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23. Ein Abschluß.

Die Wahrheit, die uns frei macht.

Wir verloren den Kommissär Sten Halm aus den Augen, als bei der Taufe im Hause seines Bruders, des Kommerzienrats, das Gold der Sonne über dem Kopf des Kindes einen so überwältigenden Eindruck auf ihn machte. Die Natur hatte diesen seiner Zeit öfters erwähnten Menschen mit einem Körper von Stahl ausgerüstet, der bisher allen Stößen und Schlägen des Lebens und seiner Leidenschaften widerstanden hatte, mit einziger Ausnahme jener abergläubischen Vorstellung, die ein Erbe seines Geschlechtes war. Nun war er von einem leichten Schlaganfall getroffen; wohl erholte er sich unter der treuen Pflege seiner Brudertochter allmählich wieder, aber das schon lange gerostete Eisen war gesprungen und ging Schritt für Schritt abwärts dem Schmelzofen entgegen, in welchem selbst der härteste Stahl einmal erprobt werden muß. Sten Halm erlebte jedoch die große Freude, daß er immer klarer ward, je mehr er sich dem Ende näherte. Auch ward das harte Eisen immer weicher und schließlich beugte sich der einst so stolze Mann vor der freien Gnade, die nur im Glauben ergriffen wird, und die seine geduldige Pflegerin täglich wie eine Mauer wider seine Selbstgerechtigkeit aufrichtete, und zugleich als einen Schutz gegen das schreckliche goldene Gespenst. Lisu Halm war wie in allem so auch in ihrem Christentum durch und durch praktisch. Sie ließ sich nicht an den Dogmen genügen, die wohl eine tiefe Bedeutung für den forschenden Menschengeist haben, aber die auch stets mit dem irdischen Leben einen Bund schließen müssen, damit sie als Lebensmächte das Herz ergreifen und alles neu machen können. Sie appellierte beständig an die eigene Erfahrung, die ihr Onkel während seiner zwanzigjährigen seltsamen und selbsterwählten Bußübung gemacht hatte. Er konnte es ja nicht leugnen, daß der eingebildete Friede, den die Dominikaner ihm als eine Frucht guter Werke, der Armut und des Spottes der Welt vorgespiegelt hatten, sich als falscher Friede erwiesen hatte. Auf diesem Wege könnte nie genug geschehen; Entsagung oder gute Werke hätten ja nicht die Kraft, eine einzige Schuld zu tilgen. Es gebe im Himmel und auf Erden keine andere Versöhnung und Erlösung von solchen Mächten der Finsternis als die ewige Erlösung, die Christus am Kreuz erworben habe und die im Glauben ohne eigen Verdienst und Würdigkeit angeeignet werden müsse; wäre er aber erst zu dieser unbedingten Unterwerfung unter die Gnade Gottes in Christo Jesu gekommen, so würden unter täglicher Erneuerung des Herzens durch des heiligen Geistes Kraft auch gute Werke, in Gott gethan, den guten Menschen folgen, da werde er den Frieden finden, den ersuche, und das »Christentum im allgemeinen«, auf das er so stolz sei, werde schließlich schon ein lutherisches Christentum werden, gegründet aus dem Felsen der ewigen Wahrheit. –

Lisu Halm war eine demütige, ungelehrte Jungfrau, nun neunzehn Jahre alt; sie hatte keine höhere Bildung als so viele andere Töchter reicher Kaufmannsfamilien jener Zeit, und konnte ihren Glauben nicht in einem zusammenhängenden Vortrag darstellen. Aber sie hatte einen guten natürlichen Verstand und ein klares Urteil über religiöse Fragen, das sie sich in den christlichen Versammlungen in Stockholm und Finnland gebildet hatte, ohne sich jedoch den »Lesern« in ihren strengen und unverträglichen Verdammungsurteilen anderer Wege, auf welchen Gott einen suchenden Geist zur Lebensquelle leiten kann, anzuschließen. Nur an die Worte der Bibel klammerte sie sich; da wollte sie von keinem Accord wissen, da ließ das sanftmütige, demütige und freundliche Mädchen sich weder nach rechts noch nach links bringen. Und darin bestand ihre Kraft – eines Kindes Hand und eines Helden Schild, einer Jungfrau Schutz und eines Welteneroberers Kraft.

Sten Halm merkte allmählich, welch eine Kraft in diesem festen Glauben und dieser demütigen Liebe verborgen war, geradeso wie es auch der junge Student und der geschäftsgewandte Kommerzienrat gemerkt hatten. Sten Halm sah in seiner selbsterwählten Armut kein Verdienst mehr; ihm waren seine Bußübungen oder seine guten Werke nicht mehr Schlüssel zur Himmelspforte; er demütigte sich, er unterwarf sich unbedingt der Gnade, er gab sich ganz hin – und das ists ja, was sowohl der wahre Gott wie die falschen Götter wollen, und darum nahm er alles für nichts und fand Frieden.

Gegen Ende des Frühlings nahmen seine Kräfte Tag für Tag ab. Lisu Halm verließ ihn nicht mehr; er konnte sie nicht entbehren – sie war einer der Friedensengel, von welchen geschrieben steht, daß sie die Seelen hinaufführen zu den ewigen Wohnungen.

Es kam der Sommer, und an einem Juniabend saßen Margarete Halm und Hans Hermann Halm zugleich mit Lisu an dem Bett des Sterbenden. Die untergehende Sonne schien durch das Fenster hinein, warf ihre Strahlen auf ihn und ließ alles im Zimmer in goldenem Glanz erscheinen. Lisu wollte die Rouleaux herablassen. »Nein,« sagte der Alte, »laß mich die Sonne sehen! Siehst Du nicht, daß sie nun, da der Tag sich neigt, noch einmal zu mir kommen, mich an meine Thorheit und Sünde erinnern und mir sagen will, daß ich Vergebung empfangen habe? Weshalb sollte ich mich vor der Sonne fürchten? Mich rührt das Gold nicht mehr, das meines Herzens Wonne gewesen und mein Verderben geworden ist. Es ist alles, alles Staub der Erde … Aber sieh, so scheint Gottes Liebe über den ärmsten Sünder! … Kein Verdienst … keine Würdigkeit … alles Gnade … nur Gnade! … Heb mir den Kopf in die Höhe, Kind, daß ich noch einmal die Sonne sehen … danken und preisen kann …«

Das waren seine letzten Worte. Sten Halm, der ausschweifende Jüngling, der selbstgerechte Mann, der rücksichtslose Verschwender, der Schwindler, Spieler und Mörder, der Wucherer, der seine Knie vor der Ehre beugte, der das Gold anbetete und des Goldes Opfer ward, der Bußfertige, der sich selber und andere betrog, der vor Gott und Menschen, ja auch vor sich selber ein Greuel war, der verlorensten Menschen einer, der an allem verzweifelte – auch er hatte Gnade gefunden bei dem barmherzigen Gott, auch er konnte im Frieden sterben mit einem Lobgesang auf seinen Lippen …

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Die Geschichte des merkwürdigen, lange Zeit so rätselhaften Mannes ist damit abgeschlossen. Ganz wider alle Sitte und Gewohnheit der Stadt folgte ihm auf seinem letzten Wege nur seine allernächste Familie und seine alte Haushälterin, Madame Vidström, an der Frau Margarete so großes Gefallen gefunden hatte – vermutlich, weil sie ihr an Mut und Charakter so ähnlich war – daß sie dieselbe bei sich aufgenommen hatte, damit sie unter den Teerbauern Ordnung halte.

Das Gerücht von dem unermeßlichen Reichtum des Kommissärs hielt sich hartnäckig, obgleich der Alte sich immer den Schein eines armen Mannes gegeben hatte, mit welchem er die Welt hatte hinters Licht führen wollen. Selbst Frau Margarete und ihr Schwager, der Kommerzienrat, glaubten, daß in der versiegelten Geldkiste kostbare Wertpapiere seien. Nur Lisu Halm und die Haushälterin waren andrer Ansicht.

Und sie hatten recht. Als die Siegel der einst so inhaltsreichen, messingbeschlagenen, eichenen Kiste gebrochen wurden, zeigte es sich, daß sie jetzt ganz andere Schätze enthielt, nämlich katholische Legenden, Reliquien und Gebetbücher, Quittungen, defekte Flugschriften aus der Zeit Napoleons I. und ein von fleißigem Lesen zeugendes Buch des Paracelsus von der »Kunst, Gold zu machen.«

Lisu hatte nur zu sehr die Wahrheit getroffen, als sie ihrem Vetter gegenüber ihren Verdacht aussprach, denn Sten Halm hatte wirklich zween Herren gedient, als er glaubte, er diene nur einem. Selbst während seiner langen Bußübungen hatte er sich von dem schrecklichen Gott, dem er doch entsagt hatte, nicht losreißen können; er herrschte damals noch mit aller Macht über seine arme Seele.

Nun war er frei. Er hatte endlich die Wahrheit gefunden, die von jedem Irrtum bekehrt und alle Fesseln bricht – die Wahrheit, die uns frei macht.


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