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13. Aufruhr wider das Geld.

Her mit den Verschreibungen!

Wie wir wissen, hatte die qualvolle Beichte, durch welche der alte Major, alias Kommissär, Lisu Halm seine Sünden und seine Reue anvertraute, einen ungesehenen Hörer. Dem ersten Teil derselben war Lars Roderik mit gespanntester Aufmerksamkeit gefolgt, aber er würde kein von den Beschwerden der Reise müde gewordener Jüngling gewesen sein, wenn die Nacht ohne Einfluß auf seine erschlafften Nerven geblieben wäre. Wie sehr er auch gegen den Schlaf ankämpfte, die Müdigkeit ward doch übermächtig, als er in dem weichen Lehnsessel saß, und da der Major seine seltsamen Bußübungen erzählte, war Lars Roderik schon in jenen glücklichen Schlummer gesunken, den man nur mit zwanzig Jahren genießen kann. Bald nachher wachte er davon auf, daß ihn jemand leise am Arm ergriff. Es war das junge Mädchen, das zurückkehrte und sich nicht wenig wunderte, in ihres Onkels Lehnsessel einen schlafenden Studenten zu finden. »Komm,« flüsterte sie, »er darf Dich hier nicht treffen.«

»Ist die Beichte zu Ende?« fragte der Jüngling, als sie sich wieder außerhalb der Zimmer befanden, die der Alte vor den profanen Blicken der Welt verbarg.

»Ich weiß nicht, was Du gehört hast,« antwortete sie bekümmert, »und ich frage Dich auch nicht, warum Du das Geheimnis eines alten unglücklichen Mannes gestohlen hast. Aber wenn auch nur ein Funken von Ehre in Dir ist und Du noch auf die Stimme des Gewissens hören magst, so versprich mir wenigstens, daß Du ihn nicht verraten willst.«

»Das verspreche ich Dir,« antwortete der Jüngling treuherzig. »Lisu … ich bin nicht so schlecht, ich bin nicht so leichtsinnig, wie Du glaubst. Ich habe ihn für einen alten Wucherer gehalten, und ich habs gehört, wie er sich selber anklagen mußte, weil er noch viel mehr auf seinem Gewissen hat. Ich habe mich geirrt. Ich kann ihn verabscheuen, aber ich kann ihn nicht mehr verachten. Hat er Dir alles erzählt?«

»Vieles, aber noch nicht alles. Gute Nacht.«

»Gute Nacht.«

Sie gingen von einander, und einige Minuten später schlief Lars Roderik wieder so fest, daß hundert Geistergeschichten ihn nicht in seiner sichern Ruhe hätten stören können. Als er wieder aufwachte, schien die späte Dezembersonne von einem frostklaren Himmel auf ein paar blaukarierte baumwollene Halbgardinen, und er konnte daraus schließen, daß die Fensterläden geöffnet waren. Das Zimmer däuchte ihn, obgleich es nicht das schlechteste im Hause war, bei dem hellen Tageslicht noch viel ärmlicher zu sein, namentlich wenn er sich den Luxus vergegenwärtigte, den er so unerwartet in den andern Zimmern entdeckt hatte. Während er sich die seltsamen Begebenheiten der vergangenen Nacht wieder ins Gedächtnis zurückzurufen suchte, vernahm er im Vorzimmer mehrere Stimmen und konnte deutlich folgende Unterhaltung hören, die zwischen einem Unbekannten und seinem Wirt geführt wurde; die Stimme des letzteren hatte wieder den mürrischen Ton angenommen, in welchem er die Reisenden am vorhergehenden Abend anfangs begrüßt hatte. Es war nun nicht mehr der Major, sondern der Kommissär, der die widerliche Gestalt des erbärmlichen Wucherers angenommen hatte.

»Seien Sie doch barmherzig und haben Sie Geduld bis Neujahr,« bat der Unbekannte. »Der Kommissär weiß, daß ich zwanzig Liespfund Butter nach Wasa zu bringen habe, und das ist so gut wie sicheres Geld.«

»Kann nicht, kann nicht, mein bester Freund. Weiß ja gut, daß alle Deine Butter schon verpfändet ist, und ich bin ein armer Mann, der seine Schillinge selber nötig hat; wovon sollte ich sonst leben?«

»Der Kommissär lebt noch, aber ich werde ein armer Bettler, wenn Sie mir nun mein Pferd, meine Kühe und mein Winterkorn nehmen. Wovon soll ich dann mit Frau und Kindern leben?«

»Geh zum Küster, er kann Dir helfen.«

»Ja, der Küster ist barmherzig, der hat mir schon früher geholfen und vielen andern auch, die durch Ihre Verschreibungen auf die Landstraße kommen, lieber Herr, aber ich bin ihm schon so viel schuldig, er leiht mir keinen Heller mehr.«

»Geh doch noch einmal hin, und versuchs, ich kann Dir nicht helfen, ich bin ein armer, ruinierter Mann, der selber gern etwas borgen möchte, aber wer würde mir etwas leihen? Welche Sicherheit könnte ich bieten?«

»Und der Kommissär hat seine hundert Verschreibungen draußen zu zwanzig Prozent! Als ob nicht jeder Mensch in der Gemeinde wüßte, daß Er … nun, ich will nicht sagen, was der Kommissär ist. Seien Sie nun so freundlich, mir bis Neujahr zu kreditieren.«

»Geh Deines Wegs, ich kann Dir nicht helfen.«

»So, so?« fuhr der Unbekannte erbittert fort. »Er kann mir nicht helfen? Dann will ich Ihm sagen, was Er ist! Ein geiziger Hund ist er, ein schändlicher Wucherer und ein Blutsauger, der sich mit dem Schweiß und Blut der Armen mästet, und nicht einmal ein rechter Christ ist er. Ja, Er kann mich pfänden lassen, und mich ruinieren, wie Er schon so viele ruiniert hat, die besser sind als ich, aber einmal soll die Wahrheit doch heraus, wenns mir auch alles kosten sollte, was ich habe, und deshalb sage ich Ihm, daß Er der elendeste Schurke ist, den es auf Erden giebt, und deshalb darf er auch niemals in die Kirche kommen. Gott weiß es, und die Menschen wissens auch, daß er das gelbe Gold nicht ansehen kann, weil er dann den Teufel vor der Zeit sieht. Aber der Tag wird schon kommen, da er ihn noch näher sehen wird, und dann werd ich das Holz nicht aus dem Feuer nehmen, und auch nicht Mannu auf Mustila oder Matti auf Mäkelä oder Esaias auf Wedensuu, das kann ich ihm sagen. Sieht er was? Seh er nur zum Fenster hinaus, dann kann er sehen, daß der ganze Hof voll von Menschen ist, die er zum Herbstthing eingeklagt hat und die zu Weihnachten ausgepfändet werden sollen. Ich frage ihn nun noch einmal, ob er bis Neujahr mit mir Geduld haben will.«

»Hinaus mit Dir, unverschämter Mensch, und geh zum Küster,« rief der Kommissär mit einer bedeutend kräftigeren Stimme als bisher. »Im Augenblick mit Dir hinaus, und wer mir in meinem eigenen Hause zu trotzen wagt, wird es schon sehen, mit wem er es zu thun hat.«

Auf diese Worte folgte ein Geräusch, woraus Lars Roderik schloß, daß der alte Halm seinen Befehl mit einer handgreiflichen Zurechtweisung begleitet habe, und da der Neffe nicht ohne Grund fürchtete, seine Nähe könne erwünscht sein, trat er unverzüglich in das Zimmer. Seine Sorge schien nicht überflüssig zu sein, denn der Hof war voller Pferde und Schlitten, während ein Haufe von Menschen, deren Worte und Mienen für den Besitzer des Hauses nichts Gutes verhießen, in das Vorzimmer eindrang.

Der ostbottnische Bauer, ob von schwedischer oder von finnischer Herkunft, ist der fügsamste Mensch der Welt, wenn er gut behandelt wird, aber er ist äußerst empfindlich gegen alles, was er als Unterdrückung oder Ungerechtigkeit ansieht. Der Kommissär hatte vollauf mit den ungebetenen Gästen zu thun, die bald das kleine Zimmer halb erfüllten. Kühne und scheltende Stimmen schrien laut gegeneinander. Er solle ihnen noch Frist geben; sie wollten ihre Verschreibungen zurück haben, nicht weil sie nicht bezahlen wollten, was sie rechtmäßig schuldeten, sondern um die unerlaubten Zinsen und dergleichen durchzustreichen, dann solle er die Verschreibungen wieder erhalten. Sie wollten es nicht länger dulden, daß ein Blutegel die Gemeinde aussauge; sie kennten ihn wohl, nun aber solle es mit seiner sauberen Thätigkeit ein Ende haben.

Lars Roderik erwartete das Jammern »des armen Mannes« zu hören, aber er irrte. Der Kommissär ließ die eifrigsten ausreden und erklärte dann mit ruhiger und fester Stimme, das Gesetz solle zwischen ihnen entscheiden. Er werde die Verschreibungen nur dem Gericht ausliefern. Was aber das andere betreffe, daß er die Gemeinde aussauge, so möchte er doch fragen, ob in ihr nun mehr Jammer und Not sei als zuvor, und wer wohl durch ihn ins Elend gekommen sei.

»Alle! Alle!« riefen die Schuldner.

»Bei Dir, Mannu,« antwortete der Kommissär, »war der Exekutor im Winter, und trotzdem hast Du jetzt ebensoviele Pferde wie damals.«

»Weil der Küster mir half,« antwortete der Bauer mit höhnischem Lachen.

»Du, Matts Mäkelä, verlorst im Frühling Deine Kühe, und nun hast Du ebenso viele wie damals.«

»Der Küster streckte mir das Geld vor.«

»Dir, Esaias, nahm der Vogt im Sommer die Wagen und das Korn, aber Du hast alles reichlich wieder erhalten.«

»Dafür muß ich dem Küster danken.«

»Ja, ja,« riefen mehrere Stimmen, »der Küster ist ein anderer Mann. Der Kommissär reißt nieder, und der Küster baut wieder auf, aber wem er aufgebaut hat, reißt der Kommissär alles von neuem nieder. Wir wollen uns nicht länger an der Nase herumführen lassen. Her mit den Verschreibungen!«

»Da könnt Ihr lange warten,« antwortete der Kommissär trocken.

»Die Verschreibungen! Her mit den Verschreibungen!« rief der Haufe immer stürmischer und drängte immer weiter ins Zimmer hinein. Der Kommissär zog sich zurück, indem er sich seinen Rücken frei zu halten suchte und ergriff dann einen am Ofen stehenden Knotenstock. Lars Roderik stellte sich, mit einer Peitsche bewaffnet, neben ihn. Es sah aus, als sollte es zu einer jener blutigen Prügeleien kommen, in denen das ostbottnische Volk keine Rücksichten auf Stand und Personen nimmt, sobald es sich in seinen Rechten gekränkt glaubt. Aber das humoristische Schicksal fügte es so, daß sich in demselben Augenblick, durch den Lärm angelockt, Frau Margarete Halms ehrwürdiges Haupt mit weißer Nachthaube in der Thür zeigte; dieser unerschrockene Bundesgenosse besann sich nicht lange, sondern stellte sich sofort auf die Seite der Verteidiger.

»Was soll das heißen?« rief die tapfere Frau mit breitester Marktstimme, »wer untersteht sich hier, solchen Spektakel zu machen? Schämt Ihr Euch nicht? Ist hier kein Polizist? Na, hier ist kein Polizist. Kennt Ihr den Lehnsmann, liebe Männer? Wär ich der Lehnsmann, ich würd Euch zu Brei schlagen, Ihr niederträchtigen, gemeinen Schurken! Ich würde Euch in den Block legen, Ihr Puukkojunker! In Korsholm würd ich …«

Sie kam mit ihrer Rede nicht zu Ende. Zum Unglück für die tapfere Frau stand ein volles Butterfaß mit herabhängendem großen Löffel an der Wand. Ein langer Schlingel unter den Angreifern fühlte sich durch die günstige Gelegenheit versucht, den beredten Gruß in seiner Weise zu beantworten; er ergriff unbemerkt den großen Löffel, füllte ihn mit Buttermilch und warf dieselbe mit so sichrer Hand gegen den Kopf seines weiblichen Widersachers, daß sich eine weiße Flut von Buttermilch über die Nachthaube ergoß und in langen Bächen von den vollen Backen Frau Margaretens herabströmte. Vor solch schlagendem Argument mußte selbst der Tapferste seine Sache verloren geben; die überwundene Heldin retirierte und ein schallendes Gelächter stimmte die Angreifer für einen Augenblick zu munteren Gefühlen.


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