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Drittes Capitel.

Als ich die Hausthür hinter mir schloß, trat Riekchen, die seit dem Tode der Mutter dem Vater die Wirtschaft führte, schnell aus dem Zimmerchen rechter Hand. Bei dem Schein des Oellämpchens auf dem weißgescheuerten Flurtisch sah ich, daß die gute Alte die Hände zusammenschlug und mich mit weit aufgerissenen, entsetzten Augen anstarrte. – Ist dem Vater etwas passirt? sagte ich, indem ich mich an dem Küchentisch fest hielt. Die im Vergleich mit draußen etwas dumpfe Luft des Flures und der Schrecken über Riekchens Angstmiene versetzte mir den Athem und dann strömte mir das Blut so heftig nach dem Kopfe: die Gegenstände im Flur schienen sich mir im Kreise zu drehen. – Ach, Du Unglückskind, was hast Du angerichtet, wimmerte Riekchen. Um Gottes willen, was ist's? rief ich laut, die Alte bei der Hand fassend.

Hier öffnete mein Vater die Thür seines Zimmers und erschien auf der Schwelle, beinahe den ganzen Rahmen ausfüllend, denn die Thür war schmal und niedrig und mein Vater ein starker, großer Mann.

Gott sei Dank! murmelte ich.

Ich empfand in diesem Augenblicke nichts, als das freudige Gefühl der Befreiung von der Angst, die mir noch eben die Kehle zugeschnürt hatte; im nächsten freilich schon hatte diese natürliche Regung einer ganz anderen Platz gemacht und wir starrten uns an wie zwei Gegner, die plötzlich aufeinandertreffen, nachdem der Eine schon lange des Andern geharrt hat, und der Andere, so gut es gehen will, sich zu der Entscheidung aufrafft, von der er weiß, daß sie unvermeidlich ist.

Komm herein, sagte mein Vater, indem er aus der Thür zurücktrat.

Ich folgte seinem Ruf. Es sauste mir in den Ohren, aber mein Schritt war fest, und wenn mein Herz wild an die Rippen schlug, so war es nicht vor Angst.

Als ich eingetreten war, erhob sich eine lange, schwarze Gestalt, die auf dem mit Haartuch überzogenen Arbeitsstuhl meines Vaters gesessen hatte – mein Vater duldete kein Sopha in seinem Hause – es war der Professor Lederer. Ich stand in der Nähe der Thür; mein Vater weiter rechts am Ofen, der Professor vor dem Arbeitstisch und vor der Lampe, so daß sein Schatten dunkel über die geweißte Zimmerdecke und über mich fiel. Keiner regte sich und Keiner sprach: der Professor wollte dem Vater das erste Wort lassen, mein Vater war zu aufgeregt, um sprechen zu können; so verging wohl eine halbe Minute, die mir eine Ewigkeit dünkte und während welcher ich jedenfalls Zeit hatte, mir den Gedanken zum klarsten Bewußtsein zu bringen, daß, wenn der Professor nicht sofort das Zimmer und das Haus verließ, jede Möglichkeit einer Verständigung zwischen meinem Vater und mir abgeschnitten war.

Verirrter junger Mann, sagte der Professor.

Lassen Sie mich mit meinem Vater allein, Herr Professor, sagte ich.

Der Professor sah mich an, wie Jemand, der seinen Ohren nicht traut. – Ein Schuldiger, ein Verbrecher – das war ich in den Augen des Schulmannes – der dem Richter in die Rede zu fallen, in diesem Tone, mit einer solchen Zumuthung in die Rede zu fallen wagt, – es war unmöglich.

Junger Mann, fing er noch einmal an, aber sein Ton war nicht mehr so sicher wie das erste Mal.

Ich sage Ihnen, lassen Sie uns allein, rief ich mit starker Stimme, indem ich eine Bewegung nach dem Professor machte.

Er ist von Sinnen, sagte der Professor, indem er, rückwärts schreitend, an den Tisch stieß.

Bursche, rief mein Vater, der rasch vorgetreten war, als wollte er den Professor vor einem Angriff schützen.

Wenn ich von Sinnen bin, sagte ich, meine glühenden Augen bald auf den Professor, bald auf meinen Vater richtend, so thäten Sie doppelt wohl daran, uns allein zu lassen.

Der Professor sah sich nach seinem Hut um, der hinter ihm auf dem Tisch stand.

Nein, bleiben Sie, bleiben Sie! rief mein Vater mit vor Leidenschaft bebender Stimme. – Soll dieser freche Bube wieder einmal seinen bösen Willen durchsetzen? Ich habe nur zu lange eine strafbare Nachsicht geübt; es ist Zeit, endlich andere Saiten aufzuziehen.

Mein Vater fing an, im Zimmer hin- und herzugehen, wie er immer that, wenn er sehr aufgeregt war. – Ja, andere Saiten aufzuziehen, fuhr er fort; – dies geht nicht länger; ich habe gethan, was ich konnte; ich brauche mir nichts vorzuwerfen; aber ich will nicht eines ungerathenen Buben wegen zum Gespött der Leute werden. Wenn er nicht thun will, was seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist, so habe ich auch keine Pflicht und keine Schuldigkeit gegen ihn mehr zu erfüllen; so mag er sehen, wie er ohne mich durch die Welt kommt.

Er hatte mich nicht ein einziges Mal angesehen, während er diese Worte, die der Zorn oft unterbrach, hervorstieß. Ich sah später einmal ein Gemälde, das jenen alten Römer darstellte, wie er sich die Hand auf den glühenden Kohlen abschwälen läßt und mit einem unendlich schmerzhaften Blick seitwärts auf die Erde starrt. Ich mußte dabei an meinen Vater in dieser verhängnißvollen Stunde denken.

Ihr Herr Vater hat recht, hob hier zum dritten Male der Professor an, der es für seine Pflicht hielt, an dem Eisen, das auf dem Amboß lag, mit schmieden zu helfen; – wann hat es einen Vater gegeben, der mehr für seine Kinder gethan hätte, als dieser treffliche Mann, dessen Ehrenhaftigkeit, Fleiß und Biederkeit sprüchwörtlich sind, den jede Bürgertugend schmückt und der nun durch Ihre Schuld des schönsten, kostbarsten Schmuckes eines Bürgers entbehren soll, das ist: eines wohlgeratenen Sohnes, der ihm eine Stütze sei in seinem wankenden Alter. Ist es nicht genug, daß diesen trefflichen Mann das unabwendbare Schicksal so hart getroffen, daß er so früh die theure Gattin, einen Sohn in der Blüthe der Jahre verlieren mußte? Soll ihm nun auch noch der letzte geraubt werden, der Benjamin seines Alters? soll seine treue Sorge, sein Gebet bei Tag und Nacht –

Mein Vater war ein strenger Mann, aber nichts weniger als fromm im Sinn der Kirche; die Unwahrheit war ihm ein Gräuel, und daß er Tag und Nacht gebetet haben solle, das war eine Unwahrheit; überdies war er von tiefster, fast krankhafter Bescheidenheit und das Lob des Professors dünkte ihm überschwänglich und unpassend.

Lassen Sie es gut sein, Herr Professor, unterbrach er den beredten Gelehrten mit rauher Stimme; – ich sage noch einmal: ich habe meine Pflicht gethan, damit basta! und er soll seine thun, und damit basta! Ich will weiter nichts von ihm, nichts, gar nichts, nicht so viel – und mein Vater strich dabei die Handflächen übereinander – das aber will ich, und will er's nicht, nun –

Mein Vater hatte sich von Neuem in einen Zorn hineingesprochen, der um so heller aufflammte, je ruhiger meine Haltung war. Seltsam! hätte ich mich auf Bitten und Flehen gelegt, ich bin überzeugt, mein Vater würde mich verachtet haben; aber weil ich that, was er, wäre er in meiner Lage gewesen, ganz gewiß auch gethan haben würde; weil ich trotzig und stumm war, haßte er mich in diesem Augenblicke, wie man das haßt, was sich uns in den Weg stellt, über das wir fort müssen und das wir dennoch nicht mit dem Fuß verächtlich bei Seite stoßen können.

Sie haben sich ein schweres Vergehen zu Schulden kommen lassen, Georg Hartwig, declamirte der Professor weiter; – Sie haben sich ohne die Erlaubniß Ihrer Lehrer aus dem Gymnasium entfernt. Ich will nicht sprechen von der grenzenlosen Mißachtung, mit welcher Sie wiederum, wie schon so oft in anderer Weise, die Ihnen gebotene kostbare Gelegenheit, sich zu unterrichten, von sich gewiesen haben; ich will nur sprechen von der schlimmen moralischen Schuld des Ungehorsams, der frechen Auflehnung gegen das Gebot, dem bösen Beispiel, das Sie durch dies schändliche Betragen Ihren Mitschülern geben. Wenn Arthur von Zehrens leichter Sinn sich endlich in entschiedenen Leichtsinn umgewandelt hat, so ist das die böse Frucht dieses Beispiels, denn nimmermehr würde jener bethörte Jüngling gewagt haben, was er heute gewagt hat. –

Hier brach ich, der ich den bethörten Jüngling besser kannte, in ein kurzes, höhnisches Gelächter aus, welches den Professor vollständig aus der Fassung brachte. Er griff nach seinem Hut und wollte sich, unverständliche Worte murmelnd, die vermuthlich seine Ueberzeugung, daß ich rettungslos verloren sei, ausdrücken sollten, entfernen. Mein Vater vertrat ihm den Weg.

Noch einen Augenblick, Herr Professor, sagte er; und dann sich zu mir wendend: Du wirst jetzt sofort Deinen Lehrer wegen dieser neuen Frechheit um Verzeihung bitten; sofort!

Nein, sagte ich.

Sofort! donnerte mein Vater.

Nein, sagte ich noch einmal.

Willst Du, oder nicht?

Er stand vor mir, vor Zorn am ganzen Leibe bebend. Sein immer etwas gelbliches Gesicht war aschfarben, auf seiner Stirn lag eine Ader wie ein Ast, seine Augen blitzten. Er hatte die letzten Worte in einem heiseren, zischenden Ton gesprochen.

Nein, sagte ich.

Mein Vater hob den Arm zu einem Schlage, aber er schlug mich nicht; der Arm senkte sich langsam, und die ausgestreckte Hand deutete nach der Thür: Hinaus, sagte er langsam und fest: aus meinem Hause, für immer!

Ich sah ihm starr in die Augen; ich wollte etwas erwidern; vielleicht: Vergieb mir, vergieb Du mir, Dich will ich um Verzeihung bitten! – aber das Herz lag mir wie ein Stein in der Brust, meine Zähne waren wie von einem Schraubstock zusammengepreßt; ich konnte sie nicht auseinanderbringen; ich konnte kein Wort hervorbringen; ich ging stumm nach der Thür.

Der Professor eilte mir nach und ergriff mich beim Arm, gewiß in der besten Absicht; aber ich sah in ihm nur den, der schuld war, daß es so gekommen; ich stieß ihn unsanft auf die Seite, schlug die Thür hinter mir zu, rannte an der alten Dienerin vorüber – sie mochte gehorcht haben, die gute Seele, und stand jetzt, die Hände ringend, ein Bild trostlosen Jammers da – zum Hause hinaus auf die Gasse.


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