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Menschenwitz und Professoren-Wahn

Archiv der Pfarrei Illfurt.

Gegen die Tatsache der Besessenheit beider Kinder erhob sich alsbald ein kräftiger Widerspruch, und zwar in erster Linie von Seiten aller jener Elemente, die zum voraus an keinen Teufel glauben, und jeden Fall von Besessenheit oder kirchlichem Exorzismus mit einem verächtlichem Lächeln oder mit ein paar sogenannten wissenschaftlichen Phrasen abfertigen.

Interessant ist die Abhandlung des in Basel dozierenden deutschen Physiologen Professor Dr. Hoppe über den Fall von Illfurt. Er hatte die Sache studiert, hatte das Büchlein von Herrn Pfarrer Brey gelesen, hatte mit Geistlichen beider Konfessionen darüber gesprochen, und war zu dem Schluß gekommen, daß das Besessensein eine menschlich unverstehbare Erscheinung sei; er könne aber nicht dazu beitragen, den Wahn des Besessenseins erneuern zu helfen. »Ich erkenne dabei an«, schreibt er, »daß der katholische Exorzismus der Geistlichen die beiden Knaben geheilt hat, nicht durch sogenannte Teufelsaustreibung, sondern durch psychische Heilung des kranken Gehirns. Somit erkenne ich bei jedem der beiden Knaben eine hysterisch-choreatische Verwirrtheit und erkläre die Vorgänge auf folgende Weise: Die ganze Seele, oder das beseelte Gehirn der beiden Knaben hat den Teufelsspuk selbst gemacht, wie auch die Heilung zustande gebracht, und dies war mittels der Gehirnorganisation und des geistigen Gehirnmechanismus möglich ...

Die Kinder zeigten ein mannigfaltiges und großes Wissen; aber es steckte gleichfalls in ihnen, ist auch nicht mehr etwas Neues und Unerhörtes, und man hat es nur noch nicht beachtet; überdies wird es durch bestehende Gehirnreizung befördert. Gleichfalls sind die auffallenden Gedächtniserscheinungen nichts Befremdendes mehr, sodaß man sie nicht mehr als Teufelswerk zu betrachten hat. Der Glaube an die Einkehr eines Teufels in das menschliche Gehirn ist zu wohlfeil, um noch gelten zu können ...«

Mit Verlaub, Herr Professor, das ist aber eine überaus schwache, unwissenschaftliche Argumentation. Was muß das für ein apartes Gehirn sein, das den Teufelsspuk selbst macht, zumal es sich um Kinder von 8–10 Jahren handelt, ohne alle Wissenschaft und Erfahrung, ohne alle Kenntnis der Politik oder der Geschichte? Was muß das für eine Gehirnorganisation sein, daß Kinder fremde, nie gelernte Sprachen mit Geläufigkeit sprechen, daß sie die Gewissen anderer Menschen aufdecken und ihnen ihre geheimsten Fehler offenbaren, daß sie von wissenschaftlichen Sachen reden wie Sachverständige es nicht besser zu tun vermögen, daß sie zukünftige Sachen voraussagen, die sich mit Genauigkeit erfüllen, oder die Kräfte entwickeln, die über Kinderkräfte gehen? Was muß dies für eine auffallende Gedächtnisanlage sein, wenn Kinder die anno 1855 oder 1857 geboren sind, sich noch aller Einzelheiten erinnern, die sich 1639 im Schwedenkrieg oder 1794 in der großen Revolution in einzelnen Familien von Illfurt zugetragen?

Allerdings, solche Erscheinungen mit hysterisch-choreatischer Verwirrung zu erklären, ist allzu wohlfeil, Herr Professor, und zeigt, zu welchen Ungereimtheiten ein Gelehrter seine Zuflucht nehmen muß, wenn er das Übernatürliche um jeden Preis verwerfen will.

Selbstverständlich hat der ganze Chor der liberalen und radikalen Zeitungen damaliger Zeit in dieselbe Kerbe gehauen. Eine Probe davon gibt uns das »Journal d'Altkirch« vom 18. Januar 1868:

»In Bezug auf Teufel sind wir so ziemlich ungläubig geworden, und wenn man uns von Besessenen spricht, so lachen wir. Allein, der Aberglaube ist da, und man kann sich nie kräftig genug gegen Ideen erheben, die im Herzen des Volkes zu einem Zwecke unterhalten werden, dem ich hier nicht näher nachforschen will ... Die beiden Kinder, für welche man anfangs mehrere Ärzte zu Rate zog, sind später von einer Schäferin (!) besorgt, dann in einem Kapuzinerkloster in unserer Nachbarschaft einer ganz eigentümlichen Behandlung unterworfen worden; allein, die Teufel wollten nicht weichen, und das allgemeine Aufsehen wurde immer größer. Was war nun zu machen? Man schien alle Hilfsmittel erschöpft zu haben, als die Regierung den glücklichen Gedanken hatte, die Sache an Ort und Stelle durch den Brigadier der Gendarmerie untersuchen zu lassen. Nun, was weder Wissenschaft, noch Magnetismus, noch Beschwörungen vermochten, das vermochte ein galonierter Herr. Bei dem ersten Besuch der Autorität haben sich die Kinder beruhigt; ihre Geisteskräfte erheiterten sich; ihre Bewegungen wurden geregelt, und die Teufel nahmen Reißaus zu allen Teufeln. Glückliche Reise!«

So macht ein geist- und gewissenloser Zeitungsschreiber Geschichte, nicht etwa in Spanien oder Holland, nein, in Altkirch, nur 10 Kilometer von Illfurt entfernt. Dem hätte der Teufel auch nicht übel das Gewissen erforscht, wenn er es gewagt hätte, die Kinder in eigener Person aufzusuchen.

In einer anderen Nummer vom 1. Februar 1868 spottet ein witzigseinwollender Korrespondent in folgender Weise:

Le diable est à Illfurt. Quelle riche moisson dès lors pour les chroniqueurs grands et petits! Les deux faibles créatures dont il a choisi le corps pour lui servir de logement, sans être armées de la massue d' Hercule, font pâlir devant leurs exploits le Demi-Dieu et ses travaux. Les crucifix, les amulettes attachés à leur cou se pulvérisent avec fracas et accompagnement de flammes vertes et bleues et de parfums sulfurés: ils annoncent l'avenir, et, ô comble du miracle, sans cordes ni cloches, sonnent à toutes volées le glas funèbre de ceux qui vont mourir! Et ce ne sont là, évidemment, que des préludes: chaque jour apportera un prodige nouveau, jusqu'à ce qu'il plaise à Satan, et puisse ce désir ne lui venir que bien tard! de regagner pour un temps son domaine.

Je ne l'ignore pas, les esprits forts poseront d'indiscrètes questions: ils demanderont pourquoi ces jeunes enfants, de preéférence à tant d'autres, qui y avaient incontestablement plus de titres, ont mérité le pénible honneur de loger le Dieu cornu; si on leur parle de cris ranques, d'yeux hagards, de convulsions et de spasmes, ils répondront par: hystérie, vapeurs ou épilepsie et au lieu d'eau bénite recommander des douches, une nouriture forte et même le régime si cher à M. M. Fleurant, Purgon et Diafoirus: heureux s'ils ne prétendent que croyants et exorciseurs, exorciseurs surtout, ont eux-mêmes un diable dans le corps, et le plus intraitable de tous, celui de l'absurdité!

Zu deutsch:

»Der Teufel ist in Illfurt. Welch reiche Beute für große und kleine Zeitungsschreiber. Selbst die Heldentat eines keulentragenden Herkules verblaßt vor den Heldentaten dieser vom Teufel besessenen Kinder. Die Kruzifixe, die Amulette (!) an ihrem Halse verpulvern mit Krachen bei grünen und blauen Feuerflammen. Die Kinder sagen die Zukunft voraus und – o größtes aller Wunder – ohne Glocken und Glockenseile läuten sie zum Tode anderer Leute. Und das ist nur ein Vorspiel. Jeder Tag bringt ein neues Wunder, bis es dem Satan gefällt – hoffentlich so spät wie möglich – in sein Reich zurückzukehren.

Allerdings, aufgeklärte Geister werden indiskrete Fragen stellen. Sie werden fragen, warum gerade diese armen Kinder eher als viele andere die zweifelhafte Ehre hatten, den gehörnten Gott zu beherbergen. Wenn man ihnen von heiserem Geschrei spricht, von scheuem Blick und Zuckungen und Krämpfen, dann antworten sie: S'ist eitel Hysterie, Dämpfe und Fallsucht und statt Weihwasser empfehlen sie Duschen, eine kräftige Nahrung und Klystiere à la Fleurant, Purgon und Diafoitus. Glücklich, wenn sie nicht behaupten, daß Gläubige und Teufelsaustreiber, letztere ganz besonders, den Teufel im Leibe haben und zwar den schlimmsten von allen, den Absurden.«

Wir wollten an diesem Beispiele feststellen, mit welch frivoler Leichtfertigkeit die ungläubige Welt über die so seltsamen Erscheinungen urteilte, und wie sie sich hütete, diese einer näheren Untersuchung zu würdigen. Die Lehre von der Hölle und den verlorenen Geistern paßt ihnen einmal nicht, dann begnügen sie sich mit Achselzucken und wohlfeilem Spott.

Viel zurückhaltender waren die verschiedenen Ärzte, die die Kinder in der ersten Zeitperiode behandelten, besonders die Herren Dr. Krafft, Dr. Henri Weyer, Dr. Alfred Szertecki von Mühlhausen. Sie fanden die Krankheit unerklärlich, wagten es aber nicht, ein Urteil über deren Natur abzugeben. Der Kantonalarzt von Altkirch, Dr. Lévy, sagte Herrn Pfarrer Brey ganz offen, da sei seine Kunst machtlos, die katholische Kirche könne da besser helfen.

Die Kunde von der Besessenheit und der Befreiung der beiden Kinder drang bis nach Paris, wo sich auch die großen Boulevardblätter damit beschäftigten, nicht immer in günstigem Sinne. So hatte Edmond About in der »Opinion Nationale« eine Korrespondenz aufgenommen, welche die Tatsachen als Humbug hinstellte und behauptete, daß die Kinder noch immer in demselben elenden Zustand wären. Der »Industriel Alsacien« und das »Journal de Colmar« druckten den Artikel ab.

Daraufhin nahm das Bistum Straßburg öffentlich Stellung und ließ den Redaktionen durch die Feder des Herrn Generalvikars Rapp folgenden Nasenstüber zugehen:

 

Strasbourg, le 9 janvier 1870

Monsieur le Rédacteur,

Vous avez publié dans votre numéro du 7 janvier une correspondance de Strasbourg qui demande quelques rectifications:

A Illfurt, un petit garçon était affecté depuis 4 ans d'un mal extraordinaire, dont les hommes de l'art ne pouvaient déterminer la cause et la nature. A la demande réite&#341;ée du maire et du curé, une enquête fut ordonnée par Mgr. de Strasbourg, et l'on décida que l'enfant serait transporté à l'orphelinat de Schiltigheim, dirigée par les sœurs de Charité. Pendants plusieurs semaines, des faits extraordinaires, qu'il serait superflu d'exposer ici, mais qu'on exposera avec tous les détails nécessaires dans une feuille religieuse de l'Alsace, continuèrent à se produire, et la commission, dont personne, en dehors de votre correspondant, ne contestera ni les lumières ni l'autorité, crut reconnaître que ces faits ne pouvaient avoir qu'une cause surnaturelle.

L'Eglise a des prières pour cette espèce de cas, même douteux; ces prières furent récitées et l'enfant est complètement guéri.

Votre correspondant a dit le contraire de la vérité', en affirmant avec surprise que l'enfant est resté dans le même état.

Les observations, les plaisanteries, les insultes dont vous avez assaisonné« votre article ont peut-être plu à vos lecteurs, je ne m'y arrêterai pas.

Je n'ai voulu que rétablir les faits, et j'attends de votre loyauté que vous insérerez cette lettre dans un des plus prochains numéros de votre Journal.

Signé Rapp, vicaire général.

 

Zu deutsch:

Strassburg, den 9. Januar 1870.

Herr Redakteur!

Sie haben in Ihrer Nummer vom 7. Januar eine Mitteilung von Straßburg veröffentlicht, die einiger Berichtigungen bedarf. In Illfurt leidet ein kleiner Junge seit 4 Jahren an einem seltsamen Uebel, wofür die Sachverständigen weder die Ursachen noch das Wesen erklären konnten. Auf wiederholtes Verlangen des Bürgermeisters und des Pfarrers wurde eine Untersuchung durch den Bischof von Straßburg angeordnet und man bestimmte, daß das Kind in das von Krankenschwestern des Allerheiligenklosters geleitete Waisenhaus von Schiltigheim überführt würde. Während mehrerer Monate zeigten sich ununterbrochen außergewöhnliche Erscheinungen, die auszuführen hier überflüssig wäre, die aber mit allen nötigen Einzelheiten in einer elsässischen religiösen Zeitschrift zur Veröffentlichung kommen werden. Und die Kommission, der niemand, außer Ihrem Korrespondenten, die Fachkenntnis noch die Befähigung abstreiten wird, glaubte zu erkennen, daß diese Tatsache nur eine übernatürliche Ursache haben könnte. Die Kirche hat für derartige, selbst zweifelhafte Fälle, besondere Gebete. Diese Gebete wurden verrichtet und seitdem ist das Kind vollständig hergestellt. Ihr Korrespondent hat das Gegenteil von der Wahrheit gesagt, indem er zu unserm Erstaunen behauptet, daß das Kind im selben Zustand verblieben ist. Die Bemerkungen, Witze und Schmähungen, mit denen Sie Ihre Artikel gewürzt haben, haben vielleicht Ihren Lesern gefallen. Ich will mich dabei nicht aufhalten. Ich habe nur die Tatsache feststellen wollen und ich erwarte von Ihrer Loyalität, daß Sie diesen Brief in einer der nächsten Nummern Ihrer Zeitung veröffentlichen.

gez.: Rapp,
Generalvikar


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