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Er kann schweigen, deshalb mag wohl noch ein Kaufmann aus ihm werden.
»Was neues?« fragte Konsul Lars Graberg Kapitän Edvardson, als dieser Schlag elf vormittag eintrat.
Der Kapitän strich seinen Hut, hängte ihn vorsichtig an seinen Haken und antwortete: »Sonnenschein in der Mastspitze, Regen auf dem Deck. Ging in der Bürgerschaft von X…by gestern schlecht her.«
»Ja, das ist wahr. Der Mann für alles war nicht da. Bruder ist in X…by gewesen?«
»Ja, und beim Landeshauptmann. Sie sind wie die Ameisen in einem Aschenhaufen und halten zusammen. Der Teufel selber kann sie nicht auseinanderjagen. Nun habe ich auf Bruders Befehl achtzigtausend in Holz und Stein angelegt, ich habe ihre besten Arbeiter gedungen; Milberg und Anderson haben für die gute Sache ihre Stiefel abgelaufen, und außerdem geht's schlecht, heidenmäßig schlecht. Was meint Bruder? Cider und Alrot haben schon den Grund für ihre neuen Häuser gelegt. Wenn nun die Regulierung zur rechten Zeit kommt, werden die Herren schon den Appetit verlieren. Aber sie kommt ja nicht, Bruder Graberg; die Frau des Landeshauptmanns ist auf unsrer Seite, das weiß ich sicher, und was bedeuten dann die andern?«
»Weiberlaunen – Aprilschnee!«
»Natürlich, wenn die Launen einem Mann gelten. Aber nun gilt die Freundschaft zufälligerweise einem andern Frauenzimmer. Die gnädige Frau kann's nie vergessen, daß die arme Gouvernante ihrer Kinder zu einer reichen Kommerzienrätin Halm avanciert ist, das ist der gnädigen Frau Werk, wenigstens glaubt sie es, und sie hat die Schwachheit – wer hat sie nicht – daß sie ihre eigenen Puppen am liebsten hat? Also Halm flüstert seiner Frau ein Wort ins Ohr, Ihro Gnaden flüstern es wieder ihrem Onkel, dem Minister, ins Ohr. X…by ist verloren; seine Zukunft ist keinen Bleistift wert …«
Bei diesen Worten zerbrach der Kapitän wie in Gedanken einen von den sechs Bleistiften, die immer in genauer Reihenfolge auf dem Schreibtisch seines Prinzipals lagen.
»Aber,« bemerkte Graberg, indem er in eine Gänsefeder hinein biß, »der kleinen Frau da am Markt kann eines schönen Tages vielleicht der Gedanke kommen, etwas von uns zu flüstern.«
»Da hat Bruder recht,« antwortete der Kapitän. »Gerade deshalb brauchen wir einen Blitzableiter, und ich glaube, daß ich ihn gefunden habe. Ich werde bald wissen, was ich von Kommissär Sten Halm wissen muß. Es gilt die Ehre der Familie. Bruder kann ganz ruhig sein. Der Kommerzienrätin möchte ich nicht raten, von den Angelegenheiten des Hauses Graberg zu flüstern.«
»Bruder Edvardson! … Bruder ist ein Pfiffikus … Weiß Bruder, daß Lars Roderik umgesattelt hat und wieder auf die Akademie gereist ist?«
»Was sind das für Knabenstreiche? Sah ich nicht ihn und das Mädchen bei X…bys Brand nach Noten spielen? Ich glaubte, sie wären schon verlobt.«
»Ich verstehe den Burschen nicht. Heute das Comptoir, morgen eine Reise ins Ausland, übermorgen zurück nach der Akademie. Sieht für Bruders tausend Reichsthaler nicht gut aus. Ich ließ ihn reisen. Da er einmal angefangen hat, muß er als Magister wiederkommen.«
»Um Vergebung, Bruder Graberg, aber es ist nun einmal mein Princip, daß ein Geschäftsmann nicht ehrgeizig sein darf. Magister? Nun wohl! Halm trat sein Kommerzienratspatent mit Füßen, aber nachdem er sich bedacht hat, wird er es für ein Schiff nicht verkaufen. Meinethalben! Der Ehrgeiz ist ein schlechtes Geschäft … Lars Roderik ein überstudierter Magister! Hat er nichts von dem Mädchen gesagt?«
»Kein Wort.«
»Er kann also schweigen; dann ist noch nicht alle Hoffnung verloren. Kann man mit zwanzig Jahren schweigen, dann kann man auch mit vierzig Jahren vernünftig sein. Er kann schweigen, deshalb mag wohl noch ein Kaufmann aus ihm werden.«
Konsul Graberg seufzte. Trotz dieses Trostes fürchtete er, sein einziger Sohn werde niemals des Vaters Platz im Comptoir einnehmen. Aber Magister sollte er werden. Für einen ungelehrten Vater, der noch auf seinen alten Tagen Geographie gelernt hatte, war's doch ein Trost, sehen zu können, nach welchem Ende der Welt er seine Schiffe sandte.
Während dieser Unterhaltung hatte Kommerzienrat Halm auf seinem Comptoir die Post durchgesehen, worauf er zu seinem Buchhalter Stenmann sagte:
»Otava ist in London. Rasche Reise, zehn Tage. Kingslaw & Söhne notieren nach Odessa die höchste Fracht, die seit vielen Jahren gegeben ist. Tour und retour über 60 000. Tervola hat seine Sachen gut gemacht.«
»Tervola hätte schon vor vierzehn Tagen zurück sein müssen,« sagte Stenmann, ohne von seinem Comptoirbuch aufzusehen.
Der Prinzipal schwieg. Der junge Buchhalter hatte seinen Auftrag besorgt und zwar zur Zufriedenheit seines Herrn besorgt; was dann aus ihm geworden war, war ja freilich Nebensache. Aber nicht einmal ein solider Geschäftsmann ist frei von aller menschlichen Schwachheit, und Halm fühlte etwas wie eines Vaters Wohlwollen für den wackeren jungen Mann. Tervola war ja sein Werk …
Nach einer halbstündigen Pause, während welcher er mit Briefen, die abgehen sollten, ganz beschäftigt gewesen war, sagte Halm zu Stenmann: »Wir haben heute Taufe.«
»Gratuliere,« antwortete der Buchhalter trocken.
»Stenmann, ich habe schlechte Nachrichten von John erhalten. Er spielt …«
Stenmann schüttelte den Kopf, nahm eine Prise und schrieb weiter.
»Ich muß schon zum drittenmal seine Schulden bezahlen. Das geht nicht, Stenmann. Ich schreibe, er soll unverzüglich nach Schweden zurückreisen.«
»Mitten im Winter?«
»Ja, mitten im Winter. Die Nordsee und das Alandsmeer sind nichts gegen die Spielhöllen in London. Wenn ich ihn verlöre …! Gott strafe uns, Stenmann! … dann hätte ich nur noch den neugeborenen Sohn, der heute getauft wird. Stenmann, wir müssen etwas für die Armen thun; es kommt kein Segen auf unsre Kinder, wenn wir nicht auch etwas für andere thun. Notiere fünfhundert dem Seemannshause für Witwen und Waisen. Aber das ist nicht genug, Stenmann; wir wollen zur Erinnerung an diesen Tag eine Sparkasse in X…by errichten. Ich gebe tausend als Grundfond.«
»Sie haben zwei Prozent von Otavas Fracht für die kaufmännische Unterstützungskasse bestimmt. Das werden tausend bis zwölfhundert.«
»Ja, ich hatte es vergessen. Aber einerlei, der Vogel ist noch nicht gerupft. Notiere fünfhundert für das Seemannshaus und tausend für die Sparkasse. Das Glück ist unbeständig, man muß etwas Gutes thun. Mag man sich ein Denkmal setzen … Sollte ich sterben, Stenmann, so habe ich Dich in meinem Testament bedacht.«
»Hat nichts zu sagen. Sie leben dreißig Jahre länger als ich.«
»Der Gedanke an John läßt mir keine Ruhe. Nun ja … die Bürgerschaft setzte sich gestern auf die Hinterbeine; der alte Rufus war witzig. Ich bin froh, denn mir ward die Geschichte schon unangenehm. Graberg hat den neuen Stapelplatz am Hafen gekauft. Edvardson streut Geld wie getrocknete Pflaumen aus. Es ist sein Gedanke gewesen, Stenmann.«
»Ich habe Ihnen ja gesagt, daß der Kerl durch und durch verdorben ist und nichts taugt. Die Firma kennt ihn. Minerva hatte seiner Zeit gute Frachten, aber was kam dabei heraus? Zank und Streit und ein langer Prozeß. Die Firma hat es Edvardson nicht gedankt, so viel ich weiß. Und mit solchem Kerl lassen Sie sich in neue Geschäfte ein?«
»Im Geschäft, Stenmann, muß man die Augen offen haben, aber man soll auch vergessen können. Graberg kann nicht vergessen, deshalb ist und bleibt er nur ein Schmalzhändler … Nun gehe ich zu meinem Bruder Sten. Er ist als Gevatter gebeten.«
»Der Kommissär?« fragte Stenmann ganz verblüfft und vergaß sogar, eine Prise zu nehmen.
»Wundert es Dich? Er ist ja mein ältester Bruder.«
»Entschuldigen Sie,« antwortete Stenmann verlegen, »aber ich glaubte, er wäre verrückt.«
»Albern ist er, aber nicht verrückt. Margarete hält ihn im Bauer. Es ist meine Schuldigkeit, nachzusehen, wie er es auf seine alten Tage hat.«
Der Kommerzienrat nahm Hut, Stock und Pelz und war bald verschwunden. Der alte Buchhalter sah ihm nach, schnitt sich eine neue Gänsefeder und brummte vor sich hin: »Der Vater war der klügste von ihnen allen, bis er verrückt ward … Sten war der kühnste, bis er auch verrückt ward … Otto Christopher war der dümmste und anständigste; er behielt sein bischen Verstand … Hans Hermann ist der beste von allen; wird er nun auch verrückt? … John geht nach Sten Halm; er verliert seinen Verstand. Schlechtes Geschäft … Saldo für Favör Havarie, Havarie!«