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8. Thingvellir – Die berühmte Lavaschlucht Almannagjá

Am Morgen wurden wir auf Middalur von der Hausmutter geweckt, die uns auf einem hübschen Auftragbrett mit schneeweißer Decke Kaffee und Kuchen brachte.

Das ist auf Island allgemeine Sitte; kein fremder Gast darf aufstehen, bevor er eine gute Tasse warmen Kaffee – natürlich mit dem allerbesten Backwerk des Hofes – getrunken hat, er könnte sich sonst ja in dem kalten Land erkälten; nach dem Kaffee dagegen ist keine Gefahr mehr.

Kaffee und Kuchen also kommen ans Bett, und erst dann steht man auf, wäscht sich und zieht sich an.

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Einige Zeit nach dem Aufstehen ging ich mit Friedrich hinaus, um wieder nach unsern Pferden zu sehen. – Da machten wir abermals eine sonderbare Entdeckung:

Das eine Pferd hatte den Strick, womit seine Vorderbeine zusammengebunden waren, zerrissen und verloren! Aber merkwürdig, was die Gewohnheit bewirken kann! Das Pferd machte noch immer, wenn es einen Schritt tun wollte, mit beiden Vorderbeinen einen kleinen Sprung, ganz als wäre es noch gefesselt.

Das war ein außerordentlich spaßiger Anblick, wie das Tier, obschon seine Beine vollkommen frei waren, mit so großer Mühe die kleinen Schritte nahm!

»Es scheint, das Pferd will uns eine lustige Vorstellung geben!« sagte Friedrich lachend. –

Als wir wieder in das Haus zurückkamen, hatte uns die Hausmutter eine Mahlzeit von den besten Dingen bereitet, die sie herbeischaffen konnte. Hierauf mußten wir nochmals eine Tasse herrlichen Kaffee trinken.

Kaffee ist das Hauptgetränk auf Island; überall, wohin man kommt, wird man mit einer Tasse gutem Kaffee empfangen, und auf den meisten Höfen trinkt man mindestens dreimal täglich Kaffee.

 

Nach Beendigung der feinen, kräftigen Mahlzeit mußten wir an die Abreise denken; denn zwischen Middalur und unserem nächsten Nachtquartier Thingvellir gab es keine Wohnungen, sondern nur wilde, schneebedeckte Berge. Da mußte man sich zeitig auf den Weg machen.

Wir holten die Pferde und sattelten sie. Friedrich verteilte noch einige kleine Geschenke an die Kinder des Hofes. Der Bauer beschrieb uns die Lage der Berge, über die wir nun reiten sollten; sehen konnten wir sie kaum, denn sie waren fast ganz in Nebel eingehüllt. Wir mußten deshalb auch noch unsere Ölkleider anlegen.

Friedrich brach jetzt, als wir in dieser Verwandlung zu den Pferden hinausgingen, in helles Lachen aus. Wir waren sozusagen vollständige Matrosen geworden: mit gelben Lederhosen, gelben Lederjacken und mit großen Südwestern auf dem Kopf. –

Bevor wir uns verabschiedeten, wollte ich bezahlen; ich erhielt aber zur Antwort, daß man von Landsleuten keine Bezahlung annehme! – Erst als ich fest darauf bestand, wurde ein kleines Entgelt angenommen.

Mit herzlichem Dank trennten wir uns von den liebevollen, gastfreien Menschen. Der Bauer geleitete uns noch ein Stück auf den Weg, dann ritten wir vorwärts, den Bergen entgegen.

 

Die ersten drei Stunden ging es durch das wilde, unbewohnte Seljatal, das aber doch nicht ganz ohne Grün ist. Auch an vier oder fünf Seen und an einem Fluß kommt man vorüber. Alles in allem eine abwechslungsreiche Landschaft.

Als wir am Fuße der Mosfellshochebene angelangt waren, nahmen wir auf einer frischen Grasflur längeren Aufenthalt. Wir wollten hier unsere Pferde etwas grasen lassen, denn nun kam der höchst beschwerliche Aufstieg und dann der mehrere Stunden lange Weg oben auf der weitausgedehnten Höhe, wo Gras wohl kaum zu finden sein würde.

Ehe wir die Pferde wieder bereitmachten, badete ich ihren Rücken mit eiskaltem Wasser, damit sie bei dem Ausstieg nicht so schnell in Schweiß gerieten. Dann schwangen wir uns mit Eleganz – wie wenigstens wir selber glaubten – in den Sattel.

Jetzt ging es auswärts.

Die armen Pferde! Wie sie schnaubten und stapften!

Aber sie blieben willig und tapfer. Sie strengten sich an mit allen Kräften und schafften sich weiter und weiter. Klug suchten und fanden sie alle möglichen kleinen Sonderwege, bald rechts, bald links, bald geradeaus.

Ich ließ sie nach ihrem eigenen Kopf vorangehen und fand bald, daß sie den Weg weit besser wählten, als ich es vermocht hätte.

Schließlich waren sie aber doch ganz in Schweiß gebadet. Wir machten darum halt, stiegen ab und rasteten einige Minuten.

Das muß man jeden Vormittag, wenn die Tiere noch gesättigt sind, ab und zu tun, besonders bei größeren Strapazen, sonst setzt man sich der Gefahr aus, daß die Pferde einen inneren Schaden erleiden, dem sie mitten auf der Reise erliegen könnten. Nachmittags dagegen kann man stundenlang ohne Unterbrechung dahinreiten. –

Auf einer Reise, wie wir sie machten, ist die Behandlung der Pferde keineswegs eine leichte Sache. Man denke sich nur den einen – scheinbar gleichgültigen – Fall, daß einer der zwölf Pferdefüße, auf die ich zu achten hatte, sein Hufeisen verlor, ohne daß ich es bemerkte. Die Folge würde sein, daß dieser Fuß auf dem harten Felsengrund an einem einzigen Tag seinen Huf verbrauchte. Auf einem so verschlissenen Huf ließe sich aber kein Eisen mehr befestigen, und das Pferd müßte zurückgelassen werden!

Ich versäumte es daher an keinem Tag, mehrmals alle zwölf Pferdefüße zu untersuchen.

Ja, es ist sicher eine Kunst, auf einer solchen Reise richtig auf seine Pferde zu achten, besonders wenn man nie bei der Kavallerie gedient hat; und dessen konnte ich mich leider nicht rühmen.

Doch ging auch in dieser Hinsicht alles gut.

 

Nach genügendem Aufenthalt auf dem steilen Bergweg setzten wir den beschwerlichen Aufstieg wieder fort.

Als wir endlich oben auf der Höhe anlangten, machten wir unwillkürlich halt vor lauter Bewunderung des Anblicks, der sich uns jetzt darbot:

Es war ein großartiges, wildes Panorama: zur Linken die mächtige Esja, deren obere Hälfte mit Schnee bedeckt war; unten breite Täler mit großen Seen: rechts wieder gewaltige Berge in den wildesten Formen, gebildet von oben bis unten aus schwarzen, regellos zusammengefügten Lavablöcken von ungeheurer Größe. Sie glichen bald mächtigen Festungen und Burgen, bald versteinerten Kämpen, die in den unglaublichsten verrenktesten Stellungen dastanden:

Wie ein rasender Titan streckt der eine zwei Riesenarme zum Himmel empor. Ein anderer liegt mit gebeugtem Haupt auf seinen Knieen, so daß sein ungeheurer Rücken sich klar und deutlich gegen den Himmel abzeichnet. Ein dritter hat sich in seiner ganzen Länge ausgestreckt: man sieht genau das Haupt des Riesen, seine breite Brust, seine mächtigen, starken Arme und die schwach gebogenen Kniee.

Alle diese Gestalten heben sich in klaren Linien von dem blauen Himmel ab. Der Nebel ist vollständig verschwunden. Die Lust ist warm und licht und durchsichtig bis in die weiteste Ferne.

O, warum kommen nicht die Dichter und Künstler aus aller Welt hierher! Hier würden sie Stoff finden zu hohen Schöpfungen ihrer Kunst!

Vor uns dehnt sich die Hochebene mit einem langen, breiten Weg, der geradeaus läuft, soweit das Auge reicht. Auf ihm sollten wir jetzt gegen vier Stunden weiterreiten.

Wie zauberhaft schön muß diese Landschaft im Winter sein, wenn alles mit tiefem Schnee bedeckt ist, aber auch wie schrecklich, wenn der Wind über die weite, hochgelegene Wüste rast!

Auf Middalur wurde uns Folgendes erzählt:

Vor einigen Jahren wollte eine Ausflugsgesellschaft von acht Personen, alles Isländer, mitten im Winter diesen Weg benützen: aber sie wurden von einem Schneesturm überrascht und verirrten sich, so daß sie alle umkamen! Nach dem Unglück wurde der Weg auf der einen Seite mit Wegweisern versehen, die eine fortlaufende Reihe bilden, jeder etwa zehn Fuß hoch, mit einem Arm von Stein, der die Richtung angibt, damit man im Winter, wenn der Weg selbst tief zugeschneit ist, sich zurechtfinden kann.

Aus der Ferne oder im Nebel nehmen sich diese Wegweiser aus wie ernste Frauengestalten, die alle mit ausgestreckten Armen auf den Weg zeigen.

Hier ließen wir unser Packpferd frei gehen, denn es konnte, da weit und breit keine grüne Grasfläche lockte, nicht leicht in Versuchung geraten, von uns fortzulaufen: ja wir entfernten uns allmählich sogar ein größeres Stück von ihm in dem Vertrauen, daß es uns auch so noch folgen werde.

Und wirklich, wenn wir schneller ritten, fing es gleichfalls bald zu galoppieren an und holte uns dann in kurzer Zeit wieder ein.

Ja, nicht einmal die Tiere mögen da oben allein sein.

 

Nach einem etwa zweistündigen Ritt waren wir zur Mitte der Hochebene gekommen. Hier sieht man, nahe am Weg, ein schlichtes Gebäude. Es ist aus Stein aufgeführt, mit dicken Wänden: Fenster hat es nicht, nur einen niedrigen Eingang mit einem einfachen Holzkreuz darüber. In diesem kleinen Hause können die Reisenden, die sich im Winter da heraufwagen, Schutz vor Sturm und Wetter suchen.

Ich mußte hier an die acht unglücklichen Isländer denken, die einen solchen Zufluchtsort noch nicht gehabt hatten. –

Glücklicherweise hatten wir keine Veranlassung, in der Hütte Aufenthalt zu nehmen. Wir beeilten uns, fortzukommen, denn hier oben war es jetzt kühl geworden.

Nach etwa zwei weiteren Stunden hörte der Weg auf, und es ging wieder abwärts in üppigere Gegenden. Darüber waren wir sehr froh. Wir fanden da wieder schöne grüne Grasflächen mit rieselnden Bergwassern, und die Luft war wärmer und angenehmer.

An dem ersten grünen Plätzchen machten die Pferde von selber halt und begannen sofort eifrig zu grasen. Wir stiegen ab, befreiten die Tiere von ihren Sätteln und Zäumen und hielten ebenfalls eine einfache Mahlzeit, die uns vortrefflich schmeckte. Einen überaus köstlichen Trank lieferte uns der nächste Bach.

 

Nach ungefähr einer Stunde wurden die Pferde gebadet und wieder gesattelt. Dann ging es auf sehr schlechten Wegen nach Thingvellir, einem berühmten Hof am Thingvallasee, an dessen Eigentümer wir ein Empfehlungsschreiben von der Frau des Landeshauptmanns Stephensen hatten. Der damalige Besitzer des Gehöftes, ein Geistlicher, war nämlich ihr Bruder.

Der Thingvallasee (isländisch » Thingvallavatn«) ist einer der größten Seen Islands, von ungefähr acht dänischen Meilen im Umkreis. An seinen Ufern befanden sich einst die Thingstätten, wo man im Altertum die berühmten Jahresversammlungen, Althing genannt, abhielt. In der Thingebene, am Nordende des Sees, liegt der Hof Thingvellir, zu dem wir jetzt wollten.

Auf dem Wege dahin kommt man an einem wahren Wunder der Natur vorbei, an der unvergleichlich schönen Almannaschlucht, von der Lord Dufferin schrieb, es sei der Mühe wert, um die ganze Erde zu reisen, allein um sie zu sehen.

Die Almannagjá, das heißt »Allmännerschlucht«, ist die wildeste, phantastischste Felsenschlucht, die man sich denken kann.

Als wir hinkamen, mußten wir absteigen und unsere Pferde hinter uns herziehen, so steil geht es dort die harten, von der Natur selbst gebildeten Basaltstufen hinab. Ist man unten angelangt, dann besteigt man wieder sein Pferd und reitet durch die eigentliche Schlucht.

Drinnen hat man zu beiden Seiten gewaltige, senkrecht aufragende Felswände, die hoch oben, wo man in den freien Himmel hinaussieht, in die wunderlichsten Formen übergehen: in Türme, Basteien, Minarette, Spitzen, ja selbst gespenstische, lachende Trolle. Fast sollte man glauben, irgendein Titan habe sich einstmals im Altertum damit unterhalten, diese unbeschreiblich seltsamen Felsengebilde auszuhauen.

Aber die Schlucht ist auch merkwürdig als geschichtliche Stätte:

Hier wurde in alten Zeiten mancher Streit ausgefochten. So zum Beispiel der in der Njálssaga geschilderte Kampf zwischen den Njálssöhnen und dem mit ihnen verfeindeten mächtigen Flose:

Während des Kampfes, der vor der Almannaschlucht begann, wartete hier Snorri mit seiner Schar. Er sollte – so war mit den Njálssöhnen verabredet – den Paß besetzt halten und dann im Falle ihrer Niederlage den Rückzug der Njálssöhne begünstigten. Wenn aber Floses Leute besiegt wurden und diesen Weg für ihre Flucht wählten, sollten sie von Snorri hier aufgehalten werden.

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Es war ein fürchterlicher Kampf, der damals zwischen diesen harten Lavawänden unter den beinahe ebenso harten Isländern jener Zeit tobte. –

Als wir zum Ende der Almannaschlucht kamen, bot sich uns ein herrlicher Ausblick auf die weitgedehnte Thingvallaebene mit dem großartigen Thingvallasee. Ganz nahe zur Linken stürzt der Öxará, der Axtfluß, in einem schönen, schimmernd weißen Wasserfall brausend herab über die Felsenwände der Schlucht.

Schnell sind wir nun am Ufer des Flusses, den wir überschreiten müssen. Die Pferde gehen ohne Scheu plätschernd in die breite Strömung hinein, als wäre es eine Straße, – die es ja eigentlich auch ist. Bald sieht man von ihnen nur noch die Köpfe sowie ihre starken Rücken mit zwei Koffern und zwei Menschen, die sich im Gleichgewicht zu halten suchen.

Drinnen in dem aufrührerischen, tosenden Wasser ritt ich an Friedrichs Seite und hielt ihn an einem Arm fest, allerdings etwas gegen seinen Willen; denn kräftige Jungen wie er wollen sich in Schwierigkeiten lieber selbst helfen.

 

Mitten in dem Fluß kommt man auf eine kleine grüne Insel, die wiederum eine bemerkenswerte geschichtliche Stätte ist:

Hier pflegten die streitbaren Althingsmänner in alten Zeiten ihre größeren Meinungsverschiedenheiten durch Zweikampf oder »Holmgang«, wie sie es nannten, zu entscheiden. Hier stritten die beiden bekannten Kämpen Gunnlaug Ormstunga und der Skalde Hrafn im Angesicht des ganzen Things.

Aber das war der letzte gesetzmäßige Holmgang auf Island; man wollte es künftig nicht mehr dulden, daß die besten Männer des Landes wegen einer Uneinigkeit einander töteten.

 

Von der kleinen grünen Insel, die mit so viel Blut getränkt ist, kamen wir bald an das andere Ufer des Flusses. Vor uns stand jetzt der Lögberg (Gesetzesberg), von dessen Spitze in der Zeit von Islands Größe die Gesetze und Urteile des Althings verkündet wurden.

Ferner wurde hier nach schweren Kämpfen auch das Christentum als die gesetzliche Religion des Landes angenommen, und zwar auf eine in der Weltgeschichte einzig dastehende Weise: nämlich von der Mehrzahl des noch heidnischen Althings!

Dies geschah im Jahre 1000.

Obschon diese Entscheidung bei vielen einen Ausbruch von Raserei hervorrief, war die Achtung vor einem gesetzmäßigen Beschluß damals so groß, daß alle sich beugten und sich in den Wassern des Öxaráflusses taufen ließen.

 

Als wir den Fluß überquert hatten, war es bereits neun Uhr abends. Unsere Pferde und auch wir bedurften allmählich der Ruhe. Wir ritten deshalb den geraden Weg zum Hofe Thingvellir hin, wo wir ein Obdach für die Nacht zu finden hofften.

Diese Hoffnung sollte sich indessen als irrig erweisen; denn vor den Häusern, auf dem freien Platz des Gehöftes, sahen wir ein großes weißes Zelt und eine Menge Pferde, die dabei grasten: ein sicheres Zeichen, daß Fremde angekommen waren.

Der Herr des Gehöftes, der Geistliche, an den wir das Empfehlungsschreiben hatten, stand draußen. Wir grüßten ihn und fragten, ob er uns für die Nacht aufnehmen könnte.

»Unmöglich«, war die Antwort. »Es tut mir sehr leid, denn es sind schon über zwölf Fremde da; alle Zimmer und Betten sind belegt.«

Das Zelt vor den Häusern, in dem nicht etwa die Fremden – das wäre gegen den Geist der isländischen Gastfreundschaft gewesen –, sondern einige von den Leuten des Hofes die Nacht zubringen sollten, zeigte uns, daß wirklich alles besetzt war.

Wie sehr wir auch wünschten, in Thingvellir bleiben zu können, wir mußten weiter und einen andern Hof aufsuchen. Unser Empfehlungsschreiben an den Besitzer übergaben wir aber trotzdem.

 

Als wir uns verabschiedeten und unsere Pferde wendeten, sahen wir einen Reiter, der gleichfalls im Begriff war, den Hof zu verlassen. Es war ein kräftiger, älterer Mann, eine auffällige Gestalt. Alles an ihm war schwarz von oben bis unten. Besonders sein mächtiger Vollbart war kohlschwarz, und auf dem Kopf trug er eine große, schwarze Pelzmütze.

Er galoppierte auf uns zu und fragte freundlich, wohin wir wollten.

»Nach dem Nordland«, erwiderte ich.

»Dann liegt mein Hof an eurem Wege. Wenn ihr wollt, reiten wir zusammen; und sind nicht schon Fremde vor euch da, so biete ich euch ein Obdach in meinem Hause.«

Ich nahm mit Freude das gastliche Anerbieten an, da wir sonst noch mehrere Stunden hätten weiterreiten müssen. Nur eines war mir etwas unangenehm an der sonst so freundlichen Einladung: ich kannte den Hof nicht, und an unbekannten Stätten kehrte ich sehr ungern ein.

Jedoch das durfte uns jetzt nicht abhalten, uns dem »Schwarzen« anzuvertrauen.

Der Ritt zu seinem Hof führte uns wieder am Lögberg vorbei, über den Öxaráfluß und den einst so blutigen Holm, dann am Wasserfall vorüber und zwischen den Felsen hindurch.

Unterwegs sagte uns der Bauer, daß sein Hof »Skógarkot« (Waldhütte) heiße und daß er ganz einsam mitten in einem Gehölz oben in den Bergen liege, eine halbe Stunde von Thingvellir. Er sei nur klein und ärmlich; oder es solle alles, was möglich sei, für uns getan werden.

Als wir die ersten Höhen erreichten, sahen wir bereits das Gehöft vor uns liegen. Jetzt entfernte sich der Bauer von uns und galoppierte davon, um zu Hause unsere Ankunft zu melden.

Auf dem Hof, wo er uns dann wieder entgegenkam, wurden wir von den Leuten aufs herzlichste empfangen. Es wurden unsere Pferde versorgt und wir selbst in ein kleines Nebengebäude geführt.

Hier war eine einfache, aber recht freundliche kleine Gaststube. Die Festkleider der Leute hingen ringsum an den Wänden: rote, grüne, blaue, gelbe usw., in allen Farben des Regenbogens. Das war der einzige Schmuck des kleinen Zimmers.

Zum Abendessen ließen wir uns auch hier eine unserer Vorratsdosen in kochendem Wasser wärmen, baten außerdem um reines heißes Wasser, in das wir ein wenig von Liebigs Fleischextrakt taten, und die Mahlzeit war wieder fertig. Dazu gab es, wie stets auf den Höfen, ausgezeichnete frischgemolkene Milch auf den Tisch.

Die Hausmutter, eine kleine, ältere, aber noch sehr bewegliche Frau, kam jeden Augenblick zu uns herein, um zu sehen, ob uns nichts fehlte; denn wir sollten es durchaus behaglich auf ihrem Hofe haben.

Wie herzensgut waren diese Leute und diese Frau! Sie wollten wirklich alles für uns tun, und alles, ohne im geringsten auf Entgelt zu rechnen.

Nachdem wir uns gestärkt hatten, gingen wir zu unsern Pferden hinaus. Die treuen Tiere waren so müde und waren jetzt so weit von Reykjavik mit seinen saftigen Grasfluren fort, daß ich es wagte, ihnen hier die Vorderfüße frei zu lassen. – Sie mißbrauchten denn auch mein Vertrauen in keiner Weise zur Flucht, und von der Zeit an banden wir nachts ihre Vorderfüße kaum noch einmal zusammen.

Während wir draußen waren, wurden im Haus unsere Betten instandgesetzt: große, altmodische Holzbettstellen, echte Altertümer aus grauer Vorzeit. Die vier schweren Pfosten daran waren roh geschnitzt; das Holz, das bestimmt nie von einem Maler berührt wurde, war von dem jahrhundertelangen Gebrauch so glatt wie ein Spiegel, und es wird sich noch weitere Jahrhunderte halfen.

Wir schliefen in dieser Nacht nicht minder gut als in der vorhergehenden.

Am Morgen wurden wir wie immer mit feinduftendem heißem Kaffee und Kuchen geweckt.

Vor der Abreise zeigte uns der Bauer mit einem gewissen Stolz, der keineswegs unberechtigt war, seinen Hof. Vieles hatte er nämlich an dem Besitztum schon ausgebessert und gebaut. Das Ganze war überaus friedlich und schön. Die Umgebung war geradezu herrlich: auf der einen Seite die mächtigen Berge, auf der andern Seite Thingvellir samt all seinen Wundern: man sah die Thingfelder, die Stätte des ehemaligen Althings, den See, den Öxaráfluß, den Gesetzesberg und die Almannaschlucht mit dem schneeweißen, brausenden Wasserfall.

Fürwahr, die alten Normannen hatten es verstanden, für ihre Thingversammlungen die passende Stelle zu wählen!

 

Im Thingvallasee – um das hier noch zu bemerken – wimmelt es wie in fast allen isländischen Seen und Flüssen von Forellen, und ich kann lobend hinzufügen, daß dieses feine Gericht nur selten bei unsern Mahlzeiten fehlte. Ein dänischer Arzt aus Kopenhagen, der eine Zeit lang mit uns reiste, war ein solcher Liebhaber dieser Fische, daß er sie in seiner Begeisterung nur die »göttlichen Forellen« nannte.

An einem andern Ort, aus dem Hofe Grimstunga, zu dem wir später auf unserer Reise kamen, erzählte uns die Hausmutter, daß ihre Leute am Tage vor unserer Ankunft in einem kleinen See oben auf dem Berge mit einem Netz gegen achthundert Forellen gefangen hätten, und als sie ein paar Stunden danach mit den Pferden den reichen Fang heimholten, hätten sie das Netz noch einmal ausgeworfen und noch einmal 90 Stück gefangen.

 

Beim Abschied von dem herrlich gelegenen Hof des »schwarzen Bauern« teilte Friedrich, wie er dies zu tun pflegte, wieder einige kleine Geschenke an die Kinder aus und empfing dafür auch hier den üblichen herzlichen Dank mit Kuß und Händedruck.

Nicht so leicht brachte ich den Bauer dazu, etwas für die uns geleisteten Dienste anzunehmen. Dagegen erbot er sich seinerseits in der zuvorkommendsten Weise, uns ein paar Stunden weit zu begleiten, aus Sorge, wir könnten den Weg verfehlen.

Das war jedoch nicht zu befürchten, und ich nahm daher sein Anerbieten auch nicht an.

Mit innigem Dank für ihre große Gastfreiheit verließen wir die lieben, guten Leute. Ein kleiner prächtiger Hund vom Hofe lief uns voran, wohl zwei Stunden lang, als wollte er uns den Weg zeigen.

»Dieser Hund«, rief Friedrich mir einmal zu, »scheint Verstand wie ein Mensch zu haben!«

Jedesmal nämlich, wenn sich die Wege trennten, schlug das kleine Tier den richtigen ein und bellte aus Leibeskräften, bis wir nachkamen. Sonst lief er stumm vor uns her.


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