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Auf Island mußte man sich vor einigen Jahrzehnten, da wir unsere Reise machten, noch ausrüsten, als ginge es in eine Wüste. Es mußten da nicht nur die großen Entfernungen in Betracht gezogen werden – Island ist nämlich bedeutend größer als Irland, es ist fast so groß wie Bayern, Sachsen und Württemberg zusammengenommen –, sondern man mußte auch mit den einfachen Beförderungsmitteln rechnen. Man kannte damals in Island kaum Wagen, denn man ist dort seit uralter Zeit immer zu Pferd gereist.
Weiterhin war zu bedenken:
Sobald man Reykjavik verließ, befand man sich gleichsam mit einem Male außerhalb der ganzen Zivilisation: da gab es keine Hotels mehr, keine Wegweiser, meistens auch keine eigentlichen Wege, oft nicht einmal eine Spur von Fußpfaden, und über die Flüsse führten, von einigen wenigen abgesehen, keine Brücken.
Ein wahres Wunderland für unternehmungslustige Menschen und für Dichter!
Dazu kam die über alle Maßen wilde Landschaft. Im Innern des Landes finden sich ja die größten Lavafelder der Erde, und wie diese aussehen, davon kann sich nur eine Vorstellung machen, wer sie gesehen hat. Der Weg windet sich da oft geradezu durch einen Urwald rauher Lavablöcke von ungeheurer Große, die besonders des Nachts oder im Nebel die tollsten gespenstischen Formen annehmen: die einen liegen, andere stehen auf der Kante, andere wieder gleichen schiefen Türmen, die jeden Augenblick auf die Reisenden herabzustürzen drohen.
Und dann die mächtigen Berge, Jökulls und Vulkane, die man ständig um sich hat! Der höchste Vulkan der Insel, der Öraefajökull, ist 2000 Fuß höher als Schottlands höchster Berg, der Ben Nevis!
Man wird verstehen, daß zur Reise durch ein solches Land außergewöhnliche Vorbereitungen gehören.
Das erste, was wir uns besorgen mußten, waren drei Pferde: zwei Reitpferde und ein Pack- oder Lastpferd zum Tragen unseres Gepäcks. Am billigsten ist es, wenn man diese Pferde kauft, um sie am Ende der Reise wieder zu verkaufen. Vor allem aber muß man dafür sorgen, daß sie stark sind und einen guten Gang haben, so daß der Reiter nicht allzusehr geschüttelt wird.
Wir wandten uns also an Herrn Jón Vidalin, einen Großkaufmann in Reykjavik, den wir schon kannten und der uns schon seit den ersten Tagen unseres Aufenthalts in der Stadt stets sehr liebenswürdig entgegengekommen war. Von ihm erbaten wir uns drei Pferde mit den genannten Eigenschaften.
Herr Vidalin versprach, uns die besten Tiere zu besorgen, die er bekommen könne; und ich muß sagen, daß er Wort gehalten hat.
Wir bekamen drei sehr kräftige isländische Pferde mit der sanftesten Gangart. Es waren gute, treue Tiere. Je länger unser Schicksal uns mit dem ihrigen verband, desto teurer wurden sie uns. Ich ließ sie gleich zu einem Schmied bringen, der ihnen neue Hufeisen anlegte. Zur weiteren Sicherheit nahm ich überdies einige Ersatzeisen mit, nebst den erforderlichen Nägeln, für den Fall, daß sie unterwegs einmal ein Eisen verlieren sollten.
Dann ging ich zu einem Sattler und kaufte zwei Sättel (die mit Polstern von schwarzem Schaffell überzogen waren), drei Zäume, zwei Peitschen, einen Packsattel und zwei starke Koffer für unsern Reisebedarf.
Damit waren die Pferde reisefertig. Alles zusammen kostete 17 Kronen.
Für uns selbst kaufte ich wasserdichte Ölkleider mit zwei großen Südwestern oder Matrosenhüten; Wasserstiefel hatten wir bereits. Also waren wir auch gegen Sturm und Regen vollständig geschützt.
Ferner beschafften wir uns in Reykjavik noch einen Vorrat von Lebensmitteln, fast zum selben Preise wie in England, darunter Dosen mit eingemachtem Fleisch, die man nur ins kochende Wasser zu legen braucht, um gleich ein warmes Essen zu haben. Das Fleisch kann aber auch kalt genossen werden. Außerdem kauften wir noch einige Dosen mit Sardinen, eingemachten Früchten, Feigen, Keks, Salz, Zucker usw. Eine Schachtel mit van Houtens Kakaopulver wurde uns besonders nützlich. –
Eine Kunst ist es, die Koffer für das Lastpferd richtig zu packen, die an große Eisenhaken zu beiden Seiten des Pferdes gehängt werden; sie müssen nämlich gleich schwer sein und einander das Gleichgewicht halten. Sodann muß der ganze Inhalt fest genug liegen, um den starken Erschütterungen widerstehen zu können, wenn das Pferd schnell läuft.
Ein Engländer erzählte uns, bei ihm seien Keks und Zwieback im Koffer schon am ersten Tage vollständig pulverisiert gewesen; als er bei seiner ersten Mahlzeit im Freien ein Stück Zwieback nehmen wollte, habe er nur noch einen Mehlstaub vorgefunden.
Unsern Reiseweg hatte ich im voraus genau studiert; mein Notizbuch war angefüllt mit Bemerkungen über Wege, gute Furten durch Flüsse und Bäche, über Berge, Pässe, Gehöfte usw., so daß wir selbst bei Nebel kaum in die Irre geraten konnten.
Von Reykjavik wollten wir über die Thingvallaebene zum Geysir gelangen, von dort zwei Tage lang durch eine mächtige Jökullandschaft reiten, wo nur ein einziger Hof liegt. Für diese beiden Tage wollte ich einen Führer nehmen. Dann sollte der Ritt durch grüne Täler mit dichtbevölkerten Landstrichen gehen; ein Führer war da nur bei einigen größeren Flüssen nötig.
An diesen Reiseplan hielten wir uns ziemlich genau.
Der Weg, den ich ausgesucht hatte, war nicht eben der kürzeste; wir brauchten im ganzen zwei und eine halbe Woche, um ihn zurückzulegen.
Trotz aller Anstrengungen, die sie mit sich brachte, sollte diese Reise die schönste und gesündeste, aber auch die abenteuerlichste werden, die ich jemals gemacht habe.
Sie vollzog sich allerdings unter den glücklichsten Umständen. Besonders hatten wir fast täglich prächtiges, warmes Sommerwetter.
Auf unsern allerliebsten kleinen Pferden galoppierten wir munter und unbesorgt über Islands wildromantische Lavaebenen, stets begleitet von einer wunderbaren, herrlichen Aussicht, auf allen Seiten umgeben von lustig dampfenden Vulkanen und kochenden, sprudelnden Quellen.
Oft ritten wir über einen Boden der seltsamsten Art; an manchen Stellen brannte er geradezu, und mit einem eigentümlichen zischenden Laut aus Rissen und Löchern entsandte er, wie aus den Ventilen eines riesengroßen Dampfkessels, strahlenförmigen heißen Gischt.
Dann wieder befanden wir uns in den lieblichsten Talsenkungen. Da war die Luft angefüllt vom berauschenden Wohlgeruch der Feldblumen, es herrschte Leben und Üppigkeit. Auf den Heufeldern, in reizvoll idyllischer Umgebung, arbeiteten oft auffallend schöne Menschen, und blühende, muntere, kerngesunde Kinder spielten, oder wälzten sich in dem hohen Grase, oder ritten in sausendem Galopp auf ihren kleinen Ponys umher.
Ja, das war eine abwechslungsvolle, eine herrliche Reise in diesem fast unbekannten Land mit den ungeheuren Gegensätzen von Eis und Feuer, von üppigen, blühenden Gegenden und unfruchtbaren, versengten Wüsten, in diesem Land mit dem einzigen Volk der germanischen Welt, das noch die unveränderte kräftige, klangvolle Sprache seiner Vorväter redet, das noch sorgsam wacht über die teuren Erinnerungen aus alter Vergangenheit, bei dem sich noch der Geist großer ferner Zeiten findet.