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Gerhard schritt in seinem Zimmer hin und wieder, in tiefer Erregung über das soeben Erlebte und in hohem Grade unzufrieden mit sich selbst. Er hätte die tolle Beichte der schönen Frau nicht so lange anhören dürfen! War er durch seine Nachgiebigkeit nicht schuld, daß es zu der wahnsinnigen Liebeserklärung und der verfänglichen Situation kam? und nun zuletzt zu der abscheulichen Szene mit dem eifersüchtigen Gatten, den er doch auch mit hatte betrügen helfen, indem er auf Juliens Lüge einging? Er hatte offenbar in dem letzten Punkte nicht anders handeln können; aber von der widerwärtigen notwendigen Konsequenz mußte er den Rückschluß machen, wie schief es um das stand, was vorhergegangen.
»Und jetzt hast du es dir zuzuschreiben«, sprach er bei sich, »wenn du Ediths und deines Herzens Wunsch, zu dem Manne zu stehen, nicht ausführen könntest, wäre er der Hilfe auch noch so würdig. Hier ist deines Bleibens nicht mehr.«
Ein schneller Schritt dröhnte über den Flur. Gerhard pochte das Herz; kam er als Freund oder Feind? Und da, wie an jenem ersten Nachmittage, stand die mächtige Gestalt auf der Schwelle, den Rahmen der Tür beinahe ausfüllend.
»Ich bitte Sie um Verzeihung!«
Er war auf Gerhard zugetreten, ihm die breite Hand weit entgegenstreckend, in die jener zögernd die seine legte.
»Es bedarf dessen für mich nicht«, sagte Gerhard.
»Aber für mich! oder sollen die da Verständigung zwischen uns vermitteln?«
Er wies auf die Pistolen, die noch, wie Gerhard sie vorhin bereitgehalten, auf dem Tische lagen.
»Sie sollten mir beistehen, Ihr Hausrecht zu wahren«, erwiderte Gerhard; »es tut mir weh, daß Sie auch nur einen Augenblick glauben konnten, die Ehre Ihres Hauses sei mir weniger heilig.«
»Und eben deshalb bin ich Ihrer Verzeihung bedürftig; kommen Sie! lassen Sie uns wieder Freunde sein; ich bedarf wahrlich eines Freundes.«
Er hatte sich, nachdem er Gerhard nochmals die Hand gedrückt, in die Ecke des Sofas geworfen. Der Schein der Lampe fiel hell in sein Gesicht, dem Wind und Wetter, Mangel des Schlafes, Sorge, Leidenschaft übel mitgespielt. Das feuchte blonde Haar hing ihm in Zotteln über die gefurchte Stirn, die Säcke unter den Augen waren schwer und dunkel; der vierzigjährige Mann sah wie ein Sechziger aus.
Gerhard hatte die Pistolen in den Kasten gelegt, den er zuklappte, und, Herrn Zempin gegenüber, sich einen Stuhl an den Tisch gerückt. Er gab, um womöglich allen weiteren Erörterungen über die eben stattgehabte Szene auszuweichen, eine ausführliche Relation der Ereignisse des Tages; Miene und Blick Herrn Zempins verrieten, daß er nur mit geteilter Aufmerksamkeit zuhörte.
»Sehr gut! sehr gut!« sagte er, Gerhard bei der ersten Pause unterbrechend; »ich bin Ihnen zu großem Danke verpflichtet. Diese verfluchten Kerls! habe ich Ihnen nicht prophezeit, daß Sie mit dem Gesindel anders umspringen würden, bevor Sie ein paar Wochen in Kantzow älter geworden? Humanität ist ein schönes Ding, wo sie hingehört; behandeln Sie aber einen Gaul wie einen Menschen, wird der Gaul Sie bald genug unter den Beinen haben. Ich kann aus Erfahrung sprechen: ich habe das Experiment gemacht; es ist mir schlecht bekommen. Ja, ja, mein Lieber: ich bin aus dem Sattel und nicht ganz sicher, wieder hineinzukommen. Im bürgerlichen Leben nennt man es einen Bankrott. Das scheint Sie nicht zu überraschen? aber freilich, die freundnachbarlichen Zungen sind sehr geschäftig gewesen während der letzten Zeit, und der Herr Graf, der, wie ich höre, Ihnen eine stundenlange Visite gemacht, hat ja schon vor dem Wolfe geschrien, bevor er kam. Er war auch heute in Zarnewitz, die Kirchenbücher zu studieren, ob da etwa unter anderen Kuriosis verzeichnet steht, daß Bankrottmachen eine Zempinsche Familienangewohnheit.«
Er lachte überlaut und brach plötzlich ab – er hatte offenbar vergessen, daß er lachte.
»Ich hoffe, Sie sehen Ihre Angelegenheiten viel zu düster an«, begann Gerhard nach einer unheimlichen Pause; »wenn ich auch leider, daß Sie momentan in Verlegenheit sind, weiß, weniger durch das Gerede der Nachbarn, als durch diesen Brief, den ich vor drei Tagen zwischen den Akten fand und Ihnen zuzustellen bis zu diesem Augenblicke keine Gelegenheit hatte.«
Er nahm aus seinem Portefeuille das ominöse Schreiben des Advokaten; Zempin warf einen flüchtigen Blick darauf, bevor er es in die Tasche steckte.
»Das ist noch nicht das Schlimmste«, sagte er, »Wir werden morgen Schlimmeres hören.«
»Weshalb morgen?«
»Ich bin auf den Gedanken gekommen, ob es nicht zweckmäßig wäre, bevor die Sache sich nicht mehr vertuschen läßt, eine gemeinschaftliche Besprechung meiner Gläubiger zu arrangieren. Ich habe vorgestern Zinker gebeten, die Verhandlungen zu leiten, und finde unten einen Brief, wo er mir schreibt, er könne, wie die Dinge jetzt lägen, die Notwendigkeit einer Zusammenkunft nicht recht begreifen. Doch wolle er für sein Teil kommen, da er sowieso in der Gegend zu tun habe. Recht höflich von dem Kerl, der Tausende von mir verdient hat! Nun, Deep hat die anderen zusammentrommeln müssen, und so werden Sie morgen in Retzow Gelegenheit haben, eine lange Galerie von Spitzbubengesichtern kennen zu lernen.«
»In Retzow?«
»Retzow ist so hübsch abgelegen, und Vadder Deep plaudert nicht.«
Gerhard erschrak. Da tauchte schon wieder die unheimliche Gestalt des Mannes auf, der nicht plauderte, mit dem man alles besprechen zu dürfen glaubte, mit dem man auf dem abgelegenen Retzow nur schon zu vieles Bedenkliche besprochen hatte, wenn anders Juliens Verdacht begründet war. Und wenn er es war – und Gerhard zweifelte jetzt nicht mehr daran – so würde es doppelt schwer halten, ihn vor dem Menschen zu warnen, der sich in sein Vertrauen eingenistet seit so langer Zeit, und das Vertrauen sicher zu seinen schändlichen Zwecken mißbraucht hatte, wie alles, woran er die schnöden Hände legen konnte. Und doch, es mußte geschehen!
Aber bevor Gerhard das rechte erste Wort gefunden, fuhr Zempin fort:
»Ich denke, Sie werden meinen Plan billigen. Vielleicht ist die Geschichte nicht ganz so schlimm, wie sie aussieht, und man weiß doch wenigstens, woran man ist. Für heute will ich Sie nicht mit den Einzelheiten behelligen, das wäre zu umständlich und langweilig. Überdies werden Sie alles morgen zu hören bekommen, denn ich rechne mit Sicherheit darauf, daß Sie mir mit Ihrem Rate zur Seite stehen, um so mehr, als Zinker, außerdem daß er der größte Grobian, auch noch der größte Esel ist, der existiert. Und nun lassen Sie uns von etwas anderem sprechen!«
Der Versuch des Mannes, in den unbefangenen Plauderton zu fallen, in dem er bis jetzt mit seinem jüngeren Freunde noch stets verkehrt, mißlang völlig. Ja, seine Stimme klang unsicher und dumpfer, als er, ohne den starren Blick zu verändern, sofort weiter fragte:
»Ihnen hat Klempe nicht gesagt, daß er nicht wiederkommen wolle?«
»Ich würde Ihnen das mitgeteilt haben«, erwiderte Gerhard; »übrigens haben Herr Klempe und ich keineswegs die Gewohnheit gegenseitiger Konfidenzen.«
»Als ob Sie mir das zu sagen brauchten! was hätte der vornehme Mann mit dem Urplebejer zu schaffen? Indessen der Klempe pflegt zu schwatzen – da hätte auch das mit unterlaufen können. Und mir läge sehr viel daran, Gewißheit zu haben. Die Möglichkeit, daß der Mensch – die Sache ist, ich erwarte von ihm einen großen Dienst, den er natürlich nicht umsonst tun soll, für den ich ihm aber leider in diesem Augenblicke den ausbedungenen großen, sehr großen Preis nicht zahlen kann, so daß ich fürchten muß, er kündigt mir den Handel wirklich, wie er mir heute in Grünwald, von wo ich eben komme, angedroht. Er war freilich im halben Delirium, aber das hindert Säufer nicht, ihre wahre Absicht auszusprechen – im Gegenteil! – Sie wissen nicht, welchen Dienst mir der Mensch leisten soll?«
Die schweren Lider zuckten, aber hoben sich nicht; die Stimme war noch dumpfer und heiserer geworden.
»Ich wollte es nicht glauben«, erwiderte Gerhard, »bis ich es von Ihnen bestätigt hörte; ich gestehe, ich hoffte, das werde nimmer geschehen.«
»Ich möchte auch, ich brauchte es nicht zu bestätigen«, sagte Zempin mit einem ärgerlichen Stöhnen, »aber das Unglück ist nun leider geschehen und würde wahrhaftig dadurch nicht kleiner werden, daß man die Hände in den Schoß legte und nicht vielmehr der Sache die möglichst schickliche Wendung zu geben suchte. Ich verkehrte, als ich in Heidelberg studierte, viel mit dem Fürsten Prora und bin hernach noch jahrelang mit ihm in Korrespondenz geblieben. Er machte es und macht es bis auf den heutigen Tag nie anders: die Hälfte seiner Förster, Wirtschafter und so weiter ist mit Mätressen von ihm verheiratet. Was ist auch daran Besonderes oder gar Verfängliches? Diese Leute nehmen es in der Regel nicht so genau –«
»Nur daß Sie leider, wie es scheint, es dieses Mal mit einer Ausnahme zu tun haben«, unterbrach ihn Gerhard.
Nun hoben sich doch die Augen des Mannes zu einem schnellen, finsteren Blicke, aber Gerhard wollte auch nicht eine Minute lang den Glauben erwecken, als ob er den schnöden Handel billige.
»Oder vielmehr, ich bin davon überzeugt«, fuhr er fort, »und davon, daß das Mädchen tausendmal zu gut ist für ein Leben voll Elend und Schande, wie es ihr der rohe Trunkenbold bereiten würde«.
»Sie nehmen die Sache auch gleich gar zu tragisch«, sagte Herr Zempin, den gewaltigen Kopf unmutig schüttelnd; – »mein Gott, ich hätte ihr gern einen Besseren ausgesucht, wenn ich das Aussuchen gehabt hätte. Was wollen Sie? ich hätte die süße Dirne selbst geheiratet, wenn ich nicht zufälligerweise schon verheiratet wäre.«
Gerhard zuckte zusammen; das waren dieselben Worte, die Julie vorhin dem Manne in den Mund gelegt! Sie kannte ihn besser, als er geglaubt!
»Man pflegt die Ehe sonst nicht den Zufälligkeiten beizuzählen«, sagte er.
»Nun denn, unglücklicherweise!« rief Herr Zempin. »Weshalb soll ich nicht aussprechen, was Sie längst schon wissen: diese Ehe ist ein Unglück für mich; sie ist die Quelle all meines Unglücks. Ich bedurfte einer Frau, die durch Liebe, Güte, Milde, Umsicht mein wildes Herz gebändigt, die durch Einfachheit, Sparsamkeit meine kostspieligen Gewohnheiten auf das Maß zurückgeführt, mich aufgefordert hätte, Ordnung in meine zerrütteten Finanzen zu bringen. Und nun diese – diese, die von alledem das Gegenteil tut! die –«
»Nicht weiter! ich bitte Sie!« rief Gerhard.
Des Mannes Blick lag finster und forschend auf Gerhard.
»Hat sie Ihnen auch schon das alte Sirenenlied gesungen von dem Knospenherzen, das nur der Liebessonne bedurft hätte, sich zu öffnen – und so weiter! und so weiter! Ich bitte Sie, lieber Freund, verschonen Sie mich damit! Sie sehen, ich kann es auswendig.«
Das war nun wieder dasselbe Bild, wenn auch in anderer Beleuchtung, das Julie vorhin von sich entworfen! Eine schauerliche Empfindung bemächtigte sich Gerhards. War's doch gerade, als ob vor zwei sich gegenüberhängenden Spiegeln ein Mensch dem anderen eine höhnische Fratze macht, und die Zerrbilder ins Endlose eines das andere anstarren. Dies war kein gegenseitigem, für beide Teile schmerzliches Mißverstehen mehr; man wollte sich nicht verstehen, nicht verständigen. Und so würde auch jedes deiner Worte vergeblich sein, sprach Gerhard bei sich, und wenn du mit Engelzungen redetest. Und doch! und doch! hatte er sich nicht selbst, hatte er nicht Edith versprochen, zu dem Manne zu stehen? und war es nicht ein Jammer, daß dieser Mann – so reich begabt, so entschieden das Mittelmaß der Menge in jeder Beziehung überragend – nicht imstande sein sollte, das Schiff seines Glückes vor dem jämmerlichsten Untergange zu bewahren?
An das trotzige Herz des Mannes sich zu wenden, war wohl vergeblich; aber so ganz konnte ihm die Leidenschaft den scharfen Verstand nicht umnebelt haben, daß er die Untiefe nicht sehen sollte, wenn man nur mit fester Hand darauf hinwies – die schlammige Untiefe, die sich Vadder Deep nannte.
Gerhard war aufgestanden und ein paarmal durch das Zimmer geschritten; jetzt trat er wieder an den Tisch.
»Sie sind in einer trüben Stimmung«, sagte er, »welche nach den bösen Tagen, die Sie durchlebt haben, nur zu begreiflich ist; ich selbst bin schmerzlich aufgeregt und erschöpft zugleich: ich würde Sie bitten, diese Unterredung abzubrechen, nur daß mir etwas auf der Seele lastet, das ich nur schon zu lange getragen habe und nach den schlimmen Mitteilungen, die Sie mir soeben über ihre Situation gemacht, nicht länger tragen mag und darf, auf die Gefahr hin, von Ihnen ein Phantast gescholten zu werden, oder Sie gar empfindlich zu kränken. Ich muß mit Ihnen von Herrn Deep sprechen.«
Herr Zempin machte eine unwillkürliche Bewegung, aber Gerhard ließ ihm keine Zeit zu einer Erwiderung, sondern gab in kurzen Zügen das Bild des unheimlichen Menschen, wie es sich ihm von der ersten Begegnung aus unsicheren Umrissen im Verlaufe der Zeit immer deutlicher und immer widerwärtiger und immer häßlicher und bedrohlicher gestaltet hatte.
»Ich würde nicht begreifen«, rief er, »wie die unvereinbaren Widersprüche zwischen Erscheinen und Benehmen und Tun und Handeln des Mannes nicht Ihnen, nicht allen längst aufgefallen und offenbar sind, wenn ich nicht bedächte, daß die ungeheuerlichsten Erscheinungen gerade den Menschen, die tagtäglich mit denselben verkehren, als völlig normal gelten; und sodann: daß der Mann vermutlich mit klügster Berechnung seine Rolle so viele Jahre hindurch gespielt und, von Unverfänglichem oder doch scheinbar Unverfänglichem ausgehend und mehr und immer mehr wagend, Sie und alle zuletzt an das Außerordentlichste gewöhnt hat. Oder ist es nicht das Außerordentlichste, wenn man sieht, wie dieser Mann, der mehr als halb blödsinnig zu sein scheint, bis in das kleinste Detail hinein den völligsten Überblick über alles hat, was hier in Kosenow und, ich bin überzeugt, in der ganzen Nachbarschaft sich ereignet – ich meine: nicht bloß in wirtschaftlichen Dingen, sondern in den Familien, ich möchte sagen, im Herzen jedes einzelnen? wie jeder ihn zum Vertrauten hat, damit es ihm doch ja recht leicht wird, einen um den anderen und an den anderen zu verraten? wie er jetzt Herrn Sallentins Klagen über Sie geduldig zuhört und Ihnen eine Minute später bestätigt, daß Sie alle Ursache haben, Herrn Sallentin nicht zu trauen, ohne daß Sie, der kluge, scharfsichtige Mann, auch nur einmal auf den Gedanken kommen, ob es denn nicht für Sie gefährlich sei, diesem Vertrauten von Freund und Feind so unbedingtes Vertrauen zu schenken? Und daß Ihr Vertrauen auf Tritt und Schritt von dem Manne verraten wird, das ist es eben, was ich längst fürchte, was mir der heutige Tage abermals bewiesen hat; denn die Emeute der Leute ist von Vadder Deep und seinem Helfershelfer, Jochen Schnut, angezettelt, um Sie in den Augen Ihrer Nachbarn zu diskreditieren. Und so könnte ich Ihnen eine ganze Reihe von Beweisen liefern, wenn es mich hier nicht zu weit führen würde, und wenn ich nicht der Überzeugung wäre, daß der, welcher Sie im kleinen so frech und systematisch bestiehlt, belügt und betrügt, es bereits auch längst im großen getan hat. Und die Gelegenheit, die ihm Kantzow etwa nicht bietet, seine Diebesgelüste zu befriedigen, sucht er und findet er in Kosenow.«
Und Gerhard teilte nun, ohne mit irgend etwas zurückzuhalten, die Beobachtungen mit, die Edith gemacht; die Sorge Ediths, daß ihr Vater jahre- und jahrelang auf das schamloseste von Vadder Deep betrogen und ausgeplündert sei in einem Umfange, der sich eben leider nicht übersehen lasse, vielleicht aber die schlimmsten Befürchtungen noch überträfe.
Gerhard hatte mit Eifer, ja mit einer Leidenschaft gesprochen, die gerade durch den Zwang, den er sich auferlegen mußte, nur noch stärker angeschürt wurde. Durfte er doch, daß Deep den Vertrauensvollen an die eigene Gattin verraten, und nun gar den gräßlichen Verdacht, den er gegen den unheimlichen Menschen hegte, nicht einmal andeuten, geschweige denn aussprechen!
Herr Zempin hatte, wie unwillig auch immer im Anfang, hernach doch mit sichtbar steigendem Interesse zugehört, das zuletzt, als Gerhard von den Kosenower Verhältnissen zu sprechen begann, das deutliche Gepräge der Überraschung, des Staunens, der Bestürzung annahm. Dennoch schüttelte er, als Gerhard nun schwieg, das mächtige Haupt und sagte mit dem Lächeln der Überlegenheit:
»Aus allem, was Sie da so beredt und warm vorgebracht, habe ich nur den Schluß gezogen, daß Sie ein ebenso ausgezeichneter Jurist geworden wären, wie Sie ein vorzüglicher Landmann sind. Der Tausend! ich möchte wahrhaftig nicht Ihnen gegenüber auf der Bank der Angeklagten sitzen! Sie könnten mit Ihrer Suade und dialektischen Gewandtheit einen Engel zur Verurteilung bringen, geschweige einen armen sündigen Menschen, der meinetwegen Vadder Deep sein mag. Ich bin ja auch nicht so blind, nicht zu sehen, daß der alte Schlingel mich hier und da rechtschaffen betrügt; aber was wollen Sie? man soll dem Ochsen und so weiter – und das geduldige, plattfüßige Tier hat manchen ehrlichen Scheffel Korn für mich ausgedroschen. Und was er mir im kleinen stiehlt, bringt er mir im großen wieder ein. Retzow, kann ich Ihnen sagen, hat mir im Laufe der Jahre stattliche Summen abgeworfen – es ist mein Eldorado, während Kosenow im besten Falle ein – sehr unsicheres Terrain ist.«
»Und die Summen, die Sie aus Retzow bezogen haben, stimmen mit den Rechnungsbüchern?« fragte Gerhard.
»Nun freilich! Das heißt, offengestanden, ich habe mich während der letzten sechs Jahre oder so kaum noch darum gekümmert; aber woher sollte denn der Alte das Geld nehmen, wenn nicht aus Retzow?«
»Aus Retzow wohl, aber vielleicht nicht aus der Wirtschafts-, sondern aus seiner eigenen Kasse. Ich habe auf Ihrem Bureau Quittungen gesehen, worin Sie Herrn Deep den Empfang von großen Summen einfach bestätigen, ohne daß erwähnt gewesen wäre, auf welches Konto diese Summen gehörten.«
»Mein Gott!« rief Zempin heftig; »auf welches Konto denn, als auf das meines Anteils an Retzow, das vielleicht um ein paar hundert oder tausend – aber das wäre wieder unmöglich, wenn meines Bruders Verhältnisse so schlecht stünden, da es doch immer nur ein Vorschuß auf dessen Konto sein könnte. – Nein, nein, lieber Freund, glauben Sie mir, das sind Hirngespinste, ist eitel Schwarzseherei, ist ein Ausfluß des Stückchens Hamletnatur, das Ihrem sonst so gesunden Wesen beigemischt ist und Ihren Taten des Gedankens Blässe ankränkelt. Sonst wäre es nicht möglich, was mir die Basselitz gestern in der Eile als sicher mitgeteilt hat, daß Lafing nun doch über Sie den Sieg davongetragen. Das durfte nicht sein – verzeihen Sie mir: einem Lafing Basselitz durfte ein Vacha nicht das Feld räumen. Sie haben Ihr Licht unter den Scheffel gestellt, und meines wird nun infolgedessen morgen ein bös Teil dunkler brennen; ich hatte mir viel von der Wirkung versprochen, wenn ich den Herren in meinem besten Freunde den Schwiegersohn meines Bruders präsentiere. Pah, Mann, lassen Sie deshalb den Kopf nicht hängen! Wer wird ›auf Weibertreue bau'n, beweglich wie die Well'!‹ Die Weiber sind – eben Weiber; man kann ohne sie nicht leben, wie man ohne die Luft nicht leben kann; soll man deshalb für jeden vollen Atemzug dankbar sein? Wenn die Götter von mir Dankbarkeit wollten, hätten sie mich sollen als ein Deep geboren werden lassen: dann würde ich mich durch das Leben gedrückt und gebückt und gelogen und getrogen und jeden Fußtritt der Menschen und des Schicksals geduldig hingenommen haben. Nun aber bin ich – Gott sein Dank – meines Vaters Sohn! ›Es sprießt der Stamm der Riesen aus Bauernmark hervor!‹ wie oft habe ich dieser Worte Chamissos denken müssen. Nun, und Riesen sind trotzig, sie wollen auch einmal an der Tafel der Götter in Nektar und Ambrosia schwelgen, auf die Gefahr hin, daß die Neidischen sie in den Tartarus schleudern. Da würde ich dann wohl mit Ihrem Großvater mich zusammenfinden, der mir fortwährend vor der Seele steht, seitdem Sie mir neulich von ihm erzählt: Bauernmark und Rittermark – Titanenblut beide! Das ist ein unbequemes Blut, mein Lieber! ich gebe es zu; und nicht am wenigsten für die, in deren Adern es rollt. Aber wir müssen eben leben, wie wir geboren werden, und tun's auch, solange es geht. Und geht's nicht mehr, so mag's eben zu Ende gehen, und je schneller, je besser. – Gute Nacht! auf Wiedersehen morgen!«
Die Stelle war leer, wo der Gewaltige gestanden; das stille Zimmer dröhnte nicht mehr von seiner mächtigen Stimme. Dennoch glaubte Gerhard noch immer die Riesengestalt zu sehen, die dröhnende Stimme zu hören. –
Und dann kamen ihm die Verse Iphigeniens in den Sinn von den Männern aus Tantalus' Geschlecht, deren gewisses Erbteil die gewaltige Brust und das kraftvolle Mark der Titanen war, aber denen der Gott um die Stirn ein ehern Band schmiedete, und deren scheuem, düsterem Blicke er Rat und Mäßigung und Weisheit und Geduld verbarg.