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Der zwischen Hugo Bresser und Sylvia schwebende Liebesroman, der an jenem Abend, da sie sein Drama vorgelesen, für beide in ein die Herzen tief bewegendes Stadium getreten war, war seither zu keinem Abschluß gelangt – weder Bruch noch Vereinigung – auch nicht einmal zum Geständnis.
Über ihn war mit der gesteigerten Anbetung Schüchternheit und Scheu gekommen – er fürchtete, sie zu erzürnen und zu verlieren, wenn er spräche. Und dadurch, daß er sie zum Gegenstand seiner dichterischen Huldigung machte, war sie ihm in eine Art Wolkenferne gerückt – in Wolken, die zwar seinem eigenen Weihrauchkessel entstiegen, die sie aber in Unnahbarkeit hüllten.
Die ihr gewidmeten und sie besingenden Gedichte gab er ihr nicht zu lesen. Die sollten zu einem ganzen Bande anwachsen, und erst wenn er unbestrittenen Ruhm erreicht hätte, sollten sie so überreicht werden. Nur Großes durfte er ihr schenken: nichts Geringeres, als für ihren Namen die Unsterblichkeit.
Und sie? Sie kam ihm nicht entgegen. »Geh in Reinheit durchs Leben.« Dieses Wort ihrer Mutter hatte sich ihr im Gedächtnis festgesetzt, wie dies manchmal bei Melodien geschieht, die man nicht los wird, die im Ohre nachklingen, man mag wollen oder nicht. Auch die Antwort, die sie darauf gegeben, blieb so haften: »Das will ich ja.« Es war dies ein nicht allein der Mutter, sondern auch sich selber gegebenes Versprechen.
Das Bewußtsein, den jungen Dichter zu lieben, erfüllte sie mit einem so intensiv beseligenden Gefühl, daß sie es wunschlos genoß. Es war eine ganz aus Bewunderung und Zärtlichkeit zusammengesetzte Empfindung – von keinem Schatten sinnlichen Verlangens gestreift. Es war die zweite Liebe in ihrem Leben. Welcher Unterschied mit der ersten! Errötend dachte sie jetzt an den leidenschaftlichen Taumel zurück, der sie zur Zeit ihrer Verlobung erfaßt hatte. Wie sie damals erglüht für einen Menschen, von dem sie nicht eine wahrhaft liebenswerte seelische Eigenschaft kannte – während jetzt die Seele allein, die große, lichte Seele eines Künstlers, eines gottbegnadeten Genius es ihr angetan. Die Ernüchterung, welche durch Tonis brutale Art zu lieben so jäh und schmerzlich auf ihren Rausch gefolgt war, hatte ihr die sinnliche Seite der Liebe verekelt und der völlige Mangel an Idealität, den ihr Gatte im ehelichen Verkehr gezeigt, machte ihr nun die bloß ideale Ekstase ihrer neuen Liebe doppelt wert.
Daß echte Liebe schließlich nach beiden Seiten hin nach Vollendung und Erfüllung drängt, das wußte sie nicht. Sie war, so sehr die Natur sie zur » grande amoureuse« geschaffen, in Liebesdingen nicht erfahren. So ließ sie sorglos und still beglückt es sich genügen, daß eine reine, von keinem Leidenschaftssturm gepeitschte ruhige Flamme ihr Herz durchwärmte. Nicht nur im bildlichen Sinne fühlte sie diese Wärme, sondern fast wie etwas Greifbares, physisch Vorhandenes. Es stieg in ihrer Brust auf – beim Erwachen, beim Einschlafen, oft unter Tags, wenn sie an etwas ganz anderes dachte. Wie ein plötzlicher heißer Strom, der vom Herzen zur Kehle flutete, den Atem beklemmend – in unnennbarer Süße... Nicht Verlangen war das, sondern Besitzesfreude. Als einen reichen, lebenserhöhenden, sie mit Stolz erfüllenden Besitz empfand sie in solchen Augenblicken, daß sie liebte – einen herrlichen Menschen liebte, von dem auch sie – seit langem schon – geliebt war. Und wenn sie so an ihn dachte, da erschien vor ihrem Innern weder sein Gesicht noch seine Gestalt, sondern nur das abstrakte Bild seines hochfliegenden Geistes, seiner schönheitsgewaltigen Kunst. Gegen eine solche Liebe, durch die sie sich nur gehoben und geadelt fühlte, brauchte sie doch nicht anzukämpfen? ...
Sie hatte sich alle seine Werke kommen lassen und genoß jede gelungene Stelle darin, wie ein Durstender eine saftige Frucht genießt. Der Wohllaut der Verse, die sie sich laut vorsagte und die sie bald auswendig kannte, wiegte sie ein wie Musik, jeder neue, schöne Gedanke war ein Rechtstitel mehr auf ihre stolze Liebe. Nicht nur in Reinheit – nein, in Größe konnte man da durchs Leben gehen!
Äußere Umstände traten hinzu, um die Gefahr hintanzuhalten, daß die so himmelhoch gespannte – im eigentlichen Sinne des Wortes überspannte Leidenschaft der Liebenden in eine irdische umschlage. Fast nie trafen sie sich allein. Notwendige Reisen – Sylvia zu ihrer erkrankten Schwiegermutter, Hugo zur Probe seiner Schauspiele nach deutschen Städten – und andere Zufälle mehr brachten lange Trennungen, und so kam es, daß jetzt, nach so langer Zeit, der Roman noch schwebte – ohne Bruch und ohne Vereinigung.
Das Verhältnis Delnitzkys mit der schönen Sängerin dauerte fort. Es war ihm zur Lebensgewohnheit geworden. Da er weder vor der Welt und seinen Verwandten, noch auch vor seiner Frau – von der er wußte, daß sie davon unterrichtet war – diese Liaison zu verbergen suchte und da die anderen die Sache schweigend, wie etwas Selbstverständliches, hinnahmen, so war ihm allmählich zu Mute geworden, als lebte er da in einer Art zweiter konzessionierter Ehe, und daß er wenigstens darin als treu und standhaft sich erwies, das rechnete er sich selber zum Verdienste an.
Zudem hatte ihm die Geliebte einen Sohn geschenkt und er liebte das kleine Bürschchen – mit ihm zu spielen, war ihm eine wahre Lust. Der Gedanke an eine Scheidung von Sylvia war ihm wohl manchmal aufgestiegen – da konnte er die andere heiraten und dem kleinen Toni seinen Namen geben. Was diesen Gedanken aber nicht recht aufkommen ließ, war die Vorstellung der für einen österreichischen Aristokraten recht unerquicklichen und umständlichen, zu einer Scheidung erforderlichen Formalitäten: Religionswechsel, Naturalisierung in Ungarn und vor allem der »Eklat«. Dieser Begriff hatte für ihn etwas besonders Abschreckendes. So flößte ihm das, was sein Schwager Dotzky getan, das Aufgeben seiner Stellung, um unter die Sozis zu gehen – wie er Rudolfs Handlung bezeichnete – einen an Verachtung grenzenden Widerwillen ein. Natürlich wurde er im Klub und wo er sonst hinkam, mit allerlei Fragen oder Kritiken über Rudolfs Vorgehen behelligt. Er sollte den Leuten erklären, wie und warum sein Schwager so Unerhörtes angestellt und was er noch Unerhörteres vorhatte. Aber er ward des Auskunftgebens bald müde und sagte nur mehr mit ärgerlichem Achselzucken: »Ach, bitt' Euch, laßt mich mit dem Querkopf in Ruhe ... mich gehen seine Extravaganzen nichts an.« – Er versuchte auch, seiner Frau den Umgang mit Rudolf zu verbieten. Diesen Versuch wies Sylvia jedoch mit aller Entschiedenheit zurück. Die Zuneigung und Hochschätzung, die sie seit frühester Kindheit für ihren Stiefbruder hegte, war durch seine so ungewöhnliche Tat noch um vieles gestiegen. Sie blickte zu ihm auf, voll Stolz auf das, was er getan, und voll Vertrauen in das, was er sich zu tun vorgesetzt.
Von der Gesellschaft hatte sich Sylvia allmählich zurückgezogen. Das Bewußtsein war ihr peinlich, daß sie von ihren Bekannten als die verlassene und betrogene Frau bedauert wurde. Solche, die wußten, daß sie eigentlich nicht betrogen war, da sie die Untreue ihres Mannes kannte, die verurteilten sie mit Strenge: »Das ist unmoralisch von einer Frau, sich solches gefallen zu lassen, herzlose Gleichgültigkeit, verächtliche Schwäche!« Wie oft hatten vermeintliche gute Freundinnen mit allerlei vorsichtigen Redewendungen ihr zu hinterbringen gesucht, daß es heiße ... daß man munkle ... sie möge doch auf ihrer Hut sein ... Und wenn sie auf solche Insinuationen achselzuckend mit einem »Ich weiß ja alles« antwortete, dann brach die Entrüstung los: »Wie, Du weißt ... und duldest es? – vergißt Du, was Du Deiner Würde schuldig bist? Deine Rechte als Gattin mußt Du wahren.« Manche sagten auch, sie solle sich einfach rächen ... gleiches mit gleichem. – Das am allerwenigsten. In Reinheit wollte sie durchs Leben gehen.
Länger als ein Jahr war es nun, daß sie Hugo Bresser nicht gesehen. Häufig jedoch erhielt sie von ihm Briefe und, wenn auch seltener sie schrieb auch ihm. Es waren keine Liebesbriefe, aber zwischen den Zeilen pochte, hörbar für den Empfangenden, das Herz des Schreibenden. Der einzige Gegenstand der Korrespondenz war die Literatur. Er schrieb von seinen Entwürfen und Erfolgen, er übersandte ihr Proben der Sachen, die er eben in der Werkstatt hatte; er schickte ihr aber auch Bücher anderer Verfasser, die Eindruck auf ihn gemacht, und dissertierte über deren Inhalt. Sylvia gab ihr Urteil ab, nicht im Tone der Kritik, sondern einfach, indem sie sagte, was sie bei dieser oder jener Stelle empfunden.
Seitdem sie einem Dichter ihr Herz geschenkt, war ihr die Beschäftigung mit Dichterwerken zu einem genußreichen, lebenausfüllenden Studium geworden. In einem schönen Gedichte – ob es nun von Hugo war, oder nur von ihm angepriesen – konnte sie schwelgen, wie ein musikliebender Mensch in Melodien schwelgt. Zu eigenem Schaffen brachte sie es nicht, hätte es auch gar nicht gewollt. Das Vertiefen in die Werke der andern gab ihr volle Befriedigung.
Erst durch die Liebe war diese Passion in ihr geweckt worden. Das gehobene und geradezu wonnige Entzücken, mit welchem sie an jenem Abend Hugos Dichtung vorgelesen, hatte in ihr die Leidenschaft für alle Poesie angefacht, und von da an versenkte sie sich mit Inbrunst in die Werke aller toten und lebenden Meister des gebundenen Worts. Und ihr Dichter hielt – in ihren Augen – neben den berühmtesten Literaturhelden Stand. Daß auch er die höchste Stufe seiner Kunst erreichen werde, war für sie nicht zweifelhaft. Und sie blickte mit einer Art Ehrerbietung zu ihm auf. Daß sie die große Dame, er ein eigentlich noch unbekannter Literat und gesellschaftlich unbedeutender Mensch war, kam ihr gar nicht zum Bewußtsein – er war der Gottbegnadete, der Anwärter auf die Strahlenkrone des Ruhms – sie eine einfache, unbedeutende Frau.
Einige Zeit nach dem Abschiedsdiner in Brunnhof erhielt Sylvia von Hugo einen Brief, worin er seine Ankunft in Wien für den nächsten Tag ansagte.
Es versetzte ihr einen freudigen und zugleich bangen Schreck. Die lange briefliche Gemeinschaft war ihr zu teurer Gewohnheit geworden, daß sie beinahe fürchtete, die persönliche Berührung könnte irgend eine Störung, einen Mißton hineinbringen.
Dennoch gewann die Empfindung die Oberhand, daß der morgige Tag mit diesem Wiedersehen ihr ein hohes Fest verhieß. Sie teilte es sich so ein, daß sie um die Stunde, für die er sich angesagt, allein zu Hause war.
Es war Nachmittag vier Uhr. Draußen schien eine helle und warme Herbstsonne. Dennoch brannte im Kamin ein lustig prasselndes kleines Feuer. Und auf einem Seitentische, über blauen Spiritusflämmchen, brodelte in silbernem Kessel das Teewasser. Von der Straße her gedämpfter Wagenlärm. Magnolienduft vom Blumentisch. Vor diesem steht Sylvia und pflückt eine Blüte ab, die sie an ihre Taille steckt. Sie trägt ein Straßenkleid aus schwarzem Samt – eben war sie von einer Ausfahrt heimgekommen – auf ihren Wangen lag frisches Rot und die Augen funkelten.
In einer halben Stunde sollte er kommen, doch schon jetzt ertönte die Klingel.
Ein Besuch? Nun, die Losung war gegeben, niemand anderer sollte vorgelassen werden als Bresser – und Anton war von Wien abwesend.
Die Tür ging auf und der Diener überreichte auf silberner Platte ein Telegramm.
Jedenfalls eine Absage von Bresser ... An der bittern, schmerzlichen Enttäuschung, die ihr dieser Gedanke verursachte, erkannte sie erst, wie sehr sie sich auf den bevorstehenden Besuch gefreut.
Die Depesche war aber nicht von Bresser und betraf etwas ganz Gleichgültiges. Jetzt freute sie sich doppelt und mit vollem Bewußtsein. Die Furcht, daß das Wiedersehen irgend einen Mißton bringen könne, war nun verflogen – vielmehr eine Erfüllung sollte es werden, ein Löschen des brennenden Durstes ihrer Seele.
Sie ging ans Klavier und spielte leise die Sonnenaufgangshymne aus dem Propheten. Diese Melodie war ihr seit jenem Theaterabend die Zauberformel geblieben, mit der sie sich jederzeit die Gegenwart ihres Dichters herbei beschwören konnte, als atmete sie seine Nähe.
Vom Klavier ging sie in ihre gewohnte Ecke, wo neben der Chaiselongue ein drehbares Lesetischchen stand. Sie setzte sich und nahm ein Buch zur Hand. Der Band »Gedichte von Hugo Bresser« öffnete sich von selber auf der Seite, die sie gewollt. Auch da fand sie eine Beschwörungsformel – eine gewisse Strophe voll Wohllaut und voll Schwung.
Aber sie legte das Buch wieder weg. Sie durfte doch nicht bei dieser Lektüre sich finden lassen – das hätte wie eine plumpe Absichtlichkeit geschienen. Sie ließ die Hände herabfallen und schloß die Augen. Nicht spielen, nicht lesen wollte sie – nur so dasitzen, das holde Bangen der Erwartung genießend, dem eigenen Herzen lauschend, wenn manchmal ein beschleunigter Schlag ihr bis in die Kehle drang – wie süß das war ...
Noch war die halbe Stunde nicht verflossen – und wieder ertönte die Klingel.
Sylvia sprang auf; sie fühlte, daß sie erbleichte.
Bresser trat über die Schwelle und verneigte sich ehrerbietig; sie blieb – eine Weile regungslos – auf ihrem Platz stehen.
Durch den zeremoniellen Gruß und den Ton seiner Stimme »Gnädigste Gräfin« kam sie zur Besinnung, und – ganz Weltdame, die einen willkommenen fremden Gast empfängt – ging sie ihm ein paar Schritte entgegen und reichte ihm die Hand zum Kusse.
»Wie ich mich freue, Sie wieder zu sehen, Herr Bresser – werden Sie nun eine Zeitlang in Wien bleiben? Bitte, setzen Sie sich ...« und sie selber ließ sich auf ihren gewohnten Platz neben dem Lesetischchen nieder ... »Sehen Sie« – lächelnd – »ich habe hier Ihren Gedichtenband – aber Sie dürfen nicht glauben, daß ich ihn nur im Hinblick auf Ihr Kommen hierher gelegt, ich ...«
Sie stockte. Denn Bresser ging weder auf ihren förmlichen, noch auf den scherzenden Ton ein; er blieb stumm und auch den angebotenen Sitz hatte er nicht angenommen; sein Gesicht zeigte tiefe Bewegung, die Augen hielt er mit zärtlichem Vorwurf auf sie geheftet – sie fühlte, daß er von ihrem Empfang enttäuscht war.
Das war er im Anfang auch gewesen; aber wie sie jetzt so stockte, wie unter seinem Blicke auch in ihren Augen es zärtlich zu schimmern begann, da verstand er, daß diese angenommene Gleichgültigkeit nur ein Schleier – ein für ihn jetzt durchsichtiger Schleier war, den sie über den sonst zu grellen Glanz ihrer gegenseitigen Wiedersehensfreude geworfen hatte. Eigentlich nach all den getauschten Gedanken und getauschten Empfindungen, nach der Sehnsucht, die sich in dem verflossenen Jahr von einem zum andern gesponnen, hätten sie ja einfach sich in die Arme sinken müssen: – o Du, Du ... seh' ich Dich endlich! – Da dies aber nicht sein konnte, so war diese Art wohl die beste gewesen; sie wußten ja doch beide, was unter dem Schleier verborgen war.
So wollte er denn ihrem unausgesprochenen Befehl gehorchen und, indem er sich setzte, sagte er, einen unbefangenen Ton erzwingend:
»Ob ich längere Zeit in Wien bleibe, Gräfin? Das hängt von Umständen ab. Der Direktor des Burgtheaters, dem ich mein Drama eingereicht, hat mich zu einer Unterredung bestellt. Vielleicht handelt es sich um Änderungen – angenommen ist das Stück – vielleicht auch schon um den Beginn der Proben; da müßte ich allerdings hier bleiben.«
»Was – ein Stück an der Burg – und davon hatten Sie mir nichts geschrieben!«
»Ich wollte es nicht früher sagen, als bis die Annahme sicher war.«
»Und welches Ihrer Stücke?«
»Mein letztes, noch nirgends aufgeführtes – von dem Sie den ersten Akt uns vorgelesen haben –«
»Ah – »Der tote Stern« –? Den haben Sie zu Ende geführt – und mir in Ihren Briefen kein Wort? ...«
»Meine Ambition war, daß Sie die folgenden Akte nicht im Manuskript, sondern von der Bühne aus beurteilen sollen.«
»Ich werde furchtbar zittern bei der Premiere.«
»Zittern? Für mich?«
»Für Sie, für das Stück, für mich – ich könnte es nicht vertragen, wenn das Publikum keinen Beifall zeigte –« »Wenn das Stück durchfiele, meinen Sie? ... Wer weiß, ob es vor Ihnen Gnade findet? Vielleicht müßte Ihnen dessen Fiasko gerechtfertigt erscheinen.«
»Werde ich denn überhaupt urteilen können, wenn ich zittere? Nur wenn Sie mir das Ganze zu lesen gäben, könnte ich mir klar werden, ob ich's schön finde oder nicht. Erzählen Sie mir doch wenigstens, wie Sie die Handlung weitergeführt haben –«
»Nichts erzähle ich, Gräfin Sylvia. Ich habe mich zu lange darauf gefreut, Ihnen meine Dichtung in fertiger Gestalt und lebendig und neu vor die Augen zu führen. Ihnen ganz allein wird es vorgespielt werden – das übrige Publikum wird für mich gar nicht anwesend sein.«
Sie sprachen dann von dem großen Ereignis in Sylvias Familie, Rudolfs Verzicht auf das Majorat. Es tat Sylvia wohl, zu hören, wie groß Hugo die Sache auffaßte, mit welchem weiten Blick er die von ihrem Bruder gewählten Wege und Ziele umspann.
»Mich nennen Sie Dichter, Gräfin?« sagte er. »Nun ja, mit geschriebenen Bildern und Worten dichte ich, aber Rudolf tut es mit Handlungen, mit kühnen begeisterungsglühenden Taten ... was er unternommen hat, kann zum hinreißendsten Poem werden.«
So sprachen sie lange über allerlei Dinge. Aber etwas Unausgesprochenes lag zwischen ihnen; etwas, woran beide dachten, und wovon jedes wußte, daß es in den Gedanken des anderen obenauf war. Es zitterte in ihren Stimmen, es blitzte in ihren Augen auf, es tönte in ihrem Schweigen nach, wenn manchmal die Unterhaltung stockte.
In einer solchen Pause geschah es, daß ihre Blicke sich begegneten und wie liebkosend aneinander hängen blieben. Er war glücklich, sie so schön zu sehen – und auch sie empfand es wie eine Freude, daß seine Erscheinung so harmonisch zu seiner Künstlerseele paßte: edle Züge, leuchtendes Auge und dabei in Art und Ton, in Kleidung und Bewegung tadelloser Weltmann. Diesen Menschen zu lieben, war man wahrlich entschuldbar ...sie war stolz auf ihn –und fast so stolz auf sich, dass ihr Herz sich einem so Würdigen geschenkt.
Nach einer kleinen Stunde, die ihnen verflogen war, wie fünf Minuten, mußte er gehen – der Direktor erwartete ihn.
»Wann darf ich wiederkommen?«
»Morgen um dieselbe Stunde.«
Der Abschiedsgruß war ein langer, fester. Stumm sagten sie einander durch ihre warmen, bebenden Hände:
Herrliche, auf Wiedersehen! – Auf Wiedersehen, Lieber!