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Seit jenem unvergessenen Gange an ihrer Seite durch den Wald nach der Strandruine war ich nicht wieder längere Zeit mit Konstanze allein gewesen. Ich hatte sie nur des Mittags und, wenn wir von der Jagd zurückgekommen waren, an der Abendtafel gesprochen, das heißt in Gegenwart ihres Vaters und meistens auch der Herren von Trantow und von Granow, unsern Jagd- und Spielgesellen. Sie hatte dann immer kaum die schönen Augen von dem unberührten Teller erhoben, während Hans von Trantow sie in alter Weise anstarrte, der kleine von Granow sich durch ihre kalte Schweigsamkeit in seinem Redefluß nicht stören ließ und Herr von Zehren, der in Gegenwart seiner Tochter immer sonderbar gereizt war, mehr als einen seiner scharf gefiederten sarkastischen Pfeile auf sie abschoß. Für mich waren das immer sehr trübe, bittere Stunden, um so bitterer, als ich mich bei all meiner Opferwilligkeit und Hilfsbereitschaft so hilflos fühlte und, was das Schlimmste war, zu bemerken glaubte, daß sie mich von der Abneigung, welche sie offenbar gegen die Freunde ihres Vaters hegte, nicht mehr ausschloß. Nicht mehr! denn in den ersten Tagen war es anders gewesen. In den ersten Tagen hatte sie stets für mich einen schnellen freundlichen Blick, ein gelegentlich geflüstertes Wort, einen herzlichen, wenn auch flüchtigen Druck der Hand gehabt. Das war jetzt Alles vorbei. Sie sprach nicht mehr mit mir, sie sah mich nicht mehr an, oder, wenn es ja geschah, mit einer Miene, die halb zornig und halb verächtlich war und mir jedesmal in's Herz schnitt. Und wenn ich wirklich kurzsichtig genug gewesen wäre, mich über die Bedeutung dieser Blicke zu täuschen, so sollte bald ein Wort der alten Pahlen den letzten Zweifel nach dieser Seite zerstören.
Ich war nämlich auf den Einfall gekommen, mir statt des Zimmers in der Front des Schlosses, welches ich während der ersten Tage bewohnt hatte, eines der vielen leerstehenden nach dem Parke zu erbitten, in welches ich nach und nach von dem mancherlei, zum Theil noch immer kostbaren Geräth, das in den verwüsteten Räumen des oberen Stockes herumlag und herumstand, ein seltsames Ameublement zusammentrug.
Herr von Zehren hatte sehr gelacht, als er mich eines Tages zum Essen holen wollte, dessen Stunde ich in meinem Eifer versäumt, und mich in voller Arbeit fand, meine wurmstichigen und vergilbten Schätze zu arrangiren.
Buntscheckig genug sieht es allerdings aus, rief er, aber für einen Alterthümler wäre das Gerümpel vielleicht nicht ohne Interesse; wahrhaftig, es ist wie ein Capitel aus einem Scott'schen Roman! Da, in dem Lehnstuhl könnte Mr. Dryasdust selbst gesessen haben; den müssen Sie hierher stellen, wenn der Kerl nicht umpurzelt, sobald Sie ihn von der Wand nehmen. So, noch etwas weiter an's Fenster! Ist das nicht ein Prachtmöbel? Es stammt aus meines Urgroßvaters Malte Zeit. Er war Gesandter am Hofe August des Starken – der einzige, meines Wissens, der, als Erstgeborner, je im Staatsdienst gestanden hat. Er brachte von Dresden die schönen Vasen mit, von denen dort noch eine Scherbe steht, und eine ausgesprochene Vorliebe für Mohren, Papageien und Frauenzimmer. Doch de mortuis –! Wahrhaftig, es sitzt sich noch immer gut in dem alten Ungethüm und welch herrlicher Blick gerade von dieser Stelle aus in den Park! Ich werde Sie oft besuchen. Das ist ja wirklich ganz charmant!
In der That kam er in den folgenden Tagen, wo ein strömender Regen uns in dem Hause festhielt, ein paar mal, seine Cigarre zu rauchen und mit mir zu plaudern; aber als das Wetter sich wieder aufklärte, dachte er nicht mehr daran und ich hütete mich wohl, ihn wieder an mein Museum zu erinnern. Hatte ich es doch nur eingerichtet, um Konstanze näher zu sein und den Park beobachten zu können, in dessen verwilderten Wegen sie so gerne umherschweifte. Auch ein Stück von der Terrasse, die sich vor ihrem Fenster hinzog, konnte ich sehen, leider nur den äußersten Rand, da der Anbau, in welchem sie wohnte, fast um die Breite der Terrasse hinter dem Hauptgebäude zurücklag. Aber es war doch immer etwas: das schwache Licht, das des Abends auf der Balustrade lag, kam aus ihrem Zimmer, und ein oder das anderemal sah ich die undeutlichen Umrisse ihrer Gestalt, wie sie auf der Terrasse hin und wieder ging, oder, sich auf das Steingeländer stützend, in den Park hinaussah, über welchen die Nacht ihren dunklen Schleier breitete. Und wenn ich sie nicht sah, hörte ich doch ihr Spiel und ihre Lieder, unter denen mir keines lieber war als jenes, welches ich an dem ersten Abende gehört und von dem ich jetzt jedes Wort kannte:
Am Tage die Sonne,
Wohl hat sie mich gerne,
Ich aber, ich liebe
Die nächtigen Sterne.
Ach, ich mußte sie auch wohl sehr lieben, die nächtigen Sterne, denn oft und oft, wenn der matte Schein von der Balustrade längst verschwunden und der Gesang, der mich entzückte, längst verklungen war, saß ich noch immer in dem offenen Fenster, blickte zu den Sternen hinauf, die oben im stillen Glanze einer Septembernacht funkelten, und lauschte auf die feierliche Musik des Windes in den uralten Wipfeln des Parks.
Indessen, dieses holde Glück, das mir wohl nur junge Herzen, oder solche, die sich jung erhalten haben, nachfühlen können, sollte, wie gesagt, nur von kurzer Dauer sein. Der jähe Wechsel, welcher in Konstanzens Betragen gegen mich stattgefunden hatte, riß mich aus allen meinen Himmeln, und ich zermarterte mein armes Gehirn, den Grund ausfindig zu machen, der mir die Ungnade der Herrin zugezogen haben könnte. Aber wie ich auch sann und sann, ich fand ihn nicht, und so beschloß ich endlich – trotzdem mein Herz mich davor warnte – mich an »Pahlen« zu wenden, die, wenn irgend Jemand, im Stande sein mußte, mir das Räthsel zu lösen, welches so schwer auf meinem thörichten jungen Herzen lastete.
Die häßliche Alte war neuerdings etwas zutraulicher geworden. Ich hatte bald herausgebracht, daß sie unendlich geldgierig war, und es nicht verschmäht, ihr unter diesem und jenem Vorwand einen oder ein paar von den Thalern, die ich gewonnen – natürlich hatte ich auch den Vorsatz, nicht wieder spielen zu wollen, bald genug aufgegeben – in die braunen, runzeligen Hände gleiten zu lassen. Der Silberregen hatte ihr starres Herz erweicht; sie brummte und knurrte nicht mehr, wenn ich mir erlaubte, sie anzureden, und brachte mir ein paarmal sogar selbst den Kaffee auf's Zimmer. Als ich meinte, daß die Zähmung hinreichend vorgeschritten war, wagte ich, worauf es mir allein ankam, sie nach ihrer jungen Herrin zu fragen. Sie warf mir einen ihrer argwöhnischen Blicke zu und verzog endlich, nachdem ich schüchtern die Frage wiederholt, ihr altes häßliches Gesicht zu einem widerwärtigen Grinsen, über dessen Meinung ich vollständig im Dunkeln geblieben sein würde, wenn sie nicht die Zuvorkommenheit gehabt hätte, es mir alsbald in Worte zu übersetzen. Mit Speck fängt man Mäuse, junger Herr, aber das lassen Sie sich nur vergehen, die alte Pahlen ist Ihnen zu schlau.
Was sollte ich mir vergehen lassen?
Ich fragte, da ich nicht im Stande war, eine zutreffende Antwort zu finden, die Alte am nächsten Tage.
Thuen Sie doch nur nicht, als ob Sie es nicht wüßten, erwiderte Sie mit einer Art von Respect, welchen ihr meine unschuldige Miene, in der sie natürlich einen Triumph der Verstellungskunst sah, eingeflößt hatte; für die paar Thaler verrathe ich mein gnädiges Fräulein nicht. Es hat mir schon leid genug gethan, daß ich Ihnen diese Stube habe einräumen helfen, und sie hat sich bitter genug darüber beklagt.
Aber; mein Gott, rief ich, ich will ja gern wieder in mein früheres Zimmer ziehen, wenn es das Fräulein wünscht. Freilich, ich hätte es nicht gedacht, daß es ihr so unangenehm sein würde, wenn ich sie so doch ein oder das andere mal mehr zu sehen bekomme. Ich hätte es nicht gedacht.
Und weiter hätten Sie nichts gewollt? sagte die Alte.
Ich antwortete nicht; in meiner Verzweiflung, das angebetete Mädchen, Gott weiß wie sehr gegen meinen Willen! gekränkt zu haben, und doch auch wieder froh, endlich zu wissen, wodurch ich sie gekränkt hatte, lief ich wie ein junger Thor, der ich war, in dem großen Zimmer auf und ab und rief:
Ich will heute noch aus diesem Zimmer fort; ich will hier keine Nacht mehr schlafen; sagen Sie Ihrem Fräulein das, und sagen Sie ihr, ich würde in dieser Stunde ganz von hier gehen, nur daß ich nicht weiß, was ich Herrn von Zehren sagen soll.
Und ich warf mich, auf die Gefahr, mit dem wurmstichigen Möbel zusammenzubrechen, in den großen Lehnstuhl und starrte verzweiflungsvoll vor mich hin.
Der Ton meiner Stimme, der Ausdruck meiner Miene, meine Worte selbst mochten die Alte von meiner Aufrichtigkeit überzeugt haben.
Ja, ja, sagte sie, was wollten Sie ihm auch sagen? Er würde Sie gewiß nicht fortlassen, obgleich ich nicht weiß, was er eigentlich mit Ihnen vorhat. Bleiben Sie nur hier; ich werde mit meinem gnädigen Fräulein sprechen.
Thun Sie das, liebste, beste Frau Pahlen, rief ich aufspringend und die Alte bei einer ihrer knöchernen Hände ergreifend. Sprechen Sie mit ihr, sagen Sie ihr – ich wurde roth, ich stammelte ich weiß nicht welche Albernheiten, und beschwor die Alte, nur noch einmal mit ihrer jungen Herrin zu sprechen.
Die Alte, die mich immerfort mit einem sonderbaren, stechenden Blick beobachtet hatte, blieb ein paar Momente nachdenklich, dann sagte sie kurz, sie wolle sehen, was sich thun lasse, und ging.
Ich blieb in der größten Verwirrung. Die Gewißheit, daß die abscheuliche Alte mein Geheimniß durchschaut habe, war mir sehr peinlich; dann aber tröstete ich mich mit dem Gedanken, daß, wenn sie wirklich, woran ich nicht zweifeln konnte die Vertraute Konstanzens war, ich mich gewiß nicht schämen dürfe, sie auch zu meinem Vertrauten gemacht zu haben; und schließlich, geschehen war nun einmal geschehen, und wenn Konstanze erst erfahren haben würde – ja, was erfahren haben würde? daß ich sie liebe, daß ich bereit sei, Alles für sie zu thun und zu leiden, so würde sie mir gewiß verzeihen, was ich gethan? Ja, mein Gott, was hatte ich denn gethan? Wie mochte sie, die mir in den ersten Tagen so freundlich entgegengekommen war, die mich im Scherz, der ganz wie Ernst aussah, zu ihrem Dienste erkoren, – wie mochte sie durch etwas beleidigt sein, worin sie doch im schlimmsten Falle nur ein Zeichen meiner Liebe, meiner Bewunderung erblicken konnte?
So verschlangen sich unter meinen ungeübten Händen die Fäden meiner Herzensangelegenheit immer mehr zu einem unentwirrbaren Knäuel, und mit dem heftigsten Herzklopfen betrat ich eine Stunde später das Speisezimmer, wo heute außer unsern gewöhnlichen Gästen noch drei oder vier andere sich eingefunden hatten. Man wartete nur auf das Erscheinen des Fräuleins, um sich zu Tische zu setzen. Nach Tische sollte noch eine kleine Jagd gemacht werden.
Konstanze stellte wie gewöhnlich die Ungeduld ihres Vaters auf eine harte Probe. Endlich erschien sie.
Ich weiß nicht, durch welchen Zufall ich, der ich sonst stets, wenn Gäste da waren, meinen Platz an dem untersten Ende des Tisches hatte, diesmal neben ihr zu sitzen kam. Gewiß hatte ich das nicht beabsichtigt; ich würde mich in der Stimmung, in welcher ich war, lieber jeder Gefahr ausgesetzt haben, als daß ich mich freiwillig in die unmittelbare Nähe meiner schönen Feindin begeben hätte. Auch wagte ich kaum die Augen aufzuschlagen, während mir das Herz in der Brust hämmerte und ich in grenzenloser Verwirrung meinen Teller mit Speisen füllte, trotzdem ich an jedem Bissen zu ersticken fürchtete. Wie freudig war ich deshalb erschrocken, als Konstanze, nachdem sie ein paar Minuten in gewohnter Weise still da gesessen, mich plötzlich mit leiser freundlicher Stimme fragte, ob ich wohl Zeit hätte, auch ihr ein Glas Wein einzuschänken. – Warum haben Sie es mir nicht gesagt, meine Gnädigste? rief Herr von Granow. der an ihrer andern Seite saß. – Ich bin gern auf meine eigene Weise bedient, erwiderte Konstanze, indem sie dem kleinen Herrn beinahe den Rücken wandte und mit mir zu sprechen fortfuhr. Ich antwortete, so gut ich vermochte, und weil sie fortwährend leise sprach, that ich es auch und beugte mich zu ihr, um besser hören zu können; und weil ich ihr dabei in die dunkeln Augen sehen mußte, vergaß ich, was sie gefragt hatte, oder antwortete verkehrt, und darüber lachte sie, und weil ich sie lachen sah, lachte ich auch, und das Alles zusammen gab die reizendste kleine vertrauliche Conversation, obgleich wir über die gleichgiltigsten Dinge von der Welt sprachen. Alles Andere und alle Andern waren für mich verschwunden. Nur einmal sah ich, daß Hans von Trantow, der uns gegenüber saß, mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, aber ich achtete nicht darauf; des guten Hans Augen pflegten diesen Ausdruck zu haben.
Dann hob – viel zu bald für mich – Herr von Zehren die Tafel auf. Vor dem Hause harrten barfüßige, barhäuptige Jungen mit Kiepen auf den Rücken; die Hunde bellten und sprangen an den Jägern empor, die an ihrem Jagdzeug nestelten und die Gewehre luden; Konstanze war, was sie nie zuvor gethan, mit herausgetreten und rief mir zu, als wir im Begriffe waren, fortzugehen: Ich darf Ihnen nicht Glück wünschen und Unglück mag ich Ihnen nicht wünschen. Dann winkte sie mir freundlich mit der Hand, nachdem sie ein Compliment gemacht, in welches sich die Andern theilen mochten, und trat in das Haus.
Wohin gehen wir heute? fragte ich Herrn von Zehren, indem ich an seine Seite kam.
Es ist über Tisch lange genug darüber geredet worden; Sie scheinen sehr zerstreut gewesen zu sein.
Es war das erste Mal, daß er in einem unfreundlichen Ton zu mir gesprochen hatte; meine Miene mochte wohl die Bestürzung, die ich darüber empfand. ausdrücken, denn er sagte alsbald: Nun, es war nicht so bös gemeint, und Sie können ja auch im Grunde nichts dafür.
Wir waren an ein Stoppelfeld gekommen und die Jagd nahm ihren Anfang. Herr von Zehren hatte mich auf den linken Flügel postirt, während er selbst auf den rechten ging; so war ich von ihm getrennt und kam auch während der Dauer der Jagd nicht wieder an seine Seite. Auch das war noch nie geschehen; er hatte mich sonst immer bei sich behalten und seine Freude daran gehabt, wenn wir Beide mehr schossen, als manchmal die Uebrigen zusammen. Heute schoß ich schlecht genug; die Glückseligkeit, welche Konstanze mir durch ihre unerwartete Güte bereitet hatte, war mir durch Herrn von Zehren's Unfreundlichkeit bitter vergällt worden. Ich grübelte, während die Hühner, die mein Caro aufstieß – Herr von Zehren hatte mir einen seiner besten Hunde geschenkt – von mir unbeschädigt davon schwirrten, über das unselige Verhältnis zwischen Vater und Tochter, und daß ich meine Liebe zu jener nicht zeigen konnte, ohne diesen zu erzürnen, und umgekehrt, und was dabei aus meinem Lieblingsvorsatz, Vater und Tochter miteinander zu versöhnen, werden solle.
In diese traurigen Betrachtungen war ich ganz versunken, als sich Herr von Granow zu mir gesellte. Es dämmerte bereits, die eigentliche Jagd war vorüber; nur dann und wann ertönte noch auf der weiten, hier und da mit Büschen besetzten Haide der durch die Entfernung gedämpfte Knall eines Gewehres; man hielt keine Ordnung mehr, und es dauerte nicht lange, als ich mit dem kleinen Manne, nachdem wir eine Hügelwelle über stiegen, mich allein befand.
Was haben Sie mit dem Alten gehabt, fragte Herr von Granow, indem er sein Gewehr über die Schulter hing und ganz nahe an meine Seite kam.
Was sollte ich gehabt haben? fragte ich zurück.
Nun, sagte der Kleine, es war mir so, und nicht blos mir. Die Andern haben es auch bemerkt. Ich kann Sie versichern, daß er über Tisch ein paar mal ein Gesicht machte, als wollte er Sie fressen.
Ich habe ihm nichts zu Leide gethan, sagte ich.
Glaub's wohl, fuhr der Kleine fort; und heute Nachmittag hat er ja wohl kaum ein Wort mit Ihnen gesprochen.
Ich schwieg, da ich nicht wußte, was ich sagen sollte.
Ja, ja, sagte der Andere – aber laufen Sie doch nicht so, da kann ja kein Mensch mitkommen, und wir haben nichts zu versäumen. Sie sind da in einer schlimmen Lage!
Weshalb? sagte ich.
Wissen Sie es wirklich nicht?
Nein.
Herr von Granow war von seiner Klugheit so fest überzeugt, daß es ihm gar nicht einfiel, meine Unwissenheit könne möglicherweise nur vorgeschützt sein, um ihn zum Reden zu vermögen.
Ja, ja; sagte er, Sie sind noch jung, da hört und sieht man Manches nicht, was unser Einer, der die Welt kennt, schon beim ersten Blick weg hat. Der Alte und das gnädige Fräulein leben wie Hund und Katze; nun wahrhaftig, wenn man es so recht bedenkt, hat Keines große Ursache, das Andere zu lieben. Sie führt ein jämmerliches Leben durch seine Schuld; er möchte sie gern los sein, aber wer soll sie ihm abnehmen? Ich habe mir die Sache nach allen Seiten überlegt, aber es geht nicht, es geht wirklich nicht.
Ich wußte, als ich meinen Begleiter so sprechen hörte, nicht, ob ich ihn zur Strafe für seine Unverschämtheit zu Boden schlagen oder ob ich laut auflachen sollte. Ich blickte ihn von der Seite an; der kleine Mann mit seinen stampfenden Beinchen, das alberne, von der Anstrengung der Jagd hoch geröthete Gesicht mit dem halb offenstehenden Munde – ich mußte lachen, und ich lachte, lachte aus voller Kehle.
Ich weiß nicht, worüber Sie lachen, sagte er mehr verwundert als ärgerlich. Es kann Ihnen unmöglich die kleine Scene, die sie heute Mittag Ihnen und uns Allen gespielt hat, so zu sagen, zu Kopf gestiegen sein? Und gerade das war es, worüber ich Sie gern aufklären möchte.
Was meinen Sie? fragte ich.
Meine Lustigkeit war vorbei: ich war plötzlich wieder ganz ernsthaft geworden. Eine Scene, die sie mir gespielt hatte? – Was meinen Sie? fragte ich noch einmal, dringender als zuvor.
Herr von Granow, der sich ein paar Schritte von mir entfernt hatte, stampfte wieder heran und sagte in vertraulichem Ton:
Im Grunde kann ich es Ihnen nicht übel nehmen. Lieber Gott, Sie sind noch so jung, und ich weiß manchmal selbst nicht, woran ich mit dem Mädchen bin. Aber soviel ist mir klar: aus purem schieren Trotz gegen ihren Vater – und vielleicht auch ein Bischen aus Berechnung, um sich kostbar zu machen, vielleicht auch, weil sie denkt: es hilft ja doch nichts – aber doch hauptsächlich aus schierem Trotz und Eigensinn, hat sie diese Prinzessinnenmiene angenommen und thut, als ob ich und die Andern für sie nicht auf der Welt seien. Wenn sie nun plötzlich mit Ihnen zu koketteren anfängt – in meiner, ich wollte sagen – in unser Aller Gegenwart, so hat das freilich nicht viel auf sich – denn das ist ja nur so ein kleiner Scherz, den sie sich mit Ihnen erlaubt, und der weiter keine Konsequenzen hat – aber ärgern muß es den Alten doch, und hat ihn geärgert. Sie haben es, wie gesagt, nicht bemerkt, aber ich kann Sie versichern: er hat sich auf die Unterlippe gebissen und sich den Bart gestrichen, wie er immer nur thut, wenn ihm etwas contre coeur geht.
Der kleine Mann hatte keine Ahnung, welchen Sturm er in meiner Brust erregt hatte; er hielt mein Schweigen für Zustimmung und Anerkennung seiner höheren Weisheit und fuhr, glücklich, über so interessante Dinge sprechen zu können und einen aufmerksamen Zuhörer zu haben, fort:
Lieber Himmel, ich glaube, daß ihm das ganze Benehmen des Fräuleins ein Strich durch die Rechnung ist. Wissen Sie, wie viel ich während der sechs Monate, die ich hier bin, schon an ihn verloren habe? Ueber achthundert Thaler! Und Trantow beinahe das Doppelte, und die Andern klagen auch ihr bitteres Leid. Er hat einen fabelhaften Treffer gehabt; freilich: es geht nicht immer so, aber, wenn er ja einmal verliert, muß man ihm seinen Wein und seinen Cognac abnehmen, und welche Preise er da berechnet, können Sie sich denken. Nun, und etwas will man doch auch für sein gutes Geld haben; einem so schönen Mädchen zu Liebe läßt man schon ein paar hundert springen und sieht dem Alten nicht so genau auf die Finger. Und früher ist das auch Alles anders gewesen. Früher hat sie mitgespielt und mit den Herren Cigarren geraucht, und ist mit auf die Jagd gegangen und spazieren geritten – die wildesten Pferde am liebsten. Es soll ein Heidenleben gewesen sein, sagt Sylow, und der muß es wissen. Aber seit diesem Sommer, seit der Geschichte mit dem Fürsten . . .
Was ist das für eine Geschichte? fragte ich. Meine ganze Seele war in dem brennenden Verlangen, Alles zu hören, was Herr von Granow zu sagen wußte. Ich hatte keine Empfindung mehr für die Schmähungen, mit denen dieser Mensch meinen gütigen Wirth, das angebetete Mädchen überhäufte, oder, wenn ich sie hatte, so sagte ich mir, daß die Abrechnung erst später erfolgen könne, daß ich vorderhand erst einmal Alles, Alles hören müsse.
Das wissen Sie auch nicht? sagte er eifrig; aber allerdings, wer sollte es Ihnen erzählt haben! Trantow ist so stumm wie ein Fisch, und die Andern wissen nicht, woran sie mit Ihnen sind. Ich halte Sie für einen ehrlichen Kerl und glaube nicht, daß Sie ein Spion sind oder mit dem Alten unter einer Decke stecken, – sein Gesicht heute Mittag war zu wunderlich. Nicht wahr, Sie erzählen ihm nicht wieder, was ich hier mit Ihnen spreche?
Nein, nein, sagte ich.
Nun also, die Geschichte ist die. In diesem Sommer war der Alte mit ihr in D . . . . In einem Bade nimmt man es nicht so genau; man konnte vor aller Welt mit ihm verkehren, wenn man den Muth dazu hatte. Der junge Fürst Prora war auch da; er hatte seinen Aerzten weiß gemacht, er sei krank und müsse Seebäder nehmen, so hatten sie ihn mit seinem Erzieher dahin geschickt. Der alte Fürst war in der Residenz, gerade wie jetzt wieder, und der junge machte sich die Freiheit gut zu nutze. Ich hatte mich eben hier angekauft und mir alsbald einen schändlichen Rheumatismus auf diesen abscheulichen Mooren geholt, und so war ich auch auf eine Woche oder so dort und habe etwas davon zu sehen bekommen, das Meiste habe ich mir allerdings erzählen lassen müssen. Es wurde natürlich scharf gespielt, am schärfsten in Privatgesellschaften; denn im Spielsaal ist nur ein mäßiger Satz erlaubt. Der Fürst war beständig in des Alten Gesellschaft, die Einen sagten, um zu spielen, die Andern, um dem Fräulein den Hof zu machen; es werden wohl beide Theile recht gehabt haben. Ich habe sie wenigstens oft genug des Abends im Parkgarten zusammen sitzen und spazieren gehen sehen, und daß sie es an Aufmunterung nicht hat fehlen lassen, kann ich auch bezeugen. Nun hatte der Alte viel Unglück und soll an den Fürsten zwanzigtausend Thaler verloren haben, die er in zwei Tagen zu zahlen hatte. Wo sollte er das Geld hernehmen? Da, sagen sie, habe er dem Fürsten seine Tochter dafür angeboten, Andere sagen, er habe fünfzigtausend, noch Andere, er habe hunderttausend gefordert. Nun, für Jemand, der das Geld hatte, war es vielleicht nicht zu viel; leider aber hatte der junge Fürst das Geld nicht. Es fehlen noch zwei Jahre, bis er majorenn ist, und dann bekommt er, wenn der alte Fürst noch lebt, auch erst das Vermögen seiner verstorbenen Frau Mutter in die Hände, von welchem dann schwerlich noch viel vorhanden sein wird. Kurz: der Handel zog sich in die Länge und eines schönen Tages kam der alte Fürst, dem die Sache hinterbracht war, spornstreichs aus der Residenz, wusch dem Jungen den Kopf und bot Zehren eine namhafte Summe, wenn er, bis der junge Fürst verheirathet sei, mit Konstanze in's Ausland ginge. Nun möchte das Alles sich noch arrangirt haben, – denn im Grunde kam es Zehren doch nur darauf an, einen guten Coup zu machen –, wenn der Fürst und Zehren persönlich aus dem Spiele geblieben wären. Aber Zehren, der, wenn es ihm gerade einfällt, hochmüthig sein kann, wie der Satan, hat darauf bestanden, mit dem Fürsten selbst verhandeln zu wollen, und nun war natürlich der Scandal fertig. Es soll eine entsetzliche Scene gegeben haben und man hat den Fürsten für todt in sein Hotel getragen. Was geschehen ist, weiß Niemand. So viel ist aber gewiß: die verstorbene Frau Fürstin, die eine geborene Gräfin Sylow war – ich habe die Geschichte von dem jungen Sylow, der ja mit der gräflichen Linie verwandt ist –, hat Herrn von Zehren, als er ein junger Mann und mit dem Fürsten zusammen in der Residenz war und die Hofbälle besuchte, geliebt und den Fürsten nur geheirathet, weil sie mußte. Der Fürst hat es schon damals gewußt oder es nachher erfahren, und sie sollen ja auch schrecklich unglücklich miteinander gelebt haben. Auf diese alten Geschichten werden sie bei jener Unterredung zu sprechen gekommen sein; ein Wort hat das andere gegeben, wie denn das so zu gehen pflegt, Zehren ist wie rasend, wenn er in Zorn geräth, der Fürst wird auch kein Blatt vor den Mund genommen haben – kurz; die Sache war aus, rund aus. Zehren reiste ab, der Fürst ebenfalls ein paar Tage später, mit ein paar blauen Flecken am Halse, die von Zehren's Fingern herrühren sollten.
Und der junge Fürst?
Was fragt der danach? Dem sind alle hübschen Mädchen gleich; er versteht es, sich das Leben angenehm zu machen; das weiß Gott. Mich soll nur wundern, ob er diesmal fest hält. Er ist nun schon über drei Wochen auf Rossow. Uebrigens würde mir der Aufenthalt in dieser Gegend ein bischen unheimlich sein nach Allem, was vorgefallen. Ich möchte für mein Leben nicht mit Herrn von Zehren zusammentreffen, wenn ich wüßte, daß ihn mein Vater tödtlich beleidigt hat.
Wie sieht er aus?
O, er ist ein hübscher Bursch, sehr schlank und elegant und liebenswürdig; ich kann mir schon denken, daß Fräulein von Zehren es ihrem Vater keinen Dank weiß, sie um diese Partie gebracht zu haben; denn ich will zu ihrer Ehre annehmen, daß sie nicht recht weiß, wie es bei dem ganzen Trödel zugegangen ist. Andere sagen freilich, sie wisse es sehr gut und sei mit dem bewußten Arrangement vollkommen einverstanden gewesen.
Ich hatte dieser Erzählung meines Begleiters mit einer Spannung zugehört, als ob von dem Ausgang mein Leben abhänge. Also der war es! der junge Fürst von Prora, »an den sie die Seele, die arme, verloren!« Jetzt erinnerte ich mich, wie sie erröthet war, als an jenem ersten Abend Herr von Granow des Fürsten Erwähnung that, und zugleich kam mir die dunkle Gestalt wieder in Erinnerung, welche damals vor mir aus dem Park geflohen war. Hätte ich ihn doch nur in meine Hände bekommen!
Ich stöhnte laut vor Zorn und Schmerz.
Sie sind müde, sagte der kleine Herr, und dazu haben wir uns, wie ich sehe, gründlich verlaufen. Wir müßten uns jetzt rechts halten, aber da ist eine gar böse Stelle im Moor, und bei der Dämmerung, fürchte ich, finden wir uns nicht durch. Lassen Sie uns lieber einen Umweg machen. Weiß der Himmel, wie wenig ihr großen Leute aushalten könnt; da war ein Herr von Westentaschen in meinem Regiment, ein Kerl, beinahe noch größer als Sie, nur vielleicht ein bischen schmaler in den Schultern. Westen, sagte ich zu ihm einmal, ich parire mit ihnen, ich laufe . . . . Aber, mein Gott, was ist das?
Es war ein Mann, der plötzlich aus einer Einsenkung des Terrains, in welcher wir ihn bei der tiefen Dämmerung, die über der Haide lag, nicht bemerkt hatten, vielleicht auch nicht hatten bemerken können, ungefähr zwanzig Schritte von uns auftauchte und alsbald wieder verschwand.
Lassen Sie uns näher gehen, sagte ich.
Um Gottes willen nicht, flüsterte der kleine Herr, indem er mich an der Jagdtasche festhielt.
Dem Manne ist vielleicht ein Unglück passirt, sagte ich.
Gott bewahre! sagte der Kleine, aber uns könnte eines passiren, wenn wir ihm nicht aus dem Wege bleiben. Ich bitte Sie, kommen Sie!
Herr von Granow war so dringend und zog mich so eifrig von der Stelle, daß ich ihm den Willen that; aber ich konnte mich nicht enthalten, nach einer kurzen Zeit stehen zu bleiben und mich umzusehen, als hinter uns ein leiser Pfiff ertönte. Der Mann schritt über die Haide davon; gleich darauf tauchte an derselben Stelle ein zweiter auf, der dem ersten folgte, dann ein dritter und vierter – ich zählte acht. Sie hatten sämmtlich große Packen auf dem Rücken, gingen aber nichtsdestoweniger sehr schnell und genau Distance haltend. In wenigen Minuten waren ihre dunkeln Gestalten verschwunden, als hätte sie der schwarze Moorboden, über den sie schritten, verschlungen.
Herr von Granow athmete tief auf. – Sehen Sie, sagte er, daß ich recht hatte! Verdammte Kerle, das läuft wie Ratten über Stellen, wo jeder andere ehrliche Christenmensch versinkt. Ich wette, es waren welche von Zehren's Leuten.
Wie meinen Sie? fragte ich.
Nun, mein Gott, fuhr er fort; ein wenig paschen wir hier herum ja Alle, oder ziehen wenigstens unsern Vortheil davon. Ich habe mich selbst in der kurzen Zeit schon überzeugt, daß es nicht anders geht, und daß einem die Kerle das Haus über dem Kopf und den Hof an allen vier Ecken anzünden würden, wollte man nicht durch die Finger sehen oder ihnen nicht auf alle Weise Vorschub leisten. Erst vorgestern, als ich an meiner Gartenmauer stehe, kommt ein Kerl über die Wiese her und sagt, ich müsse ihn verstecken; ein Gensdarm sei hinter ihm her. Nun, auf Ehre, ich habe ihn in den Backofen kriechen lassen, weil kein anderer Versteck in der Nähe war, und habe selbst eine Schütte Stroh vor die Thür geworfen, und als fünf Minuten später der Gensdarm kam, gesagt, ich hätte den Kerl nach dem Walde laufen sehen. Auf Ehre, ich habe mich geschämt, aber was soll man thun? Und so wollte ich auch nichts gegen Ihren Alten sagen, wenn er es nur nicht zu toll machte. Er treibt es zu arg, sage ich Ihnen, er treibt es zu arg; es muß ein schlechtes Ende nehmen; darüber herrscht nur Eine Stimme.
Aber, sagte ich, und gab mir die größte Mühe, so ruhig zu sprechen als möglich, ich bin doch nun beinahe schon drei Wochen hier, und auf Ehre – ich hatte diese Redensart jetzt zu oft gehört, um sie nicht gelegentlich anwenden zu können – es soll noch immer das Geringste geschehen, was den Ruf, in welchem, wie ich zu meinem Schrecken höre, Herr von Zehren selbst bei seinen Freunden steht, irgend bestätigt. Ja, ich will es Ihnen gestehen: mir selbst sind in den ersten Tagen, ich weiß nicht mehr warum, ähnliche Gedanken gekommen; aber ich habe ihm längst in meinem Herzen einen so schändlichen Verdacht abgebeten.
Verdacht, sagte der Kleine, immer eifriger sprechend und dabei immer kleinere und raschere Schritte machend, wer spricht von Verdacht? Die Sache ist so gewiß wie Amen in der Kirche. Wenn Sie nichts gemerkt haben – was mich übrigens Wunder nimmt, aber Ihr Wort in Ehren! – so kommt das, weil das Wetter noch zu gut war. Uebrigens, so ganz stockt der Handel auch nicht, wie Sie eben selbst gesehen haben. Weiß Gott, es kann Einem ganz wunderlich dabei werden, wenn man bedenkt, daß man so mitten drin sitzt. Und ich habe ihm erst am Donnerstag eine Partie Rothwein und Cognac abnehmen müssen, und Trantow ein paar Tage vorher ebenso viel, und Sylow, der es aber, glaube ich, mit Einem theilt, noch mehr.
Und weshalb sollte Herr von Zehren nicht von seinen Vorräthen an gute Freunde abgeben? sagte ich hartnäckig.
Von seinen Vorräthen? rief Herr von Granow. Ja, ja, es soll vom vorigen Herbst viel übrig geblieben sein; er soll noch so viel in seinen Kellern haben, um die halbe Insel damit versorgen zu können. Das liegt ihm schwer auf der Tasche; denn er muß den Schmugglercapitänen baar zahlen, und der Absatz nach Uselin ist, wie ich höre, sehr schlecht gewesen. Man soll dort in jüngster Zeit verteufelt scheu geworden sein. Seitdem so Viele in das Handwerk pfuschen, traut Keiner mehr recht dem Andern. Früher sind es nur, höre ich, ein paar respectable Firmen gewesen. Aber das müssen Sie ja Alles viel besser wissen als ich. Ihr Vater ist ja wohl selbst Steuerbeamter?
Ja, sagte ich, und um so mehr müßte ich mich wundern, daß ich Herrn von Zehren's Namen unter so manchen andern niemals habe nennen hören, im Falle Ihr Verdacht wirklich begründet wäre.
Aber so sprechen Sie doch nicht immer von Verdacht, schrie der Kleine ganz ärgerlich. Es ist da wie überall: man hängt die kleinen Diebe und läßt die großen laufen. Die Herren vom Amt wissen auch, was sie thun; ein paar Thaler oder Louisd'or zur rechten Zeit halten schon eine Zeit lang vor, und wenn einer gar, wie der Alte, einen Steuerrath zum Bruder hat, wird der Herr Steueraufseher nicht so unhöflich sein, des Herrn Steuerraths Bruder abzufassen.
Das ist eine Beleidigung, Herr von Granow, rief ich wüthend; ich habe Ihnen schon gesagt, daß mein eigener Vater Steuerbeamter ist.
Nun, nun, sagte Herr von Granow, ich denke, Sie leben mit Ihrem Vater auch nicht auf dem besten Fuß. Und wenn Ihr Vater Sie weggejagt hat, so –
So geht das Niemand etwas an, rief ich, als Herrn von Zehren, der mich in sein Haus genommen hat und gut und freundlich zu mir gewesen ist die ganze Zeit. Hat mein Vater mich fortgeschickt oder meinetwegen: fortgejagt, so habe ich ihm Ursache genug dazu gegeben, aber das hat mit seiner Ehrenhaftigkeit nichts zu thun, und den schlage ich todt wie einen Hund, der meinem Vater die Ehre abschneiden will.
Da Herr von Granow nicht wußte und nicht wissen konnte, wie tausendfältig er durch Alles, was er gesagt, mein Herz zerrissen hatte, mußte ihm meine Wuth, die nur nach einer Gelegenheit gesucht hatte, um loszubrechen, unbegreiflich und schrecklich sein. Ein junger, ihm wahrscheinlich immer und jetzt doppelt verdächtiger Mensch, von dessen Körperkraft er mehr als eine erstaunliche Probe gesehen hatte, und der mit dieser Stimme von Todtschlagen sprach – dazu die öde Haide, auf der jetzt fast vollkommene Nacht lag, – der kleine Mann murmelte unverständliche Worte, indem er sich möglichst weit von mir entfernte und dann, vermuthlich aus Furcht vor meiner geladenen Flinte, wieder herankam und ganz demüthig erklärte, daß er keineswegs die Absicht gehabt habe, mich zu beleidigen, daß es ja auch ganz undenkbar sei, ein ehrenwerther Steuerbeamter, wie mein Vater, habe seinen Sohn wissentlich zu einem notorischen Schmuggler gethan; daß auf der andern Seite der Verdacht, ich sei ein Spion im Dienste der Behörden, mit meinem ehrlichen Gesicht und meinem sonstigen loyalen Wesen gänzlich unvereinbar und vollkommen lächerlich sei; daß er übrigens ja auch herzlich gern zugebe, Alles, was man gegen Herrn von Zehren vorbringe, sei vollkommen aus der Luft gegriffen – die Leute schwatzten ja so vieles, nur, um zu schwatzen; und er, der sich erst so kurze Zeit in der Gegend aufhalte, könne am wenigsten wissen, was daran sei; und daß er es sich schließlich als eine Ehre anrechnen werde und sich herzlich freue, mich als Gast auf seinem Hofe, dessen Lichter eben vor uns aufblitzten, und wo die Andern mittlerweile längst angekommen sein müßten, zu begrüßen und eine Flasche Wein mit mir zu trinken.
Ich vernahm kaum, was der Mann sagte; in meiner Seele stürmte es zu gewaltig. Ich erwiderte nur kurz, es sei gut, und ich glaube nicht, daß er es böse gemeint habe. Dann bat ich ihn, mich bei Herrn von Zehren zu entschuldigen, und schritt über die Haide davon, in der Richtung des nun nahen, mir wohlbekannten Weges, der von Melchow, dem Granow'schen Gut, nach Zehrendorf führte.