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Auf der »Thyra« fanden wir mehrere unserer guten Freunde wieder, die mit uns von Kopenhagen nach Island gefahren und auf andern Wegen als wir durch die Insel nach Akureyri gekommen waren.
Alle waren entzückt von ihrer Reise. Ja verschiedene waren geradezu begeistert, unter ihnen sogar einige nüchterne Engländer.
Diese Begeisterung, meinte ein gemütlicher deutscher Doktor, sei offenbar ein Ausbruch des »Islandzaubers« (der damals besonders in Deutschland herrschte).
In solcher Stimmung ging es dann los mit dem gegenseitigen Erzählen von Abenteuern und Erlebnissen und all den Eindrücken, die das merkwürdige Land auf die einzelnen gemacht hatte.
Dabei stellte es sich überraschenderweise heraus, daß Friedrich und ich trotz unseres großen siebzehntägigen Rittes keineswegs die höchste Leistung vollbracht hatten. Mehrere hatten drei, vier, fünf, ja sechs Wochen zu Pferd gesessen, hatten noch wildere Gegenden durchstreift und waren noch kräftiger geworden und noch mehr von der Sonne verbrannt als wir.
Überhaupt fiel es auf, wie wohl alle aussahen. Einige waren kaum wiederzuerkennen. Man beglückwünschte einander zu der glänzenden Erholung oder der wiedergewonnenen Gesundheit.
Unter den neuen Passagieren auf der »Thyra« traf ich einen englischen Priester, einen Professor, der wegen seiner Geselligkeit und seines liebenswürdigen Wesens bald der Liebling aller auf dem Schiffe wurde. Er erzählte mir, er sei vor seiner Abreise in England von seinen Studien so überanstrengt gewesen, daß er in den letzten Monaten kaum mehr habe schlafen können. Sein Arzt habe ihm daher zu einer Islandreise geraten.
»Und jetzt«, versicherte er, »schlafe ich wieder die ganze Nacht wie ein Stein!«
Überhaupt, so urteilten viele unter den Passagieren: wer etwas für seine Gesundheit tun oder seine Ferien gut verwenden will, der kann in ganz Europa kaum etwas Besseres wählen als eine Reise zu Pferd durch Island, namentlich in einem so schönen Sommer, wie wir ihn hatten.
Ich glaube, sie konnten das ohne Übertreibung sagen.
Wenn man nämlich einen solchen Ritt macht, muß man sich beständig im Freien aufhalten, manchmal bis in die Nacht hinein.
Durch das Reiten wird sodann der ganze Körper auf eine gesunde, natürliche Weise bewegt und geschüttelt, wahrscheinlich besser als durch die beste Gymnastik, zumal da die meisten isländischen Reitpferde einen sehr guten Gang haben.
Dazu kommt das völlig Neuartige und Anziehende des Landes und seiner Natur sowie der ganzen Art des Reitens. Man wird aus dem einförmigen täglichen Leben mit einem Schlag in vollständig neue Verhältnisse versetzt, und jeder Tag bringt seine Abwechslung mit sich.
Dieses Reisen in Island hielten alle für gesünder und besser als selbst das Reisen in dem berühmten schottischen Hochland. Nicht als ob das arme Island sich irgendwie mit dem üppigen Schottland messen könnte, das den Reisenden so viele Bequemlichkeiten bietet, sondern wegen des unendlich Frischen und Freien der isländischen Natur und wegen des unbeschreiblichen Reizes, den das Reiseleben hier ausübt.
Friedrich und ich waren wohl imstande, diesen Vergleich mit Schottland zu verstehen, denn wir hatten erst im Jahre zuvor das schottische Hochland bereist. Man wird dort auf den schnellen englischen Eisenbahnen befördert, fährt auf netten kleinen Dampfern über die Seen und im Omnibus über die Berge, die freilich bei weitem nicht so hoch und majestätisch wie die isländischen sind.
Das geht alles sehr einfach und gemütlich und hat sicherlich feine Vorzüge. Aber man kommt dabei eigentlich niemals richtig aus den gewohnten zivilisierten Verhältnissen heraus. Man hat viel zu wenig Abwechslung.
In unsern zivilisierten Ländern, die in den äußeren Reiseumständen alle einander bis zu einem gewissen Grade gleichen, gibt es bequemes Fahren und einladende Hotels, aber auch viel Rauch und Lärm von Eisenbahnen und Dampfschiffen, Gedränge in großen Menschenmassen, überall Obst-, Blumen- und Zeitungsverkäufer mit ihrem ewigen Schreien und Rufen.
Der Reisende muß in diesen Ländern notwendig einen bestimmten, vorgeschriebenen Weg einhalten, als wäre er ein Gefangener. Selten kommt man aus diesen Undingen heraus, und zuletzt werden dadurch nur die Nerven gereizt und ermüdet, statt daß sie Ruhe und Erholung finden.
Auf Island dagegen, dem weit entfernten, von der modernen Zivilisation noch wenig berührten Berglande, ist es fast allein die Natur, die uns mit ihrer wohltuenden Ruhe, ihrer edlen Majestät und gefunden Kraft begegnet. Hier hat man keine Eisenbahnen, keine Dampfschiffe, keine eigentlichen Hotels, keinen Lärm, keinen Rauch und keinen Dampf, als höchstens den, der aus den kochenden Geysern kommt und aus den feuerspeienden Bergen.
Man hat auf Island eine unvergleichlich gesunde und reine Luft und die größte Freiheit in all seinen Bewegungen. Wir konnten bei unserem Ritt nach Belieben absteigen und uns ausruhen, wir konnten langsam oder schnell reiten, genau wie wir wollten. Kein Fahrplan und keine Fahrkarte störten uns.
Ja nicht einmal mit der Nacht brauchten wir zu rechnen, da sie ja in Island genügend hell ist. Zudem breitet sich gerade nachts eine wunderbare Ruhe über die ganze Natur aus.
Und dennoch umgibt einen auch draußen in der Nacht ein wimmelndes Leben; überall sind weidende Schafe und Lämmer, graubraune Füchse, Vögel zu Tausenden, die bald hier, bald da aufgescheucht werden, aber ohne Geschrei und Geräusch – wie weiche, stumme Schatten – durch die Luft schweben, und zahlreiche andere sich regende Wesen.
Nun kann man freilich von Poesie und Naturschönheit allein nicht leben. Aber das ist auch bei einer Reise auf Island gar nicht nötig; denn erstens tragen einem die lieben Pferde alles mit, was man braucht, und zweitens wird man jederzeit auf einem Hofe in der freundlichsten, zuvorkommendsten Weise aufgenommen; zwar nicht von feinbefrackten Kellnern, dafür aber von einer aufrichtigen, guten Hausmutter und ihrem Mann, von Söhnen, Töchtern und Dienstboten, die alle, ohne an Bezahlung oder an Trinkgeld zu denken, wetteifern, um den Reisenden den Aufenthalt so behaglich wie möglich zu machen.
Solange man unterwegs ist, hält man seine Mahlzeiten draußen im Freien an irgendeiner schönen grünen Stelle, die man selber wählen kann. Statt Wein trinkt man das unbezahlbare köstliche Wasser aus den Bergquellen.
Was dieses Wasser betrifft, so sagte jener dänische Arzt, der ein Stück weit mit uns gereist war, er hätte nie geglaubt, daß es ein so wohlschmeckendes, so gesundes und dabei so reines Wasser gebe; es würde sich lohnen, meinte er, Abfüllstellen dafür einzurichten und es in den Handel nach dem Ausland zu bringen.
An einzelnen Orten, besonders in der Nähe der großen Vulkane, wo es filtriert wird, indem es weithin durch poröses Lavagestein fließt, hatte dieses Wasser einen geradezu duftigen, belebenden Geschmack.
Ein etwas schwächlicher Herr, der daheim ohne Rotwein bei seinen Mahlzeiten nicht leben konnte, versicherte, daß er sich nie so wohl befunden habe wie auf der Reise im Innern von Island, wo er nur das Wasser der Bergbäche und der Quellen hatte, diesen kostbaren Trank, den uns der Herrgott selber schenkt mitten in der gesunden, herrlichen Natur.