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Einundzwanzigstes Capitel.

Das Rathhausgäßchen meiner Vaterstadt, in welchem die Tritte der Passanten so dumpf hallten, hatte, selbst in der Erinnerung der ältesten Krähe auf dem benachbarten Thurme der Nicolaikirche, nie der anziehende Zauber des Schauerlichen so sehr umwittert, als in den letzten beiden Monaten dieses und in den ersten zwei des folgenden Jahres. Auch wollte man die Bemerkung gemacht haben, daß in dem Gäßchen der Schnee noch nie so hoch gelegen habe und daß es noch in keinem Jahre so früh dunkel geworden sei. Ja, Mutter Möller, die Kuchenfrau in der Rathhaushalle, die ihren Kram sonst mit dem Glockenschlage fünf zusammenpackte, that es jetzt regelmäßig schon um ein halb fünf, weil sie behauptete, es wehe sie nach Dunkelwerden immer wie eitel Leichengeruch an, und das Laken auf ihrem Tische flattere so hin und her, daß es unmöglich mit rechten Dingen zugehen könne. Dagegen versicherte Vater Rüterbusch, der Nachtwächter: er habe weder auf seinem Stand in der Halle, noch in dem Gäßchen etwas Besonderes bemerkt, nicht einmal zwischen zwölf und ein Uhr, wo es doch von Amts wegen spuken dürfe, geschweige denn zu andern Stunden. Indessen war man mehr geneigt, der alten Kuchenfrau, als dem noch älteren Nachtwächter zu glauben, da die Erstere, wenn sie auch je zuweilen einnicke, doch im Ganzen mehr wache als schlafe, während von dem Letztern die Stammgäste des Rathskellers, welche nächtens an seinem Posten vorüber mußten, einstimmig das Gegentheil aussagten. Die Stammgäste des Rathskellers kränkten durch solche Rede das gute Herz von Vater Rüterbusch tief und bitter, widerlegten ihn aber nicht. Denn sehen Sie, sagte Vater Rüterbusch, zum Exempel schläft ein vereidigter Nachtwächter überhaupt niemalen, sondern stellt sich zum Exempel schlafend, um gewisse Herren nicht in Verlegenheit zu setzen, die sich vor mir altem Manne ob ihres lüderlichen Lebenswandels schämen müßten. Posito bin ich bereit, meine Aussagen auf meinen Diensteid zu nehmen, und das können die Herren nicht. Denn wenn auch manche von ihnen, zum Exempel der Rathszimmermeister Karl Bobbin, bereits zwanzig Jahre lang allabendlich, perspective allnächtlich, denselben Weg kommen, perspective gehen, so ist eine Gewohnheit doch kein Amt: ich zum Exempel habe noch nie gehört, daß die Stammgäste des Rathskellers vereidigt wären oder würden, und habe doch schon letzte Ostern mein fünfzigjähriges Jubiläum gefeiert und bin mit Karl Bobbin seinem Vater, der zum Exempel auch schon nichts getaugt hat, zusammen in die Schule gegangen.

Dem sei nun wie ihm wolle; darüber herrschte während der Wintermonate von dreiunddreißig auf vierunddreißig in Uselin nur Eine Meinung, daß, wenn es im Rathhausgäßchen nicht geheuer sei, sich, wie die Dinge nun einmal lagen, kein Mensch darüber wundern könne.

Die Dinge aber lagen schlimm und für Niemand schlimmer als für mich, der ich, wie von Jedermann zugegeben wurde, weitaus die Hauptperson in dem großen Contrebande-Prozesse war, zu dem sich – Dank dem inquisitorischen Genie des Untersuchungsrichters, Justizrath Heckepfennig – eine in meinen Augen so unendlich einfache Sache mittlerweile entwickelt hatte.

Als ob es nur im allermindesten darauf angekommen wäre, wie die Sache in meinen Augen aussah! Als ob es sich irgend der Mühe verlohnt hätte, zu untersuchen, was ich denn eigentlich gewollt! Aber nein! Ich will dem Justizrath Heckepfennig und dem Correferenten, Justizrath Bostelmann vom Obergericht, nicht unrecht thun! Sie kümmerten sich wohl sehr eifrig darum, nur daß sie leider die Wahrheit nie finden wollten, wo sie lag und wo ich sie dieselbe suchen ließ. Weshalb war ich von meinem Vater fortgegangen? Weil er mir die Thür gewiesen! – Ein schöner Grund! Zornige oder erzürnte Väter weisen ihren Söhnen oft die Thür, ohne daß es den Söhnen einfällt, in die weite Welt zu laufen. Da steckte ohne Zweifel mehr dahinter. Man wollte vielleicht fortgeschickt sein? – Ich gebe das gewissermaßen zu. – Sie geben es vielleicht unbedingt zu? – Ich gebe es unbedingt zu! – Sehr gut! Herr Actuar, notiren Sie gefälligst die Aussage des Inquisiten, der unbedingt zugiebt, er habe von seinem Vater fortgeschickt sein wollen. – Und wo und wann haben Sie die Bekanntschaft des Herrn von Zehren gemacht, die erste Bekanntschaft? – An dem Abend bei Schmied Pinnow. – Hatten Sie ihn nie zuvor gesehen? – Nicht daß ich wüßte. – Auch nicht bei Schmied Pinnow? Derselbe behauptet, Herr von Zehren sei so oft des Abends bei ihm gewesen und Sie ebenfalls, daß es mit einem Wunder zugehen müßte, wenn Sie sich nicht vorher schon einmal getroffen hätten. – Das lügt Pinnow und er weiß sehr gut, daß er lügt. – Sie bleiben also dabei, daß Ihr Zusammentreffen mit Herrn von Zehren ein rein zufälliges war? – Allerdings. – Wie viel Geld hatten Sie bei sich, als Sie Ihren Vater verließen? – Fünfundzwanzig Silbergroschen, wenn mir recht erinnerlich ist. – Und hatten Sie irgend eine Aussicht, ein dauerndes Unterkommen zu finden? – Nein. – Sie hatten keine derartige Aussicht, hatten fünfundzwanzig Silbergroschen im Besitz, legten es darauf an, daß Ihr Vater Sie fortschickte, und behaupten noch, daß Sie an dem bewußten Abende mit dem Manne, bei dem Sie sofort Aufnahme fanden, bei dem Sie bis zur Katastrophe geblieben sind, zufällig zusammentrafen? Sie sind scharfsinnig genug, einzusehen, wie unwahrscheinlich dies ist, und ich frage Sie deshalb zum letzten male, ob Sie auf die Gefahr hin, Ihre Glaubwürdigkeit schwer zu verdächtigen, obige Behauptung aufrecht zu erhalten versuchen? – Ja.

Justizrath Heckepfennig warf Herrn Actuarius Unterwasser einen Blick zu, als wollte er sagen: Begreifen Sie diese Unverschämtheit? Herr Actuarius Unterwasser lächelte mitleidig und schüttelte wehmüthig den Kopf und rasselte mit der Feder über das Papier, als sei es für ihn eine moralische Beruhigung, so unbegreifliche Dinge wenigstens Schwarz auf Weiß vor sich zu haben.

So ging es durch, ich weiß nicht wie viele Verhandlungen und Vernehmungen: durch summarische Vernehmung, durch Hauptvernehmung, durch articulirte Vernehmung. Sehr häufig wußte ich gar nicht, um was es sich handelte und wozu alle die langathmigen Fragen und die Kreuz- und Querfragen, in denen Justizrath Heckepfennig seine Stärke suchte, dienen sollten. Ich beschwerte mich darüber bitter bei meinem Vertheidiger, dem Assessor Perleberg, indem ich hinzufügte, daß ich den Herren doch Alles gesagt oder, wie sie sich auszudrücken beliebten, gestanden habe.

Verehrtester, sagte der Assessor, erstens ist es nicht wahr, daß Sie Alles gestanden haben – Sie haben zum Beispiel nicht sagen wollen, wer die Person gewesen ist, mit welcher Sie der Kathenmann Semlow an dem betreffenden Abend vier Uhr auf dem Fußwege nach Zehrendorf hat gehen sehen – und zweitens, was heißt Geständniß? Wir Criminalisten legen auf das Geständniß nur einen untergeordneten Werth. Wie viele Verbrecher sind nicht zum Geständniß zu bringen, und wie manches Geständniß ist falsch oder wird später widerrufen! Der eigentliche Zielpunkt des Inquirenten ist die Ausmittelung der Schuld. Bedenken Sie doch, Verehrtester, Ihr ganzes sogenanntes Geständniß könnte ja Fiction sein. Das ist Alles schon dagewesen; die criminalistischen Annalen –

Es war zum Verzweifeln! Er ist später eine große Fackel und Leuchte der Jurisprudenz geworden, mein Defensor, und er war auch gewiß schon damals, obgleich er noch nicht Professor, Geheimrath und ein weit berühmter Mann, sondern ein obscurer Assessor am Obergerichte war, ein großer Gelehrter und sehr scharfsinniger Kopf – eine Welt zu gelehrt und scharfsinnig für mich armen Teufel! Mit seinem Erstens und Zweitens hätte er eine Jury von Engeln gegen die Unschuld selbst einnehmen müssen, geschweige denn ein Collegium von Richtern, die durch ihn auf den Gedanken kamen, daß ein Mensch, der mit einem so ungeheuren Aufwand von Scharfsinn und Gelehrsamkeit vertheidigt werden mußte, notwendig ein großer Verbrecher war. Ich sehe ihn immer noch vor mir sitzen auf der Kante des mit Bankeisen an der Wand befestigten Tisches in meiner Gefängnißzelle, mit den kurzen dürren Beinen zappeln und mit den dünnen Aermchen in der Luft umherfahren, wie eine Spinne, wenn sie eine Masche in ihrem Netze verloren hat. Ach, es mochte wohl sehr schwer sein – zumal für eine so grundgelehrte Spinne – eine tölpische Brummfliege, die in ihrer Verblendung in das Netz geflogen war und gar ungeberdig darin umhertobte, wissenschaftlich rein herauszulösen! Bekam ich doch jetzt erst eine Ahnung davon, wie weitschichtig die Maschen dieses Netzes und wie viele Fliegen außer mir in diese Maschen verwickelt waren!

Sehr leichtsinnige Fliegen, die unter der Maske höchst ehrbarer Bürger und respektabler Kaufleute meiner Vaterstadt und einiger Nachbarstädte seit Jahren einen ausgebreiteten Handel mit eingeschmuggelten Waaren getrieben und das wohllöbliche Zollamt um Tausende und Abertausende betrogen hatten. Diese Sorte Fliegen war äußerst widerwärtig und schmutzig. Denn so wie eine mit einem Fuße das Netz berührt hatte und das Entkommen schwierig schien, wurde sie sogleich zur Verrätherin an ihren Mitfliegen und ruhte nicht, bis alle in dem Netze festsaßen.

Dann gab es eine andere, viel ehrlichere Sorte, obgleich sie sich beiweitem nicht so ehrbar zu geberden wußte. Das waren meine guten Freunde, die wettergeprüften, tabakkauenden, schweigsamen Männer von Zanowitz und den anderen Fischerdörfern an der Küste. Sie hatten es in diesen Affairen nicht ganz so gut gehabt wie die Herren hinter dem Ladentisch und in den Comptoirs. Sie hatten mit Sturm und Wetter zu kämpfen gehabt, hatten wachen und lauern und hungern und frieren und ihre Haut zu Markte tragen müssen um geringen Lohn, und Mancher von ihnen gewiß nur, sich selbst und Weib und Kindern das jämmerliche Dasein zu fristen; aber, obgleich man ihrer Vier in der Schreckensnacht auf dem Moore gefangen, konnte die Untersuchung nach dieser Seite nicht von der Stelle. Keiner verrieth seinen Kameraden, Keiner wußte, wer sein Nebenmann gewesen war. Die Nacht war dunkel, und in der Nacht sind alle Katzen grau; es hatte Jeder genug mit sich zu thun gehabt. Wenn Pinnow sagt, daß Der und Jener auch dabei gewesen, so wird er es ja auch wohl beschwören können. Umsonst, daß der Herr Justizrath die pfiffigsten Fragen stellte und schmeichelte und drohte – man mußte ein paar Dutzend Leute, die als dringend verdächtig eingezogen waren, entlassen und froh sein, daß man wenigstens die Vier hatte, die man auf frischer That ergriffen.

Ja, es war eine eigene Sorte Fliegen, die sich da neben den andern in dem Gesetzesnetz gefangen hatte, eine zähe, rauhe Sorte, sehr unbequem gewiß für die Hüter der Fleischtöpfe einer geordneten Staatseinrichtung, aber doch ehrlich in ihrer Weise und kein Geschmeiß in moralischem Sinne wie jene ersten.

Diese beiden Sorten nun hatten sich schon seit langer Zeit in die Hände gearbeitet, aber ohne rechtes System und deshalb auch ohne rechten Erfolg, bis vor ungefähr vier Jahren das Geschäft plötzlich einen großartigen Aufschwung nahm. Es war nämlich Jemand, der sich bis dahin, wie alle Gutsbesitzer längs der Küste, seinen Wein, seinen Cognac, sein Salz, seinen Tabak von den Paschern in kleinen Partien hatte liefern lassen, auf den Gedanken gekommen, daß es an einer Mittelsperson zwischen den Lieferanten und ihren Abnehmern fehle – einer Mittelsperson, die gleichsam einen Speicher oder Packhof für die Contrebande errichtete und so den Lieferanten die Möglichkeit gewährte, größere Partien auf einmal abzusetzen, und den Abnehmern, die Waare nach Bedürfniß und zu gelegener Stunde einzuholen.

Diesen sehr gesunden nationalökonomischen Gedanken, den die Noth erzeugt und die Abenteuerlust des Mannes freudig empfangen, hatte er mit der Kühnheit, der Umsicht, der Energie, die ihn in so hohem Grade auszeichneten, in's Werk gesetzt. Die einsame Lage seines Gutes auf dem lang hin sich streckenden Vorgebirge – auf der einen Seite die offene See, auf der andern Seite das Binnenwasser – war für seine Zwecke wie gemacht. Wenn es sich früher um Bootsladungen gehandelt hatte, wurden jetzt ganze Schiffsladungen auf einmal oder an ein paar Abenden hinter einander gelöscht, in den Kellern seines Schlosses geborgen und nach und nach an die Abnehmer – die Gutsbesitzer der Nachbarschaft, die Kaufleute in den Landstädtchen der Insel, in den Hafenstädten des Festlandes – weitergegeben. Und hier war es vor Allem Schmied Pinnow, in dessen Händen sich der zweite Theil des Geschäftes befand. Schmied Pinnow war als Schmuggler längst bekannt, mehr als einmal in Untersuchung gewesen, wiederholt bestraft worden, als er plötzlich in Gefahr gerieth, zu erblinden, eine große blaue Brille tragen mußte und höchstens noch bei sehr schönem Wetter und mit Hilfe seines taubstummen Lehrburschen die Badegäste von Uselin auf seinem Kutter eine Stunde oder so spazieren fahren konnte. Dieses Unglück hatte den braven Mann zur selben Zeit getroffen, als der große Schmuggler-Capitän von der Insel, den man auf einen so ausgezeichneten Helfershelfer aufmerksam gemacht, eines Nachts in seiner Strandhütte erschien und ihn gewissermaßen in Sold und Pflicht nahm. Von da an hatten die Beiden zusammen gearbeitet und der Schmied im Laufe der vier Jahre so viel Geld verdient, daß er nun und nimmermehr seinen Chef verrathen haben würde, wenn die Eifersucht dem alten Sünder nicht einen dummen Streich gespielt hätte. Wenn Sie das Mädchen nicht zufrieden lassen, schieße ich Sie über den Haufen, wie einen Hund, hatte der Wilde gesagt, und Schmied Pinnow war nicht der Mann, eine solche Drohung, von der er nur zu gut wußte, wie ernst sie gemeint war, ruhig hinzunehmen.

Und von dieser Stunde an verbreitete sich, man wußte nicht, woher es kam, das Gerücht in der Stadt, besonders in den Bureaux des Steueramtes, daß der wilde Zehren auf Zehrendorf die Seele des ganzen Schmuggelhandels sei, der Meilen hinauf und hinab die Küste entlang so äußerst schwunghaft betrieben wurde. Man wollte dem Gerücht keinen Glauben schenken. Freilich war der wilde Zehren ein Mann, mit dem man in Uselin die Kinder in's Bett jagte; freilich wußte man oder wollte man von ihm Dinge wissen, die man sich kaum heimlich in's Ohr zu flüstern wagte: daß er seinen Schwager erstochen, daß er seine Frau entsetzlich behandelt und dann im See im Walde ertränkt habe und dergleichen mehr; aber das waren Dinge, wie sie dem wilden Zehren wohl passiren konnten, während der Schmuggel – nein, es war unmöglich! ein Mann vom ältesten Adel und dessen Bruder noch dazu der erste Steuerbeamte des Regierungsbezirkes war!

Dies war die allgemeine Meinung. Zwischendurch ließen sich einzelne Stimmen, allerdings nur sehr leise, vernehmen, die da meinten: wie verschieden die beiden Brüder auch sonst an Gesinnung, Lebensstellung, ja selbst in ihrer äußeren Erscheinung seien, darin ähnelten sie einander doch, daß jeder von ihnen mehr Schulden habe, als er bezahlen könne, und ähnliche Ursachen könnten ja auch wohl ähnliche Wirkungen hervorbringen. Wenn die Unternehmungen des Wilden alle die Jahre hindurch von so außerordentlichem Glücke begleitet gewesen seien, so sei der Grund vielleicht der, daß die Steuer-Officianten freilich nicht wüßten, wo und wann der Wilde sein Wesen treibe, der Wilde dagegen desto besser unterrichtet wäre, wo und wann er den Steuer-Officianten nicht begegnen würde.

Diese Für und Wider hätten noch lange in der Stille debattirt werden können, wenn ein unglücklicher Zufall dem Verrath Pinnow's nicht in der sonderbarsten Weise zu Hilfe gekommen wäre. In derselben Nacht nämlich, als Pinnow mit Hilfe Jochen Swart's, den lediglich sein schlechtes Herz zum Verräther an seinem Herrn werden ließ, bei dem Steuer-Revisor Braun die Anzeige machte, war der Provinzial-Steuerdirector aus der Hauptstadt der Provinz in Uselin angekommen. Der Steuer-Revisor, welcher zur Partei derer gehörte, die ihrem Chef mißtrauten, begab sich nicht zu diesem, der die Denunciation jedenfalls unschädlich gemacht hätte, sondern sofort zum Steuerdirector, welcher alsbald mit Umsicht und Energie seine Dispositionen traf, einen großen Schlag gegen die Schmuggler zu führen, einen Schlag, der nur zu gut traf.

War der Steuerrath schuldig? Directe Beweise lagen nicht vor. Der Steuerrath hatte stets gesagt, daß er längst allen persönlichen Verkehr mit seinem Bruder aufgegeben habe, da dessen Thun und Treiben nur zu sehr dazu angethan sei, einen loyalen Beamten, wie ihn, zu compromittiren. In der That war der Wilde während der letzten Jahre nie bei seinem Bruder, ja nicht einmal in der Stadt, gesehen worden. Hatte nichtsdestoweniger ein persönlicher Verkehr stattgefunden, so waren jedenfalls die Zusammenkünfte so heimlich wie möglich gewesen. Etwaige Briefe des Bruders hatte der Steuerrath ohne Zweifel sofort vernichtet, und wenn der Wilde nicht ebenso vorsichtig gewesen war, so war er jetzt todt, sein Schloß bis auf den Grund abgebrannt – wer oder was konnte gegen den Steuerrath zeugen?

Ich war der Einzige, der es gekonnt hätte. Ich erinnerte mich sehr wohl der Ausdrücke, in welchen Herr von Zehren stets über den Bruder gesprochen; ich wußte, daß er die letzte Expedition hauptsächlich im Interesse des Bruders unternommen hatte; ich hatte in jenem Briefe den Beweis seiner Schuld in Händen gehabt und – vernichtet.

Es schien, als ob man etwas derart vermuthete. Plötzlich tauchte in den Verhören, die man mit mir anstellte, der Name des Steuerraths auf; ich wurde auf's schärfste dahin inquirirt, was ich von dem Verhältnisse des Herrn von Zehren zu seinem Bruder wisse. Ich sagte und blieb dabei, daß ich nichts wisse.

Verehrtester, sagte der Assessor Perleberg, weshalb wollen Sie den Mann schonen? Erstens verdient er nicht, geschont zu werden, denn er ist ein schlechtes Subject, man mag ihn nehmen von welcher Seite man will; zweitens verschlimmern Sie Ihre Lage in irreparabler Weise. Ich sage es Ihnen vorher: Sie kommen nicht unter fünf Jahren weg; denn erstens –

Um Gotteswillen, lassen Sie mich in Ruhe! schrie ich.

Sie werden von Tag zu Tag weniger traitabel, sagte der Assessor Perleberg.

Und darin hatte er vollkommen Recht, aber es würde auch ein Wunder gewesen sein, wenn es anders gewesen wäre.

Ich saß nun schon beinahe ein halbes Jahr in einem eisenvergitterten, halbdunklen Gemache, das ich mit fünf Schritten der Länge und vier Schritten der Breite nach durchmessen konnte. Das war schlimm für einen jungen Menschen meinesgleichen; schlimmer, viel schlimmer aber waren die Qualen, die mein Gemüth zu erdulden hatte. Das Vertrauen zu den Menschen, das bisher mein Herz erfüllt – es war dahin. Wenn ich früher durch sie dahingewandelt wie der Adam des Paradieses auf alten Bildern durch die Reihen der Geschöpfe, so waren meine Augen jetzt aufgethan und ich sah, daß es sich mit Tigern, Schlangen und Krokodilen nicht hausen ließ. Ja, wie Tiger, Schlangen und Krokodile waren sie gewesen, grausam, falsch und heuchlerisch! Daß Keiner mich in meinem Gefängniß besuchte, konnte ich freilich nur Herrn Justizrath Heckepfennig auf Rechnung setzen, der es für unumgänglich nöthig hielt, einem so hochgefährlichen Verbrecher jede Communication mit der Außenwelt gänzlich zu verbieten; aber daß Menschen, denen ich nichts gethan, denen ich höchstens einmal in meiner täppischen Weise, ohne die mindeste böse Absicht, zu nahe getreten war, es sich angelegen sein ließen, den Gefallenen noch tiefer in den Staub zu treten – das konnte ich nicht verzeihen. Zehn Zeugen waren vorgefordert, mir ein Sittenzeugniß auszustellen, und von diesen Zehn hatte nur der Eine, den ich unbedingt am meisten gekränkt und beleidigt – Professor Lederer – ein schüchternes Wort der Entschuldigung und Fürbitte einfließen lassen. Alle Anderen – Hausfreunde meines Vaters, Nachbarn, Väter von Söhnen, die meine Freunde gewesen waren – Alle konnten sie nicht Worte finden, um zu sagen, welch ein böser Bube ich Zeit meines Lebens gewesen. Und, großer Gott, was hatte ich ihnen gethan? Ich hatte dem Einen vielleicht Holzspäne in die Tabakspfeife gestopft, dem Andern vielleicht ein paar Tauben weggefangen, die Söhne des Dritten vielleicht mit blutigen Nasen nach Hause geschickt! Und deshalb, deshalb!

Ich konnte es nicht begreifen, aber, was ich davon begriff, erfüllte mich mit unsäglicher Bitterkeit, die sich einmal sogar in heißen Thränen Luft machte, und dies Einemal war, als ich von meinem Vertheidiger erfuhr, daß Arthur – mein einst so sehr geliebter Arthur – über sein Verhältniß zu mir befragt, ausgesagt hatte, daß ich schon seit Jahren davon gesprochen, Schmuggler werden zu wollen, und ihn sogar selbst zum Schmuggler zu machen ersucht habe, daß ich mit Schmied Pinnow von jeher in dem intimsten Verkehr gestanden, und daß, wenn man ihn frage: ob er mich der bezichtigten Verbrechen für fähig halte, er unbedingt mit Ja antworten müsse.

Das bricht Ihnen den Hals, sagte Assessor Perleberg, Sie kommen nicht unter sieben Jahren weg, denn erstens –

Ich wischte mir die Thränen, die mir stromweis über die Wangen gelaufen waren, weg, lachte gell auf, verfiel dann in eine an Raserei grenzende Wuth, die schließlich in gänzliche Apathie überging. Ich hatte nur noch eine Art von Interesse für die Sperlinge, die ich daran gewöhnt hatte, jeden Morgen zu kommen und mein Gefängnißbrod mit mir zu theilen. Alles Andere war mir gleichgiltig. Ich hörte, ohne etwas Besonderes dabei zu empfinden, daß Konstanze von ihrem fürstlichen Liebhaber, der den Bitten und Drohungen seines Vaters nachgegeben, bereits wieder verlassen worden; daß Hans von Trantow kürzlich von seinem Gute verschwunden sei, ohne daß eine Menschenseele wisse, wo er geblieben, so daß man vermuthen müsse, er sei im Walde oder im Moore verunglückt; ich hörte, daß der alte Christian sich über die Flucht seines Fräuleins, über den Tod seines Herrn, über die Zerstörung des alten Schlosses nicht habe beruhigen lassen, und daß man ihn eines Morgens auf der Brandstätte, von der man ihn gar nicht habe wegbringen können, todt gefunden; die Pahlen dagegen aus dem Kreisgefängnisse in B., wohin man sie geführt, ausgebrochen sei. Ich hörte dies Alles gleichgültig an, und mit derselben gleichgültigen Miene vernahm ich mein Urtheil. Assessor Perleberg hatte erstens und zweitens Recht behalten. Ich war zu sieben Jahren Gefängniß verurteilt, abzusitzen in dem Zuchthause zu S.

Sie können sich gratuliren, sagte der Assessor Perleberg; ich hätte Sie zu zehn Jahren und zum Zuchthause verurtheilt; denn erstens –

Sicher war es ein Zeichen jugendlichen Leichtsinns, daß ich für die gelehrte und gewiß auch sehr belehrende Auseinandersetzung meines Vertheidigers wiederum – und noch dazu zum letztenmale! – keine Ohren hatte. Aber ich dachte wirklich an etwas Anderes. Ich dachte: was wohl der wilde Zehren thun würde, wenn er noch lebte und erführe, daß sie seinen treuen Knappen in ein Gefängniß gesperrt und seinen eigenen Bruder über ihn zum Hüter gesetzt hätten?


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