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Geben Sie uns ihre Mappe her«, sagte die Gräfin zu einem jungen Künstler, der an einem dieser Abende am Kamin mit zu der Gesellschaft gezogen worden war. Sie nahm die Blätter, legte einige lächelnd beiseite, andere, die sie für minder verfänglich hielt, gab sie ihrer Umgebung hin und ließ sie von Hand zu Hand gehen.
»Soll ich den Kommentar machen?« fragte der Graf.
»Es bedarf dessen nicht«, entgegnete Iduna. »Wir wissen so ziemlich, wen wir vor uns haben. Bei dieser Art Bildern ist das Erraten und Dechiffrieren der hauptsächlichste Genuß.
Das ist ein amüsantes Bildchen; es stellt den Prinzen Johann ohne LandDer Prinz Johann ohne Land ist Fürst Hermann von Pückler-Muskau (1785-1871), der Schöpfer der berühmten Parkanlagen in Muskau und Erfinder des Halbgefrorenen. Seine Reisen schilderte er in den »Briefen eines Verstorbenen« (1830 und 1832) und im »Semilasso in Afrika« (1836). Diesen Dichternamen brachte Herwegh, der die auffälligen Reime liebte, in einem seiner Sonette wirkungsvoll an:
Die große Zeit zertrümmerte die Flöte,
Sie braucht Posaunen und den tiefsten Basso
Und schwarze Nacht statt milder Abendröte.
Die Losung ist nun Dante und nicht Tasso.
Was sollen uns noch Schiller oder Goethe?
Was soll uns gar der Pascha Semilasso?
In den »Erinnerungsblättern« (Teil III. S. 2-12) berichtet Sternberg, daß Pückler ein Dandy war: »Wilde Pferde und wilde Frauen wußte er auf gleiche Weise zu zähmen, und beide mußten auf gleiche Weise dazu beitragen, seinen Ruf in der fashionablen Welt zu verbreiten.« Er begab sich mit einer kleinen Küche und einem Parfümerieladen zu den Quellen des Nils, trug Schals und Kaftane und schloß Freundschaft mit Mehemed Ali (1769-1849), dem Vizekönig von Ägypten. Außer der alten Lady Stanhope auf dem Libanon fand Pückler im Orient keine Frau, über die er Bonmots vom Stapel lassen konnte. Er brachte nach Europa eine neue Art, Reis zu kochen, mit und entzückte dadurch Rumohr. (Vgl. Anm. zu S. III.) Er brachte auch eine äthiopische Sklavin mit, aber diese »verkümmerte bei der Lausitzer Luft und in der unmittelbaren Nachbarschaft der Poesien Leopold Schefers«. Pücklers Gattin, die Tochter des preußischen Staatskanzlers Hardenberg, bekam man nie zu Gesicht. Man behauptete, sie besitze einen Zwerg und liebe ihn mit abgöttischer Zärtlichkeit. In Berlin wohnte Fürst Pückler am Brandenburger Tor. Als vorurteilsfreier Weltmann ärgerte er sich keineswegs über den »Tutu«, sondern äußerte sich sehr beifällig über ihn. vor. Wir sehen ihn, wie er seine erste Wanderung antritt.
Er besucht das Land der rothaarigen Barbaren.
Die rothaarigen Barbaren, die einige Epigramme des Prinzen Johann ohne Land übelgenommen, weisen ihm die Tür.
Der Prinz begibt sich in ein heißes Klima, um sich von dem Besuche bei den rothaarigen Barbaren zu erholen.
Er schließt eine innige Freundschaft mit einem dicken Pascha.
Er orientiert sich allerwege und scheut keine Gefahren, denen ein Prinz in dem heißen Klima ausgesetzt sein kann.
Ein Krokodil entführt dem berühmten Reisenden ein Konvolut Manuskripte.
Abyssinisches Ballett. Der Prinz, der Pascha und die schöne Sklavin.
Rückkehr des Prinzen in die Heimat und heftiger Kampf daselbst mit einem kleinen boshaften DemagogenDer Demagoge ist der Dichter Georg Herwegh (1817-1875). Gegen Pücklers »Briefe eines Verstorbenen« richtete er 1841 die »Gedichte eines Lebendigen«. Das Bild verspottet die erste Strophe von Herweghs Gedicht »An den Verstorbenen«:
O Ritter, toter Ritter,
Leg deine Lanze ein!
Sie soll in tausend Splitter
Von mir zertrümmert sein.
Heran auf deinem Rappen,
Du bist ein arger Schalk
Trotz Knappen und trotz Wappen,
Trotz Falk und Katafalk!.
Der Prinz begibt sich abermals in ein heißes Klima. Zärtliche Szene des Wiedersehens mit dem Pascha. Wachsende Neigung der schönen Sklavin.
Abyssinisches Stilleben.
Zusammentreffen des Prinzen ohne Land mit einer Lady ohne LandDie Lady ohne Land ist Lady Stanhope (1776-1839), die Nichte William Pitts. Sie hatte sich 1814 in Syrien niedergelassen und den Einwohnern viele Wohltaten erwiesen, aber dabei ihr Vermögen verschwendet, so daß sie schließlich vollkommen mittellos war..
Abermalige Rückkehr des Prinzen in seine Heimat.
Ein Versuch, die schöne Sklavin mit den Segnungen unsrer Zivilisation bekanntzumachen.«
Als man diese Bilder beiseite gelegt hatte, sagte Tutu: »Ich denke dabei an einen Spruch des Seneca, der da lautet: ›Wenn die Zeit uns klein machen will, so hat sie dazu tausend Mittel; die gefährlichsten sind, wenn sie uns Stelzen gibt, durch deren Hilfe wir aus der Menge emporragen und riesengroß erscheinen. Diese augenblickliche übertriebene Größe macht es uns für immer unmöglich, durch unsere Person und ohne künstliche Mittel einst groß zu sein.‹«
»Der Satz ist etwas zu lang für mein Fassungsvermögen«, bemerkte die Dame, die für die Bekleidung der jungen Hottentotten sorgte.
»Wie gerne möchte ich SenecaNero und Seneca waren durch Karl Gutzkows fratzenhafte Tragödie »Nero« (1835 in erster, 1845 in zweiter Fassung gedruckt) wieder interessant geworden. Die Galerie der Philosophen tritt auch bei Gutzkow auf, aber ihren Tanz (S. 134) hat Sternberg erfunden. gekannt haben«, hub die Gräfin an. »Ob er wohl einige Ähnlichkeit mit unserm Philosophen im schwarzen Frack und der weißen Halsbinde hatte?«
»Ich hab' ihn gekannt«, sagte Tutu ernsthaft.
»Eine artige Phantasie!« rief die Gräfin. »Nun, so schildern Sie uns den Hof Neros. Es muß ein seltsamer und phantastischer Hof gewesen sein.«
»Ich habe diesen Tyrannen in Wirklichkeit und Wahrheit gesehen«, rief Tutu lebhaft und durch die ungläubigen Mienen Idunas gereizt. »Es ereignete sich dies auf meiner zweiten Wanderung auf der Erde.«
»Nun denn!« – rief Iduna. »Wir wollen unsere kleine Zeit vergessen und uns an den Konturen der Gestalten einer Heldenperiode weiden.«
Die dicke Dame warf ihr Stickzeug hin: »Bei diesen Bildern und diesen Gesprächen«, rief sie, »langweile ich mich so, wie sich nur jemand langweilen kann, der die Werke einer gewissen genialen SchriftstellerinDie geniale Schriftstellerin ist Bettina (vgl. Anm. zu S. 83). Das Bild stellt sie als Kind dar, das an Goethe schreibt. liest.«