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Bericht des Brigadier Werner.
Im Mai 1868 waren die Kinder ganz besonders bösartig und immer voll Wut. Ihre Redensarten waren oft sehr gemein und oftmals schmutzig, sodaß der Bürgermeister Herr Tresch, und Herr Brobeck beschlossen, wenigstens mit Theobald eine Wallfahrt nach Maria-Einsiedeln zu unternehmen, damit am Gnadenorte die Beschwörung vorgenommen werde.
Kein Mensch in Illfurt wußte von dem Plane auch nur das geringste mit Ausnahme der beteiligten Personen.
Des andern Tages sagte Theobald zu Herrn Tresch: »Du und Lien (der Pfarrer von Orschweiler, ein Freund und Landsmann des Herrn Pfarrer Brey), ihr wollt mich jenseits der Berge führen. Das gefällt mir nicht. Was? Ich soll da hineingehen? (ins Kloster Einsiedeln). Nie und niemals!«
Da rief der Jüngere: »Ich will mich verheiraten.« »Ja, mit der Hölle«, rief der Aeltere. »Aber ich?« –
Herr Tresch sprach darauf: »Du, du gehst mit auf die Hochzeit; kann ich auch mitkommen?«
»Ja, antwortete Theobald, du und Lien.« – »Und wer noch«, fragte der Bürgermeister weiter. – »Und noch etliche andere,« erwiderte darauf der Knabe, »aber wehe euch, der Berg ist hoch.«
»Ich fürchte deine Drohungen nicht«, versetzte darauf Herr Tresch.
Die Knaben konnten von der beabsichtigten Reise nichts wissen, der Teufel allein wußte es. Er machte die Knaben finster und nachdenklich und konnte seinen Zorn nicht verbergen.
Der Tag der Abreise kam heran. Die Herren Pfarrer Brey und Lien, sowie die Herren Lachemann, Brobeck und Tresch führten den kleinen Theobald, der nur mit Widerwillen in den Zug stieg. In Mülhausen trafen sie noch mehrere Herren, die demselben Ziel entgegenfuhren: Herrn Loetsch, Provinzial der Frères de Marie, Herrn Klein, Stationsvorsteher von Colmar, und Herrn Weber, Sakristan am Straßburger Münster.
Während der Reise war Theobald ruhig, er bewunderte die schönen Landschaften, die Seen und die Berge, er aß und trank wie die andern. Am Tage nach der Ankunft in Einsiedeln begaben sich die Herren nach dem Kloster, um sich anzumelden. Sie erhielten den Bescheid, sich mit dem Kleinen um 9 Uhr in einem Saal einzufinden, wo der Pater Exorzist sie erwarten wollte.
Etwas vor der angegebenen Zeit verließen sie das Gasthaus, um sich ins Kloster zu begeben. Jedoch Theobald widersetzte sich aus Leibeskräften. Herr Lachemann, kurz entschlossen, faßte ihn und trug ihn in den Saal, wo Pater Lorenz Hecht auf sie wartete. Nun begann der Pater den Besessenen in jeder Weise auszufragen, erhielt jedoch keine Antwort. Darauf betete er die Gebete des Exorzismus, worauf der Knabe lärmte und tobte. Da er nichts ausrichten konnte, gab er den Herren den Bescheid, um 1 Uhr wiederzukommen.
Als sie zur festgesetzten Stunde wieder vor dem Pater standen, legte dieser dem Knaben die Stola um den Hals und betete über ihn. Der Besessene aber wehrte sich derart, daß vier Herren ihn festhalten mußten. Darauf blieb er einige Minuten wie tot am Boden liegen, sprang plötzlich mit aller Hast auf, um die Flucht zu ergreifen; man hielt ihn jedoch fest.
Tags darauf erneuerte ein anderer Pater, Nepomuk Buchmann, dieselben Zeremonien mit demselben negativen Erfolg. Aber diesmal war der Knabe äußerst unruhig und aufgeregt. Hierauf führte der Pater die ganze Gesellschaft in den großen Saal, welcher mit den Bildnissen verschiedener Herrscher geschmückt ist. Theobald besah sich die lebensgroßen Porträts mit großem Interesse. Er nannte sie: Soldaten. Am besten gefiel ihm das Bildnis des Königs von Preußen. Beim Bilde des Papstes Pius IX. senkte er den Kopf. Und als man ihm den Kopf in die Höhe hielt, schloß er die Augen. Der Pater sagte hierauf: »Das genügt mir.«
Am Mittwoch und Donnerstag brachte man ihn in die Kapelle mit dem bekannten Gnadenbilde.
Während die Anwesenden fünf Vaterunser und fünf Ave Maria beteten, zitterte der Kleine an allen Gliedern. Kopf und Hände bewegten sich in einemfort. Immer wieder trachtete er aus der Kapelle zu kommen, und senkte den Kopf sobald man anfing zu beten. Beim Hinausgehen hatte man alle Mühe ihn zurückzuhalten, so schnell wollte er sich entfernen. Welche Furcht, welch Entsetzen muß den Satan ergreifen vor dem Bilde der Himmelsmutter!
Noch einmal versuchten es die Patres, das Kind vom Teufel zu befreien; sie hatten auch diesmal keinen Erfolg. Dann rieten sie den Herren, zur Autorität des Bischofs ihre Zuflucht zu nehmen, der den geeigneten Priester beauftragen solle, die Beschwörung amtlich vorzunehmen. Denselben Rat hatten ihnen bereits die Kapuzinerpater von Dornach bei Basel gegeben. In einem Empfehlungsbriefe, den Pater Lorenz dem Herrn Brey mitgab, bestätigte er den wahren Charakter teuflischer Besessenheit in dem armen Jungen.
Wie glücklich war dieser, die Heimreise antreten zu dürfen. Während der ganzen Reise war er still und ruhig; in Illfurt angekommen, sprach er vierzehn Tage hindurch überhaupt kein Wort.
Am Fronleichnamstag wurden die beiden Knaben in die Kirche geführt. Es wiederholte sich da die nämliche Szene wie in Einsiedeln. Nach dem Gottesdienste nahm sie Herr Tresch mit nach seiner Wohnung. Sie wollten aber durchaus nicht in der Stube bleiben. Da benetzte der Bürgermeister das Türschloß mit Weihwasser. Nun hatten sie keine Lust mehr fortzulaufen. Hierauf führte er sie vor ein Bild der Muttergottes in seinem Schlafzimmer. Aber sie weigerten sich, es anzusehen.
Eines Tages führte Herr Pfarrer Brey die zwei Brüder nach der Kirchhofkapelle Burnkirch spazieren. Die Mutter sowie die beiden Niederbronner Schwestern und der Straßenwärter begleiteten sie. Joseph folgte willig, nicht so der Äelteste. Bei der Illbrücke angekommen, schwangen sich die beiden aufs Brückengeländer und machten Miene ins Wasser zu springen. Man hatte alle Mühe, sie zurückzuhalten und zum Weitergehen zu veranlassen. Bei dem großen Nußbaum in der Nähe der Kirche angelangt, weigerte sich Theobald auch nur einen Schritt weiterzutun. Man mußte ihn mit Gewalt weiterschleppen. Vor der Kirchentüre angelangt, ließ er sich glatt auf die Erde fallen. Das nützte ihm jedoch nichts: man trug ihn kurzerhand in die Kirche hinein. Nach einer Weile beruhigte er sich und verrichtete auch mit Joseph und den andern einige Gebete. So viel Mühe es gekostet, Theobald in die Kirche zu bringen, so leicht war das Scheiden von dem Gotteshause. Die Kinder liefen wie Häslein dem Dorfe zu. Die Begleiter konnten ihnen kaum folgen, solche Eile hatten sie, vom Gotteshause wegzukommen.