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Mitten in der folgenden Nacht weckte mich ein Geräusch von draußen. Pferdegetrappel und Hundegebell kündigten an, daß neue Reisende auf dem Hof eingetroffen waren.
Ich stand auf und sah nun, wie Greipur auf dem Platz vor dem Hause eben daran war, drei fremde Gäste aufzunehmen. Als ich zu ihnen hinausging, erfuhr ich, daß es ein russischer Professor mit zwei isländischen Begleitern war. Sie wollten an den beiden nächsten Tagen einen Ausflug in dieser ungewöhnlich vulkanischen Gegend machen, um dann wieder nach Haukadal zurückzukehren und zur Hekla zu reisen.
Nach unserer ersten kurzen Unterhaltung lud mich der gelehrte Russe sogleich ein, an dem Ausflug teilzunehmen. Ich erklärte mich ohne lange Überlegung dazu bereit, zumal da Greipur mir versicherte, daß Gudjón, unser späterer Führer, erst in einigen Tagen heimkehren würde.
Friedrich konnte sich inzwischen auf Haukadal ausruhen.
Als ich wieder ins Zimmer hineinging und jetzt Friedrich ebenfalls wach fand, erzählte ich ihm die Sache. Er gab sich voll damit zufrieden, auf dem Hofe zu bleiben in der munteren Gesellschaft von Greipurs Kindern, die es ganz besonders verstanden, Verstecken zu spielen.
Den Rest der Nacht schliefen wir beide noch ausgezeichnet in unsern einfachen Betten. Am Morgen, als wir erwachten, war goldener Sonnenschein.
Nach einem guten Frühstück empfahl ich Friedrich der Sorge der freundlichen Hausfrau. Dann wurden die Pferde bestiegen, und begleitet von den besten Wünschen Greipurs und all seiner Leute verließen wir – vier muntere Reiter – den Hof Haukadal.
Bald waren wir hinter den weißen Dampfsäulen des Geysirs und des Strokkur verschwunden.
Das Wetter war herrlich, die Luft rein und würzig duftend. Wir hatten über 20 Grad Wärme.
Nach mehrstündigem Ritt kamen wir an ein gewaltiges Lavafeld. Plötzlich sahen wir vor uns, etwas nach links, eine eigentümliche kleine Erhöhung, bestehend aus lauter Lavastücken.
Ich wandte mich an einen unserer isländischen Gefährten und fragte ihn, was das sei.
»Sie werden da wohl überrascht sein«, sagte er, »wenn wir näher hinkommen und uns die Sache betrachten. – Das ist nämlich der sogenannte grundlose Krater, den Sie gewiß, wenigstens dem Namen nach, kennen.«
Ich gestand, daß ich nie das geringste von dieser Merkwürdigkeit gehört hatte.
»Dann müssen Sie sich den Krater um so mehr ansehen; er ist wirklich eine Seltenheit.«
»Und man nennt ihn den grundlosen Krater? – Wie ist das zu verstehen?« fragte ich. »Er kann doch unmöglich ins Endlose gehen!«
»Doch, gerade das ist es! Er geht senkrecht in die Erde hinab, und man fand nie einen Grund bei ihm.«
Ich zweifelte noch immer und meinte, es stecke irgendein Witz dahinter. Aber der Mann fuhr in vollem Ernst fort:
»Sie werden sich gleich selbst überzeugen können. Sie mögen da so viele und so große Steine hinunterwerfen, wie Sie wollen, Sie werden unten in dem Krater niemals einen Aufschlag hören.«
Ich wurde aufs höchste gespannt.
Als wir zum Fuße der geheimnisvollen Anhöhe kamen, stiegen wir von den Pferden, die sogleich begannen, sich an dem bißchen Gras zu weiden, das spärlich aus den Ritzen der Lava hervorwuchs. Dann gingen wir die kleine Anhöhe hinauf.
Oben auf dem Rücken sah man im harten Felsen eine Öffnung von einigen Ellen Durchmesser. Es war gleichsam ein großer Brunnen.
Die Bohrarbeit in diesem Schacht hatte das Feuer ausgeführt.
Ich trat hinzu, neigte mich vorsichtig über den senkrechten Rand und schaute hinunter.
Da war nichts anderes zu sehen als ein undurchdringliches Dunkel, eine grundlose Tiefe und Finsternis.
Ein eigenartiges, schauriges Gefühl!
Aber ich mußte immerhin probieren, hinter das Geheimnis zu kommen.
Wir suchten einige schwere Steine aus, ungefähr so groß wie Menschenköpfe. Einen davon nahm ich und schleuderte ihn hinab.
Ich schaute ihm nach und lauschte ...
Jetzt konnte ich tatsächlich das Merkwürdige feststellen: Man hörte, wie der Stein mit lautem Gepolter bald gegen die eine, bald gegen die andere Wand des tiefen Schachtes schlug. Der Schall wurde beständig schwächer und schwächer: zuletzt verlor er sich ganz. Einen eigentlichen Fall auf den Boden aber hörte man nicht.
Das war rein unglaublich!
Ich nahm nun einen noch größeren Stein und warf ihn ebenfalls hinab ...
Wiederum vernahm ich dasselbe hohle Poltern und Dröhnen hin und her und das allmähliche Verhallen im Nichts.
Nun war kein Zweifel mehr: man konnte wirklich glauben, daß der Krater grundlos sei.
Bei einem neuen Versuch glückte es mir, einen Stein so senkrecht niederfallen zu lassen, daß man kein Anschlagen gegen die Wand hörte. Der Stein wurde lautlos gleichsam von einer unendlichen Tiefe verschlungen. –
Der russische Professor, der in Japan gewesen und dort den merkwürdigsten vulkanischen Erscheinungen begegnet war, erinnerte sich nicht, irgendwo etwas Derartiges gesehen zu haben.
Was mochte nur da unten in diesem tiefen, geheimnisvollen, finsteren Abgrund sein? – War es ein Ungeheuer mit einem gewaltigen, unendlichen Rachen? Oder ging es da am Ende hinab in die Unterwelt?
Es war ein undurchdringliches, dunkles Geheimnis. –
Ich mußte auch hier wieder an den Märchendichter Andersen denken. Was würde wohl der hier zustande gebracht haben mit seiner unvergleichlichen Phantasie! Wieviele kleine indische und chinesische Prinzen und Prinzessinnen hätte er in diesem zaubervollen geheimen Gang auf- und niederschweben lassen können! Welche Wunder hätte er da unten entdeckt in diesem Reich der Finsternis! – wieviele verzauberte Grotten, welche Ungeheuer mit großen, leuchtenden Augen!
Ich konnte hier verstehen, daß man im Volke wirklich glaubt, solche Krater seien wahrhaftig grundlos, da man in ihren Tiefen kein Ende wahrnehmen kann und keinen Stein, den man hinabwirft, auf einen Grund auffallen hört.