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Doctor Willibrod und ich hatten gehofft, daß die lästige Einquartierung, welche des Direktors Haus seit mehreren Tagen beherbergte, nachdem der Zweck erreicht war, abziehen werde, aber unsere Hoffnung sollte nur zum Theil in Erfüllung gehen.
Ich wünsche nicht in Gesellschaft eines Mannes zu reisen, der mich zu einem Bettler gemacht hat, sagte der Steuerrath.
Papperlapapp, sagte der Commerzienrath, der am Nachmittage, schon im Reise-Anzuge, in mein Bureau gekommen war, eigens um von mir Abschied zu nehmen; er ist sein Lebenlang ein Bettler gewesen, und wollen Sie es glauben? Vor fünf Minuten hat er mich schon wieder angebettelt, er habe das Geld zur Rückreise nicht, ich solle ihm hundert Thaler vorschießen. Ich habe sie ihm gegeben, ich werde sie nie wieder zu sehen bekommen. A propos! Sie – großgeschrieben – man kann Sie nicht anders als groß schreiben – Sie muß ich aber wieder zu sehen bekommen. Wahrhaftig, Sie gefallen mir mit jedem Male besser, Sie sind ein Capitalmensch!
Sie würden wenig Capital aus mir machen, Herr Commerzienrath.
Capital machen? Sehr gut! sagte der sanguinische alte Herr und stieß mich in die Seite, wollen sehen, wollen sehen! Ihr erster Gang, wenn Sie wieder frei sind, muß zu mir sein. Werde schon für Sie Rath schaffen; habe alles Mögliche – hier drückte der Commerzienrath die Augen ein – mit meinem Gute vor: Branntweinbrennerei, Ziegelbrennerei, Torfgräberei, Holzschneidemühle – will Sie schon unterbringen. Wie lange haben Sie noch zu sitzen?
Noch sechs Jahre.
Der Commerzienrath blies die Backen auf. Puh! das ist verzweifelt lange. Kann ich denn nichts für Sie thun? Gelte etwas da oben! Immediat-Eingabe? he?
Ich bin Ihnen sehr verbunden, verspreche mir aber keinen Erfolg von Ihren Bemühungen.
Schade, schade! hätte Ihnen gern meine Erkenntlichkeit bewiesen. Sie haben mir heute wirklich einen großen Dienst geleistet. Der Mensch hätte mir noch viel Chicanen machen können. Wie wär's denn mit einer kleinen Subvention? Sprechen Sie sich frei aus! Ich bin ein Geschäftsmann, auf so ein hundert Thälerchen kommt es mir nicht an.
Wenn wir als gute Freunde scheiden wollen, kein Wort mehr davon, sagte ich ernst.
Der Commerzienrath schob das dicke Portefeuille, das er bereits halb aus der Tasche genommen hatte, schnell zurück und knöpfte zur größeren Sicherheit einen der goldenen Knöpfe seines blauen Frackes darüber.
Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. So kommen Sie wenigstens und sagen Sie meiner Hermine Adieu! Ich glaube, das Mädel würde nicht abfahren, wenn Sie nicht an den Wagen kämen. Oder wollen Sie das auch nicht?
Gewiß will ich es, sagte ich, und folgte dem Commerzienrath auf den Platz vor dem Hause, wo bereits die ganze Familie um den großen neuen Reisewagen des Millionärs versammelt war.
Während er in seiner prahlerischen Weise die Bequemlichkeit des Wagens und die Schönheit der beiden schwerfälligen braunen Pferde pries, die sich mit den langen Schweifen lässig die Weichen wedelten, und zwischendurch von den Anwesenden mit plumpen Bücklingen und plumpen Phrasen sich verabschiedete, flatterte Hermine von Einem zum Andern, lachend, neckend, tollend um die Wette mit ihrer Zerline, die fortwährend in der Luft schwebte und dabei auf das abscheulichste kläffte. So kam sie ein paarmal an mir vorüber, ohne die geringste Notiz von mir zu nehmen. Plötzlich berührte Jemand von hinten meinen Arm. Es war Fräulein Duff. Sie winkte mich mit den Augen ein wenig beiseite und sagte, als ich ihrem Wunsche nachgekommen war, geheimnisvoll und hastig: Sie liebt Sie!
Fräulein Duff sah so bewegt aus; ihre sonst so künstlich arrangirten Locken flatterten heute so zerstreut um ihr schmales Gesicht; ihre wasserblauen Augen rollten so sonderbar in den großen Höhlen; – ich glaubte einen Moment wirklich, die gute Dame habe ihr bischen Verstand vollends verloren.
Blicken Sie mich nicht so verzweifelnd an, Richard! sagte sie; aus den Wolken muß es fallen, aus der Götter Schooß das Glück! Das ist eine ewige Wahrheit, die hier wieder einmal zutrifft. Sie hat es mir heute Morgen gestanden, mit so leidenschaftlichen Thränen; es hat mein Herz zerrissen; ich habe mit ihr geweint; ich durfte es, denn ich habe mit ihr gefühlt. Auch ich bin in Arkadien geboren, doch Thränen gab der kurze Lenz mir nur.
Fräulein Duff wischte sich die wasserblauen Augen, aus denen feuchte Nebel aufstiegen, und warf dann einen schmachtenden Blick auf Doctor Snellius, der eben mit sauersüßer Miene die Danksagungen des Commerzienrathes entgegennahm.
Ein Jüngling wie ein Mann! flüsterte sie. Die Schale mag wohl bitter sein, der Kern ist's sicher nicht. O Gott, was habe ich gesagt! Sie sind im Besitze der Geheimnisse eines jungfräulichen Herzens, Sie werden es nicht profaniren. Und jetzt! lassen Sie uns scheiden, Richard! Unser letztes Wort: Suche treu, so findest Du! Ich komme, ich komme!
Sie wandte sich ab und eilte, der Gesellschaft mit dem Sonnenschirm einen Abschiedsgruß winkend, zum Wagen, in welchem der Commerzienrath es sich bereits bequem gemacht hatte, während Hermine ihren Wachtelhund über den Wagenschlag hinaushielt und bellen ließ. Ich war, durch Fräulein Duff's wunderliche Reden stutzig gemacht, in der Entfernung stehen geblieben; die kleine Uebermüthige hatte keinen Blick für den, welchen sie, nach Fräulein Duff's Aussage, lieben sollte. Sie lachte und tollte und scherzte, aber in dem Moment, als die Pferde anzogen, zuckte es schmerzlich über das reizende Gesichtchen und sie warf sich mit unglaublicher Leidenschaft ihrer Gouvernante in die Arme, die Thränen zu verbergen, die stromweise aus ihren Augen brachen.
Die wären wir los, sagte Doctor Snellius; hoffentlich können wir die Anderen morgen nachschicken.
Aber die Hoffnung des Doctors erfüllte sich am folgenden Tage nicht und ebensowenig am dritten, und es gingen vierzehn Tage in's Land und der Herr Steuerrath und die geborene Baroneß Kippenreiter waren noch immer Gäste im Hause des Directors.
Ich vergifte sie, wenn sie nun nicht bald gehen, krähte der Doctor.
Man könnte auf der Stelle zu einem Bär mit sieben Sinnen werden, knurrte der Wachtmeister.
Es war in der That eine wahre Calamität, die über das Haus des trefflichen Mannes gekommen war und die wir drei Verbündeten, jeder in seiner Weise, beklagten; Niemand lauter und leidenschaftlicher als der Doctor.
Sie sollen sehen, sagte er; die wollen ihre Winterquartiere hier aufschlagen! Das Haus ist nicht groß, aber der Igel weiß es sich beim Hamster bequem zu machen; die Verpflegung ist gut, an der liebevollen Behandlung – obgleich auf die weniger gesehen wird – fehlt es auch nicht! Wo Humanus nur die Geduld hernimmt? Er muß über ein Potosi zu verfügen haben! Denn er leidet, leidet sehr ernstlich unter der heuchlerischen, hündischen Demuth dieses brüderlichen Schmarotzers, gerade so wie seine engelhafte Frau unter den spitzen Klauen und gelben Zähnen der geborenen Kippenreiter! Heiliger Gott! daß wir dieselbe Luft mit solchen Geschöpfen athmen, daß wir mit ihnen aus einer Schüssel essen müssen! Was haben wir verbrochen?
Dasselbe werden die gebornen Kippenreiter auch von uns sagen.
Sie wollen mich ärgern; aber Sie haben Recht. Doppelt Recht, denn die gebornen Kippenreiter sagen es nicht nur, sondern handeln auch darnach und verbieten uns die Luft, die sie athmen, und die Schüssel, aus der sie essen, wenn sie es irgend können, ohne nur im mindesten sich darum zu kümmern, ob wir dabei ersticken und verhungern, sehr wahrscheinlich sogar mit dem Wunsche, daß diese Eventualitäten eintreten möchten.
Ein Beitrag zur Theorie des Directors vom Hammer und Amboß, sagte ich.
Des Doctors kahler Schädel erglühte.
Kommen Sie mir nicht mit dieser gutmüthigen Narrheit, rief er in seinen höchsten Tönen. Wer schwach oder gutmüthig, oder beides ist, und er wird meistens beides sein – der ist von dem Starken und Böswilligen zerhämmert worden, so lange die Welt steht, und er wird zerhämmert werden, bis das Wasser bergan läuft und das Lamm den Wolf frißt. Hammer und Amboß! Fürwahr, der alte Goethe kannte die Welt und wußte es besser.
Und was würden Sie thun, Doctor, wenn sich arme Verwandte bei Ihnen einquartierten und Ihnen mit der Zeit lästig fielen?
Ich, ich würde – das ist eine alberne Frage – ich weiß nicht, was ich würde; aber das beweist nichts, gar nichts, höchstens, daß ich, trotz meiner Rodomontaden, schließlich auch nur ein jämmerliches Stück Amboß bin. Und schließlich – ja, jetzt hab' ich's! Wir sind mit ihnen weder verschwägert noch verwandt; wir haben keine Rücksichten zu nehmen und wir müssen sie wegbringen.
Ein glücklicher Gedanke, Doctor!
Allerdings! sagte der Doctor und hüpfte von einem Bein auf's andere. Ich bin zu Allem bereit, zu Allem! Man muß ihnen das Leben hier versalzen, verbittern, vergällen, mit einem Wort – unmöglich machen.
Aber wie?
Ja wie? Sie träges Mammuth! Denken Sie selber nach! Die Geborne nehme ich auf mich. Sie denkt, weil sie ein schlechtes Herz hat, muß sie auch ein krankes haben. Sie fürchtet sich vor dem Tod, als hätte sie bereits acht Tage lang im höllischen Feuer Probe gebraten. Sie soll an mich glauben!
Doctor Willibrod Snellius begann noch an demselben Tage seinen teuflischen Plan in's Werk zu setzen. Er sprach, sobald er in der Gehörweite der gebornen Kippenreiter war, nur noch über Blutumlauf, Venen, Arterien, Klappenfehler, Herzbeutelentzündung, Herzschlag. Er war sich bewußt, der Gnädigen mit solcher Unterhaltung lästig zu fallen, aber er schriebe an einer Monographie über diese Materien; und wovon das Herz voll sei, davon gehe der Mund über. Auch könne er nicht leugnen, daß er nicht ohne alle Absicht die Aufmerksamkeit gerade der Gnädigen auf diese Punkte richte. Er wolle und könne ohne vorhergegangene gründliche Untersuchung nicht behaupten, daß die Herzklappen der Gnädigen nicht regelmäßig functionirten, aber es gebe gewisse Symptome, von denen vielleicht eines oder das andere bei der Gnädigen zuträfe, und Vorsicht sei nicht blos die Mutter der Weisheit, sondern manchmal auch eines langen, zum wenigsten doch um mehrere Jahre verlängerten Lebens.
Die Gnädige war keineswegs ein Gegenstand besonderer Zuneigung meinerseits, dennoch empfand ich manchmal eine Art von Mitleid, wenn ich sah, wie sich das unglückliche Opfer unter dem Messer seines Peinigers wand und krümmte. Wie sollte sie ihm entgehen? Als eine Dame, die sich viel auf ihre Bildung zugute that, konnte sie einer wissenschaftlichen Unterhaltung nicht wohl ausweichen; als Gast im Hause war sie dem Freund des Hauses Rücksichten schuldig und schließlich hatte für die eingebildete Kranke die Unterhaltung, vor der sie sich fürchtete wie ein Kind vor Gespenstern, auch wieder einen grauenhaften Reiz. Sie wurde blaß, so oft Doctor Willibrod in's Zimmer trat, und doch richtete sie ihre kleinen runden Augen ängstlich auf ihn, mit dem qualvollen Blicke des Vogels, dem die Schlange in's Nest starrt; sie konnte der Anziehungskraft nicht widerstehen, eine Minute später hatte sie den Fürchterlichen zu sich gewinkt und ihn gefragt, wie weit er mit seiner Abhandlung gekommen sei?
Es ist um rasend zu werden, sagte Doctor Willibrod; die Person kann nächstens ohne mich und meine Schaudergeschichten nicht mehr leben; ich habe ihr heute einen Fall erzählt, wo eine Dame, genau in ihren Jahren, Lebensverhältnissen, Körperbeschaffenheit und so weiter, in der Unterhaltung mit ihrem Arzt über Kongestionen nach dem Herzen vom Schlage getroffen worden sei – sie lächelt mich mit bleichen Lippen an, sie ist einer Ohnmacht nahe, ich denke, sie wird nach dem Wagen klingeln – und was ist das Resultat? Sie müssen mir morgen weiter davon erzählen! sagt sie und entläßt mich mit einer gnädigen Handbewegung.
Die ist hieb- und kugelfest, Doctor! sagte ich, die kriegen Sie so nicht weg.
Aber sie muß weg, die ganze Bagage muß weg, schrie der Doctor, ich bestehe darauf als Mensch, als Freund, als Arzt.
Ich lachte, aber im Innern war ich durchaus des Doctors Meinung. Die Anwesenheit dieser Menschen war für die Familie des Directors eine geradezu unerträgliche Last. Wie hätte mir das entgehen können, der ich mich in das Wesen der Guten, Edlen so ganz eingelebt, der ich für Alles, was sie betraf, die scharfsichtigen Augen inniger, ehrfurchtsvoller Liebe hatte! Ich sah, wie der Director mit jedem Tage ernster blickte, wie er sich zwingen mußte, auf das ewige »Nicht wahr, lieber Bruder?« »Meinst Du nicht auch, lieber Bruder?« zu antworten; ich sah, wie es über das schöne, bleiche Gesicht der Blinden schmerzlich zuckte, sobald die blecherne Stimme der schwatzhaften Schwägerin an das empfindliche Ohr schlug; ich sah, wie die arme Paula zu ihren vielen Lasten auch diese still und geduldig trug, wie sie Alles trug; aber ich sah auch, wie schwer es ihr wurde.
So saß ich eines Tages, dies in grimmigem Herzen erwägend, in dem Bureau und zerschnipselte eine unglückliche Feder, als ich durch das Fenster, welches ich halb geöffnet hatte, einen der jetzt selten gewordenen Sonnenstrahlen in das Zimmer zu lassen, die verhaßte blecherne Stimme der gebornen Kippenreiter vernahm.
Du thust mir gewiß den Gefallen, liebe Paula, ich würde Dich sicher nicht darum bitten – ich weiß, junge Mädchen sind immer in ihre Zimmer verliebt – aber das meine ist wirklich zu trist, die ewige Aussicht auf die Gefängnißmauern, und dann fürchte ich auch, es ist feucht, zumal in der jetzigen Jahreszeit und bei meinem Herzleiden würde der kleinste Rheumatismus mein Tod sein. Nicht wahr, liebe Paula, ich darf darauf rechnen, vielleicht heute noch, es wäre charmant?
Heute wird es schwer halten, liebe Tante, ich habe gerade heute –
Nun denn morgen, liebes Kind! Du siehst, ich bin mit Allem zufrieden, und was ich Dir noch sagen wollte, liebes Kind, der Rothwein, den wir Mittags trinken, er ist – ganz unter uns – nicht besonders und bekommt meinem Manne gar nicht gut. Er ist gerade in diesem Punkte ein wenig verwöhnt. Ich weiß, Ihr habt noch anderen im Keller, wir haben in den ersten Tagen davon getrunken, nicht wahr?
Ja, Tante, es sind leider nur noch ein paar Flaschen, die ich für den Vater –
Wenn es auch nur noch ein paar Flaschen sind, es ist immer besser als gar nichts. Gott, da steht wieder der Mensch am Fenster! man kann hier keine drei Schritte gehen, ohne auf den Menschen zu stoßen.
Diese letzten Worte waren vielleicht nicht für mein Ohr bestimmt, aber mein Ohr war sehr scharf und die blecherne Stimme der Gnädigen sehr verständlich. Daß sie auf keinen Anderen gingen, als auf mich, war anzunehmen, denn außerdem, daß ich ohne Zweifel ein Mensch war, der gerade am Fenster stand, hatte die Gnädige mich zum Ueberfluß aus der Entfernung von wenigen Schritten mit ihren runden, starren Augen sehr ungnädig angesehen und sich dann kurz auf den Hacken umgedreht.
Aber was kam denn darauf an, ob ich der Gnädigen mißfiel, oder wie sehr ich ihr mißfiel; ich dachte gar nicht an mich, ich dachte nur an das liebe, arme Mädchen, das sich die Thränen von den Wangen wischte, als sie, nachdem die Tante sie verlassen, allein den Gartengang hinaufschritt. Im Nu war ich von meinem Drehstuhl herunter, zum Zimmer hinaus und hatte sie mit wenigen Schritten erreicht.
Sie dürfen ihr das Zimmer nicht einräumen, Paula, sagte ich.
Sie haben es gehört?
Ja, und Sie dürfen es nicht. Es ist das einzige, das ein gutes Licht hat, und –
Ich werde im Winter doch nicht recht zum Malen kommen, es ist gar zu viel zu thun.
Nehmen Sie denn wirklich an, daß sie den ganzen Winter hier bleiben werden?
Ich weiß es nicht anders; noch soeben hat die Tante davon gesprochen.
Paula versuchte zu lächeln, aber, so sehr sie sich sonst in der Gewalt hatte, diesmal wollte es doch nicht gelingen. Es zuckte schmerzlich um ihren lieben Mund, und ihre Augen füllten sich wieder mit Thränen.
Es ist nur um die Eltern, sagte sie entschuldigend; der arme Vater bedarf der Ruhe gerade jetzt so sehr, und Sie wissen, wie die Mutter leidet, wenn sie sich stundenlang unterhalten soll. Aber Sie dürfen von dem Allen nichts merken lassen, Georg, ja nicht!
Und sie legte den Finger an die Lippen, und die großen blauen Augen blickten ängstlich zu mir auf.
Ich murmelte etwas, das sie für Zustimmung nehmen mußte, denn sie lächelte mich freundlich an und eilte in's Haus, von dem die schrille Stimme der Gnädigen ertönte, die mit Aufgebot der ganzen Kraft ihrer Lunge – die Lunge konnte nicht krank sein! – aus dem Fenster nach dem Steuerrath rief, der ganz im Hintergrunde des Gartens an der sonnebeschienenen Spalierwand zwischen den vergilbten Blättern von einer der wenigen Pfirsichen naschte, die des Directors unermüdliche Sorgfalt dem allzu unmilden Klima abtrotzte.
Mit langen Schritten, die dem Steuerrathe nichts Gutes verkündeten, eilte ich den Gang hinauf, gerade auf den Näscher zu.
Ah, sieh' da! sagte er, ohne sich in seiner Beschäftigung stören zu lassen, meine Frau schickt Sie wohl? aber sehen Sie selbst, ob an dem ganzen Spalier noch eine anständige Frucht ist. Und dabei ist das Zeug sauer wie Essig.
Dann sollten Sie sie ungegessen lassen.
Wissen Sie, ich denke, es ist noch immer besser wie nichts; als ein pensionirter Beamter lernt man das.
In der That!
Ich begleitete diese Worte mit einem höhnischen Lachen, das den Steuerrath aus seinem Wahne, mich durch eine gemüthliche Unterhaltung zu beglücken, jäh aufschreckte. Er sah mich an mit dem Blicke des Hundes, der unschlüssig ist, ob er vor dem Angreifer fliehen oder ihm in die Beine fahren soll.
Herr Steuerrath! sagte ich, ich habe Sie um etwas zu ersuchen.
Seine Unschlüssigkeit war zu Ende. Ich werde Sie zu jeder anderen Zeit mit Vergnügen anhören, sagte er, in diesem Augenblicke bin ich etwas sehr pressirt –
Und er wollte an mir vorüber, ich vertrat ihm den Weg.
Ich kann Ihnen in drei Worten sagen, was ich Ihnen zu sagen habe: Sie müssen von hier fort!
Ich muß, was?
Von hier fort! wiederholte ich und ich fühlte, wie mir die Röthe des Zornes in's Gesicht stieg, alsobald, sagen wir in spätestens drei Tagen.
Aber, ich glaube, Sie sind wahnsinnig, junger Mann! erwiderte der Steuerrath mit einem Versuche, sich eine überlegene Miene zu geben, dem seine angstbleichen Lippen kläglich widersprachen. Wissen Sie, mit wem Sie reden?
Geben Sie sich keine Mühe, sagte ich verächtlich, die Zeiten, in denen ich in Ihnen, ich weiß nicht, welches ehrfurchtgebietende Wunder sah, sind längst vorbei. Ich habe vor Ihnen keinen Respect mehr, nicht so viel, und ich will nicht, daß Sie hier bleiben, begreifen Sie: ich will nicht!
Aber das ist unerhört! rief der Steuerrath, ich werde es meinem Bruder sagen, welchen Insulten ich hier ausgesetzt bin.
Wenn Sie das thäten, würde ich –
Es wollte mir nicht über die Lippen; ich hatte es nun schon so lange verschlossen in der Brust gehalten, ich hatte ein paar Jahre Gefängniß mehr dafür, daß ich es verschwiegen; es war eine giftige Waffe, die ich gegen den Elenden da gebrauchen wollte; aber ich dachte an das bethränte Angesicht des lieben Mädchens, und dann sah ich in das von Haß und Zorn verzerrte Gesicht des schlechten Mannes vor mir, und da drängte es sich langsam durch die zusammengepreßten Zähne – von dem Briefe sprechen, den Sie ihm – ich deutete in die Richtung, in welcher die Insel lag – schrieben; von dem Briefe, auf den hin er seinen letzten Zug unternahm – von dem Briefe, der Sie als seinen Mitschuldigen, ja als den Hauptschuldigen ausweist, und der Ihnen den Hals gebrochen haben würde, hätte ich nicht geschwiegen.
Der Mann war, während ich sprach, zurückgetaumelt, als hätte er auf eine Giftschlange getreten; er verfolgte mit weit aufgerissenen Augen die Bewegung meiner Hände, er fürchtete jedenfalls, daß ich dieselben jetzt an die Brusttasche führen und das verhängnißvolle Blatt produciren würde.
Der Brief, den Sie meinen und in dessen Besitz Sie jedenfalls auf unrechtmäßige Weise gelangt sind, beweist nichts, stammelte er, beweist gar nichts. Es ist mir ganz gleich, ob Sie denselben meinem Bruder zeigen, oder wem Sie wollen, wem Sie wollen –
Ich kann ihn Niemanden mehr zeigen, denn ich habe ihn verbrannt.
Der Steuerrath schnellte in die Höhe. Die Angst hatte ihn gar nicht auf den Gedanken kommen lassen, der Brief könne mittlerweile verloren gegangen oder vernichtet sein. Wie anders lag jetzt die Sache!
Ein höhnisches Lächeln zuckte über sein Gesicht, das sich wieder mit Farbe zu beleben anfing.
Was schwatzen Sie denn, was wollen Sie denn? rief er mit heiserer Stimme, die seltsam mit seiner sonstigen glatten Stimme contrastirte; der Teufel mag wissen, was das für ein Brief ist, den Sie gesehen haben – gesehen zu haben vorgeben! Denn das Ganze sieht verzweifelt wie eine Lüge aus und wie eine recht ungeschickte dazu. Herr, bleiben Sie mir vom Leibe! rühren Sie mich nicht an! ich rufe um Hilfe! und Sie haben zu Ihren sieben Jahren noch sieben Jahre dazu! Rühren Sie mich nicht an, sage ich.
Er war vor mir, dessen Miene wohl drohend genug sein mochte, zurückgewichen bis zur Wand, an deren Spalier er sich jetzt zitternd festhielt. Ich trat dicht vor ihn hin und sagte in leisem Tone:
Ich werde Ihnen nichts thun, denn – erbärmlicher Schuft, der Sie sind – ehre ich in Ihnen doch Ihre Brüder, den Einen, den Sie in den Tod gejagt haben, und den Anderen, von dessen kostbarem Leben Sie nicht eine Stunde mehr verbittern sollen. Wenn mir Niemand glaubt, daß ich den Brief gelesen und verbrannt habe – er glaubt mir's. Sie wissen, daß er mir's glauben wird. Und wenn Sie der Morgen des dritten Tages hier noch findet, so erfährt er, wen er so lange unter seinem Dache beherbergt. Sie kennen ihn! Er kann viel verzeihen und verzeiht viel; so frech belogen zu sein, wie er, wie der Commerzienrath, wie alle Welt von Ihnen belogen ist – das würde er nicht verzeihen.
Der Mensch wußte, daß ich recht hatte; ich sah es an seinem Gesichte, das die Angst vor dem Sieger, dem er rettungslos in die Hände gefallen war, ordentlich spitz machte.
Und es war die höchste Zeit gewesen; eine Minute später, und der Sieg wäre mindestens fraglich geworden. Denn jetzt kam durch den Garten daher Hilfe für den zu Boden Geschmetterten. Es war die geborne Kippenreiter, die schon aus der Ferne rief, wir sollten doch noch ein paar Pfirsiche für sie aufheben.
Ein weiser Feldherr nimmt keine neue Schlacht an, wenn er fürchten muß, damit einen mühsam errungenen Erfolg auf's Spiel zu setzen. Ich hatte vor den zornigen Blicken des Steuerraths nicht gebebt, aber vor den gelben Zähnen der Gebornen empfand ich etwas, das ich Furcht nennen müßte, wenn die Ehrfurcht, die wir den Damen schuldig sind, ein solches Gefühl in der Brust des Mannes aufkommen ließe.
Dem sei, wie ihm wolle; ich hielt den Augenblick, als ich die gelbbraune Seidenrobe der Gnädigen schon ganz aus der Nähe knittern hörte, für ganz besonders passend, mich nach einem letzten bezeichnenden Blicke auf meinen Feind und einer stummen Verbeugung vor seinem herannahenden Succurs in schicklicher Eile durch die mit dürren Blättern bestreuten Gartengänge auf mein Bureau zurückzuziehen.
Würde meine Drohung wirksam sein?
Ich hatte ihm noch zwei Tage Frist gegeben, die Entscheidung mußte also unter allen Umständen bald genug eintreten.
Sonderbar! ich war mir bewußt, aus den uneigennützigsten Beweggründen, mit einem Herzen, das nur für die Anderen schlug, gethan zu haben, was ich gethan – dennoch war meine Seele voller Unruhe und mein Auge spähte und mein Ohr lauschte nach jedem Zeichen, das mir sagte, was ich zu hoffen, was ich zu fürchten habe. Der nächste Tag verging – es blieb, so weit ich bemerken konnte, Alles beim Alten; ja selbst Paula's Zimmer – dasselbe, in welchem ich krank gelegen – wurde ausgeräumt; ich sah ihre Staffelei, ihre Skizzenmappen über den Flur tragen und – knirschte mit den Zähnen.
Aber am Vormittag des nächsten Tages trat der Director mit einem mehr als gewöhnlich nachdenklichen Gesicht in das Bureau und sagte, nachdem er sich von mir einige Acten hatte geben lassen, schon mit der Hand auf dem Drücker:
Sagen Sie, Georg! Sie sind ja in der Sache ganz unbefangen – haben Sie in meinem oder der Meinigen Betragen irgend etwas bemerkt, das meinem Bruder oder seiner Frau Veranlassung gegeben hätte, zu denken, sie seien von uns hier nicht gern gesehen?
Ich hatte gerade eine sehr feine Schraffirung zu machen und konnte deshalb den Kopf nicht vom Reißbrett erheben, als ich auf die Frage des Directors: Nicht, daß ich wüßte! antwortete.
Ich sollte doch auch meinen, sagte er – und seine Stimme klang ganz betrübt; es wäre mir sehr, sehr schmerzlich, müßte ich das fürchten; müßte ich fürchten, daß mein Bruder sagen, ja auch nur denken könnte: er hat keine Achtung vor meinem Unglücke gehabt, er hat mich von sich getrieben, als sein Haus meine einzige Zuflucht war. Denn so steht es mit ihm oder doch beinahe so. Seine Pension ist sehr gering für so verwöhnte Menschen; die Abfindungssumme ist – nicht ohne unser Zuthun – klein genug ausgefallen; überdies hat er Schulden, und für sein Leben zu arbeiten – wann hätte er in dem leidigen Beamten-Schlendrian das gelernt! Sie haben unser Haus gerade nicht heller gemacht – ich müßte lügen, wenn ich es anders sagen wollte – aber er ist mein Bruder und er ist mein Gast – ich wollte, er ginge nicht.
Der herrliche Mann mochte auf eine beruhigende Antwort von mir hoffen; aber die Linien auf der Schraffirung waren noch enger aneinander gerückt – ich mußte das Gesicht noch tiefer als zuvor auf das Reißbrett beugen. Er seufzte und verließ das Zimmer.
Ich athmete, als sich die Thür hinter ihm schloß, hoch auf, und einen Augenblick später sah ich in dem schwarzen Spiegel der dickbäuchigen Tintenflasche auf dem Bureau meine lange Gestalt in grotesker Verzerrung mit Armen und Beinen Bewegungen ausführen, welche in Wirklichkeit vermuthlich einen Freuden- und Siegestanz darstellten.
Du bist ja ungeheuer vergnügt, sagte eine Stimme hinter mir.
Ich vergaß vor Schrecken das eine Bein, das ich noch in der Luft hatte, und machte auf dem anderen eine Pirouette, welche mir den lautesten Beifall der Kenner eingetragen haben würde.
Arthur ist später ein Kenner in diesen Dingen gewesen; zur Zeit aber konnte er es wohl noch nicht sein, denn seine Miene strahlte, indem er sich jetzt in einen Stuhl warf, keineswegs vor Entzücken und der Ton seiner Stimme war äußerst melancholisch, als er, den Lockenkopf in die Hand stützend, also fortfuhr:
Freilich. Du hast alle Ursache dazu; Du hast Deinen Zweck erreicht; von morgen an bist Du ja wieder hier Alleinherrscher.
Ich hatte mittlerweile den anderen Fuß auch wieder auf den Boden gebracht und die Gelegenheit benutzt, mich diesem neuen Gegner gegenüber, – denn als solchen mußte ich Arthur ansehen – fest in meine Stiefel zu stellen. Aber ich hatte mich geirrt. Arthur war nicht gekommen, mir Vorwürfe zu machen.
Ich habe meine Gründe, sagte er, die Alten lieber nicht hier an Ort und Stelle zu haben. Der Alte, weißt Du, ist seit seinem Unglücke wirklich ganz disreputabel geworden; er pumpt den ersten Besten an, der ihm über den Weg läuft – à propos, die fünfundzwanzig, die Du mir neulich geliehen hast, kann ich Dir wiedergeben – ich habe gestern Abend einen fabelhaften Treffer gehabt – wir hatten ein kleines Jeu beim Lieutenant von Serring – schade, daß ich das Geld nicht bei mir habe, aber Du kriegst es morgen ganz gewiß – was ich sagen wollte: der Alte treibt es zu arg, er hätte mich über kurz oder lang heillos compromittirt; der Oberst paßt mir so schon schauderhaft auf den Dienst. Deswegen also keine Feindschaft, Georg! Denn Du hast ihn weggebissen – leugne es nicht; ich hab's von der Mama. Sie ist wüthend auf Dich; aber ich habe ihr gesagt, sie könne sich gratuliren, daß Du so discret gewesen und die Geschichte von dem Briefe nicht weitererzählt hast. Und deshalb bin ich auch nicht gekommen, sondern um Dich zu fragen, wie ich nun mit Dir stehe.
Wie meinst Du das? fragte ich nicht ohne einige Verwirrung.
Laß uns vor einander keine Flausen machen, altes Haus, sagte der Fähnrich, sich mit der Degenspitze die Sohle seines linken Stiefels, den er auf das rechte Knie gelegt hatte, klopfend; ich habe Dich weit unterschätzt; ich sehe jetzt, daß Du hier Hahn im Korbe bist, und ich möchte nicht mit Dir anbinden, sondern in Frieden mit Dir leben. Wenn der Onkel mich nicht ein wenig mit durchfüttert, muß ich verhungern oder den Dienst quittiren, und überdies würde mein Oberst zu wissen wünschen, weshalb ich hier nicht mehr verkehren darf. Du bist ein guter Kerl und wirst mich nicht unglücklich machen wollen.
Das will ich allerdings nicht, sagte ich.
Und ich bin auch nicht so schlimm, fuhr der Fähnrich fort; ich bin ein wenig lüderlich; na, das sind wir Alle in unseren Jahren, und Du würdest es vermuthlich auch sein, wenn Du die Gelegenheit dazu hättest, die Du in dem verdammten Nest hier allerdings nicht hast. Sonst aber kann man schon mit mir auskommen und sie mögen mich hier auch Alle gern: der Onkel, die Tante, die Jungen und –
Arthur nahm den linken Fuß vom rechten Knie und sagte: Höre, Georg, ich würde es Dir nicht sagen, wenn ich nicht das vollste Vertrauen in Deine Ehrenhaftigkeit setzte, trotzdem – kurz, ich verlange Dein Ehrenwort, daß Du nicht weiter darüber sprichst. Ich glaube, daß ich – aber, wie gesagt, Du mußt reinen Mund halten – ich glaube, daß ich meiner hübschen Cousine nicht ganz gleichgültig bin; sie hat es mir vorgestern Abend direct gesagt, und hätte sie es nicht gesagt –
Und der Fähnrich drehte an dem schwärzlichen Flaum auf seiner Oberlippe und sah sich im Zimmer um, vermuthlich nach einem Spiegel, der nicht da war; er hätte die große Tintenflasche dafür nehmen müssen, die ich ihm in diesem Momente mit tausend Freuden auf seinem hübschen Kopf in zehntausend Stücke zerschmettert hätte.
Arthur! rief in dem Garten Paula's Stimme, Arthur!
Der Fähnrich warf mir einen Blick zu, der sagen zu wollen schien: Siehst Du, was ich für ein glücklicher Teufelskerl bin! Und er stürzte zur Gartenthür hinaus, die er zu schließen vergaß.
Ich war ganz betäubt stehen geblieben und starrte durch die offene Thür in die lange Allee, die sie neben einander hinabgingen, sie in ihrer Weise still vor sich hinschreitend, er neben ihr hertänzelnd, und einmal standen sie auch still; sie blickte zu ihm auf und er legte betheuernd die Hand auf die Brust.
Ein unbeschreibliches Gefühl von Weh stieg in meinem Busen auf. Ich kannte dies Gefühl; ich hatte es schon einmal erfahren, in der Stunde, als ich vernahm, daß Konstanze einem Anderen gehörte; aber so schmerzlich war es doch nicht gewesen. Ich hätte mein Gesicht in die Hände drücken und weinen mögen wie ein Kind. Ich dachte gar nicht daran, daß Arthur mich oder sich selbst, vielleicht uns Beide belogen haben könnte. Seine Mittheilung, Paula's Rufen, die Promenade in dem um diese Stunde einsamen Garten – das Alles war so plötzlich, so Schlag auf Schlag gekommen, hatte so Eines in das Andere gegriffen – es war nur zu wahrscheinlich! Und Arthur war ja ein so verzweifelt hübscher Junge und konnte so liebenswürdig sein, wenn er wollte – ich wußte es am besten, ich, der ich ihn so sehr geliebt hatte! Und war nicht Paula, seitdem er im Hause war, eine Andere gegen mich geworden? zurückhaltender? weniger mittheilsam? Ich hatte es ja längst gemerkt; es hatte mich ja längst geschmerzt, bevor ich wußte, was diese Veränderung hervorgebracht hatte – ich wußte es jetzt!
Eitelkeit! Eitelkeit der Eitelkeiten! Was beanspruchte ich! Was konnte ich beanspruchen, der Verstoßene, auf lange Jahre hinaus zur Gefangenschaft Verurtheilte!
Mein Kopf sank auf die Brust. Ich demüthigte mich, demüthigte mich tief in den Staub vor dem holden Mädchen, das mir immerdar wie der Himmlischen Eine erschienen war.
Dann schnellte ich zornig empor. Konnte sie sein, als was ich sie verehrte, ja anbetete, wenn sie diesen Menschen liebte?
Hier war ein entsetzlicher Widerspruch, der offenbar so leicht zu lösen war, den ich unfehlbar gelöst hätte, ja, in den ich vielleicht nie gefallen sein würde, wenn ich ein Gran klüger oder auch nur eitler gewesen wäre, und in den ich mich, da ich weder klug noch eitel war, auf Jahre verstrickte.
Es geschehen Wunder und Zeichen, sagte Doctor Willibrod, der am Abend athemlos in meine Zelle trat, wo ich, in trübes Sinnen verloren, vor dem Ofen saß und den Funken zuschaute, die an den glimmenden Scheiten hinauf- und hinabliefen. Zeichen und Wunder! sie wollen ihre Zelte abbrechen und den Staub von ihren Füßen schütteln. Hosiannah dem Herrn!
Der Doctor warf sich in einen Stuhl und rieb sich den kahlen Schädel, auf dem die hellen Tropfen glänzten.
Gott ist mächtig in dem Schwachen, fuhr er in einem Tone fort, dem die innere Erregung anzumerken war. Wer hätte glauben sollen, daß ich kleiner David im Stande sein würde, die ehernen Schädel dieser Goliaths von Unverschämtheit zu durchbrechen, und doch ist es der Fall gewesen! Die Gnädige kann die Luft hier nicht mehr vertragen, sie hat einen letzten Versuch gemacht, als sie sich Paula's Zimmer geben ließ. Der Versuch ist mißlungen, sie muß fort. Hosiannah dem Herrn!
Hat sie Ihnen das selbst gesagt?
Sie hat es, und der Steuerrath hat es bestätigt und von hypochondrischen Grillen gesprochen, denen die vernünftigsten Frauen unterworfen sind und für die ein galanter Gatte ein Verständniß haben muß. Schließlich hat er mich auf die Seite gezogen und sich, da er gerade nicht bei Casse sei, von mir hundert Thaler geben lassen, um auf der Stelle abreisen zu können!
Sie werden sie nie wieder zu sehen bekommen.
Die Hundert, oder die hohen Reisenden?
Beide!
Glück auf den Weg! Glück auf den Weg, und mögen sich unsere Wege niemals wieder kreuzen!
Der Doctor versank in ein andächtiges Schweigen; ich glaube, es stieg etwas wie ein Dankgebet aus seinem Herzen.
Wissen wir es schon, man will fort! ertönte eine tiefe Stimme hinter uns. Es war der Wachtmeister, der mit der brennenden Lampe hereingetreten war.
Man soll zu morgen früh, Schlag neun Uhr, beim Lohnkutscher Hopp einen Wagen bestellen, fuhr der Alte fort, man sollte meinen, acht Uhr wär' auch nicht zu früh.
Und er rieb sich behaglich die Hände und versicherte, ihm sei zu Muthe, wie einem Bären, dem alle sieben Sinne jückten. Plötzlich verschwand das Lachen aus den tausend Falten seines Gesichtes auf einmal und er sagte, sich über die Lehne von des Doctors Stuhl beugend, in gedämpftem Tone:
Nun müssen wir den Jungen auch noch wegbeißen, Herr Doctor! rein weg! Die Brut ist noch schlimmer, meine ich, als die Alten!
Das meine ich auch! sagte Doctor Willibrod emporschnellend, den Alten habe ich den Laufpaß gegeben; bei dem Bengel müssen Sie es thun, ja bei Gott, Mammuth, das müssen Sie!
Ich antwortete nicht, ich hatte die Augen starr auf die glimmenden Scheite gerichtet, aber ich sah sie nur wie durch einen Schleier, der irgendwie über meine Augen gefallen war.