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Aus unserem idyllischen Landleben auf Haukadal ist noch ein ganz außergewöhnlicher Gedenktag zu verzeichnen:
Wir befanden uns dort nämlich mitten im Gebiet der großen Vulkane. Nicht nur der Geysir, der Strokkur und die andern vulkanischen Quellen tosten und brüllten unheimlich in unserer nächsten Nähe und entsandten von Zeit zu Zeit ihre Strahlen kochenden Wassers hoch in die Luft; in einiger Entfernung erhob sich am Horizont die Hekla selbst, der weltberühmte Vulkan, in seiner blendenden Pracht und Majestät.
Vulkanische Ausbrüche und Erdbeben haben gerade hier im Umkreis stattgefunden. Ich sprach deshalb in der Zeit, da wir noch immer auf unsern Führer nach Kalmanstunga warten mußten, öfter mit den Leuten darüber und erfuhr so manche denkwürdige Einzelheiten von diesen schrecklich-großartigen Schauspielen, welche die meisten Erwachsenen in der Gegend noch selbst erlebt hatten.
Sie hatten ihnen als entsetzte Zuschauer persönlich beigewohnt.
»Ich habe das alles selbst mit meinen eigenen Augen gesehen!« hörte ich einige von ihnen voll Eifer sagen, während sie mir einzelne Begebenheiten erzählten, an die sie sich noch so lebendig erinnerten, als hätten sie sich erst am Tage vorher zugetragen.
Alles das war so überaus spannend und merkwürdig, daß ich hier wohl ein besonderes Kapitel über diesen Gegenstand einfügen darf, der mit zu dem Eigenartigsten gehört, was von dem nordischen Wunderland der Vulkane zu berichten ist.
Ich lade also alle meine Leser freundlichst ein, mir auf den Schwingen der Phantasie bis hin zu dem berühmten Vulkan zu folgen, der in seinem schimmernden Schneegewand da hinten am Horizont leuchtet.
Wir wollen geradeswegs auf die Hekla zugehen und uns einen ihrer Ausbrüche in allen seinen Einzelheiten vergegenwärtigen, wenn auch nicht als erschreckte Zuschauer, so doch mit innerer Anteilnahme an dem furchtbaren Ereignis.
Wir wollen sehen, wie das ganze erschütternde Geschehen sich abspielt, vom Anfang bis zum Ende.
Wir brauchen dabei aber nicht bange zu sein, daß uns einer der glühenden Steine, eine der sogenannten vulkanischen »Bomben«, trifft, obschon sie bei dem geschilderten Ausbruch zu Tausenden durch die Luft herabsausen.
Wir werden ebensowenig in einen höllentiefen Abgrund versinken, obschon wir sehen werden, wie die Erde sich vor uns öffnet in klaffenden Sprüngen.
Wir werden auch nicht ins Meer hinabgespült werden von den gewaltigen kochenden Wasserströmen, die von den schmelzenden Gletschern herunter dicht an uns vorbeirasen werden. Und doch werden diese fürchterlichen Überschwemmungen von kochendem Wasser Höfe und Häuser und Kirchen zu Dutzenden mit sich reißen.
Da also die Gefahr – für den Leser – so gering, das Schauspiel aber so großartig ist, braucht niemand fernzubleiben. Als Spieler treten die Elemente selber auf mit ihrer ganzen urkräftigen Gewalt.
Wir nähern uns der Hekla. Ihre Höhe beträgt etwa 5000 Fuß. Ihr Gipfel ist in der Regel von einer kleinen Wolkenhaube umgeben; daher hat sie auch ihren Namen »Hekla«, das heißt Haube.
Seit der uns bekannten, geschichtlichen Zeit zählt man von ihr 21 Ausbrüche. Der erste hat im Jahre 1104 stattgefunden, der letzte 1878. Die kürzeste Zeit, die der Vulkan geruht hat, waren 6 Jahre, die längste Zeit 79 Jahre.
Von allen Ausbrüchen der Hekla ist der von 1845/46 der am besten beschriebene. Ihm wollen wir daher nun beiwohnen und so ein Bild von einem vulkanischen Ausbruch auf Island gewinnen.
Gerade über den Ausbruch von 1845/46 konnte ich mit einigen alten Leuten auf Haukabal wie auf dem Nachbar-Hofe sprechen.
Diese Leute hatten, wie gesagt, dem ganzen unheilvollen Drama beigewohnt und erinnerten sich noch lebhaft daran. Viele Einzelheiten, die ich jetzt mitteilen werde, hörte ich von ihnen. – Übrigens habe ich ihre Angaben später mit den amtlichen Berichten verglichen und gefunden, daß sie richtig waren.
Die gesamte Überlieferung sagt uns Folgendes:
Der Winter 1844/45 war ungewöhnlich mild; die Erde war schon im April grün und mit Blumen bedeckt. Frühling und Sommer waren entsprechend dem Winter. Es herrschte andauernd eine Wärme, wie man sie seit Menschengedenken kaum gekannt hatte.
Doch zur Verwunderung fiel kein Regen, und das, obschon der Himmel oft voller Wolken war.
Diese außergewöhnlichen Erscheinungen flößten allmählich einzelnen Leuten Sorge ein, denn man wußte auf dieser Feuerinsel gut, daß die meisten großen Vulkanausbrüche sich gerade durch derartige Zeichen vorher angekündigt hatten.
Alte Leute erinnerten sich, daß auch vor dem furchtbaren Ausbruch der Skaptártvulkane im Jahre 1783 der Winter besonders mild und der Sommer warm und trocken gewesen war, gerade wie jetzt.
Es herrschte darum im ganzen Lande eine gewisse bange Erwartung, eine drückende, nervöse Spannung.
Island ist das am meisten vulkanische Gebiet der Welt; es ist sozusagen nur ein einziger Vulkan. Da kann niemand wissen, wo das Unglück losbrechen wird. Es kann im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen geschehen.
Man lebt hier also buchstäblich auf einem brennenden Vulkan!
Nun verbreitete sich über die ganze Insel das Gerücht, der Schnee auf dem Rücken der Hekla habe im Laufe des Sommers merkwürdig abgenommen. – Einige allerdings beruhigten sich dabei mit der Erklärung, daß ja in dem ungewöhnlich milden Winter auch viel weniger Schnee als sonst gefallen sei.
Immerhin war jetzt die allgemeine Aufmerksamkeit ganz besonders auf die Hekla gerichtet.
Zu diesen Beobachtungen kam dann noch eine neue, die von vielen mit einem möglichen baldigen Ausbruch gerade dieses Vulkans in Verbindung gebracht wurde:
Vom 4. zum 5. August 1845 trat nämlich auf allen Gehöften in der unmittelbaren Nähe der Hekla eine fast plötzliche, höchst auffällige Verminderung der Milchmenge ein; alle Tiere, die Kühe wie die Schafe, gaben von dieser Zeit an ganz unerwartet nur noch ungefähr den dritten Teil der Milch.
Die Naturforscher suchen den Grund für diese merkwürdige Tatsache in einer allgemeinen Ausdünstung saurer Dämpfe aus der Erde, die dem Ausbruch des Vulkans vorangegangen sei.
Ein weiterer Vorbote war sodann dies:
Alle kochenden Quellen, die sich in großer Zahl in der Nähe der Hekla befinden, begannen während des Sommers viel stärker, als man es früher gekannt hatte, anzuschwellen. Ja es war sogar eine ganze Anzahl neuer Quellen hinzugekommen.
Gerade dies wollten jedoch einzelne als eine Beruhigung auffassen; sie meinten, die unterirdische Wärme suche sich auf solche Weise einen Ausweg.
Andere dagegen hielten die Vermehrung und das Ansteigen der heißen Quellen für ein sicheres Zeichen, daß das unterirdische Feuer jetzt daran war, sich der Oberfläche zu nähern, und daß man sich deshalb in nächster Zeit auf einen Ausbruch der Hekla gefaßt machen müsse.
Die Leute mit dieser Ansicht bekamen schließlich vollständig recht.
Die Zuversichtlichen, die noch weiter guter Hoffnung waren, machten geltend, daß alle früheren Ausbrüche der Hekla durch Erdbeben angekündigt worden seien: von Erdbeben aber habe man bis jetzt nicht das mindeste gemerkt.
Am 22. August wurde auf einmal das ungewöhnlich trockene Wetter vom Regen abgelöst, der nun mit wenigen Unterbrechungen bis zum Ende des Monats anhielt.
Am 1. September hörte der Regen auf, das Wetter wurde auffallend schwül und ruhig.
Das war die Stille vor dem großen Unheil.
Als die Leute am Morgen des 2. September erwachten, sah man weder die Hekla noch die andern nahegelegenen Berge; sie waren alle in dicke, dunkle Wolken eingehüllt.
Plötzlich, um 9 Uhr vormittags, begann das furchtbare Schauspiel, das volle sieben Monate dauern sollte.
In dramatischer Weise fing es mit einem dumpfen Krachen an; zugleich verspürte man ein eigentümliches Zittern des Erdbodens.
Das Krachen schien von den großen Bergen im Osten zu kommen und wiederholte sich.
Das Erdinnere war im Aufbruch!
Und doch gab es manche, die noch nicht an das Schlimmste glauben wollten; sie nahmen an, das Geräusch rühre von einem Gewitter her, das zwischen den östlichen Bergen heraufziehe. Doch hatte man bei einem Gewitter noch nie ein derartiges Poltern vernommen.
Nach etwa einer Viertelstunde wurde das Dröhnen so deutlich und so unheimlich regelmäßig, daß jetzt alle es für gewiß hielten, es komme von der Hekla und ein wirklicher Ausbruch habe begonnen.
Angstvoll richteten sich die Blicke gegen den Vulkan, der noch in Wolkendunkel gehüllt war.
Um 10 Uhr sah man plötzlich, wie sich eine kohlschwarze Wolke über dem Berg erhob, ja weit über die Wolken hinauf, in die der Berg eingehüllt war. Gleichzeitig hörte man von dort ein Krachen und Donnern.
Um 11 Uhr begann die Wolke, die sich mehr und mehr über den Himmel ausbreitete, einen dichten Regen graugelber Asche zu entsenden, vermischt mit einer Unmenge kleiner Schlackenstückchen von derselben Farbe, die ungefähr so groß wie Schrotkörner waren.
Im selben Augenblick verdunkelte sich der Himmel, der helle Tag verwandelte sich mit einem Schlag in die schwärzeste Winternacht! Man konnte die eigene Hand vor den Augen nicht mehr sehen, überall mußte man Licht in den Häusern anzünden, und die Leute auf den Feldern konnten nur mit Mühe und Not den Heimweg finden.
Nach einer Stunde begann es wieder Tag zu werden, ähnlich wie wenn der Morgen graut nach einer finsteren Nacht.
Der grobe, graugelbe Aschengrieß fiel noch eine Stunde lang, bis er halbzolldick auf der Erde lag.
Hernach hörte das auf, und statt dessen kam zuerst ein Regen von schwarzem, dann von stahlgrauem, etwas glänzendem vulkanischem Sand.
Dieser Sandregen dauerte den ganzen Nachmittag.
Allmählich wurde dann der Sand von einer feineren, kohlschwarzen Asche abgelöst, welche die ganze folgende Nacht hindurch niederfiel.
Am Morgen des 3. September war die Erde mit einer anderthalb Zoll dicken Schicht von Grieß, Sand und Asche bedeckt.
Das unterirdische dumpfe Krachen hielt mit gleicher Stärke und mit der stets gleichen unheimlichen Regelmäßigkeit an. Aber merkwürdig: obwohl es in unmittelbarer Nähe der Hekla nicht so überaus heftig war, hörte man es doch über das ganze Land hin, also in einer Ausdehnung von nicht weniger als hunderttausend Quadratkilometern!
Ja man hörte es selbst auf den entlegensten Inseln, über dreihundert Kilometer weit vom Vulkan entfernt!
Das Merkwürdigste jedoch war, daß es an allen diesen Stellen ebenso stark gehört wurde wie in der Nähe des Vulkans.
Das gibt eine kleine Vorstellung davon, aus welcher unermeßlichen Tiefe die Erschütterung kommen mußte; denn man kann leicht verstehen, daß das Dröhnen sich um so weiter mit derselben Stärke fortpflanzt, je tiefer es in der Erde entsteht.
Interessant ist es, die Berichte über die Vermutungen zu lesen, zu denen dieses Krachen ringsumher im Lande Veranlassung gab, selbst an Orten, wo man keine Ahnung von dem begonnenen Ausbruch hatte.
Auf dem Gehöft Kirkjuvogr riet man auf ein Schießen in Reykjavik; nur konnte man sich nicht erklären, warum es so lange dauerte.
Auf Stapi, südlich von dem Snäfellsgletscher, meinte man, ein Walfisch sei auf Grund gestoßen und liege nun fest und schlage gegen die Klippen.
Auf der Insel Grimsey, nördlich von Island, über 40 Meilen von der Hekla entfernt, wurde angenommen, die französischen Kriegsschiffe in der Nähe hielten Schießübungen mit ihren großen Kanonen ab.
Am 3. September in der Mittagszeit hörte man in der Umgebung der Hekla plötzlich zweimal ein gewaltsames lautes Krachen, so daß die Leute erschreckt zusammenfuhren. Gleich darauf ließ das regelmäßige unterirdische Dröhnen nach.
Die Ruhe dauerte aber nicht lange; früh am Nachmittag fing es wieder an wie vorher, ja mit noch größerer Kraft. Es klang nun, als ob eine große Kanone nach der andern abgefeuert würde.
Gegen 3 Uhr klärte es sich um den Vulkan etwas auf, und jetzt konnte man deutlich eine gewaltige, kohlschwarze Aschensäule senkrecht vom Gipfel des Berges aufsteigen sehen.
Die Asche wurde mit einer solchen Riesenkraft herausgeschleudert, daß sie bis über die Wolken emporflog und zuoberst kaum noch sichtbar war.
Ein anderes Zeichen dieser ungeheuren Kraft war es, daß die Aschensäule vollständig senkrecht nach oben strebte, obschon ein starker Wind ging. Häufig wurde sie von plötzlich aufleuchtenden, grellen Blitzen durchzuckt. Trotz ihrer ungeheuren Höhe konnte man eben noch wahrnehmen, daß sie sich ganz oben nach Osten hinbog.
So blieb es bis zum Abend.
Nach Einbruch der Dunkelheit, um ½8 Uhr, hörte man mit einem Male ein entsetzliches Dröhnen, viel heftiger als das vorhergehende. Es war nicht wie ein einzelner Kanonenschuß, sondern wie wenn tausend schwere Kanonen auf einmal abgefeuert würden, oder vielmehr als ob ein tausendfacher Donner auf einmal loskrachte.
Menschen und Tiere wurden wie gelähmt von Schrecken. Viele glaubten allen Ernstes, Himmel und Erde stürzten ein.
Höchst eigentümlich war die Wirkung des fürchterlichen Krachens auf die Tiere. Um nur eines zu erwähnen: Die Hunde wurden derart vom Schrecken erfaßt, daß sie alle zusammen heulend und gleichsam außer sich davonrannten und in entferntere Ortschaften flüchteten. Erst eine Woche später kamen sie wieder zurück.
Nach diesem donnernden Krachen, das die Leute aufgeregt überall besprachen, wurde auf einmal das glühende Innere des Vulkans sichtbar, der ganze Horizont wurde von einem blutroten Schein übergossen. Eine mächtige züngelnde Flamme schlug vom Gipfel der Hekla empor, und in einem grausigen Feuermeer sah man ungeheure rotglühende Felsblöcke sich rasend aus- und niederwälzen und nach allen Seiten geschleudert werden.
Es war wie ein riesiges, schauerliches Feuerwerk.
Als es ganz finster geworden, schien der Vulkan von oben bis unten in zwei Teile gespalten. Durch den mächtigen Riß konnte man gewissermaßen den Inhalt des Berges sehen: ein furchtbares leuchtendes Feuer!
Doch war dies nur scheinbar so. Der leuchtende Feuerstreifen war der Lavafluß, der jetzt mit Krachen und Donnern vom Gipfel der Hekla niederstürzte und sich an der Westseite des Berges ins ebene Land hinabwälzte.
Die Flüsse in der Nähe wurden von glühenden Steinen und Lavastücken so angefüllt, daß sie an vielen Stellen über die Ufer traten. Zugleich wurde ihr eiskaltes Gletscherwasser plötzlich so heiß, daß man die Hand nicht mehr hineinhalten konnte.
Insbesondere ergoß der große, fischreiche Fluß Vestri-Rangá seine kochendheißen Wasser über die Umgegend und warf unzählige halbgekochte Forellen auf dos trockene Land.
Das sonst so klare Wasser der Flüsse glich zuletzt durch die Vermischung mit Schlackengrieß, Schlamm und Asche einem wahren Lehmbrei.
Das gewaltige Ansteigen der Gewässer rührte besonders daher, daß jetzt infolge der großen Wärme Schnee und Eis, die noch in den höheren Gebieten lagen, viel schneller schmolzen. Nachts, wenn es etwas kühler wurde, sank das Wasser wieder auf den gewöhnlichen Stand.
Die Aschenmenge, die beständig vom Gipfel der Hekla ausgeschleudert und von einem starken Sturm über den Atlantischen Ozean hingefegt wurde, war so groß, daß die Schiffe, die sich am 3. und 4. September bis zu hundertvierzig Meilen weit von Island entfernt bei den Färöer-, den Shetland- und den Orkney-Inseln befanden, von einem heftigen Aschenregen überfallen wurden.
Auf den Färöern und den Orkney-Inseln selbst fiel ebenfalls eine Menge Asche kurz nach dem Ausbruch.
Doch wir wollen wieder zur Umgebung der Hekla zurückkehren und nun hören, wie es den Schafen erging, die zu Tausenden dort in der Gegend bis hinaus zu den Abhängen des Vulkans weideten.
Diese großen Schafherden – im ganzen Lande zusammen oft mehr als 700 000 Tiere – leben jeweils den Sommer hindurch in den inneren, unbewohnten Teilen der Insel in vollständiger Freiheit auf den Bergen, ganz sich selbst überlassen. Vor dem Beginn des Winters, meist im September, sammelt man sie und treibt sie wieder heim in die Hürden.
Damals waren sie also noch oben und befanden sich, auf allen Seiten von den Schrecken des Ausbruchs der Hekla umgeben, mitten in dem brennenden Aschenregen.
Die Bauern waren sehr um die armen Tiere bekümmert und nahmen an, daß die meisten wohl umgekommen seien, besonders da sie ja schutzlos den niederfallenden glühenden Schlackenstücken ausgesetzt waren.
Merkwürdigerweise geschah dies aber nicht Die Schafe wußten sich besser zu helfen, als man geglaubt hatte. Ihr natürliches Gefühl kam ihnen zu Hilfe und trieb sie an, ihr Heil in der Flucht zu suchen.
So gingen nur verhältnismäßig wenige von ihnen zu Grunde.
Leider hatte aber die Flucht ihre Schwierigkeiten.
Nördlich der Hekla fließen nämlich zwei große Elve, die Thjorsá und die Tungnaá. Diese reißenden Ströme hinderten die Tiere daran, weiter nach Norden zu fliehen. Sie mußten sich also an den Weg zwischen der Hekla und den beiden Flüssen halten.
Aufgescheucht von dem beginnenden Grollen des Vulkans, liefen sie schon am ersten Tage des Ausbruchs, laut blökend, in langen Reihen von den Höhen hernieder.
Sie sahen sehr jämmerlich aus. Ihr Pelz war schwarz von Asche, ja bei vielen war die Wolle versengt; mehrere hatten sogar schlimme Brandwunden erlitten.
Eine Anzahl fehlte noch. Diese waren zu ihrem Unglück zurückgeblieben und kamen erst etwa eine Woche später heim. Die meisten von ihnen waren ernstlich mitgenommen. Ihre Wolle war größtenteils versengt, das Fleisch um die Klauen war blutig aufgeschwollen und zerschnitten von den scharfen Lavastücken, auf die sie beständig treten mußten.
Einige, denen es am schlimmsten ergangen war, konnten sich gar nicht mehr voranschleppen, man mußte sie zu Pferd nach Hause bringen. Noch lange nachher sah man sie auf den Knieen ihr Futter suchen.
Am härtesten betroffen waren die Schafherden, die östlich und südlich der Hekla geweidet hatten. Sie wurden von der furchtbaren Dunkelheit überrascht und von dem ärgsten Aschenregen auf der Flucht verfolgt. Von dem rollenden Donner waren sie wie betäubt.
Gleichwohl fanden die meisten von ihnen noch zu den Häusern und wurden gerettet.
Der Ausbruch hielt einen Tag und eine Nacht fast unverändert an: immerfort mit Feuer und Asche und Krachen und Dröhnen.
Der Lavastrom ergoß sich glühend und prasselnd unaufhörlich über das flache Land, neben ihm rollten die wuchtigen losen Lavablöcke zu Tal.
Bald bekam der Feuerstrom eine dünne Kruste auf der Oberfläche.
Von höhergelegenen Punkten aus aber konnte man deutlich sehen, wie sich die glühende, schwerflüssige Masse noch unter der erstarrten Kruste vorwärtsschob. An vielen Stellen drang sie aus den Rissen hervor wie rotglühendes, geschmolzenes Metall.
Bisweilen brachen größere Lavamassen plötzlich durch und bedeckten die Felder mit ausgedehnten feuerroten Flecken, die dann bald erstarrten.
Wegen dieser plötzlichen Ausflüsse war es sehr gefährlich, sich dem Lavastrom zu nähern. Doch wagten es trotzdem viele. Kamen sie aber nur ein klein wenig zu nahe hin, so vermochten sie kaum die Wärme auszuhalten. Kleider, die naß vom Regen waren, trockneten fast augenblicklich.
Steckte man eine lange Eisenstange in die geschmolzene Masse, so wurde sie nach wenigen Minuten rotglühend.
Die Bewegung des Lavaflusses in der Ebene betrug anfangs zweihundert Fuß in vierundzwanzig Stunden, später gegen zwölfhundert Fuß. Seine Dicke am Rand wechselte zwischen fünfzig und hundert Fuß.
Die Asche, die noch beständig fiel, verursachte auf den Weideplätzen und damit unter dem Viehstand große Verwüstungen. Schafe, Pferde und Kühe hatten keine Ruhe mehr; wie im Winter, wenn alles mit Schnee bedeckt ist, gingen sie auf den Weiden hin und her, um da und dort ein bißchen Nahrung zu finden, denn das Gras war ja geradezu vergiftet von der vulkanischen Asche.
Zuletzt trieb der Hunger sie heim zum Gehöft. Hier suchten sie dann begierig das Gras an den Mauern herum abzuzupfen, wo die Asche sich nicht hatte aufhäufen können wie auf der flachen Erde.
Die Aschensäule stand indessen, wie gesagt, ununterbrochen über dem Gipfel des Berges. Mehrere Gelehrte haben ihre Höhe berechnet; sie schwankte an den verschiedenen Tagen zwischen 7000 und 14 000 Fuß.
Am 14. und 15. September wurde die Lage auf einmal noch gräßlicher: Man vernahm jetzt plötzlich ein fürchterliches Dröhnen ganz neuer Art, in regelmäßigen Zwischenräumen von einer Minute.
Dieses neue Dröhnen war so gewaltig, daß die Leute in einem Umkreis von drei Meilen Tücher um den Kopf binden mußten, um es in dem furchtbaren Getöse aushalten zu können. Nach der Aussage aller Zeugen machte es den merkwürdigen Eindruck, als ob ein Riese andauernd am Stöhnen gewesen wäre.
Auf jedes Stöhnen folgte eine heftige Ausschleuderung schwarzer Asche. Dazwischen sah man nun weißliche Dampfmassen.
Die Gelehrten erklärten dieses Dröhnen aus der plötzlichen Entwicklung von mächtigen Dampfblasen tief unten in der Erde. Welch ungeheure Kraft diese Dampfblasen in sich hatten, sieht man am besten aus der erwähnten Höhe der ausgeschleuderten Aschensäule.
So blieb es jetzt bis zum 18. September, nur mit dem Unterschied, daß der Aschenfall seit dem 15. September von einem durchdringenden üblen Gestank begleitet wurde.
Am 18. September trat dann eine unheimliche Veränderung ein. Man sah plötzlich am nördlichen Himmel eine kleine schwarze Wolke, die sich langsam nach Süden bewegte. Sie näherte sich dem Vulkan mehr und mehr, bis sie zuletzt mit der Aschensäule zusammenstieß.
Gleichzeitig mit dem Zusammenstoß hörte man zwei gewaltige Donnerschläge, die vollständig das sonst so starke Dröhnen aus dem Innern des Vulkans übertönten. Von den umliegenden Bergen erschallte ein mehrfaches, ebenfalls donnergleiches Echo.
Menschen und Tiere zitterten vor Entsetzen.
Nachdem Donner und Widerhall verstummt waren, hörte man nun ein so fürchterliches, fortgesetztes Brausen und Lärmen drinnen in dem Berg, daß kein Mensch in der folgenden Nacht auch nur einen Augenblick schlafen konnte.
Dies dauerte volle sechsunddreißig Stunden.
Aber auch dann schien der rasende Berg noch nicht zur Ruhe kommen zu wollen; mit bald zunehmender, bald abnehmender Stärke blieb es so bis zum 6. April des nächsten Jahres.
Erst an diesem Tage endete das furchtbare Schauspiel.
Es hatte über sieben Monate gedauert! –
Ein alter Bauer aus der Umgegend der Hekla, der in seiner Jugend Zeuge dieses Ausbruchs gewesen war, erzählte mir noch, übereinstimmend mit dem amtlichen Bericht, daß die Leute, solange der Ausbruch währte, oftmals am Tag die Fensterscheiben von der herangeflogenen Aschreinigen mußten, um Licht in ihre Stuben zu bekommen.
Am 3. Januar 1846 stand die Aschensäule trotz eines heftigen Sturmes noch geradeso senkrecht da wie sonst. Die Kraft, mit der sie emporgeworfen wurde, war also so ungeheuer groß, daß ein starker Sturm nicht imstande war, sie zu biegen.
Die Länge des Lavastromes stieg auf anderthalb Meilen, seine Breite auf eine Drittelmeile, die Dicke, wie schon angeführt, bis zu hundert Fuß. Seine Masse, welche die Geologen später ebenfalls bestimmten, betrug vierzehn Milliarden Kubikfuß.
Von der Wärme dieses Lavastromes mag man eine Vorstellung gewinnen, wenn man hört, daß er nach fünf Jahren noch nicht abgekühlt war! Die aus zahlreichen Rissen und Löchern aufsteigenden Dämpfe hatten nach so langer Zeit noch eine Temperatur von über 60 Grad Reaumur.
Dabei gilt dieser Ausbruch der Hekla, so furchtbar er auch war, als einer der schwächsten und am wenigsten verderblichen!
In der Tat ging durch ihn kein Menschenleben verloren, keine Wohnungen wurden verwüstet. Lediglich der nahegelegene Hof Raefarholt wurde wegen der unheimlichen Nachbarschaft von seinen Bewohnern verlassen.
Als Folge des Ausbruchs entstand eine Schafpest, da die Weiden vielfach von der giftigen Asche verdorben waren.
*
Vergleichsweise sei nun zum Schluß noch einiges über frühere Ausbrüche der Hekla bemerkt.
Im ganzen sind diese, wie gesagt, viel gewaltsamer gewesen als der von 1845/46, und meist waren sie von starken Erdbeben begleitet.
Bei dem Ausbruch im Jahre 1294 war ein so heftiges Beben, daß an unzähligen Stellen die Erde barst, zahlreiche Wohnungen verwüstet wurden und viele Menschen umkamen.
Bei dem Ausbruch des Jahres 1300, also nur sechs Jahre später, barst die Hekla von oben bis unten entzwei. Über dem Gipfel des Berges wirbelten große Felsstücke in einer Menge herum, daß es aussah wie ein riesenhafter wilder Bienenschwarm oder wie das feurige Sprühen einer ungeheuren Esse.
Wenn diese Felsenstücke zusammenstießen, gab es ein so gewaltiges Krachen, daß man es bis in die fernsten Gegenden hörte. Am 10. Juli herrschte bis im Nordland, mehrere hundert Kilometer von der Hekla entfernt, eine solche Dunkelheit, daß kein Unterschied mehr zwischen Nacht und Tag war.
Der Ausbruch im Jahre 1341 verwüstete die fünf nächstgelegenen Landgemeinden vollständig. Leute, die sich in die Nähe des Berges wagten, hörten ein Geräusch, als würde in seinem Innern ein großer Felsen hin- und hergeworfen. Auch gab es ein so gewaltiges Erdbeben, daß beständig die Fenster klirrten wie bei dem stärksten Sturm, obwohl es windstill war.
Im Jahre 1436 wurden durch die Hekla in wenigen Stunden achtzehn Höfe für immer verwüstet.
Bei dem Ausbruch des Jahres 1554 waren die Erdbeben so heftig, daß niemand wagte, in seinem Hause zu bleiben; alles wohnte in Zelten unter freiem Himmel. Nur zwischen den einzelnen Erdstößen eilten manche in die Häuser, um Notwendiges zu holen. Solange die Stöße dauerten, mußte man sich hinlegen und am Grase festhalten, um nicht von ihrer Gewalt hin- und hergeworfen zu werden.
Beim Ausbruch des Jahres 1597 hörte man das Krachen vom Berge zwölf Tage lang wie Kanonenschüsse bis auf der entgegengesetzten Seite des Landes, in einer Entfernung von 50 Meilen. Die Hekla war eine Zeit lang von oben bis unten in ein einziges, riesengroßes Feuermeer eingehüllt. Wiederholt sah man achtzehn verschiedene Feuersäulen auf einmal vom Berge aufsteigen.
Von dem Ausbruch des Jahres 1636 wird berichtet, daß Steine so groß wie Häuser zu Tausenden bei und in den nächsten Ortschaften umherflogen. Erdbeben, Blitz und Donner hörten mehrere Wochen lang nicht mehr auf. Dreizehn verschiedene Krater sah man gleichzeitig zusammen in Tätigkeit.
Im Jahre 1766 wurden die nächsten Ortschaften bei der Hekla von einem ellendicken vulkanischen Sandregen überschüttet, 30 Meilen weit lag der Sand eine halbe Elle hoch.
Auch bei diesem Ausbruch sah man zuweilen bis zu achtzehn Flammensäulen auf einmal. Die Höhe der ausgestoßenen Aschensäule wurde am 21. April festgestellt; sie betrug 16 000 Fuß. Doch war sie an manchen Tagen noch höher.
Die schwarze Asche wurde damals vom Wind bis nach den Orkney-Inseln geweht. Natürlich waren die Bewohner dort höchlich erstaunt, als sie eines schönen Morgens ringsum den »schwarzen Schnee« erblickten.
Das ist in Kürze die schaurige Geschichte der Hekla, gesammelt aus mündlichen Zeugnissen und schriftlicher Überlieferung.