägt und sie wieder heilt, diese bleichen Schwärmer im dunklen Hain Melpomenens kommen zu ganzen Scharen, um Elisara ihre keusche Anbetung zu zollen. Zu gleicher Zeit finden sich einige verdrießliche Künstler ein, Leute mit mittelalterlichen Bärten, die dem Wurf einer Falte nachgehn und tiefsinnige Beobachtungen über eine Manteldraperie anstellen. Diese zanken mit Elisara über ihre Stellungen, preisen der jungen errötenden Künstlerin die skandalöse Nacktheit der Antike und enden damit, daß sie ihre mittelalterlichen Bärte in moderne Weinpokale tauchen und sich betrinken. Wenn die Mitternachtsstunde schlägt und Alizia auf ihrer Couchette lächelnd und bekränzt daliegt, umblüht vom Gesang, in farbige Lichter gehüllt durch die steigenden Raketen mutwilliger Scherze, trunkener Epigramme und frecher Liebeserklärungen, hört man in dem Salon Elisaras die Poeten wüten, die ihre Verse vortragen und einer dem andern mit entflammten Blicken den Schluß einer Tragödie abjagen. Helden werden erstochen, wahnsinnige Könige irren umher, poetische Nonnen rasen, liederliche Verse und liederliche Weiber laufen miteinander davon, das Schicksal, der Tod, die Pest, Gift, Dolch, Brand – alles flattert und stürmt dahin und stürzt zuletzt in eine und dieselbe Punschbowle, wo der Tod seinen Tod findet. Elisara lacht; sie gleicht einer jungen Göttin der Torheit und präsidiert diesem verrückten Parnaß. Zuletzt, wenn sie alle fort sind, bleibt ein hübscher Junge allein zurück, halb demütig, halb keck lächelnd an der Tür stehen bleibend und fragend, ob er hoffen darf. Das ist eine sehr unweise Liebschaft, aber Elisara versteht auch von Klugheit und Berechnung nichts. Sie ist jung, sie liebt, und während Alizia den reichen alten Fürsten zurückbehält, winkt sie huldvoll diesem armen Knaben, der nichts hat als seine schönen Augen und sein weiches Herz. Aber diese Unklugheit fand ihre Strafe.

Die poetische Natur Elisaras vertrug sich nicht mit dem Kalkül der Libertinage, wie ihn Alizia übte. Noch zu rechter Zeit fand diese einen Mann mit redlichen Absichten, dem sie die Hand reichte, als auch die letzten Strahlen der Theatersonne für sie untergegangen waren.

Elisara fiel dem Elend anheim.

Alizia, als ehrbare Frau des Krämers, begleitete ihren Erwählten stolz und glücklich in die kleinen Tabagien der Vorstadt; sie besuchte mit ihm die Gärten und Spaziergänge, unbekümmert, ob Neid oder Bosheit ihren Schritten folge. In den Augen der ehrlichen Bürgerinnen des Stadtviertels, in welchem ihr Erwählter einen kleinen Gewürzladen hielt, galt sie für ein Muster der Tugend und Häuslichkeit; weil sie sich nie anders zeigte als an der Seite ihres Mannes und ihren Knaben an der Hand führend. Daß dieser Knabe die Züge des jungen Künstlers trug, mit dem sie zuletzt den Bolero getanzt, das ahnte in diesem bescheidenen Stadtviertel, so weit entfernt von der Verderbnis des Mittelpunkts der Hauptstadt, niemand.«


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