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Der Teufel als Prophet.

Aus dem bereits Erzählten geht deutlich hervor, daß der Geist der Hölle genau weiß, was für Dinge sich ereignen in weiter Entfernung, ja selbst in fern gelegenen Ländern. Er ist aber nicht minder in der Weltgeschichte beschlagen und offenbarte oft Dinge, die zeitlich weit zurücklagen und von denen die Zuschauer keinerlei Kenntnis hatten. Ja, noch mehr; er sagte zuweilen Dinge auf Tage und Wochen voraus, die zum Erstaunen aller regelmäßig eintrafen. Als gefallener Engel hat er seine Wissenschaft nicht alle eingebüßt; er weiß mehr als wir Sterbliche nur ahnen.

Oftmals sagte er den Besuchern, die bei ihm eintraten, auf den Kopf zu, was sie Schlechtes angestellt hatten; er warf ihnen die geheimsten Sünden vor, so daß sie vorzogen, im Schnelltempo zu verduften. Ab und zu konnte er sogar predigen. Zu einem Nachbarn sagte er: »Saufbold, der du bist. Warst du nicht dabei, als der Pfaffe gesagt hat, man solle sich nicht volltrinken? Deshalb bist du doch zu N.... gegangen um dich zu betrinken. Du, du bist schuld, daß deine Tochter und dein Vieh krank sind.«

Am Palmsonntag kanzelte er einen anderen Illfurter ab: »Du Saufbruder, hast du nicht gehört, daß der Pfaffe im Schweinestall gesagt hat, man sollte diese Woche in kein Wirtshaus gehen? Du gehorchst net! – Bist du nicht mit dem Bäcker von Flachslanden in der Wirtschaft X.... gewesen und hast Bier getrunken?«

Andere mußten ihren Vorwitz noch bitterer büßen. Bleich und wie vom Blitz getroffen machten sie sich aus dem Staube, denn der Teufel hatte ihnen böse Geheimnisse gemeldet oder schwere Vergehen aus dem früheren Leben vorgehalten, von denen sie glaubten, daß sie niemanden bekannt wären.

Bericht des Herrn Superior Guerber: Der Bürgermeister eines Ortes in der Umgebung von Straßburg sagte einmal zu den Ratsmitgliedern nach einer Gemeinderatssitzung: »Ihr Männer, wer geht am Sonntag mit nach Schiltigheim, den Besessenen zu sehen?« Es meldeten sich etliche. Da bemerkte einer: »Aber höre, Herr Bürgermeister, man sagt, der Teufel könne einem die Wahrheit sagen.« – »Wißt ihr was, ihr Männer,« sprach der Bürgermeister, »morgen ist Samstag. Wir gehen in die Kirche und beichten; dann am Sonntag kommunizieren wir in der Frühmesse; dann kann der Teufel uns nichts vorwerfen.« – Gesagt, getan. Sonntags ging's nach Schiltigheim. Als sie in Saint-Charles die Klingel anzogen, erschien eine Schwester und fragte, was die Herren wünschten. »Wir hätten gern die Besessenen gesehen,« antwortete der Bürgermeister. – »Kommen Sie, meine Herren, ich will sie hinführen.« – Als die Schwester die Zimmertüre geöffnet hatte, rief der Besessene: »Guck einmal da, da ist der Bürgermeister von X...., der 2. Bürgermeister und andere aus dem Gemeinderat. Gelt, ihr habt dem Wetter nicht getraut, daß ihr gestern in die Kirche gegangen seid und den Dreck von eurem Gewissen habt abschaben lassen. Es hat aber einer von euch sein' Sach' nicht gut gemacht. Es hat einmal einer Rüben gestohlen.« Der Mann, den es anging, erschrak so heftig, daß er ausrief: »Ja, ich habe den Leuten das Geld dafür hingelegt.« – Da sprach der Besessene: »Aber die Leute haben das Geld nicht bekommen.« Daraufhin meinte der Bürgermeister: »Kommt, ihr Männer, wir wollen gehen, sonst könnte er mir auch etwas vorhalten.« In einem Nu war die ganze Gesellschaft verduftet. Als die Sache weiter bekannt wurde, brauchte der Rübenschelm für den Spott nicht zu sorgen.

Theobald verkündete mehrmals den Tod einer Person zum voraus. Zwei Stunden vor dem Ableben einer Frau Müller kniete er auf das Bett und machte die Gebärde des Läutens; ein anderes mal machte er eine volle Stunde lang dieselbe Gebärde des Läutens. »Für wen läutest du,« fragte man ihn. – »Für Gregor Kunegel,« antwortete er.

Zufällig war die Tochter dieses Mannes anwesend. Sie erschrak heftig und sagte zum Kleinen:

»Lügner, der du bist, mein Vater ist nicht krank, da er gegenwärtig am Bau vom kleinen Seminar in Zillisheim als Maurer arbeitet.«

»Mag sein,« erwiederte der Knabe; aber er ist soeben abgestürzt. Geh, schau einmal nach.«

So war es auch. Der arme Mann war vom Gerüst abgestürzt und hatte das Genick gebrochen und zwar im selben Augenblick als Theobald läutete. Kein Mensch in Illfurt hatte noch von dem Unglück Kenntnis.

Am Samstag vor dem dritten Fastensonntag sagte er zum voraus, daß andern Tags über vierhundert Fremde nach Illfurt kommen würden, weil die Kunde sich verbreitet hätte, die Kinder wären vom Teufel befreit worden. So geschah es auch. Am Abend zeigte der Satan eine helle Freude und stieß Jubelrufe aus, daß so viele von ihnen um dieser Sache willen den Gottesdienst verfehlt hätten.

Von Dingen, die zwanzig, dreißig, ja hundert Jahre zurücklagen, redete er mit einer Sicherheit und einer Genauigkeit, als ob diese sich in eigener Gegenwart ereignet hätten.

Herr Tresch war im Januar 1869 zum Bürgermeister von Illfurt ernannt worden. Es war noch nicht bekannt im Dorfe, und der Besessene redete ihn schon an mit »Herr Bürgermeister.« Vorher schon hatte der Kleine zu seiner Mutter gesagt: »Ich habe eine so große Wut, daß ich schier ›zerknelle‹. – »Warum denn?« fragte die Mutter. – »Weil der Stinker zum Bürgermeister ernannt worden ist, ich und die Unsrigen vergehen fast vor Zorn.« – Es war dies zur selben Stunde, wo die Ernennung von der Präfektur von Colmar abgesandt wurde.

Als Herr Tresch eintrat, rief der Besessene: »Du bist ein Mann der Kirche, du bist in ›Siedeln‹ (Einsiedeln) gewesen.« – »Du lügst,« erwiderte Herr Tresch, »sag' mir, wo ich war.« – »In Stadt.« – »In welcher Stadt?« – »In Schlett« (Schlettstadt). – Dem war auch so. Und der Kleine sagte weiter: »Du warst auch bei den Lumpensammlern (so nannte er die Kapuziner) und hast ihnen Geld gebracht, um Lumpen zu machen« (heilige Messen lesen zu lassen). – Tatsächlich war Herr Tresch kurz zuvor in Dornach bei Basel im Kapuzinerkloster gewesen und hatte beim Pater Guardian zwei heilige Messen bestellt für die Befreiung der Kinder. Kein Mensch in Illfurt wußte davon, außer Herrn Brobeck, der ihn begleitet hatte.

In einer besonders heftigen Krisis offenbarte er, daß mehrere Geistliche, deren Namen und Pfarreien er nannte, seinetwegen an den Bischof und an die weltliche Behörde geschrieben hätten: »Der Pfaffe von X. und von Z. haben an den großen Pfaffen mit der großen Kappe geschrieben, und der mit der großen Kappe hat nach Mühlhausen Antwort geschrieben wegen »der kleinen Hunde« (die zwei besessenen Knaben). Dann zu einer der Schwestern, die ihn bewachten, gewendet, sagte er weiter: »Und du, Plärrerin, du schläfst keine drei Nächte mehr hier im kleinen Nebenzimmer.« Wie erstaunt waren die Anwesenden, besonders die Schwestern, die von einer Versetzung noch keine Ahnung hatten. Am demselben Abend kam ein Brief vom Kloster, durch welchen beide Schwestern binnen zwei Tagen die Kinder verlassen und nach Mühlhausen zurückkehren sollten.

Einer, den der Satan am meisten auf dem Strich hatte, war Herr Tresch, der Bürgermeister von Illfurt, ein braver, gottesfürchtiger Mann, vom alten Schrot und Korn. Wenn er ihm einen Streich spielen konnte, so unterließ er es sicher nicht.

»Wart nur,« drohte er ihm einmal, »ich werde meine Gesellen zum Pfarrer schicken und ihn so gegen dich aufhetzen, daß du nie mehr dieses Haus betrittst.«

»Ich fürchte deine Drohungen so wenig wie deine ganze höllische Bande,« lautete die Antwort. »Mit der Hilfe Jesu und Maria jage ich euch alle in den Abgrund.«

Als der Bürgermeister, der auch Krämer war, einmal im Keller nachschaute, bemerkte er mit Schrecken, daß ihm ein ganzes Faß Sirup ausgelaufen war. Der Teufel erzählte ihm andern Tags, daß er es getan, und daß er seinen Teil am Sirup bekommen habe, weil Herr Tresch in der Aufregung es unterlassen habe, an die armen Seelen zu denken.

Eines Tages ging Herr Tresch in den Wald, um wilde Rosenstämme zu holen, und sie in seinen Garten zu pflanzen. Er hatte seinen Hofhund bei sich. Am Waldesrand traf er einen Menschen mit unheimlicher Miene, der ebenfalls von einem kleinen schwarzen Hund begleitet war. Am selben Abend, als er die Kinder aufsuchte, rief einer:

»Gelt, du hast heute um diese und diese Stunde am Waldesrand einen Mann mit einem Hund getroffen?«

»Ja. Aber wer hat dir das gesagt?«

»Wer mir das gesagt hat? – Ich war es selbst.«

»Du?«

»Ja, ich!«

»Was tatest du denn daselbst?«

»Ich erwartete dich. Gut Glück, daß du Dreck (einen Rosenkranz) in der Tasche hattest, sonst hätte ich dich verhauen, daß du noch lange daran denken würdest.«

»Und warum das?«

»Weil du dich viel zu viel um die zwei kleinen Hunde bekümmerst. Weil du alles erzählst, was da passiert und du es noch andern Personen schreibst.«

»Dann,« fuhr er fort, »hast du gemerkt, daß dein Hund den meinigen nicht beschnuppert hat?«

»Ja, aber ich hab' mich nicht daran aufgehalten. Welches war die Ursache?«

»Weil mein Hund auch einer von den Unsrigen war. Wenn du acht gegeben hättest, hättest du bemerkt, daß der Mann keine Füße hatte.«

Tatsächlich hatte Herr Tresch diesen Umstand nicht beachtet.

Ein andermal war Herr Tresch abermals mit seinem Hunde in den Wald gegangen, um wilde Rosen zu holen, und wiederum begegnete er einem Manne mit finsterer Miene, der von einem Hund begleitet war. Er grüßte den Fremden, der trocken antwortete. Als der Fremde vorüber war, sah er ihm nach, denn er vermutete in ihm einen Gauner.

Als Herr Tresch am nächsten Morgen vom Schlaf erwachte, verspürte er an beiden Fersen einen heftigen Schmerz, wie wenn er gebissen worden wäre. Es fiel ihm ein, die schmerzenden Stellen mit Weihwasser einzureiben. Bis zum Abend war jeglicher Schmerz verschwunden.

Auch diesmal meldeten ihm die Kinder, daß er ihren Meister angetroffen hätte, und daß der Hund einer ihrer Genossen gewesen wäre.

»Gelt,« sagten sie, »dein Hund hat sich weder dem Mann noch seinem Hunde genähert!« Dem war auch so.

Als Herr Tresch noch ein Knabe von acht bis neun Jahren war, gewahrte er eines Abends auf dem ziemlich abgelegenen Kirchhof eine große Flamme, die auf ihn zukam. Von entsetzlicher Angst betroffen, lief er, so schnell ihn seine Füße tragen konnten, davon. Dieses Jugenderlebnis kam ihm einst in den Sinn, und er fragte nach dessen Bedeutung.

Theobald antwortete: »Das war der Graf (ein adeliger Herr von Illfurt, der, an den Schweif eines Rosses gebunden, über Stock und Stein zu Tode geschleift worden war), der dir zeigen wollte, wohin er sein Geld versteckt hat. Er hat sich auch noch andern gezeigt, aber sie haben auch Angst gehabt wie du. Darum ist dieser Schatz noch am selben Ort, und er wird noch lange daselbst bleiben.«

»Na, weil du weißt, wo er sich befindet, zeig' mir ihn,« meinte der Bürgermeister.

»Das tue ich nicht!«

»Warum nicht?«

»Du würdest alles den Pfaffen bringen, und ihr würdet damit einen großen Schweinestall (Kirche) erbauen lassen. Das will ich nicht,« antwortete der Knabe.

Am 8. Februar 1868 brachte Herr Tresch den Kindern eine Düte sogenannter »Meertrauben«. Er bot sie zuerst Theobald an und befahl ihm, dieselben mit drei Fingern der rechten Hand zum Munde zu führen. Der Satan, auf's höchste erbost, rief: »Es ist nicht notwendig, daß du dem Hund Geißenbollen bringst.«

»Du bist ein Hund,« erwiderte der Bürgermeister, »und nicht Theobald.«

»Gut,« antwortete der Geist der Hölle, »ein andermal werde ich den Arm des Hundes steif machen, daß er nicht mehr essen kann.«

Eine halbe Stunde später begehrte der Junge einige Trauben. Herr Tresch gab ihm welche, aber Theobald konnte sie nicht zum Munde führen, denn sein Arm war steif geworden. Herr Tresch nahm dann die Trauben und versuchte sie ihm in den Mund zu stecken. Aber der Kleine biß die Zähne fest aufeinander. Da befahl er ihm im Namen Jesu den Mund zu öffnen. Alsobald öffnete er den Mund und aß drei Trauben. Darauf sagte er: »Ich habe genug.«

Eines Tages ging Herr Tresch zu den Kindern und traf den Herrn Pfarrer im Hausflur. Herr Tresch trat allein ins Zimmer. Alsobald riefen die Besessenen: »Der Pfaffe ist da, wir sagen nichts.«

Sie hatten den Pfarrer weder sehen noch hören können. Darauf fingen sie an, unsinnig zu springen und zu tanzen. Herr Tresch nahm dann Weihwasser, zeichnete damit ein großes Kreuz auf den Fußboden, an der Stelle, wo sie tanzten und sprach: »So springet jetzt, solange es euch beliebt!« Alsobald flüchtete sich ein jeder in eine andere Ecke.

Herr Tresch bat die Anwesenden, die Kinder wieder in die Mitte des Zimmers zu führen. Es gelang ihnen jedoch nicht. Sie wehrten sich mit Händen und Füßen, schnitten abscheuliche Grimassen und hielten sich an jedem Gegenstand fest; sprangen sogar über das Bett.

Ein andermal brachte Herr Tresch ein kleines Kruzifix mit, um die Besessenen auf die Probe zu stellen. Einer der Knaben hielt eben die Augen geschlossen. Zum Ueberfluß bedeckte sie Herr Tresch noch mit der Hand, damit der Knabe ja nicht sehen könne, was mit ihm vorgenommen würde. Mit der andern Hand legte er das kleine Kruzifix auf dessen Brust: im Nu flog es in die nächste Ecke. Er wiederholte noch etliche Male dasselbe Experiment immer mit demselben Erfolg, bis er mit starker Stimme dem Teufel zurief: »Ich befehle dir im Namen Jesu Christi, daß du das Kruzifix da lassest, wo ich es hinlege!« Darauf legte er es abermals auf die Brust des Kindes, wo es nun ruhig liegen blieb. Gleich darauf erwachte der Knabe, und als man ihn fragte, was er getan habe, antwortete er: »Ich habe geschlafen.«

Einmal sagte der kleine Joseph zu Herrn Tresch: »Ich will dich an eine Begebenheit aus deiner Jugend erinnern. Du gingst einmal in den Wald, um Holz zu hauen. Da kam eine Schlange herangeschlichen.« – »Was hab' ich mit ihr gemacht?« fragte Herr Tresch. – »Du hast sie geköpft, indem du die drei Namen (der heiligen Dreifaltigkeit) anriefst. Und weißt du, daß du einen meiner Trabanten getötet hast? Wenn du ihn nicht umgebracht hättest unter Anrufung der drei Namen, hättest du dich verirrt und wärest nicht mehr aus dem Walde herausgekommen.« – Herr Tresch erinnerte sich dessen noch ganz genau.

Manchmal erzählte der Besessene noch Begebenheiten aus den Anfängen der Menschheit, genau wie die heilige Schrift sie berichtet, und sagte, daß er bei der Verführung der Stammeltern sowie beim Untergang von Sodoma und Gomorrha zugegen war: »Du brauchtest nicht zu plärren (beten) und durchs Gitter zu blasen (beichten), wenn ich nicht einen Apfel für Eva gepflückt hätte.«

Auch von den alten Zeiten redete er zuweilen: »Im Schwedenkrieg,« sagte er einmal, »wurde der alte Schweinestall (die Burnkirche auf dem Gottesacker) nicht zerstört, aber der Pfaffe wurde daselbst am Altar getötet, während er die Monstranz in der Hand hielt. Alsdann wollte ein Soldat der großen Dame den Kopf abschlagen, aber er konnte es nicht, er fiel rittlings (rücklings) herunter und krepierte. Ich habe ihn mitgenommen nebst vielen andern. Die große Dame leidet nicht, daß man etwas im Schweinestall stehle.« Er erzählte noch manches von schauerlichen Verbrechen, die in früheren Zeiten in Illfurt verübt worden waren.

Dokument Spies: Es war am 12. März 1868. Herr Tresch befand sich wieder einmal bei den Kindern, die ziemlich ruhig waren. Plötzlich stellte sich der Böse abermals ein: »Hier bin ich!« rief er mit unheimlich heiserer Männerstimme. – »Wo kommst du her?« fragte Herr Tresch. – »Vom Garell.« – »Wer ist das?« – »Ein Buchbinder.« – »Von wo?« – »Er ist von da, wo die zwei her sind, die manchmal zu dir kommen.« – »Was für zwei?« – »Der Große und der Alte.« – »Wie heißen sie?« – »Der Canisi. (Herr Spies.) Vom andern (Herrn Martinot) weiß ich den Namen nicht, er ekelt mich.« – »Was hast du beim Buchbinder gemacht?« – »Ich habe den ganzen Tag bei ihm zugebracht. Er hat ein schönes Buch eingebunden, in welchem er gern gelesen hat. Das hat mich gefreut, und ich bin den ganzen Tag an seiner Seite geblieben.«

»Wohnt er weit vom Großen?« – »Nein, nur einige Häuser weit.« – »Gehst du nicht auch zum Großen?« – »Nein, die Türe ist zu niedrig, als daß ich hineingelangen könnte.« – »Was ängstigt dich noch beim Großen?« – »Die große Dame, die außen angebracht ist.« – »Und der Alte, was machst du mit ihm?« – »Ich will nichts von ihm wissen, er ekelt mich zu sehr.« – »Gehst du nicht auch zu ihm?« – »Nein, er trägt etwas Rundes, das mich verhindert, zu ihm zu gehen.« – »Ist's nicht das Kreuz, das du schon einmal hier gesehen hast?« – »Nein, es ist etwas, das der Pfaffe in die Höhe hält, und das würde mich stechen, wenn ich zu ihm ginge.« – Es war dies eine Reliquie vom heiligen Kreuz in einer silbernen, kreuzförmigen Kapsel.

Als Herr Spies von Herrn Tresch den Bericht über diese Unterredung erhielt, ging er sofort zu Herrn Garell, der ebenfalls in der Rittergasse in nächster Nähe wohnte, und fragte ihn, ob er nicht an dem und dem Tage ein Buch eingebunden habe, in dem er gelesen habe. Herr Garell, der sich dessen nicht mehr genau erinnerte, sah im Register nach und meldete, daß er tatsächlich am betreffenden Tage für den Pastor von Schlettstadt eine protestantische Bibel eingebunden habe, in der er gelesen habe. Da zeigte ihm der Besucher den Brief aus Illfurt. Wie vom Blitze getroffen, rief er: »Wie kommt es, daß sich der Teufel um mich kümmert?« Herr Martinot, der Herrn Spies begleitete, antwortete ihm, daß es nicht zum Verwundern sei, da ja der Glaube lehrt, daß der Teufel wie ein brüllender Löwe um uns herumgehe, zu sehen, wen er verschlinge. Darauf erzählte er ihm noch weiteres über die Natur der höllischen Geister und ihren unheimlichen Einfluß auf die Geschicke der Menschen.

Herr Garell drückte Herrn Martinot sein höchstes Erstaunen aus. »Sie können die Tatsache erzählen,« schloß er, »aber verschweigen Sie meinen Namen.«

Herr Garell aber konnte nicht anders und erzählte die ganze Geschichte seiner Familie, ohne zu beachten, daß auch die Kinder zuhörten. Diese erzählten dann ihrerseits den Schulkameraden, was sich bei Papa zugetragen. Selbstverständlich wußte binnen 24 Stunden die ganze Stadt, daß der Teufel bei Garell gewesen sei, und daß derselbe in Illfurt droben alles, was er gemacht hat, erzählt habe. Das erbitterte den Buchbinder heftig, und ganz vergessend, daß er die Sache selbst ausgeplaudert, und in der Meinung, Herr Martinot habe ihn verraten, eilte er zum kaiserlichen Staatsanwalt, um Klage zu erheben. Dieser ließ Herrn Martinot kommen, welcher sich jedoch leicht rechtfertigen konnte, und in wenigen Minuten war die Angelegenheit aufgeklärt.

Auch aus seiner politischen Gesinnung machte der Teufel kein Hehl. Er war dem Kaiser Napoleon III. nicht hold, wohl deshalb, weil derselbe mit dem Heiligen Vater, dem Papste, auf gutem Fuße stand. Der Teufel offenbarte sich dagegen wiederholt als überzeugter Republikaner; denn oftmals rief er den eintretenden Besuchern zu: »Liberté, Egalité, Fraternité; République Française!« – »Du bist ein Narr und verstehst nicht was du sagst. Warum rufst du so?« fragte ihn Herr Spies. – »O doch verstehe ich es,« antwortete er: »Es lebe die Liberté, Egalité, Fraternité (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit). Das ist eine günstige Zeit für unsereiner.«

Am 24. Juli 1798 war der von Illfurt gebürtige, überaus seeleneifrige Hochw. Herr Johann Bochelen, Vikar von Niedersept, vom Colmarer Revolutionsgericht, angeblich wegen Uebertretung des Auswanderungsgesetzes, eigentlich aus Haß gegen die Religion, zum Tode verurteilt und am Abend desselben Tages in der Sandgrube außerhalb der Stadt erschossen worden. Die Gegenstände, die dem Glaubensbekenner gehört hatten, wurden von seinen Freunden wie heilige Reliquien aufbewahrt. Das blutige Hemd blieb in der Familie Bochelen. Da entstand am 28. Juni 1842 in Illfurt eine gewaltige Feuersbrunst, welche mehrere Häuser, auch eines der obengenannten Familie, in Schutt und Asche legte. Es konnte jedoch der Behälter mit dem Kelche, den Briefen, Brevieren u. a. m., welche einst dem Vikar gehört hatten, gerettet werden. Nur ein Wertstück war dabei durch Diebstahl abhanden gekommen: das blutige Hemd des Märtyrers.

Alle Nachforschungen nach dem Verbleib dieses Hemdes waren vergeblich. Da fragte einmal Professor Lachemann den Knaben Theobald: »Sag mal, kennst du auch Bochelen?« – »Red mir nicht von diesem ›Ritter-Stritter‹,« antwortete der Besessene. »Ich will nichts von ihm wissen. In 30 Jahren von jetzt an wird man genug von ihm reden, wenn man ihn ausgräbt.«

Tatsächlich erschien 30 Jahre später, anno 1897, das von Herrn Pfarrer Soltner, Breys Nachfolger, verfaßte Buch: »Johann Bochelen, der letzte elsässische Märtyrer der großen Revolution«, wodurch sein Andenken der Vergessenheit entrissen und seine Tugenden aufs neue verherrlicht wurden. Ebenso wurde dem edlen Glaubensbekenner vor dem neuen Pfarrhause ein herrliches Denkmal errichtet, auf welchem im Kupfermedaillon des Sockels die Szene der Erschießung verewigt wurde.

Einige Tage nach dem Besuche des Professors Lachemann fragte ein Enkel der Familie Bochelens denselben besessenen Knaben: »Theobald, wo ist das Hemd von Bochelen hingekommen?« – »Halt's Maul davon,« schrie er, »ein braver Bub (brav nach des Teufels Ansicht) hat es (beim Brand) gestohlen, sonst hätte man später ›Heldenbüchsen‹ (Reliquienkapseln) daraus gemacht.« Pfarrarchiv Illfurt


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