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21. Prüfungen.

Gieb Deine Seele nie dem Mammon hin.

Die Tage gingen hin, der Winter eilte seinem Ende entgegen, es ward Frühjahr, und nach dem Frühjahr kam der Sommer. Die Nachbarstadt X…by erhielt ihre neue Regulierung und fing an, sich aus der Asche zu erheben, wie eine junge Birke aus dem durch Feuer verzehrten Walde. Rom hatte sein Satz noch nicht auf die Ruinen Karthagos gestreut; das Geld hatte wieder eine Schlacht verloren. Aber manche Niederlagen sind derart, daß auch der Geschlagene dadurch gewinnt. Beide Städte erhoben sich zu erneutem Wettstreit; der Mut wuchs, auf den Werften ward fleißig gearbeitet und der Handel blühte. Der ausländische Markt war für die Ausfuhr des Landes nicht immer vorteilhaft, aber um so günstiger für seine Frachtfahrten. Die schlechte Handelsbilanz, die alljährlich in Finnlands allgemeinen Zeitungen veröffentlicht ward, zeigte trotz aller Anstrengungen, die Zahlen passend zu gruppieren, wieder und wieder ein Minus, und doch wuchs die Handelsflotte mehr und mehr und mit ihr die Seestädte. Die Staatsökonomen wandten vergebens all ihren Scharfsinn auf, um zu erkennen, woher es doch komme, daß ein Land, welches stets doppelt soviel ausgab wie es einnahm, nicht insolvent ward und fremden Wechslern verfiel, sondern vielmehr immer reicher ward. Das Geheimnis lag damals, wie gesagt, in der Frachtfahrt, welche Millionen ins Land brachte, ohne daß diese letzteren in die statistischen Tabellen aufgenommen werden konnten. Noch war es thörichten Zollgesetzen nicht gelungen, diesen reichen Strom, der das Gold des Weltmarktes ins Land brachte, zu verstopfen. Als später der Dampf ein gefährlicher Konkurrent für die finnischen Segelschiffe ward, brauchte man die Handelsflotte nur ohne wirksame Unterstützung zu lassen, um die Millionen wieder zu verlieren. Jetzt sucht man sie in dem Export von Brettern und Balken wieder zu gewinnen – solange das Beil noch einem Baum an die Wurzel gelegt werden kann.

Die Handelshäuser Halm und Graberg machten gute Geschäfte. Halm & Comp. – Stenmann war Compagnon – versicherten ihre Schiffe, verloren eins und erhielten den Schaden erstattet. Graberg verlor auch eins, aber ersetzte den Schaden dadurch, daß er für die sechs andern Schiffe die Versicherungsprämie sparte. Den beiden reichen Firmen drohte ein neuer Konkurrent: eine Aktiengesellschaft. Die kleineren Kapitalien fingen nach dem Exempel der Nachbarstadt an, mit vereinten Kräften Schiffe zu bauen. Was thaten da die beiden Matadore? Sie traten beide diesen Aktienunternehmen bei, und konnten dadurch der Konkurrenz den Stachel nehmen. Nun gab es drei Großmächte in Y…by: zwei Monarchien und eine Republik.

Kapitän Edvardson hatte dafür gesorgt, daß die Vergangenheit des Kommissärs Halm allgemein bekannt wurde, und der Schatten fiel auf die ganze Familie. Der Neid mißdeutete, die Verleumdung schwärzte die Verbindung des Kommerzienrats mit einem unglücklichen Bruder. Frau Margarete war nach Storkyro gegangen, um das kostbare Mobiliar in Yrjölä zu verwahren. Nach dem Wunsch des Kommissärs wurde es auf einer Auktion verkauft, aber es wurde nicht so gar viel dafür gegeben, ungefähr achtzehntausend Reichsthaler. Diese Summe wurde, ebenfalls nach dem Willen des Kommissärs, unter die Armen Storkyros und seiner Vaterstadt gleichmäßig verteilt. Er wollte arm sein, und wurde arm, aber wer glaubte es? Nein, es war ja noch die Goldkiste da, deren Siegel erst nach seinem Tode erbrochen werden sollte; in ihr waren selbstverständlich unermeßliche Schätze.

Ein Zufall fügte es indessen so, daß die Verleumdung, die bisher ihr Gift auf das Halmsche Haus gespritzt hatte, jetzt einen hübschen Anlaß fand, sich mit den Grabergs zu beschäftigen. Konsul Lars Grabergs Onkel, der kleine Fischhändler und Freund guter Sprichwörter, Rufus Graberg, war sehr früh im Jahr auf schwaches Eis gefahren und ertrunken. Als seine Hinterlassenschaft geordnet ward, zeigte es sich wider Erwarten, daß das ganze Vermögen zweiundzwanzigtausend Reichsthaler betrug, und einer alten armen Witwe, Frau Hallberg, einer entfernten Verwandten, die dreißig Jahre dem Hause des Verstorbenen vorgestanden hatte, testamentiert war. Lars Graberg schlug der glücklichen Erbin vor, er wolle sie bei sich aufnehmen, wenn sie ihm das Vermögen überlasse, andernfalls werde er gegen das Testament Protest erheben. Frau Hallberg weigerte sich. Für einen Lars Graberg waren zweiundzwanzigtausend Reichsthaler nicht mehr, als was ein einziges seiner Schiffe in wenigen Monaten verdienen konnte, aber Kapitän Edvardson hatte einen unbedeutenden Formfehler entdeckt: dem Testament fehlte die Unterschrift der Zeugen und es ward daher Protest erhoben.

Kaum hatte die böse Welt angefangen, das Grabergsche Haus mit dieser Nadel zu stechen, als man auch schon einen groben Pfriemen in das Halmsche Haus bohrte. John Halm kam von England nach Hause, wie leider so mancher Sohn eines reichen Mannes von den vereinten Versuchungen des Goldes, der Welt und der Jugend nach Hause zurückgekehrt ist. Nicht einmal sein Verbrechen war ein Geheimnis geblieben: die Wechselgeschichte war durch Grabergs Korrespondenten ruchbar geworden. Vergebens suchte der unglückliche Vater seinen verlorenen Sohn vor den Augen des Menschen zu verbergen. Eine kleine Stadt hat überall ihre Augen: der junge John stahl sich des Nachts aus dem väterlichen Hause, und ward dann tags in den verrufensten Restaurationen der Stadt gefunden, mit den liederlichsten Menschen trinkend und spielend. Schließlich schickte der Vater ihn unter strenger Aufsicht nach einer Sägemühle im hohen Norden, und dort wartete er auf des Vaters Tod, um dann seine Rechte geltend machen zu können.

Wie wenn diese Prüfung dem Kommerzienrat Hans Halm noch nicht tief genug gegangen wäre, kam gegen Ende des Frühlings noch eine neue hinzu. Der junge, brave und ungewöhnlich tüchtige Buchhalter am Halmschen Comptoir, Tervola, starb an der galoppierenden Schwindsucht, die er sich auf der forcierten Reise nach Riga in fünf schlaflosen Nächten zugezogen hatte. Während der vier Monate, die dieser junge Mann noch lebte, nachdem er von seiner Reise zurückgekehrt war, fühlte Halm es, daß er ihn mehr liebte als den Sohn, der ihm seine Liebe so schlecht gelohnt hatte. Es ward nichts gespart, um die Hand des Mordengels zurückzuhalten, aber wo die Liebe ohnmächtig war, lachte der Tod über den Mammon. Als der Rheder »Otavas« an dem Sarge seines bleichen Opfers stand und es sah, wie die verlassene Mutter, in Thränen gebadet, an der Leiche des Sohnes kniete – ja, da erst fühlte Hans Hermann Halm, daß all sein Gold nichts anderes sei als eine Hand voll Staub.

»Von nun an,« sagte er zu der verweinten Witwe, »von nun an will ich Ihr Sohn sein.«

»Ich danke Ihnen,« antwortete die Mutter ohne den Stachel zu ahnen, der in ihren unschuldig gemeinten Worten lag, »ich brauche nur wenig. Geben Sie mir ein Grab an der Seite meines Sohnes.«

Hans Halm kehrte in sein Comptoir zurück, gab Stenmann Ordres für die Arbeit des Tages und ging dann zu seiner Familie. Zum erstenmal sah seine Frau ihn während der Comptoirzeit bei sich. Voller Entzücken tanzten die kleinen Mädchen um ihren Vater her und zeigten ihm ihre Puppen. Er spielte mit ihnen, fühlte sich ruhiger und nahm den Neugeborenen aus der Wiege. »Du,« sagte er, »Du, der Du mir nur Freude gemacht, und mir noch nie Kummer bereitet hast, – soll ich in Dir nicht einmal einen besseren Menschen als mich selber sehen? O, mein Sohn, mein kleiner Sten, stecke Dich nicht in mancherlei Händel … oder sollte es Dein Los werden, gieb Deine Seele nie dem Mammon hin!«

Seine Frau verstand ihn – ein Weib versteht mit ihrem Herzen alles. »Nein,« sagte sie und schlang ihre Arme um seinen Hals, »unser kleiner Sten soll es lernen, Gott über alles zu lieben und seinen Nächsten als sich selbst. Er soll Dir niemals Kummer machen.«


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