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Als wir die Vestmanna-Inseln gegen 2 Uhr nachts verlassen hatten, gingen alle Passagiere zur Ruhe, und ich zweifle nicht, daß nach diesen mannigfaltigen nächtlichen Eindrücken jeder ausgezeichnet schlief.
Am andern Morgen erwachte ich, als wir gerade in den breiten Faxafjord einliefen, in dem die isländische Hauptstadt Reykjavik liegt.
Das Wetter war sehr schön und warm. Es herrschte vollständige Windstille. Die Luft war so klar, daß man in der Ferne den bekannten, jetzt erloschenen Vulkan Snaefell deutlich sehen konnte, blendend weiß von Eis und Schnee, und nicht weit von der Stadt die majestätische, ebenfalls mit etwas Schnee bedeckte Bergkette Esja.
Im Hafen fuhren wir an einigen grünen, bewohnten Inseln vorbei. Zwischen ihnen und dem Lande war noch viel Platz für Schiffe. Von den anwesenden Dampfern war der größte das französische Kriegsschiff »Nielly«. Etwas weiter weg lag ein dänisches, »Diana« mit Namen. Die vielen Handelsschiffe beachtete man diesen Kolossen gegenüber weniger.
Das französische Kriegsschiff war da zur Sicherheit für die zahlreiche französische Fischerflotte, die jedes Jahr an die isländische Küste kommt, weshalb im Sommer auch vier- bis fünftausend Franzosen bei und auf Island leben (außer zahlreichen Engländern, Deutschen, Amerikanern, Skandinaviern und Färingern).
Die isländische Fischerei bringt den Fremden jährlich dreißig bis vierzig Millionen Kronen ein. Die armen Isländer selbst hatten bisher nicht das Kapital gehabt, um sich einen größeren Anteil an diesen Schätzen, die ihnen doch am nächsten liegen, zu verschaffen. Auch die Dänen hatten sich hier nicht weiter an der Fischerei beteiligt.
Heute ist das Verhältnis allerdings ganz anders geworden, denn jetzt ist es auch den Isländern gelungen, riesengroße Fischereiunternehmungen einzurichten.
Reykjavik gleicht in etwa einer kleinen norwegischen Handelsstadt und hatte, als wir es besuchten, rund 4000 Einwohner. In den späteren Jahren ist es sehr rasch aufgeblüht. Heute zählt es bereits über 30 000 Einwohner.
Sobald wir Anker geworfen, wurde unser Schiff von einem Schwarm von Booten umringt. Um eines davon so bald wie möglich für Friedrich und mich zur Fahrt ans Land zu bekommen, wandte ich mich sofort an einen jungen Mann, der gerade auf Deck kam, und fragte ihn:
»Können Sie uns und unser Gepäck zur Stadt mitnehmen?«
»Gern«, erwiderte er höflich, »ich werde Ihnen gleich helfen, Ihre Koffer hinunterzubringen.«
So waren wir bald mit all unsern Sachen unten im Boot.
Auf dem Wege ans Land, der eine Viertelstunde betrug, mußten wir nach alter isländischer Sitte dem jungen Mann Rede und Antwort über uns geben: über Namen, Heimat, Zweck unserer Reise usw. Alle Fragen wurden aber in einer so unschuldigen, geraden Weise gestellt, daß man sie nicht als taktlos empfinden und übel aufnehmen konnte. Der Mann begann:
»Darf ich fragen, wie Sie heißen?«
»Ich heiße Jón Svensson.«
»Und wie heißt der Junge?«
»Der heißt Friedrich.«
»Und wo, mit Vergunst, sind Sie zu Hause?«
»In Charlottenlund bei Kopenhagen.«
»Darf ich nach Ihrem Stand fragen?«
»Ich bin Lehrer an einer Lateinschule.«
»Wollen Sie sich vielleicht hier niederlassen?«
»Nein, wir werden hier in Reykjavik nur zwölf Tage bleiben, dann reisen wir nach dem Nordland.«
Unter solchen und ähnlichen Fragen kamen wir rasch zur Landungsstelle. Friedrich und ich nahmen dort unsere Sachen aus dem Boot und verabschiedeten uns. Als ich bezahlen wollte, erhielt ich von dem jungen Mann die Antwort, für so einen kleinen Dienst nehme er kein Geld. Dann besorgte er uns einen Träger, der unser Gepäck nach dem Hotel »Reykjavik« brachte.
Dieses Hotel war ein geräumiges hölzernes Gebäude in der Hauptstraße der Stadt. Die Wirtin, Frau Zoëga, eine Isländerin, nahm uns mit größter Zuvorkommenheit auf, und bald saßen wir behaglich in einem netten kleinen Zimmer im ersten Stock.
Frau Zoëga, eine würdige, gewandte Dame, hatte sich mehrere Jahre in England aufgehalten, um die englische Küche praktisch kennen zu lernen. Der Tisch bei ihr war denn auch ganz ausgezeichnet und vollständig englisch.
Es gab zwei Klassen im Hotel; in der ersten Klasse war der Preis 5 Kronen (5-6 Mark) täglich für Kost und Wohnung, in der zweiten Klasse war es bedeutend billiger. Für uns wurde der Preis herabgesetzt, weil wir zwei Personen waren und uns zwölf Tage lang aufhalten wollten.
Die Tagesordnung war ungefähr diese: morgens Kaffee (wenn es gewünscht wird, mit Kuchen); um 1 Uhr zweites Frühstück: kalte Küche mit einem oder zwei warmen Gerichten; um 7 Uhr gemeinschaftliche Tafel mit drei warmen Gerichten.
Wie man sieht, war hier alles so ziemlich modern europäisch. Das gleiche gilt von allen bessergestellten Leuten in Reykjavik. Von unserem Aufenthalt in der Stadt ist daher nicht viel Besonderes zu berichten.
Reykjaviks Hafen ist prächtig und großartig. Er ist aber von der Natur allein geschaffen. Größere Werke von Menschenhand sind hier noch selten, dafür ist die Stadt zu klein.
Bevor wir Reykjavik verlassen, darf ich nicht vergessen zu erzählen, wie außerordentlich liebenswürdig der Landeshauptmann, Herr Magnus Stephensen, und seine Frau sich gegen uns erwiesen. Sie waren beide hochgebildete Menschen. Der Befehlshaber des französischen Kriegsschiffes »Nielly«, den ich einmal besuchte, sagte mir unter anderem, der Landeshauptmann spreche so vollkommen französisch, daß man bei ihm nicht den geringsten Unterschied von einem Franzosen merke.
»Außerdem«, fügte er hinzu, »muß man sich sehr in acht nehmen, daß man sich in der Unterhaltung mit ihm nicht blamiert; er ist nämlich in der französischen Literatur vorzüglich bewandert.«
Mir gegenüber war der Landeshauptmann, wie gesagt, äußerst liebenswürdig. Er lud uns mehrmals ein, seine allerbesten Reitpferde zu benutzen; auch gab er uns seinen kleinen Sohn Magnus, mit dem ja Friedrich bereits auf der Fahrt mit dem Dampfer »Botnia« von Kopenhagen nach Island Freundschaft geschlossen hatte, als Führer mit und stellte uns außerdem einen Diener zur Verfügung. Wir fühlten uns daher sozusagen wie eine vornehme Gesellschaft.
Einmal unternahmen wir in solcher Begleitung einen Ritt in die Umgegend von Reykjavik.
Dieser Ausflug war eine sehr gute Vorbereitung für unsere bevorstehende große Reise durch das Land. Wir besuchten dabei unter anderem die nahe gelegenen heißen Quellen, die eigenartigste Wäscherei der Welt, wo alle Wäsche der Stadt gereinigt wird in Wasser, das, von vulkanischem Feuer erwärmt, aus Kratern strömt. Auch setzten wir auf unsern zuverlässigen Pferden über einen Fluß und machten uns mit den verschiedensten Arten von Wegen bekannt.
Der kleine Magnus ritt auf seinem eigenen Pferd, einem kleinen, feurigen Tier. Trotz seiner jungen Jahre war er ein so ausgezeichneter Reiter, daß er und sein Pferd wie in eins verwachsen schienen. Bisweilen sprengte er so stürmisch voran, daß ich mir ernstlich Sorge um Friedrich machte, ob er noch mitkommen könne. Aber als echter Junge zeigte Friedrich nicht die geringste Furcht, und es ging auch alles gut.
Friedrich ritt auf dem Pferde der Frau des Landeshauptmanns, ich auf dem Pferde des Landeshauptmanns selbst. Darauf waren wir beide nicht wenig stolz. Diese prächtigen Tiere gehörten gewiß zu den besten und edelsten in Reykjavik, und es ritt sich so vorzüglich auf ihnen, daß man auch im wildesten Galopp beinahe so sanft wie in einem Sofa auf ihnen saß. –
Überall, wohin wir auf unserem Ritt kamen, waren die Leute außerordentlich freundlich gegen uns und stets gerne bereit, uns gute Winke für unsere bevorstehende große Reise nach dem Nordland zu geben. Wir erhielten auf diese Weise die trefflichsten Ratschläge über die Behandlung der Pferde, über Ausrüstung, Kleider und Lebensmittel, mit denen wir uns versehen sollten, über die Wege, denen wir am besten folgen würden, über die Höfe, wo wir absteigen sollten, und verschiedenes andere, so daß es mir immer mehr schien, wir könnten unsere Reise ohne die geringste Gefahr ganz allein antreten. Nur auf den gefährlichsten Strecken wollte ich einen Führer nehmen.
Von Bezahlung für die Dienste, die man uns erwies, war fast nie die Rede. Einmal ließen wir bei einem Goldschmied einen kleinen Gegenstand reinigen und Herrichten; als wir bezahlen wollten, erhielten wir die gewöhnliche Antwort:
»Ach, für so eine Kleinigkeit nehme ich kein Geld«
Ein anderes Mal ruderten uns zwei Knaben zu einem Dampfer weit draußen im Hafen und wieder zurück, und als wir sie fragten, was wir schuldig seien, erklärten sie bestimmt:
Es war, als hielten es die Leute für eine Herabwürdigung ihrer selbst, wenn sie für solche Dinge Geld nähmen.
Kurz bevor wir Reykjavik verließen, kam der kleine Hotelkellner, der mir oft Auskunft über die Sehenswürdigkeiten der Stadt gab, eines Nachmittags auf mein Zimmer gestürmt und rief voll Eifer:
»Haben Sie auch schon Thorwaldsens Gabe an Island gesehen: den Taufstein in der Domkirche?«
»Nein, das habe ich noch nicht, kleiner Freund.«
»O, den müssen Sie aber dann unbedingt sehen! Thorwaldsen hat ihn selbst aus dem feinsten Marmor gemacht und hat ihn von Rom hierhergeschickt!«
Ich ging also in die Domkirche und bewunderte das feine Kunstwerk, das im Chor gerade vor dem Altar aufgestellt ist. Es trägt folgende Inschrift, die Thorwaldsen selber in den weißen Marmor eingehauen hat:
Opus hoc Romae fecit, et Islandiae, terrae sibi gentilitiae, pietatis causa donavit Albertus Thorvaldsen, Anno MDCCCXXVII.
Das heißt:
»Dieses Werk hat Berkel Thorwaldsen in Rom ausgeführt und es als Zeichen seiner Liebe Island, seiner Heimat, geschenkt im Jahre 1827.«
Die Inschrift zeigt, daß Thorwaldsen mitten in seiner Berühmtheit drunten in Rom nicht das Land vergessen hat, aus dem er von väterlicher Seite stammt. – Sein Vater war nämlich der Isländer Gottskalk Thorvaldsson, seine Mutter war eine Dänin.