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12. Der Bußfertige.

Verstehst Du mich nun?

Des Kommissärs – oder, wie wir ihn für diese Nacht wohl nennen dürfen, des Majors – Augen sahen sich scheu im Zimmer um, wie wenn er sich fürchte, das Phantom wiederzusehen, das ihn verfolgte. Aber er sah nichts; die große Lampe warf auf alles im Zimmer einen matten Schein. Lisu verbarg ihre linke Hand, an der sie einen goldenen Ring trug, den sie zur Konfirmation geschenkt erhalten hatte, unter ihrer Schürze. Der Alte schien sie zu verstehen; er lächelte schwermütig und setzte nach kurzem Schweigen seine Erzählung fort:

»Ich kann Dir die Gefühle nicht schildern, die mich bei diesem unerwarteten Anblick bewegten; vergebens wandte ich mich ab: die Haufen Goldes um mich her schienen lebendig zu werden und mir zuzurufen: »Wir sind der Preis für Deine Seele!« – In dem großen Spiegel des Zimmers sah ich die gebrochenen Augen des toten Jünglings, seine bleichen Wangen, sein goldglänzendes Haupt. Meine Nerven konnten den Anblick nicht ertragen; ich fiel in eine lange Ohnmacht, und als ich wieder zu mir kam, hatte der Besitzer der Spielhölle mein Gold in Verwahrung genommen und mich in ein Irrenhaus gebracht, vermutlich in der Hoffnung, daß ich es nie wieder verlassen werde. Ich ward indessen wieder gesund und forderte meine Schätze zurück; der Mensch mußte sie wieder herausgeben, so sauer es ihm auch ward. Ich erhielt freilich nur dreihunderttausend Gulden, kaum die Hälfte meines Gewinnes; aber das war mir gleichgiltig; dieses Geld brannte mir in den Händen und im Gewissen, und ich deponierte den größten Teil desselben bis auf weiteres in der holländischen Bank.

Friedlos und gebrochenen Herzens irrte ich in der Welt umher. Ich spielte nicht mehr, ich lebte kaum noch. Es war mir, als wäre ich in eine unbeschreibliche Ohnmacht der Seele gefallen, aus welcher mich nur der bleiche Schatten von Krakau und das dann und wann zurückkehrende Phantom wieder aufschreckte. Ich haßte nun meinen zweiten Gott, den Mammon, und griff wieder wie ein Verzweifelter nach dem ersten. Ich ging in östreichische Dienste und kämpfte gegen meine ehemaligen Waffenbrüder, die Franzosen. Vergebens; mein erster und edlerer Gott lachte mich spöttisch aus. Ich ward als der ehrlose Spieler erkannt, meine Kameraden zwangen mich, meinen Abschied zu nehmen. Der Tod wäre mir eine Wohlthat gewesen, und doch zitterte ich vor ihm, denn ich dachte an die Worte, die Danton über das Thor eines Pariser Kirchhofs – ich erinnere mich nicht mehr, welcher es war – hatte schreiben lassen: » Der Eingang zum großen Nichts

So irrte ich in der Welt umher, ohne Gott, ohne Freund, ohne Vaterland, ohne Kraft zu leben und ohne Mut zu sterben, da hörte ich eines Morgens, als ich zu Leiden an meinem offenen Fenster saß, die Glocken einer nahen Kirche. Eine seltsame Sehnsucht ergriff mich bei diesen Klängen, ich wollte nach vielen, vielen Jahren wieder einmal sehen, wie den Menschen, die einen Gott haben, zu Mute sei. Fast ohne zu wissen, wie, war ich bald darauf in der Kirche. Die Töne der Orgel gingen mir durchs Herz, wie die Sonnenstrahlen über eine grenzenlose, verbrannte Wüste. Ich sah die Menschen; etliche derselben waren Heuchler, und um ihre Häupter tanzte das goldene Gespenst. Andere waren Gerechte, und es schien mir, als verwandle sich der Glanz um ihre Häupter in herrlichen Sonnenschein. Ein tiefer, wohlthuender Friede lag wie der Schein der Abendsonne auf den Gesichtern dieser Menschen. Ein ehrwürdiger Pfarrer trat auf die Kanzel. Er predigte wenig von Glaubenslehren, um so mehr vom Leben der Menschen. Er schilderte einen frommen Eremiten, der in seiner Jugend ein großer Sünder gewesen war. Dieser Eremit war vormals ein Mörder gewesen – wie ich! –, ein Räuber – wie ich! – ein Mammonsknecht – wie ich! – ein Götzendiener – gerade so wie ich! –; die bösen Geister hatten ihn verfolgt – wie mich! –; sie hatten ihn zur Verzweiflung gebracht – wie mich – und fast bis zum Selbstmord – wie mich! – aber endlich hatte das Licht der Gnade den Sünder getroffen, er hatte sein früheres Leben bereut, hatte die Heiligen um ihre Hülfe angerufen und das Gelübde abgelegt, barfuß nach Jerusalem zu pilgern und den ganzen Rest seines Lebens als Sühnopfer für seine Sünden hinzugeben. Dieses Gelübde hatte er gehalten, und die bösen Geister waren von ihm gewichen, das Licht der Gnade hatte ihn erleuchtet, und er war ein gerechter und frommer Mann geworden bis an sein seliges Ende.

Der Vergleich mit mir hörte da auf, wo der Prediger von der Bekehrung des Eremiten sprach, aber seine Worte drangen mir doch in die Seele und der gute Same schlug Wurzeln im Dunkel der Nacht und unter der Angst des Gewissens; am folgenden Morgen ging ich zum Pfarrer. »Ehrwürdiger Vater,« sagte ich, »meine Missethaten verfolgen mich, meine Götter verspotten mich, mein Gewissen bringt mich zur Verzweiflung, die bösen Geister tanzen vor meinen Augen, und ich habe keinen Gott.« Der ehrwürdige Mann sah mich erschrocken an; er hatte schon viele verlorene Menschen kennen lernen, aber niemals einen so elenden Schurken wie mich. Trotzdem stieß er mich nicht zurück, im Gegenteil, er nahm sich meiner mit herzlicher Liebe an, ermahnte mich zur rechten Buße und leitete mich auf den Weg der Besserung. »Vor allem,« sagte er, »mußt Du den falschen Göttern, denen Du gelebt hast, entsagen.« – »Das habe ich schon gethan,« sagte ich. »Des Traumbildes der Ehre bin ich überdrüssig geworden, und das Gold ist mir ein Greuel.« – »Das ist gut,« antwortete der Pfarrer, »aber es ist nicht genug. Du mußt von nun an gerade dem entgegengesetzten Ziele nachjagen, das Dir bisher vor Augen schwebte; Du mußt unverschuldet Schmach und Hohn leiden, und während die Menschen Dich als einen geizigen Menschen und als einen argen Wucherer verachten, mußt Du Dein Gold als Heu und Stroh in guten Werken ausstreuen, ohne daß jemand es ahnt und ohne daß es je in dieser Welt an den Tag kommt. Dann erst, aber auch nicht früher, sollen Deine Missethaten von Dir genommen, soll ihrer nimmermehr vor Gott gedacht werden; dann werden die bösen Geister ihre Beute fahren lassen, und die Sonne der Gnade über Dir leuchten bis an Dein Ende.«

Der alte Major schwieg wieder und fragte dann rasch, nicht ohne Angst: »Verstehst Du mich nun?«

Lisu nahm all ihren Mut zusammen und sagte: »Noch nicht ganz. Erlaube mir eine Frage: war der Pfarrer, von dem Du erzähltest, nicht Katholik?«

»Ja gewiß, und er gehörte außerdem zu dem berühmten Dominikanerorden. Ich habe so viel erlebt, daß mir der Unterschied der christlichen Glaubensbekenntnisse nichts anderes wie der Streit um das Sonnenlicht zu sein scheint, das durch verschieden gefärbte Fenster fällt. Das eine Fenster kann grün, das zweite rot, das dritte blau sein, und das Sonnenlicht erhält für den, der im Zimmer sitzt, seine Farbe nach dem Fenster, aber an und für sich ists dasselbe ungefärbte Licht, und für Gott kommts nicht darauf an, durch welches Fenster ich es sehe.«

»Aber,« wandte das junge Mädchen ein; denn sie war allmählich kühner geworden und die tiefe Überzeugung von den Vorzügen der lutherischen Lehre machte sie warm, – »aber wenn nun eins dieser Fenster so geschliffen ist, daß es ein falsches Licht hineinwirfst, das die Menschen verwirrt? Und wenn nun die Buße, die der Dominikaner forderte, nichts anderes als falsche Werkheiligkeit und sündige Selbstgerechtigkeit wäre? Verzeihe mir, daß ich, die ich noch so jung und unerfahren bin, es wage, eine andere Ansicht von der wahren Besserung zu haben. Vielleicht« – hier zitterte Lisus Stimme etwas – »vielleicht ist Onkel … zur katholischen Lehre übergegangen?«

»Ich gehöre keiner Sekte, sondern der allgemeinen christlichen Kirche an,« antwortete der Alte in etwas schärferem Ton. »Die Katholiken sehen in mir ganz gewiß einen der ihrigen; mit ihnen und durch sie bin ich ja zu meinem Glaubensleben gekommen; aber ich bin weder römisch- noch griechisch-katholisch, bin kein Lutheraner und kein Reformierter, ich bin ein Christ im allgemeinen. Zum Beweise dafür will ich Dir ein Buch zeigen, das kein Katholik lesen darf, nämlich die Bibel. Ich lese täglich in ihr; ich habe den frommen Vätern in Leiden geschrieben, daß ich es thue, und sie haben mir geantwortet: propter conscientiam fiat – mögs denn sein um des Gewissens willen.«

Der Leser hat schon am Anfang dieser Erzählung den Verdacht aussprechen hören, daß das junge Mädchen zu den »Lesern« gehörte – ein Ausdruck, der so umfassend ist, daß er von jedem gebraucht wird, der sich mehr als die meisten mit geistlichen Dingen abgiebt, weshalb er auch ohne Unterschied die besten und frömmsten Menschen sowohl wie wirkliche Sektierer und Fanatiker trifft. Lisu war »Leserin«, aber in dem edlen und guten Sinn, nach welchem das Wort jemanden bezeichnet, der in herzlicher Demut seines Glaubens lebt; sie war eine jener Sanftmütigen und Stillen in der Welt, die ihren Mund niemals zu einem Verdammungsurteil über andere Menschen öffnen. Aber sie war jung und für ihren Glauben begeistert; ward der angegriffen, dann konnte sie nicht kalt und gleichgültig bleiben, und sie antwortete daher mit größerer Wärme als ihr Onkel vielleicht erwartet hatte.

»Ich verstehe wohl nicht, was unter einem Christentum im allgemeinen verstanden wird, aber ich habe niemals gefunden, daß in der Bibel Wallfahrten nach Jerusalem oder selbsterwählte Schmach oder andere derartige Bußübungen, wie sie unter den Katholiken gewöhnlich sind, gefordert werden. Zürnen Sie mir nicht; ich verstehe ja so wenig; aber hat Onkel wirklich sein Leben nach den Vorschriften der Dominikaner eingerichtet, so vergleiche diese doch noch einmal mit der heiligen Schrift! Vielleicht werden dieselben vor dem Licht der Wahrheit vergehen oder es wird sich gar zeigen, daß alle solche Bußübungen nicht zur Seligkeit, sondern zum Verderben dienen.«

Der Major erhob sich und ging heftig im Zimmer auf und ab. »Ich habe mehr gesündigt als die meisten Menschen,« rief er, »ich habe auch mehr gelitten als viele andere; ich bin abergläubischer und abgöttischer gewesen als die meisten, und ich habe das Joch der falschen Götter abgeworfen. Ich habe Buße gethan, ich habe entsagt, ich habe mich über zwanzig Jahre an diesem meinem einsamen Zufluchtsort dem Spott und der Verachtung der Menschen preisgegeben; ich habe meine Schätze zum Heil von tausend Seelen angewandt, und nun kommt dieses junge Mädchen und sagt: das alles ist vergebens, das alles führt nur zum Verderben! Was willst Du denn? Beleidigte er Dein Auge, dieser Komfort des Reichtums, den ich mit Erlaubnis meiner geistlichen Väter hier in meinem innersten, unbekannten Heiligtum gesammelt habe, um bei all der Armseligkeit, die ich mir außerhalb dieser Zimmer freiwillig auferlegt habe, eine kurze Ruhe und einen kleinen Augentrost zu finden? Glaubst Du, einfältiges Kind, daß meine Seele an diesen Schätzen hängt, so will ich, wenn der Morgen graut, alles in den Fluß werfen und wirklich so arm und elend werden, wie ich es in den Augen der Menschen bin. Zwanzig Jahre habe ich mit meinem Gewissen Frieden gehabt, den einzigen Frieden, den ich seit meiner Kindheit gekannt habe, und nun wagst Du mir zu sagen: Das alles ist Lug und Trug! Habe ich Dir darum meine Missethaten gebeichtet und Dir die Strafe genannt, die ich um meiner Sünden willen duldete? Warum willst Du die vernarbten und geheilten Wunden wieder aufreißen, Du, das einzige, lebende Wesen, dessen Verachtung ich nicht ertragen kann? Nenne mir einen Gott, wider den ich noch kämpfen muß, und ich will ihn wie eine giftige Schlange von mir schleudern. Kind, Kind, ich habe zu lange um den Frieden gekämpft, als daß ich ihn mir von irgend einem Wesen über oder unter der Erde rauben ließe!«

Lisu hatte sich erhoben; ihre Augen glänzten, und sie sprach mit der unerschütterlichen Festigkeit des Glaubens und der Überzeugung. »Wenn,« so sagte sie, »unsre Leiden und unsre Werke genügen, uns den ewigen Frieden zu bringen, wozu gebrauchen wir dann einen Heiland? Weshalb sollte Gott seinen Sohn gesandt haben, damit er der Welt Sünde trüge und am Kreuze stürbe, wenn die Welt sich selber mit ihren eigenen Werken erlösen könnte? Und warum sollte der Herr gesagt haben, daß nicht die Gesunden, sondern die Kranken des Arztes bedürfen? Ich sage Dir, Onkel, daß der Friede, den Du Dir, wie Du sagst, erkämpft und nun zwanzig Jahre geschmeckt hast, ein falscher und betrügerischer Friede ist, der Dich auch nicht von der Macht des bösen Gespenstes hat erlösen können. Wärest Du wirklich mit der Vergangenheit ausgesöhnt, und nicht nur mit ihr, sondern auch mit Gott und mit Dir selber, warum sah ich Dich denn heute abend vor einer elenden goldenen Münze zittern? Sieh, dieser kleine goldene Ring, den ich an meinem Finger trage, dieses vergängliche Gold, das aus dem Staub der Erde genommen ist, genügt, den ganzen Frieden Deiner Seele zu zerstören. Unglücklicher alter Mann, und Du glaubst, einen Frieden gefunden zu haben, der sich auch nicht vor dem Tode fürchtet?«

»Hinweg! Hinweg!« rief der Major in unbeschreiblicher Verwirrung. »Hinweg aus meinen Augen, Du Giftmischerin, der ich Thor das Geheimnis meines Lebens anvertraut habe! Geh! Reise fort! Ich kann nicht mehr für meine Handlungen einstehen, und ich bin nicht gewohnt zu schonen? … Und wenn Du nun recht hättest? … Wenn dies Gespenst, das mich so lange nicht mehr geplagt hat, aber heute wieder zurückkehrte … wenn das mir nun meinen Untergang in diesem verzweifelten Kampf weissagen sollte? … Ich muß Dich hier haben, Mädchen! … Bleibe! Bist Du hier? Es wird dunkel vor meinen Augen … Ach … Habe ich denn noch nicht genug gethan? Was soll ich thun, um den ewigen Frieden zu gewinnen?«

»Glauben!« antwortete Lisu mit leiser Stimme.


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