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Wenn nach den einstimmigen Berichten von Reisenden, welche die Tour gemacht, der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist, so bin ich überzeugt, daß einige Quadratruthen davon meine Arbeit sind und daß ich diese Arbeit zum größten Theil in den ersten vierzehn Tagen meines Aufenthaltes auf Zehrendorf gethan habe. Es konnte aber auch nicht leicht ein Terrain geben, auf welchem Alles, was man zu jener leichten und angenehmen Handtierung braucht, in so reichem Maße vorhanden gewesen wäre. Wo man ging und stand, wohin man den Blick wandte – überall lag das Material bereit am Wege, und ich war zu jung, zu unerfahren und – ich darf es wohl sagen – von zu gutem Herzen, als daß ich nicht mit beiden Händen hätte zugreifen sollen. Welcher unsäglichen Thorheit ich mich schuldig machte, als ich daran ging, die aus den Fugen gegangene Welt, in der ich mich jetzt bewegte, wieder einzurenken, nachdem ich noch eben erst bewiesen, daß ich mich in die vollständig geordnete, aus der ich stammte, in keiner Weise hätte fügen können und wollen – dieser Gedanke ist mir erst viel später gekommen. Vorläufig war ich von meiner erhabenen Mission auf das Innigste überzeugt und segnete meinen Stern, der mich aus der schnöden Sklaverei der Schule und des väterlichen Hauses, wo ich verkümmerte, aus den drückenden Banden philisterhafter Verhältnisse, die den freien Flügelschlag meiner heroischen Seele hemmten, so herrlich herausgeführt in diese Wüstenfreiheit, die keine Grenzen zu haben schien und hinter der doch das Kanaan liegen mußte, wo die Milch der Freundschaft und der Honig der Liebe floß, und das zu erobern ich heldenhaft entschlossen war. Zwar der Brief, welcher an einem der nächsten Tage von meinem Vater an Herrn von Zehren – nebst einer großen Kiste mit Sachen – eintraf, hatte mich einen Augenblick stutzig gemacht. Der Brief hatte nur wenige Zeilen enthalten, des Inhalts, daß er (mein Vater), überzeugt von der Unmöglichkeit, mich auf seinem Wege zum Guten zu führen, wohl und übel mich mir selbst habe überlassen müssen, und daß er nur noch wünschen könne, es möge mein Ungehorsam und mein Trotz nicht zu schwer an mir heimgesucht werden. Herr von Zehren hatte mich den Brief lesen lassen und, als er meine nachdenkliche Miene wahrnahm, gesagt: Wollen Sie zurück? – Dann aber gleich hinzugefügt: Thuen Sie es nicht. Das ist nichts für Sie. Der alte Herr hat Sie zu einem Arbeitspferd machen wollen. Dazu taugen Sie nicht, so groß und stark Sie sind. Sie sind ein Jagdpferd, für das kein Graben zu breit, keine Hecke zu hoch ist. Kommen Sie, ich habe hinten in der Koppel ein Volk von vierundzwanzig gesehen. Das wollen wir vor Tisch noch vornehmen.
Ich war es zufrieden; ich fand, daß mein Vater mich zu bald aufgegeben hatte, daß er wohl noch einen Versuch hätte machen können, mich zu halten, und daß er sich des Rechtes begeben habe, mir nun noch mit einer himmlischen Strafe zu drohen. Dennoch war es mir unheimlich, als Herr von Zehren eine Stunde später, als er seine Pfropfen verschossen hatte, den Brief meines Vaters aus der Tasche nahm und mit dem Scherzwort, daß Noth kein Gebot kenne, ihn in vier Stücke riß und in die beiden Läufe seiner Flinte stampfte. Ich weiß, ich hatte die Empfindung, es werde, es müsse ein Unglück geben. Aber die Flinte sprang nicht, die Hühner kamen regelrecht herunter, und von dem Briefe war nichts übrig als ein glimmendes Stückchen Papier, das zwischen die trockenen Stoppeln gefallen war und auf das Herr von Zehren, als er die Hühner in die Tasche schob, seinen Fuß setzte.
Wenn ich aber noch gezweifelt hätte, ob ich recht gethan, mich auf die eigenen Füße zu stellen, wie ich es nannte, so war ein Brief Arthur's. welcher bald darauf eintraf, nur zu geeignet, mich in meinem Wahn von der endlich errungenen Freiheit zu bestärken.
Du bist doch immer der glückliche Hans, schrieb Arthur, Du läufst aus der Schule und man läßt Dich laufen, als ob sich das so von selbst verstünde, während man mich wieder einfängt, wie einen weggelaufenen Sklaven, mich drei Tage lang in's Loch steckt, mir jede Stunde meine Schande vorwirft und mir das Leben in jeder Beziehung blutsauer macht. Selbst mein Papa stellt sich an, als ob ich Gott weiß was verbrochen hätte, und nur die Mama ist vernünftig und sagt, ich solle mir das nicht zu Herzen nehmen; und der Papa müsse auch nur so thun, sonst setzte mich Lederer nicht nach Ober-Prima, und die Geschichte dauerte noch länger. Es ist wirklich eine Schande, daß ich, blos weil der Onkel Commerzienrath es will, das Abiturientenexamen machen muß, während Albert von Zitzewitz, der auch nicht älter ist als ich, es auf der Cadettenschule jetzt schon zum Fähnrich gebracht hat. Was habe ich von dem Commerzienrath? Papa sagt, er könne mich während meiner Lieutenantsjahre ohne die vom Onkel erwarteten Zuschüsse nicht erhalten, und das mag auch wohl so sein, denn es wird mit jedem Tage schlimmer bei uns, und der Papa war ganz außer sich, als er gestern sechszehn Thaler für meine Handschuhrechnung bezahlen sollte. Wenn mir die Mama nicht noch manchmal darüber hülfe, ginge es gar nicht mehr, aber sie hat auch nichts und hat mir gestern gesagt, daß sie nicht wüßte, wie es zu Neujahr werden solle, wenn alle die Rechnungen einlaufen. Du könntest mir wirklich aus der Verlegenheit helfen; Papa sagt, Onkel Malte sehe das Geld nicht an, wenn er mal welches habe, und wer den rechten Moment träfe, könne so viel bekommen, wie er wolle. Du Glücklicher bist ja doch nun beständig um ihn und da könntest Du doch, einem alten Freund zu Liebe, den rechten Moment abpassen und ein gutes Wort für mich einlegen; oder noch besser, Du sagst, Du habest noch einige alte Schulden, die Du gern bezahlen möchtest, ob er Dir nicht so ein Thaler fünfzig oder hundert leihen wolle, und Du schickst es mir, da Du es doch nicht brauchst. Hierher kommst Du ja auf keinen Fall zurück, denn, wie sie hier über Dich sprechen, das kannst Du Dir gar nicht vorstellen. Lederer betet jetzt immer fünf Minuten länger für das verirrte Lamm (womit er Dich alten Sünder meint); der Justizrath Heckepfennig soll gesagt haben: wenn es je einen Menschen auf dem Gesicht gestanden habe, daß er in den Schuhen sterben werde, so seist Du es; in Emiliens Kränzchen haben sie beschlossen, die Blätter, auf denen Du Dich verewigt, aus ihren Stammbüchern zu reißen, und beim Onkel Commerzienrath hat es vorgestern Deinethalben eine ordentliche Scene gegeben. Der Onkel hat über Tisch gesagt, Du müßtest verzweifelt lange Schritte machen, wenn Du dem (dabei hat er eine Handbewegung gemacht) entlaufen wolltest, worauf Hermine schrecklich zu weinen angefangen und Fräulein Duff gesagt hat, es sei lästerlich, in Gegenwart eines Kindes solche Reden zu führen. Du siehst also: Du hast in der Damenwelt noch ein paar mächtige Freunde, wie Du denn von jeher auf dieser Seite ein unverantwortliches Glück gehabt hast und noch hast. Mach' meine schöne Cousine nur nicht unglücklich, Du Teufelskerl!
P. S. Der Papa sagte mir einmal, daß Konstanze von einer alten spanischen Tante jährlich eine kleine Summe ausgezahlt erhalte, die sie gewiß nicht brauche; vielleicht wäre von ihr Geld zu haben, Du könntest wenigstens einmal hinhorchen.
Ich hatte auf diesen Brief hin, der mir eine so bequeme Gelegenheit bot, feurige Kohlen auf das Haupt meines noch immer geliebten Freundes zu sammeln, sofort beschlossen, ihn mit einem Theil meines Gewinnes vom ersten Spielabend aus der Verlegenheit zu reißen, aber auch dieser Vorsatz – von dem ich allerdings kaum behaupten möchte, daß er in irgend einem Sinne ein guter gewesen – sollte nicht zur Ausführung kommen. Am Abend desselben Tages nämlich, als auf dem Gute Hans von Trantow's der Wilde seinen Spielgenossen Revanche gab, verlor ich nicht nur das unter so vielem Herzklopfen gewonnene Geld unter demselben Herzklopfen bis auf den letzten Thaler, sondern noch eine ziemlich bedeutende Summe, die mir mein gütiger Wirth, der wiederum der Gewinner war, aufdrang. Dieses Unglück, das ich, wenn ich einen Gran klüger gewesen, hätte voraussehen können, traf mich als ein harter Schlag. Ich war, trotz allen Leichtsinns, in meinen kleinen Geldangelegenheiten immer von der scrupulösesten Gewissenhaftigkeit gewesen; hatte die unbedeutenden Schulden, die ich etwa gemacht, stets so bald als möglich und mit willigem Herzen bezahlt, ich fühlte mich deshalb, als wir nach der Unglücksnacht in der Morgendämmerung nach Hause fuhren, so unglücklich wie noch nie in meinem Leben. Wie sollte ich je im Stande sein, eine solche Summe abzutragen, noch dazu, da ich entschlossen war, nie wieder eine Karte in die Hand zu nehmen? Wie sollte ich heute im hellen Tageslicht dem Mann an meiner Seite in's Gesicht zu sehen wagen, ihm, dem ich mich schon ohnedies so tief verpflichtet fühlte? Herr von Zehren, der in der glücklichsten Stimmung war, lachte laut, als ich ihm, wie er in mich drang, meine Noth beichtete. – Mein lieber Georg, sagte er – er nannte mich bereits immer nur bei meinem Vornamen –, nehmen Sie mir es nicht übel, aber Sie sind nicht recht gescheit. Wie, Mann, denken Sie denn wirklich, daß ich Sie nur einen Augenblick für das, was Sie auf meinen Wunsch thun, verantwortlich machen könnte? Wer Unmündigen Geld leiht, thut es bekanntlich auf seine Gefahr und Sie erinnern sich doch wohl noch, daß ich Ihnen das Geld aufdrang. Weshalb? Nun, zum Teufel, weil es mir Vergnügen macht, Ihr ehrliches, erhitztes Gesicht beim Spiel mir gegenüber zu sehen und es mit Granow's Galgenphysiognomie oder mit Trantow's verschlafener Miene zu vergleichen. Und wenn ein junger Mensch, der mein lieber Gast ist, mir zu Liebe mit mir auf die Jagd und mit mir zum Farotische geht, und er keine Flinte und kein Geld hat, so ist es doch nur selbstverständlich und recht und billig, daß ich ihm meinen Gewehrschrank und meine Börse zur Disposition stelle. Und nun hören Sie auf, von der Bagatelle zu sprechen, und geben Sie mir eine Cigarre, oder haben wir keine mehr?
Ich bot ihm seine Cigarrentasche, die er meiner Obhut anvertraut, und murmelte, daß seine Güte mich zu Boden drücke, und daß mein einziger Trost sei, es werde sich mir doch noch eine Möglichkeit bieten, wie ich ihm so oder so meine Schuld abtragen könne. – Er lachte wieder und sagte, ich sei so stolz wie Lucifer, aber das möge er wohl leiden, und was die Möglichkeit betreffe, mich gegen ihn abzufinden, so sei er ein Mann, in dessen Leben die Zufälle und die Glücksfälle und die Unfälle und alle möglichen Fälle eine so große Rolle spielten, daß es mit einem Wunder zugehen müßte, wenn nicht unter andern leider auch der von mir herbeigesehnte Fall einträte. Bis dahin wollten wir die Sache in der Schwebe lassen. So suchte er meine Gewissensbisse wegzuscherzen, aber es war ihm nur zum Theil gelungen, und ich schlief an diesem Morgen ein und erwachte ein paar Stunden später mit dem Vorsatz, ernstlich an die Ausführung eines andern Vorsatzes zu gehen, nämlich, in meiner Eigenschaft als Lehrling mich der verlassenen Wirtschaft anzunehmen, es in kürzester Frist zu einer vollkommenen Einsicht in ökonomische Dinge zu bringen, mit Hülfe dieser Einsicht und eines rastlosen Fleißes und mit Aufbieten aller meiner Kräfte das verwüstete Gut, ebenfalls in kürzester Frist, sagen wir in ein bis zwei Jahren, zu einem Paradies zu machen und so meinen gütigen Wirth der Notwendigkeit zu überheben, das Geld, welches ihm seine Aecker nicht abwarfen, am Spieltisch zu gewinnen.
Von Stund' an legte ich ein Interesse für den spukhaften Pferdestall, das bis auf wenige jämmerliche Exemplare der Rinderspecies ausgestorbene Viehhaus und für ein paar Dutzend melancholischer Schafe an den Tag, daß Herr von Zehren, der ein ungemein scharfes Auge für das Komische hatte, gar nicht aus dem Lachen herauskam, bis sich ein Vorfall ereignete, der ihn veranlaßt, ein ernstes Wort zu sprechen, und mir meine ökonomischen Studien einigermaßen verleidete.
Jener alte Mann, den ich am ersten Tage im Park getroffen hatte, und der eigentlich Christian Haltermann hieß, von Allen aber nur »der alte Christian« genannt wurde, war in seiner Eigenschaft als Unterverwalter (oder Statthalter, wie man in jener Gegend sagt) in Ermangelung eines Herrn, der sich um etwas kümmerte, und eines Oberverwalters, der nicht vorhanden war, die kümmerliche Seele der kümmerlichen Wirtschaft. Was etwa noch angeordnet wurde, ging von ihm aus, aber es bedurfte gerade keines besonderen Scharfblickes, um zu sehen, daß von den banditenmäßig aussehenden Kerlen, welche die Rolle von Arbeitern spielten, jeder that, was ihm beliebte. Wenn der alte Mann, wie ich es ein paar Mal beobachtet hatte, in einen hilflosen Zorn gerieth, und mehr zu seiner Erleichterung als in der Hoffnung, etwas damit auszurichten, in einem sonderbar kreischenden, papageienartigen Tone schalt und keifte, lachten sie ihm in sein verschrumpftes Gesicht und gingen ihres Weges, verhöhnten ihn wohl gar ganz offen. Dabei zeichnete sich besonders ein gewisser Johann Swart, genannt »der lange Jochen« aus, ein baumhoher breitschulteriger Kerl mit affenlangen Armen, dessen Physiognomie dem Justizrath Heckepfennig vielleicht doch noch weniger gefallen hätte als die meinige, und von dessen unüberwindlicher Stärke die Andern unheimliche Dinge erzählten.
Diesen Menschen traf ich eines Morgens wieder einmal im Streit mit dem Alten. Der Gegenstand war ein Kornfuder, das der Alte abgeladen haben und der Andere nicht abladen wollte, die Scene der mit zertretenem Stroh bedeckte Platz vor dem Scheunenthor, die Zuschauerschaft ein halbes Dutzend anderer Kerle, die offenbar auf der Seite des Langen standen und jedes gemeine Witzwort desselben mit wieherndem Gelächter begrüßten.
Ich hatte den Auftritt schon von weitem beobachtet und so kam es, daß, als ich eilig herantrat, mein Blut bereits vor Zorn kochte. Ein paar der Lacher unsanft beiseite stoßend, trat ich vor den langen Jochen hin und fragte ihn, ob er jetzt dem Befehl des alten Christian Folge leisten wolle oder nicht. Jochen antwortete mit einem groben Lachen und einem gemeinen Wort. Im nächsten Augenblick wälzten wir uns Beide auf dem zertretenen Stroh, im folgenden kniete ich auf dem Besiegten und machte ihm die Unannehmlichkeit seiner Situation so handgreiflich, daß er zuerst laut um Hülfe und, als er sah, daß die Andern starr vor Schreck standen und er rettungslos in meiner Hand war, kläglich um Gnade schrie.
Ich hatte eben den halb Erwürgten und jämmerlich Zerbläueten losgelassen, als Herr von Zehren, der wieder seinerseits die Scene aus dem Fenster seines Zimmers beobachtet hatte, eilends herzukam. Er sagte dem Langen, es sei ihm ganz recht geschehen, und er solle es sich für die Zukunft merken, schalt auch die Andern, aber, wie es mir schien, keineswegs mit dem gehörigen Nachdruck, faßte mich dann unter den Arm, führte mich eine Strecke schweigend fort und sagte, als wir außerhalb des Gehörkreises der Leute waren: Es ist ganz gut, Georg, wenn die Kerle wissen, wie stark Sie sind; aber ich möchte nicht, daß Sie sie mir durch wiederholte Exercitien derart verwöhnten. Ich sah ihn groß an.
Ja, fuhr er fort, sie wollen sonst bei tausend anderen Gelegenheiten dieselben Prügel haben und zu dieser Herkulesarbeit möchten selbst Ihre starken Arme nicht ausreichen.
Lassen wir es darauf ankommen, sagte ich.
Nein, lassen wir es nicht darauf ankommen, sagte er.
Aber darüber geht die Wirtschaft zu Grunde, rief ich, dessen Blut noch immer in hohen Wogen ging. Herr von Zehren zuckte die Achseln und sagte: Da hat sie nicht mehr allzu weit, gönnen wir ihr doch die paar Schritte! Kurz, Georg, die Parole heißt: es bleibt Alles beim Alten! und was die Leute betrifft: es sind keine Bienen an Arbeitsamkeit, aber das haben sie mit den Bienen gemein, daß sie leicht stechen, wenn sie gereizt werden. Seien Sie deshalb in Zukunft ein wenig vorsichtiger als vorhin!
Er hatte das lächelnd gesagt, aber ich hörte sehr wohl heraus, daß es ihm mit dem, was er sagte, vollkommener Ernst sei, und ich also das Paradies, mit dessen Plan ich mich trug, ungeschaffen lassen müsse. Ein Paradies, in welchem jene banditenmäßigen Strolche ungestraft herumlungern konnten, war ein zu greller Widerspruch, als daß er selbst meinen unerfahrenen Augen nicht hätte einleuchten sollen.
Ich kann nicht sagen, daß es mir sehr schmerzlich gewesen wäre, auf meine Schöpferrolle zu verzichten. Hatte ich mich doch hauptsächlich in dieselbe hinein geträumt, weil ich hoffte. so die Schuld der Dankbarkeit gegen meinen Wirth abtragen zu können. Wenn er in dieser Münze nicht bezahlt sein wollte, so war dies schließlich nicht mir anzurechnen, und wenn er mir tagtäglich wiederholte, daß er von mir nichts weiter wolle, als mich selbst, daß meine Gesellschaft ihm über Alles angenehm sei, – wie hätte ich Versicherungen, die mir so schmeichelhaft waren, nicht glauben, wie hätte ich den Lockungen eines Lebens, das meinen Neigungen so vollkommen entsprach, widerstehen können?
Fischefangen und Vogelstellen! – es knüpft sich eine ominöse Warnung daran, deren Richtigkeit zu erproben ich später verzweifelt ernste Veranlassung und bedenklich viel Zeit haben sollte; aber noch heute mag ich den Zauber nicht schelten, der auf jenen vom Sprichwort gezeichneten Beschäftigungen liegt. Man kann die Fische nicht fangen, ohne dabei in die Wellen zu blicken, und den Vögeln nicht nachstellen, ohne in den Himmel zu spähen, und die wandernden Wellen und die ziehenden Wolken – die haben's uns angethan, die hatten mir's angethan, von frühester Jugend an! Wie oft hatte ich als Knabe einen Umweg aus der Schule gemacht, um ein halbes Stündchen am Hafen auf der äußersten Spitze der Mole mit der Mappe unter dem Arm zu sitzen und mich einlullen zu lassen von dem leisen Plätschern zu meinen Füßen! wie oft am Fenster in meinem Dachstübchen und über die leidigen Bücher weg in den blauen Aether gestarrt, wo vielleicht des Nachbars weiße Tauben ihre himmlischen Kreise zogen! Und immer hatte ich mich gesehnt, mich nur einmal so recht satt hören zu können am Wellenrauschen, nur einmal so recht satt sehen zu können am Wolkenziehen! Dann war wohl, als ich älter wurde und den Kreis meiner Streifereien weiter ausdehnen konnte, manche glückliche Stunde für mich gekommen: manche Ruderfahrt, manches wilde Spiel in dem benachbarten Wald, manche ungeschickte Jagd auf Strandvögel mit einem von Pinnow's verrosteten Gewehren – aber es waren doch immer nur Stunden gewesen, die der übermüthigen Kraft des Knabenjünglings bei weitem nicht genügten, und die noch dazu mit so viel Stuben- und Schularrest, so viel Sorge, Noth, Aerger, Zorn erkauft werden mußten!
Nun hatte ich – zum ersten Male im Leben – vollauf, wonach ich mich, so lange ich lebte, gesehnt: Wald und Wiese, die Felder und den Strand, ein unermeßliches Terrain, und Zeit, in diesem Revier herumzuschweifen, vom ersten Morgenstrahl bis zum Abendroth, in die Nacht hinein – unermeßliche Zeit, und einen Gefährten dazu, wie ihn sich ein Jüngling, der den Ehrgeiz hatte, es in den bewußten brotlosen, verderblichen Künsten möglichst weit zu bringen, nicht passender wünschen konnte. Des »Wilden« Auge und Hand waren vielleicht nicht mehr so sicher, wie sie es vor zehn, zwanzig Jahren gewesen, dennoch war er noch immer ein trefflicher Schütz und ein Meister in Allem, was die Jägerei betraf. Niemand wußte besser als er, wo man das Wild zu suchen habe, Niemand hatte so gut dressirte Hunde und wußte sie so gut zu führen, Niemand die Zufälligkeiten der Jagd so geschickt auszubeuten; Niemand, vor Allem, war ein besserer Kamerad. Wenn sein Feuereifer während der Jagd Alle mit sich fortriß, so konnte keiner das far niente des Rendezvous am kühlen Waldessaume oder in dem dünnen Schatten von ein paar Bäumen am Rande eines Grabens mitten in den Feldern so behaglich auskosten, und die müde Gesellschaft mit allerlei Scherz und Spott und meisterhaft erzählten Geschichten köstlicher unterhalten. Am liebenswürdigsten freilich erschien er mir immer, so oft ich mit ihm allein durch das Revier schweifte. Wenn er auf den größeren Jagden sein herrschsüchtiges Wesen weder verleugnen konnte noch wollte, und ihn die größeren Erfolge eines Andern mit einem Neid erfüllten, der sich in bittern Sarkasmen Luft machte, so war von dem Allen in meiner Gesellschaft keine Spur. Er lehrte mich alle Kunstgriffe und Auskunftsmittel, an denen er so reich war, und war entzückt, als er an mir einen so gelehrigen Schüler fand, ja lachte jedesmal herzlich, wenn ich mir erlaubte, ihm ein Huhn wegzuschießen, auf das er für sich gerechnet hatte.
Und dann sein Geplauder, dem ich mit immer neuem Entzücken zuhörte! Es war die seltsamste Mischung von köstlich erzählten Anekdoten aus seinem abenteuerreichen Leben und beißender Satire gegen die Menschheit, besonders gegen die schönere Hälfte derselben. Die Frauen hatten im Leben des Wilden eine große und verhängnißvolle Rolle gespielt. Wie so viele Menschen von heftigen Leidenschaften und glühender Sinnlichkeit, hatte er wohl nie nach wahrer Liebe gesucht und machte jetzt den Frauen ein Verbrechen daraus, daß er dieselbe nie gefunden; auch bei jenem unglücklichen Mädchen nicht, das er unter so schauerlichen Umständen aus seiner Heimath entführte, und das ihm nichts mitbrachte als den Fluch seiner Eltern, eine nur zu schnell verblühende Schönheit und einen gänzlich ungebildeten, vielleicht bildungsunfähigen, bigotten Geist, der den Keim des Wahnsinns schon in sich trug. Daß er, der damals bereits Vierzigjährige, der viel Umgetriebene, viel Erfahrene, sich einzig und allein die Schuld zuzumessen hatte, sich alles Unheil und Unglück, welches aus einer so frevelhaften, sinnlosen Verbindung hervorgegangen war, selbst zuschreiben mußte – das einzusehen, anzuerkennen, fiel ihm aber natürlich nicht ein. Er war der Mann, an dem viel mehr gesündigt war, als er sündigte; er war das Opfer seiner Großmuth; er war um sein Lebensglück betrogen worden! Wie hätte ein Mann häuslich sein können, der sich nicht wohl gefühlt hatte in seinem Hause? sich an Ruhe gewöhnen können an der Seite einer Frau, die der Irrwahn und der Aberglaube Tag und Nacht ruhelos umgetrieben? – Ja, ja, mein lieber Georg, ich habe mich mit großen Planen getragen, nachdem ich größere ad acta gelegt; ich wollte das noch aus der Franzosenzeit verwüstete Schloß wieder herrichten in seinem altem Glanz, ich wollte alle Güter wieder erwerben, die einst den Zehrens gehört – aber es sollte nicht sein, sollte nicht sein in den Jahren, als ich noch frisch und hoffnungsreich war, und Sie wollen mich alten verwilderten Menschen jetzt zum sparsamen Hauswirth bekehren – Sie junger hoffnungsgrüner Springinsfeld? Da springt er hin in's Feld! Das kommt vom Schwätzen. Nein, schießen Sie nicht mehr; es ist zu weit. Hierher Diana, altes Mädchen! Du wirst doch nicht in deinen ehrbaren Jahren so leichtsinnig sein; schäme dich! Ja, was ich sagen wollte, Georg, hüten Sie sich vor den Weibern! sie sind mein Unglück gewesen, sie sind aller Menschen Unglück. Nehmen Sie meine Brüder! Da ist der Steuerrath, den Sie kennen! Der Mensch war dazu prädestinirt, eine gute Carrière zu machen, denn er ist in die glänzenden Dinge dieser Welt verliebt, wie eine diebische Elster, dabei schlau wie ein Fuchs, glatt wie ein Aal, und, als ein Mensch ohne Leidenschaften, anspruchslos für seine Person, also billig zu erhalten. Er mußte, wenn er durchaus heirathen wollte, zu einer Zeit, wo er noch keine Ansprüche machen konnte, ein einfaches Mädchen heirathen, das sich mit ihm durchdrückte. Statt dessen läßt sich der pfenniglose Referendar von einer Baroneß Kippenreiter einfangen, der ältesten von zwei zurückgebliebenen Töchtern eines ich glaube vom Könige von Schweden baronisirten Armeelieferanten, welcher das Vermögen, um derentwillen er geadelt war, bis auf den letzten Heller wieder verspeculirt und sich schließlich eine Kugel durch den Kopf gejagt hatte. Nun hat er das Elend. Eine Baroneß Kippenreiter will nicht umsonst ihre Briefe mit einem zwanzig Jahre alten Wappen siegeln und den reichsten Mann der Provinz zum Schwager haben. Hat es ein so decidirter Plebejer zu solchem Ansehen und bis zum Commerzienrath bringen können, muß ihr Mann, der aus der ältesten Familie der Provinz stammt, mindestens als Minister sterben. Nun wäre vielleicht das geschmeidige anspruchslose Füchslein in den Hühnerstall gelangt, das Füchslein aber, das sich in einen vor Hunger und Schulden heulenden, stellenjägerischen Wolf verwandeln muß, wird mit Stockschlägen, Steinwürfen und Fußtritten abgewiesen. Nächstens wird man ihn pensioniren, um ihn nur ein für alle mal los zu sein. – Da ist mein jüngster Bruder Ernst. Das ist ein Genie, also, wie alle wahren Genies: bescheiden, großmüthig à la Don Quixote, voll philantropischer Schrullen, maßlos unpraktisch und kindisch hülflos. Er mußte eine resolute Frau haben, die Ordnung in seine geniale Confusion brachte und den Ehrgeiz hatte, aus ihm etwas Rechtes zu machen. Hatte er doch das Zeug dazu; es brauchte ja nur zugeschnitten zu werden! Was thut er? Er verliebt sich als Premierlieutenant von zwanzig Jahren, denn er hatte sich, als ein halber Knabe fast, in den Freiheitskriegen brillant geschlagen, kam mit Orden bedeckt zurück, man war auf ihn aufmerksam geworden, und eine große Bahn stand ihm offen – was wollte ich sagen? ja, er verliebt sich in eine Waise, die Tochter, glaube ich, eines Malers oder dergleichen, der als Freiwilliger in seinem Bataillon den Feldzug mitgemacht und sterbend sie ihm auf seine gutmüthige Seele gebunden hatte; er heirathet sie – und adieu Generalstab, Avancement! Man giebt dem Herrn Lieutenant, der durchaus eine Mesalliance eingehen will, den Abschied mit dem Titel eines Hauptmanns, macht ihn zum Gefängnißdirector, und da sitzt er nun seit fünfundzwanzig Jahren in Dingsda mit einer halb blinden Frau, einer Schaar von Kindern, vor der Zeit alt und grau, ein jämmerlicher Invalide; – und das Alles einem kleinen dummen Gänschen zu Liebe, dem jeder beliebige Gevatter Schneider oder Handschuhmacher eben auch recht gewesen wäre. O die Weiber, die Weiber! Lieber Georg, hüten Sie sich vor den Weibern!
Hatte der Wilde, wenn er solche Reden gegen mich führte, dabei eine bestimmte Absicht? Ich glaube nicht. Ich war jetzt so viel mit ihm zusammen, wir brachen oft so früh auf, waren des Mittags so selten zu Hause, kehrten in der Nacht meistens so spät heim – ich sah infolge dessen Konstanze so wenig und fast stets in seiner Gegenwart, wo ich mich durch die beständigen Feindseligkeiten zwischen Vater und Tochter so eingeschüchtert und befangen fühlte, daß ich die Augen kaum zu dem schönen Mädchen aufzuschlagen wagte – er konnte unmöglich wissen, wie sehr ich das schöne Mädchen bewunderte, wie ich es mit jedem Male reizender fand, wie mein Herz klopfte, so oft ich auch nur das Rauschen ihres Kleides hörte.
Und dann war noch ein anderer Grund, der ihn nach dieser Seite hin sicher machte. So gern er mich in seiner Weise hatte, mit welcher aufrichtigen Bewunderung ihn meine Gelehrigkeit in Allem, was sich auf den Sport bezog, erfüllte, und meine ungewöhnliche Körperkraft, die ich vor ihm zu entfalten liebte – er betrachtete mich doch wohl kaum als ein Wesen seiner Art. Verarmt, wie er war, seit vielen Jahren eine problematische Existenz führend, konnte er doch nicht vergessen und vergaß es nie, daß er von einem uralt adeligen Geschlecht abstammte, welches die Obmacht über die Insel hatte, als von den Fürsten von Prora-Wiek noch nicht die Rede war, und die später mächtige Hansestadt Uselin, meine Vaterstadt, noch aus Fischerhütten bestand. Ich bin überzeugt, daß er – wie ein depossedirter König – innerlich nie auf die Macht und den Reichthum, den seine Ahnen einst besessen, verzichtet hatte, daß der Fürst von Prora-Wiek, die Herren von Trantow und Granow und ein paar Dutzend andere adelige und unadelige Herren, die ringsumher auf Gütern saßen, die früher den Zehrens gehört, in den sogenannten Besitz dieser Güter nur durch, ich weiß nicht welche tölpelhafte Laune des Zufalls, jedenfalls auf keinen Rechtstitel hin, den er anerkannte, gekommen waren, und daß er, wo er auch jagte, auf seinen Jagdgründen jagte. Dieser mystische Cultus einer Herrlichkeit, die nicht mehr vorhanden war, die sich sogar in ihr Gegentheil verwandelt hatte, als deren Träger er sich aber betrachtete, gab seinen Augen den stolzen Blick, seinem Wesen die Anmuth, seiner Sprache die Verbindlichkeit, wie man es wohl bei regierenden Fürsten findet, deren politische Ohnmacht so groß und deren Legitimität so unanfechtbar ist, daß sie es sich erlauben dürfen, vollkommen liebenswürdig zu sein.
Herr von Zehren schwärmte für das Erstgeburtsrecht und fand es unverantwortlich, daß jüngere Brüder den Adel, den sie nicht zu repräsentiren im Stande seien, weiter führen dürften. – Ich habe nichts gegen einen Steuerrath, selbst nichts gegen einen Gefängnißdirector, sagte er; nur müssen die Leute Müller oder Schultze und nicht Zehren heißen. – Gegen den Hof-, Beamten- und Militäradel hegte er die tiefste Verachtung – das seien alles nur Bedienten mit und ohne Livree; auch unterschied er scharf zwischen dem alten und echten und dem neugebackenen Adel, zu welchem erstern beispielsweise die Trantows gehörten, die ihren Stammbaum in ununterbrochener Folge bis in die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts zurückführen könnten, während Herr von Granow einen Schäfer zum Urgroßvater, einen kleinen Pächter zum Großvater und einen Gutsbesitzer, der sich habe adeln lassen, zum Vater habe. – Und der Mensch thut manchmal, als ob er meinesgleichen wäre! Die Ehre, sein schnödes Geld an mich verlieren zu dürfen, scheint ihm in seinen albernen Kopf gestiegen zu sein; ich glaube, nächstens wird er kommen und fragen, ob ich nicht der Schwiegervater eines Schäferjungen werden wolle. Nun, Gott sei Dank, in der Beziehung wenigstens kann ich mich auf Konstanze verlassen; sie würde lieber in's Wasser springen, als solchen kleinen aufgeblasenen Molch heirathen. – Daß sie gegen den armen Hans so spröde thut, ist freilich dumm. Trantow ist immer noch ein erträgliches pis-aller. Hans von Trantow darf sich unter einen Glaskasten setzen, und Niemand wird einen Tadel an ihm finden. Sie lachen, Sie Grünspecht! Sie meinen, er habe das Pulver nicht erfunden, und wenn er es noch lange so forttreibe, werde er sich sein bischen Verstand vollends weggetrunken haben? Pah! Das Erstere qualificirt ihn nur zu einem guten Ehemann; und was das Letztere betrifft, so weiß ich mit Bestimmtheit: es ist die pure Verzweiflung, die ihn mit seinen starren Augen so tief in's Glas sehen läßt. Der arme Teufel! er thut einem wahrlich von Herzen leid, aber das thut einem schließlich Jeder, der sich mit den Weibern einläßt. Hüten Sie sich vor den Weibern, Georg, hüten Sie sich vor den Weibern!
Konnte der Mann, der solche Gesinnungen hatte, und der mit mir so sprach, eine Ahnung von meinen Empfindungen haben? Unmöglich! Ich war ihm ein junger Mensch, der ihm über den Weg gelaufen, den er aus langer Weile angerufen hatte, und den er nun so weiter neben sich herlaufen ließ und mit dem er sich unterhielt, weil er nicht gern allein war und weil er zu plaudern liebte. Und durfte ich mich denn beklagen? durfte ich größere Ansprüche machen? War ich etwas Anderes und wollte ich etwas Anderes sein als Einer in meines Ritters Gefolge, wenn ich auch zur Zeit der Einzige war? und der sich über nichts mehr betrübte als darüber, daß er nicht auch zu gleicher Zeit seines Ritters schönem Töchterlein dieselben ehrfurchtsvollen Knappendienste aus treuer Seele weihen durfte!