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Die gerichtlichen und geschäftlichen Transaktionen der Besitzesübertragung waren erledigt.
Zur feierlichen Übergabe veranstaltete Rudolf ein kleines Fest in Brunnhof, welches zugleich ein Abschiedsfest sein sollte, bei dem er seine Familie und Freunde zum letzten Male auf dem alten Herrensitze um sich versammelte.
Die Tafel war im großen Speisesaal gedeckt. Der Spätherbsttag hatte empfindliche Kälte gebracht und im Monumentalkamin brannten ganze Stamme knisternden Fichtenholzes. Vom Kronleuchter flutete das Licht von achtundvierzig Wachskerzen herab, und noch sechs silberne Kandelaber (auch Stücke des zum Majorat gehörigen Familiensilbers), die zwischen den Aufsätzen auf der Tafel standen, und zahlreiche Lampen auf den Pfeilertischen vervollständigten die Beleuchtung. Kostbare alte Gobelins an den Wänden; kunstvoll geschnitzte Eichenholzmöbel in gotischer Form; der Tafeldienst besorgt von einem Haushofmeister in Frack und weißer Krawatte, zwei Büchsenspannern mit silbernen Epauletten und Bandelieren und vier Lakaien in Galalivreen in Schuhen und Strümpfen. Auf die Menükarten gemalt, auf die Porzellanteller eingebrannt, in die Bestecke und Gläser graviert, in den Damast des Tischzeugs gewebt: überall das Dotzkysche Wappen (in gespaltenem Felde drei schräglinke blaue Sterne und hinten ein zugekehrter silberner Schlüssel. Auf dem gekrönten Helme mit rechts rotsilberner und links blaugoldener Decke zwei auswärts geschrägte silberne Schlüssel vor einem rot mit Pfauenfedern besteckten Spiegel zwischen offenem, vorn silbernen und hinten roten Fluge), – kurz, der ganze Aufwand von Pracht und Prunk und Eitelkeit, der in den Schlössern reicher und alter Adelsfamilien zu herrschen pflegt.
Mehr als vierzig Personen, im Abendanzug, saßen um den Tisch. Martha hatte den Sitz der Hausfrau, Rudolf den des Hausherrn inne. Rechts von Baronin Tilling saß Max Dotzky, und zur Rechten Rudolfs – Fräulein Elsbeth von Rels. Den Feldzeugmeister von Rels hatte Martha an ihre linke Seite gesetzt und seine andere Nachbarin war Sylvia Delnitzky. Die Familie Ranegg war, mit Ausnahme der in Konstantinopel weilenden Tochter Christine, vollzählig erschienen. Von alten Freunden des Hauses waren außerdem anwesend: Minister Wegemann, Graf Kolnos, Oberst von Schrauffen, der alte Bresser und Pater Protus.
Das Diner – in acht Gängen – war zu Ende; man knabberte nur noch an den Süßigkeiten des Nachtischs. Auf ein Zeichen des Herrn füllten die Diener noch einmal die Champagnerkelche und verließen dann alle den Saal. Rudolf klopfte mit dem Messer an sein Glas und die lebhaften laut durcheinander summenden Tischgespräche verstummten mit einem Schlage.
Ohne aufzustehen, aber mit erhobener, deutlich vernehmbarer Stimme begann Rudolf zu reden:
»Meine lieben Freunde und verehrten Gäste. Sie alle wissen, daß unser heutiges Beisammensein einem ganz besonderen Anlaß gilt ... einem ungewöhnlichen Anlaß. Manche hier sind genau unterrichtet, um was es sich handelt – den anderen wird es eine Überraschung sein.
Ehe ich die Sache verkünde, möchte ich einen kurzen Rückblick in die Vergangenheit werfen – vielleicht findet sich da teilweise eine Erklärung für das, was Sie nun hören sollen ... Ich erinnere mich – und mehrere unter Ihnen werden sich auch erinnern – an ein Festmahl, das uns um diese selbe Tafel versammelt hat – zur Taufe meines armen kleinen Fritz ...«
Rudolf hielt einen Augenblick bewegt inne und auch durch den Kreis seiner Hörer ging eine Bewegung, ein leises Beileidsgemurmel.
Er holte tief Atem und fuhr fort: »»Es lebe die Zukunft!« toastierten wir damals. Die Zukunft aber, die mein Sohn verkörpern sollte, die ist ins Grab gesunken ... Es war ein großer Schmerz, so groß, daß ihn meine Beatrix nicht überleben konnte ... Mein ganzer häuslicher Herd ist eingestürzt.« Das teilnahmsvolle Gemurmel wiederholte sich – einige unter den Frauen führten ihr Taschentuch an die Augen. »Doch, als ich damals auf die Zukunft trank, hatte ich nicht die Zukunft meines Hauses – ich hatte die Zukunft unseres ganzen Geschlechts – des Menschengeschlechts, im Sinn, an der wir alle, bewußt oder unbewußt, mitarbeiten – an der ich bewußt und in bestimmter Absicht mitarbeiten will. Und dazu will ich ganz ungebunden sein ... Ohne weitere Umschweife: ich habe auf das Dotzkysche Majorat verzichtet und dessen nächsten Anwärter, meinen Vetter Maximilian in meine Rechte eingesetzt.«
Ein noch lauteres Murmeln – diesmal staunenausdrückendes – erhob sich, verstummte aber sogleich wieder, als Rudolf aufstand und sein Glas erhebend weiter sprach:
»Ich bitte Sie also, in Graf Maximilian Oskar Dotzky von Donaschits, Herrn auf Brunnhof und Nagykyral, meinen Nachfolger zu sehen und auf sein Wohl, sowie« – er verneigte sich zu seiner Nachbarin zur Rechten – »auf das Wohl seiner Braut, Fräulein Elsbeth von Rels, mit mir anzustoßen.«
Laute Ausrufe folgten. Alle waren aufgestanden, man stieß mit den Brautleuten an und wünschte ihnen Glück. Auch mit Rudolf wurde angestoßen. Dabei veränderten sich aber die gratulierenden Mienen in halbwegs kondolierende.
Rudolf war der erste, der sich wieder auf seinen Sessel niederließ und abermals gab er das Zeichen, daß er sprechen wollte. Da setzten sich auch die anderen und allgemeines Schweigen war bald hergestellt.
»Ich will keinen neuen Toast ausbringen, meine Freunde, keine Tischrede halten; aber sagen will ich Ihnen, was meine Abdankung bedeutet und bezweckt ... Haben Sie etwas Geduld mit mir. Vorträge zu halten gehört zu meinem Zukunftsprogramm, und dies soll mein Jungfernvortrag sein –
Versteht sich, wenn ich einmal auf ein Podium trete und vor versammeltem Volke spreche, dann werde ich nicht dasselbe Thema wählen, das ich nun vor Ihnen erörtern will – das Thema meiner Abtrünnigkeit. Gerade diesem Kreise hier – Verwandte, Jugendfreunde, Standesgenossen – glaube ich, solche Erörterungen schuldig zu sein ... »Der Mensch ist verrückt!« – so wird wohl das erste zusammenfassende Urteil sein, welches von einem Teil der hier Anwesenden, und von den meisten der nicht anwesenden Angehörigen unserer Gesellschaftskreise über meinen Entschluß gefällt werden wird – das weiß ich. Nun, so will ich Ihnen wenigstens gesagt haben, worin die Methode besteht, die in meinem Wahnsinn steckt.«
Nach kurzer Sammlung fuhr er fort:
»Zwei Kräfte sind es, die den Gang der menschlichen Kultur bewegen und regeln: die vorwärtstreibende und die hemmende Kraft – der Fortschrittsdrang und der Erhaltungstrieb. In der Politik haben diese beiden die Namen Liberalismus und Konservatismus angenommen; – aber damit ist nur eine ganz enge Sphäre bezeichnet, in der diese Kräfte sich betätigen, deren Spiel die ganze Welt – Natur und Geist, – von allem Anfang an geformt hat und in aller Zukunft weiter formen wird.
So stark und so bewußt wie in unserer Gegenwart sind – so scheint es mir – diese Gegensätze noch nie hervorgetreten, und da heißt es: Farbe bekennen. Man kann ja auch ganz abseits stehen bleiben, sich nicht kümmern um das, was vorgeht, und nur seinen eigenen, engsten Interessen leben –, das tun auch gar viele. Aber diese Vielen – ohne es zu wissen – helfen doch der einen der streitenden Kräfte: eines der wirksamsten Elemente des Beharrungsvermögens ist ja die Trägheit.«
Mit dem niemals täuschenden Instinkt, der dem Redner zum Bewußtsein bringt, was die Zuhörerschaft empfindet, wurde Rudolf gewahr, daß ein leiser Hauch von Gelangweiltsein, von mißmutigem Unverständnis über die Tischgesellschaft wehte. Daß aber einige da waren, darunter seine Mutter, die ihn ganz verstanden und mit Spannung an seinen Lippen hingen, das wußte er auch, und für diese sprach er unbeirrt weiter:
»Ich bin nicht abseits gestanden. Ich habe hineingelauscht in den Kampflärm und wurde von dem Drang erfaßt, mich mitkämpfend zu beteiligen. Mein Stand, meine Stellung, meine persönlichen Vorteile und Interessen würden erfordern, daß ich mich auf seiten derjenigen stelle, die das Bestehende verteidigen. Doch das kann ich nicht: mein Gefühl, meine Einsicht und (mit einem Blick auf seine Mutter) eine als Erbe übernommene Mission treiben mich in das andere Lager. Um also ehrlich und frei zu sein, bleibt mir nichts übrig, als meine Stellung und mein Interesse aufzugeben – und das habe ich getan. Zu den Dingen der alten Ordnung, die ich perhorresziere, gehört zum Beispiel auch die Einrichtung der Majorate – es ist daher ein gerechtfertigter, mehr noch, ein gebotener Schritt, daß ich dem Majorat entsage – und das habe ich getan.«
»Bravo!« rief Max. Und Feldzeugmeister von Rels sekundierte. Dieser Zug von Rudolfs Verrücktheit war seinem Besitznachfolger und dem Vater der künftigen Herrin von Brunnhof jedenfalls sympathisch. Auch Elsbeth hätte gern in den Beifall eingestimmt, doch war sie zu schüchtern dazu. Sie schwamm in traumhafter Glücksstimmung – war es doch wie ein Traum, daß ihr nun plötzlich alles zugefallen: der Geliebte, die wunderbare Herrschaft, der umgebende Luxus ... sie hätte vor Rudolf niederknien mögen, um ihm zu danken. Ein Narr? das ist zuviel gesagt – ein Schwärmer, ein edler Schwärmer – und Gott sei Dank, daß er nicht vernünftiger war! ... »Ihr Bravo, Exzellenz«, wandte sich Rudolf an Herrn von obenan der Militarismus gehört. Und nicht nur, wie das unsere matten Liberalen hervorkehren, die Auswüchse und Übertreibungen des militaristischen Systems, sondern das organisierte Totschlagen als Rechtsmittel überhaupt. Das will ich fortan in aller Offenheit hinaussagen, ohne Umschweife – auch einem Feldzeugmeister ins Gesicht. Nur der ist frei, der das sagt, was er denkt. Mit der Abdankungsurkunde habe ich mir ein Stück Freiheit erkauft. Ich benutze sie.
»Bravo!« riefen Kolnes und Bresser.
Herr von Rels sprang auf: »Verzeihen Sie –« begann er mit erregter Stimme.
Aber die andern riefen: »Nicht unterbrechen!« und der General ließ sich wieder auf seinen Sessel nieder.
»Verzeihen Sie mir, Exzellenz«, sagte Rudolf, »ich habe Sie nicht verletzen wollen. Was man gegen eine Institution spricht, ist nicht persönlich gegen ihre Vertreter gemünzt. Vergessen Sie nicht, daß alles, was ich gegen den Krieg vorbringen oder wirken kann, im Geist eines Vermächtnisses geschieht, das mir von einem tapferen Soldaten – von Friedrich Tilling – zugefallen. Was ich getan habe, beweist genügend, wie ernst ich meine Aufgabe, meine bevorstehenden Kämpfe auffasse. Im Kampfe darf man vor der Notwendigkeit nicht zurückschrecken, auf den Gegner loszuschlagen. Meine Waffe ist ja nur das gesprochene und geschriebene Wort – die will ich gradaus und ehrlich gebrauchen, das heißt immer nur das sagen, was ich für wahr halte – das aber ohne Rücksicht, ohne Schonung. Daß man, wenn man mit seiner Meinung zurückhält, die anderen schonen wolle – das ist gewöhnlich nur Vorwand; sich selber will man vor Unannehmlichkeiten hüten, sich schont man dabei: Man mag den andern nicht erzürnen, nicht um ihm den Zorn zu ersparen, sondern um sich diesem Zorn nicht auszusetzen. Feigheit ist's mit einem Wort. Eine Feigheit, die ich an mir selber erfahren, als ich ein Fortschrittsanwalt, zugleich aber kluger Gutsbesitzer, taktvoller Hausherr und liebenswürdiger Vetter sein wollte. Jetzt will ich nichts anderes sein, als ein am Entwicklungsgang der Menschheit bewußt und furchtlos mitarbeitender Mitmensch.
In solcher Mitarbeit, glauben Sie mir, liegt erhebender Genuß. Vor allem das Bewußtsein einer erfüllten Pflicht. Nicht allen offenbart sich diese Pflicht: aber die, welche Einsicht genommen haben in den Kampf der Zeiten, und die die drohenden Gefahren und winkenden Rettungen sehen, die können nicht anders – die müssen mittun. Rettenwollen ist ein natürlicher – ein dem Gesellschaftstrieb anhaftender Instinkt.
Was ich sehe ist dies:
Es sind Zaubermächte am Werk, die menschliche Gesellschaft so zu verändern, daß die Kultur von morgen sich zu der Kultur von gestern verhalten wird, wie der Schmetterling zur Raupe ... Die Raupe hat sich schon eingepuppt – die Kultur von heute ist die Chrysalide.«
»Bravo!« sagte jemand aus der Gesellschaft, der das Wort Chrysalide poetisch fand, und daher ein Beifallszeichen für angebracht hielt.
»Die Zaubermächte, die ich meine«, sprach Rudolf weiter, »heißen Technik und Wissenschaft. Soviel könnende und soviel wissende Wesen, wie die Menschen zu werden jetzt im Begriffe stehen, müssen auch vernünftige Wesen mit vernünftigen Einrichtungen werden. Das ist der Zwang des Anpassungsgesetzes. Daß aber unsere Lebensführung und unsere aus unwissenden Zeiten überkommenen Einrichtungen vernünftig seien, wird man doch nicht behaupten wollen? Um nur das eine hervorzuheben, das Unvernünftigste von allem: neunzehntel aller Hilfsquellen darauf zu verwenden, einander besser totschlagen zu können ... Sich die Heimat Erde in Beutestücke einzuteilen, um die man sich gegenseitig zerfleischt, statt sie in gegenseitiger Hilfeleistung in ein Eden umzuwandeln ... Wie murmelten Sie in den Bart, Freund Wegemann – »Sozialistenphrasen?« Mein Gott, oft gesagte Wahrheiten – und solche, auf die sich eine nach Verbreitung strebende Partei aufbaut, werden immer zu »Phrasen« ... ich will hier aber nicht in sozialdemokratischem Parteigeist, sondern im weitern Sinn – in sozialem Geist gesprochen haben. Daß die soziale Frage in gewaltiger Bedeutung unsere Gegenwart erfüllt und nach Lösung drängt – das kann doch niemand leugnen? Das Arbeitervolk ist es müde, zu leiden, und unter uns gibt es solche, die müde sind, es leiden zu sehen. Ich für mein Teil kann nicht länger müßig zusehen, bei all den unnützen Schmerzen, Lasten und Gefahren, unter denen meine Mitgeschöpfe stöhnen. Tat twam asi ...«
Das indische »das bist Du« veranlaßte den poetischen Beifallsspender zu einem neuerlichen »Bravo!«
»Ein großes Erlösungswerk bereitet sich vor – davon wissen gar viele Zeitgenossen – und wohl auch viele meiner lieben Tischgenossen – nichts. Was sie allenfalls davon vernehmen, klingt ihnen wie das ferne Rauschen einer drohenden Sturmflut und sie rufen nach Deichen und Dämmen. Wir aber, die wenigen, die hingehorcht haben, wir hören das Rauschen einer neuen Zeit der gewaltlosen Zeit, der elendbefreiten Zeit. Wenn wir sie auch nicht erleben ... übrigens, wer weiß? – ihr Kommen beschleunigt zu haben, das soll unsere höchste Genugtuung sein. Das habe ich mir zur Aufgabe erkoren. Nennen Sie solches Beginnen nicht vermessen und nennen Sie es nicht unnütz. Beugen Sie sich nicht jener bequemen Ansicht, daß sich die Kulturwandlungen von selber vollziehen. Das ist falsch – nichts geschieht von selbst. Er fällt doch niemandem ein, zu behaupten, daß sich alle technischen Fortschritte und Erfindungen von selber eingestellt hätten – unabhängig vom Studium und der Arbeit der Techniker und Erfinder. Daß studiert und daß gearbeitet wird, mag auf einen Zwang, der in den Naturvorgängen liegt, zurückgeführt werden, das will aber nicht besagen, daß die Kulturarbeit von selbst entsteht. Sie entsteht durch den Willen der Kulturarbeiter ... Diese Willenskraft mag man auch eine Naturkraft nennen – aber dieser persönliche Wille wird zum Motor der Entwicklung. Auch unter den Entwicklungsfeinden gibt es energisch Wollende und es gelingt ihnen gar wohl, den Gang der Kultur zu hemmen, sogar momentan zurückzuschleudern ... ihn aber gänzlich aufzuhalten, das gelingt ihnen nicht, denn daß dieser – wenn auch in der Spirallinie – unaufhörlich vorwärts und aufwärts führt: das ist Naturgesetz. Dies ist mein zuversichtlicher Glaube. Ein heißer Glaube, der mich oft mit einem Glücksgefühl durchströmt, mitten unter den Zorngefühlen, die mir die herrschenden Verkehrtheiten einflößen. Wenn ich auch weiß, daß Zorn eine unwissenschaftliche Regung ist – ärgert sich der Zoologe über Tigerbosheit und Schlangengift? – so ist er doch auch eine nützliche Regung, denn er rüttelt zur Abwehr auf ... Ohne Leidenschaft wird nichts Kräftiges vollbracht.
Das ist's auch, was ich Ihnen sagen wollte – mein Tun ist durch eine in tiefster Seele lodernde Leidenschaft bestimmt ... Ob ich Kräftiges vollbringen werde, das ist dahingestellt, aber was ich an Kraft besitze, das ist nun in meinem Willen konzentriert.«
Er hielt einen Augenblick inne. Wieder empfand er es deutlich, daß die Zuhörerschaft – mit Ausnahme der wenigen – ihm nicht gefolgt war.
Und er gewahrte auch, daß ihm die Worte nicht zu Gebote standen, mit denen er gern die Fülle der ihn bewegenden leidenschaftlichen Gefühle und Gedanken ausgedrückt hätte. Das wäre ihm wohl nur möglich gewesen, wenn von seinem Feuer etwas auf die Widerstrebenden sich übertragen hätte und aus ihrer Mitte dann ein Funke der Begeisterung herübergesprungen wäre ... Er hatte die Vision eines großen Saales, gefüllt mit Männern und Frauen aus dem Volke; Leute, die in ihren gramgedrückten Verhältnissen mit Sehnsucht nach Verheißungen besserer Zeiten aufhorchten: wie würde der Dank und die Hoffnung solcher Lauscher ihn gleichsam tragen, emporheben ... aber diese hier? – auf der Höhe der Gesellschaft geborenen, alle Vorteile des Bestehenden genießenden – die mußten wohl jeden Gedanken an eine Änderung als ruhegefährdend und glücksbedrohend empfinden – wenn sie überhaupt zuhörten, wenn das Gesagte nicht vollkommen abprallte an ihrem Unverständnis und ihrer Kälte.
Er ward sich bewußt, daß er nicht weiter reden sollte, noch konnte und suchte nach einem Schluß:
»Meine Freunde – Ihnen das Ziel meines Wollens ganz klar zu legen, oder gar meine Überzeugung auf Sie übertragen zu wollen – das konnte nicht der Zweck meiner Rede sein, die ohnehin schon zu lang geworden ist; ihr kurzer Sinn ist der: hier stehe ich, weil ich nicht anders kann. Und damit ist die Tafel aufgehoben – in Brunnhof die letzte Tafel, deren Wirt ich gewesen bin.« Er stand auf und erhob sein Glas: »Doch – damit wir mit einem »Hoch« abschließen können, trinke ich Dir noch einmal zu, lieber Max – »Dotzky, est mort, vive Dotzky!««
Die anderen waren froh, die etwas gelangweilte und mitunter peinliche Stimmung mit neuem Gläseranstoßen und Hochrufen verscheuchen zu können.
Dann begab man sich in den anstoßenden Empfangssaal. In den Gruppen, die sich bildeten, wurde natürlich von dem Ereignis des Tages gesprochen. Das Urteil über Rudolf lautete zwar nicht, wie er selber vorausgesagt, auf »Verrücktheit« – aber die ganze Skala von Worten, die denselben Sinn umkleiden, hielt dabei her: überspannt – Träumer – Irregeleitet – Phantast – hm, ein Original ..