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14. Die letzte Bußübung.

Wie? Noch nicht genug? Ists denn nie genug?

Die flüchtige Heiterkeit, die Frau Margaretens Mißgeschick hervorgerufen hatte, verschwand, und wieder forderte man laut und immer lauter die Verschreibungen, auch liefen schon einige wohlbekannte Raufer hinaus, um sich Zaunpfähle zu holen, in solchen Bataillen die gewöhnlichen Waffen. Der Alte schien fest entschlossen, nicht nachzugeben. Einer der am nächsten Stehenden erhielt einen Schlag mit dem Knotenstock über die Schulter. Bald darauf hagelte es Prügel. Lars Roderik warf sich zwischen die Kämpfer und erhielt einen Schlag, daß es ihm vor den Augen sprühte. Zwei gegen zwanzig – das war ein ungleicher Kampf, und wie tapfer der Jüngling auch seine Erfahrungen aus früheren Feldzügen gegen Handwerksburschen und Kommis anzuwenden suchte, so war es doch klar, daß er und der Alte bald unterliegen würden. In diesem entscheidenden Augenblick zeigte sich Lisu in der Thür. Stumm und bleich wie eine Bildsäule blieb sie stehen, und ihre thränenvollen Blicke begegneten denen des Kommissärs, als er gerade wieder den Stock erhob, um den nächsten Aufrührer zu züchtigen. Es war nur ein kurzer, rascher Blick, aber er lähmte den schon erhobenen Arm des alten Mannes. Einige Sekunden stand er unbeweglich da und ohne die Schläge zu fühlen, die ihn trafen. Dann rief er: »Halt, ich will die Verschreibungen ausliefern.«

Die Angreifer hielten inne, und einige wenige Rufe, man solle den Blutsauger totschlagen, verstummten. Es trat eine Waffenruhe ein, und der Kommissär durfte die Verschreibungen holen, während Lars Roderik als Geißel zurückbehalten wurde, obgleich er, wie er später zugestand, durchaus nicht sicher war, daß der Alte wirklich zurückkehren werde.

Aber er kam. Barsch und gebieterisch trat er unter seine erregten Schuldner. Hoch über ihnen hielt er in der erhobenen Hand ein ansehnliches Paket der wohlbekannten unglückseligen Papiere mit ihren Stempeln, den Unterschriften, die wie Krähenfüße aussahen, und den plumpen Siegeln. Wie vieler Menschen Wohl war von diesen Papieren abhängig und welchen Respekt flößt nicht schon der bloße Anblick derselben schlechten Bezahlern ein! »Paßt nun auf!« rief der Alte, indem er sich hoch aufrichtete, »hier ist Mannus Revers über fünfhundert Reichsthaler. Kennst Du das Zeichen, das Du statt der Unterschrift gemacht hast?«

»Sollt ich mein Zeichen nicht kennen?« sagte der Gefragte. »Geb Er mir das Papier; Er soll es wieder haben, wenn wir hundert Reichsthaler abgeschrieben haben, die zu viel notiert sind, außer den Zinsen.«

»Wart etwas. Hier ist Matts Mäkeläs Verschreibung über vierhundertzwanzig Reichsthaler.«

»Schreib dreihundertfünfzig; mehr hab ich nicht bekommen,« schrie Matts.

»Hier dreihundertachtzig Reichsthaler und vierundzwanzig Schilling für Esaias.«

»Schreib dreihundertzwanzig und keinen Schilling mehr!« rief Esaias dunkelrot vor Zorn.

Der Alte zeigte alle Verschreibungen, ohne sie aus der Hand zu geben. »Hier ist Erik Majatalos Verschreibung über zweihundertfünfzehn, hier Nils Penttus mit fünfhundert und sechzig. Hier Adam Eriksons mit einhundertsechzehn und vierundzwanzig, hier Pintaris von Isokylä mit siebenhundertachtzehn, hier Mikku Mikkelinpojkas mit vierundsechzig Reichsthalern …« Und so zählte er vierzig bis fünfzig Verschreibungen her, teils von recht ansehnlichen Summen. »Sind sie richtig?« fragte er, nachdem alle Papiere durchgegangen waren.

»Ja, ja, her mit ihnen, Sie sollen sie wieder haben! Wir sind anständige Menschen und wollen nicht mehr abziehen, als was uns rechtmäßig zukommt!« riefen die Debitoren.

»So, meint Ihr?« sagte der Kommissär und sah den drohenden Haufen einen Augenblick an, wie wenn er zwischen den beiden Entschlüssen, die in ihm stritten, hin und her schwankte. Es brannte ein lustiges Feuer im Ofen. Er trat rasch einige Schritte zurück, warf die Papiere ins Feuer, ehe jemand ihn daran hindern konnte oder wollte, und stellte sich drohend vor dieses Autodafé hin, bis der letzte vergilbte Bogen, das letzte grobe Siegel von den Flammen verzehrt war. Nicht ein Arm rührte sich, nicht ein Mund öffnete sich, um ein Wort zu sagen, aller Blicke sahen verwundert auf diese unglückseligen Verschreibungen, die sich in der Glut zu winden schienen, gelb und schwarz wurden, aufloderten, verkohlten und noch in der letzten grauen Asche mit den glühenden Namenszügen der Unterschrift paradierten.

»Nun, meine ich, habt Ihr, was Euch zukommt, und noch etwas mehr,« sagte der Kommissär mit einem schwachen Zittern in der Stimme. »Geht Eures Wegs; nun sind wir quitt«

Die eben noch so erregten und wilden Menschen gehorchten, ohne ein Wort zu sagen, und gingen mit langen Gesichtern in den Hof. Da sah man sie stehen bleiben und mit einander verhandeln, was das doch bedeuten solle. Vermutlich hatten viele argwöhnische Gedanken und fürchteten, es möchte dieses Brandopfer eine List sein, deren wahre Natur das Thing bald an den Tag bringen werde. Aber die Verschreibungen haben eine seltene Eigenschaft: sie prägen sich dem Gedächtnis derer, die sie unterschrieben haben, sehr fest ein. Die meisten kannten jede Falte, jeden Krähenzug dieser verhängnisvollen Papiere wieder und schwuren drauf, daß sie das Teufelszeug hätten brennen sehen.

Als das Zimmer geräumt war, ging der Kommissär zu Lisu, faßte sie hart an der Hand und sagte stark bewegt und, wie es schien, ohne auf die andern Anwesenden Rücksicht zu nehmen: »Bist Du nun vergnügt? Ist es jetzt genug?«

Das junge Mädchen schwieg.

»Was?« rief der alte Mann heftig. »Achtzehntausend Reichsthaler ins Feuer geworfen! Habe ich noch nicht genug gethan?«

»Nein,« antwortete Lisu mit leiser Stimme.

»Ach, Du meinst die paar tausend Thaler, die ich noch in barem Gelde besitze? Warte etwas, Du sollst sie haben, Du kannst sie den Armen geben, einerlei wem. Es stehet geschrieben: ›Verkaufe alles, was Du hast, und gieb es den Armen …‹

»Aber die Schrift fügt hinzu: ›Und komm und folge mir nach!‹«

Lisu sprach diese Worte mit kaum hörbarer Stimme, aber der Alte hatte sie trotzdem verstanden. »Was?« rief er wieder mit herzzerreißender Stimme, »noch nicht genug? Wirds denn niemals genug? Zwanzig Jahre Reue und Bußübungen, der Welt Spott und Verachtung der Menschen, Gebete, Nachtwachen, Fasten und Kasteien, all meine Güter den Armen gegeben, und doch nicht genug! Gerechter Himmel, was soll ich denn noch mehr thun? Wie kann ich einen so unersättlichen, rachgierigen Gott befriedigen?«

»O, mein armer Onkel!« antwortete das junge Mädchen, indem sie sich weinend an seinen Hals warf, »das alles ist Werkheiligkeit und Selbstgerechtigkeit, das alles bedeutet vor Gott nichts. Fallt nieder vor dem Kreuze, so wie Ihr seid, ohne allen Stolz und Hochmut, werft Euch ohne alles eigene Verdienst in Christi Arme, und zur selben Stunde seid Ihr errettet, frei und umsonst!«

Der Alte verstand sie nicht. Ein einziger Gedanke hatte seine Seele ergriffen und verwirrt: »Ists noch nicht genug? Muß es noch mehr sein?«

Plötzlich schien ihm ein Gedanke zu kommen, er zündete ein Streichholz an und hielt dasselbe dann unter die Halbgardinen vor dem Fenster, schien aber erstaunt zu sein, als man ihn daran hindern wollte, das Haus in Brand zu stecken. »Ist es nicht mein Haus? Weshalb kann ichs nicht in Asche legen?«

Dann fuhr ihm ein anderer Gedanke durch den Kopf, der den ersten verdrängte, und in welchem man in dem Bußfertigen wieder den Wucherer erkannte. »Mein Haus? Nein, lieben Freunde, wie sollte es mein Haus sein können? Ich bin ein armer, bettelarmer Mensch, bettelarm, sage ich Euch? Habe ich ein Haus besessen, so ists nun in den Händen der Armen … falls es noch ärmere Menschen als mich giebt. Martha Vidström, Du kannst es vor dem Gericht bezeugen, wenn meine Verwandten auf meine Hinterlassenschaft Ansprüche erheben sollten. Sag ihnen, daß das Haus mit allem, was sich in demselben findet, unserm Herrn im Himmel verpfändet ist, für Rechnung der Armen. Ich habe nichts; ein Bettler auf der Landstraße ist reicher als ich. Aber es ist nicht genug. Sie sagt, daß es niemals genug wird.«

Frau Margareta, die immer resolut und praktisch war, wandte sich an die Haushälterin. »Hören Sie, Madame Vidström, mit dem Kommissär ist es nicht richtig. Wir müssen reisen, und Madame darf nicht mehr allein bei ihm sein. Ich meine, es ist am besten, daß wir uns seiner annehmen. Packen Sie seine Kleider ein, bestellen Sie Pferde und nüchterne Fuhrleute. Ich versiegle in Gegenwart von Zeugen die Geldkiste; den Rest geben wir Ihnen in Verwahrung, Madame. Die Narrenstreiche da drinnen haben viel Geld gekostet; Madame Vidström wird einen zuverlässigen Mann mieten, der den Hof verwaltet, selbst wenns einen Reichsthaler pro Tag kosten sollte. Gewehre sind hier im Hause; fürchten Sie Sich nicht, schießen Sie jeden nieder, der auch nur ein Streichholz anrühret. Ich komme Neujahr wieder und werde mich des Hauses annehmen. Bis dahin soll der Kommissär es bei uns so gut wie ein Prinz im Bäckerladen haben. Wir legen ihn oben in die Giebelstube; es soll mir auf einige Faden Holz nicht ankommen, er soll ein Mädchen zur Aufwartung und ordentliche Hausmannskost haben. Ich habe eigen gemachte karierte Teppiche, es soll schon warm und gemütlich werden, und des seligen Ole Christophers altes Brettspiel, seine Morgenschuhe und den schönen Schlafrock soll er auch haben. Na, nun etwas rasch, Madame, ich werde Sie für Ihre Mühe schon bezahlen.«

Während dieser gewaltigen Rede waren die farblosen Backen der Haushälterin allmählich purpurrot vor Zorn geworden. »Ist das nicht alles recht so?« fragte sie unerschrocken. »Nein, wie sollte es recht sein, wenn fremde Menschen mit dem Eigentum anderer schalten und walten, wie sie wollen. Ist hier einer von Sinnen, so ist es nicht mein alter Herr. Zu einem alten Mann spät am Abend mit Pulver und Blei, Lärmen und Poltern kommen … ihn mit arglistigen Künsten krank machen … ihn sich mit Dieben schlagen lassen … seinen Kopf verdrehen mit gotteslästerlichen Reden, daß man keine guten Werke thun dürfe … und dann sagen, es sei nicht alles recht so! Ich will der Frau sagen, worin das alles seinen Grund hat: das ist die Familienliebe, die gern erben will. Aber ich will der Frau etwas sagen: Das Erbe wird ebenso mager werden, wie es die Liebe schon ist. Nun ja, die hübschen Sachen da drinnen, das ist ja schon etwas; verkauft sie auf einer Auktion; das ist die Eitelkeit der sündigen Welt, die man sich nicht aus dem Sinn hat schlagen können, weil man einmal reich gewesen ist. Der Rest von dem, was er besessen hat, will ich der Frau nur sagen, liegt da im Ofen. Ich weiß, daß der Kommissär in zwanzig Jahren doppelt so viel ausgegeben hat, wie er durch den elenden Wucher eingenommen hat; es war sein Leben, wohlthätig zu sein und sich doch als Wucherer verspotten zu lassen. Ich hätte den Banditen da draußen im Hof etwas sagen können … Jede Verschreibung, die mein Herr hat eintreiben lassen, hat er durch den Küster zurückbezahlen lassen und noch mehr dazu, damit sie von ihrer Leidenschaft, zu faulenzen, Prozesse zu führen und zu trinken geheilt werden könnten, und welchen Dank hat er nun dafür? Aber ich will jetzt zu ihm gehen und verspreche, daß er nach acht Tagen wieder frisch und munter ist.«

Frau Margareta war erstaunt, eine fast eben so mannhafte Amazone zu finden, wie sie selber war, und die Haushälterin hatte sich ja an ihren eigenen praktischen Verstand gewandt, so daß sie sich zum erstenmal in ihrem Leben wirklich überwunden fühlte. »Hören Sie nun, Madame Vidström«, begann sie nach einer Fanfare in das blaukarrierte Taschentuch. Aber sie ward unterbrochen.

»Martha Vidström«, sagte der Kommissär ganz unerwartet, »thu', wie die Frau sagt! Ich bin ein armer Mann … habe nichts mehr, wovon ich leben kann … ich muß ja froh sein, wenn sich meine Verwandten meiner erbarmen. Laß vorspannen, ich reise mit ihnen. Lisu … ist das nicht genug? Ist das noch nicht genug?«


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