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Am darauf folgenden Tage erhielt der Fürst einen Brief vom Kurfürsten mit dem Befehl, nach Krolewec zu eilen, um das Kommando über neu formierte Regimenter zu übernehmen. Der Elektor, der von dem kühnen Versuche Karl-Gustavs, ins Innere der Republik vorzudringen, wußte, sammelte mit fieberhafter Hast Truppen, um nötigenfalls seine Hilfe einer der kriegsführenden Parteien so teuer als möglich zu verkaufen.
In Tauroggen blieb als unbeschränkter Herrscher Sakowicz zurück, der nur eine Macht anerkannte, – die Macht der Panna Anna Borzobohata. Und wie einst Boguslaw bemüht war, dem kleinsten Wunsche Alexandras zuvorzukommen, so las jetzt Sakowicz den Augen Panna Annas ihre Wünsche ab.
Der Panna gefiel das Leben in Tauroggen ganz gut. Es war ihr ein angenehmes Gefühl, zu wissen, daß beim Einbrüche des Abends überall im Schlosse, in den Korridoren, in den Sälen, Seufzer der jungen und der alten Offiziere erschallten. Es seufzte der Astrolog, wenn er auf seiner Warte einsam nach den Sternen ausschaute, und selbst der alte Miecznik ließ den Rosenkranz mit einem Seufzer aus seinen Händen gleiten.
Sakowicz machte der Panna Anna einen Monat nach der Abreise des Fürsten einen Heiratsantrag. Aber die Schelmin verstand es, ihm eine ausweichende Antwort zu geben. Sie sagte, sie könne einen so wichtigen Schritt nicht ohne die Einwilligung der Fürstin Gryzelda tun; auch kenne sie ihn zu wenig, um ihn lieben zu können. Deshalb wolle sie ihm ein Jahr lang Probezeit geben.
Sakowicz bekämpfte in ihrer Gegenwart seine Wut. Als aber an demselben Tage ein Soldat einen kleinen Fehler verübte, ließ er ihn zu Tode prügeln. Hätte Panna Anna gewußt, wie teuer abseits stehende Leute ihre Antwort bezahlen mußten, so hätte sie Sakowicz vielleicht nicht so gereizt. Die Soldaten und die Einwohner Tauroggens zitterten vor ihm; Gefangene starben zu Dutzenden an Hunger und grausamen Martern.
Es schien, als müßte der wilde Kommandant zuweilen seine erregte Seele in Menschenblut abkühlen. Dann sprang er auf sein Pferd und unternahm kleinere, militärische Exkursionen. Fast immer war er in seinen Kämpfen siegreich. Er schlug mehrere Parteien der Konföderierten, ließ den Gefangenen den rechten Arm abschlagen und schickte die so Verstümmelten nach Hause.
Sein blutiger Name umgab Tauroggen wie mit einer Mauer, und selbst größere Parteien wagten sich nicht über Rosien hinaus. Unaufhörlich formierte der Kommandant neue Regimenter, um sie dem Fürsten im Falle der Not zu Hilfe senden zu können. Boguslaw hätte in der ganzen Welt keinen treueren Diener finden können.
Und mehr und mehr sah er mit seinen drohenden, hellblauen Augen begehrlich auf Panna Anna, und öfter und öfter spielte er auf seiner Laute.
So floß das Leben in Tauroggen dahin, – fröhlich und mannigfaltig für Anna Borzobohata, bedrückend und langweilig für Alexandra. Die erstere strahlte vor Freude, das Gesicht Alexandras wurde mit jedem Tage blasser und finsterer. Die Falte zwischen ihren Augen wurde immer tiefer, so daß ihre Brauen fast zusammenstießen. Ein jeder nannte sie kurzweg die Nonne, und sie selbst begann sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß Gottes Hand sie durch Leiden und Kummer früher oder später zu dem stillen Zufluchtsorte des Klosters führen werde. Sie war nicht mehr jenes Mädchen, das einst mit roten Wangen und funkelnden Augen mit ihrem Verlobten durch den vom Schnee verwehten Wald rannte, das fröhlich und sorglos zu lachen wußte.
Inzwischen hatte der Frühling seinen Einzug gehalten. Immer wärmere Strahlen sandte die Sonne auf die Erde, die Bäume standen im Blütenschmucke, – und das arme Mädchen wartete umsonst auf die Befreiung aus ihrer Gefangenschaft. Anna lehnte es entschieden ab zu fliehen; denn im Lande wüteten mehr und mehr die Schrecken des Krieges.
Man sprach in Tauroggen von der Erhebung des ganzen polnischen Volkes. Sakowicz stellte seine Expeditionen ein; er schrieb nur noch Briefe, die er nach allen Richtungen aussandte.
Der Miecznik verlor ganz den Kopf und benahm sich im höchsten Grade absonderlich. Eines Abends, als er Alexandra »Gute Nacht!« sagte, brach er in Schluchzen aus und stürzte eiligst aus dem Zimmer.
Am folgenden Tage war er verschwunden, als wenn ihn die Erde verschluckt hätte. Alexandra fand nur einen Brief, der also lautete:
»Liebes Kind, möge Gott dich segnen, und möge er mich verurteilen, wenn ich unrichtig gehandelt habe. Aber ich litt schon lange vielen Kummer und schwöre, daß ich mir nicht mehr anders zu helfen wußte. Bei dem Gedanken, daß da draußen Ströme polnischen Blutes für die Freiheit und für das Vaterland fließen, und kein Tropfen von meinem Blute diesen Strom vergrößert, schien es mir, als habe sich Gottes Antlitz von mir abgewendet. Ich müßte kein Schlachtschitz, kein Billewicz sein, wenn ich jetzt bei dir bliebe, um dich zu schützen. Wärest du ein Mann, du handeltest genau wie ich, und deshalb wirst du mir verzeihen, daß ich dich allein lasse wie Daniel in der Löwengrube.«
Alexandra weinte; aber sie fühlte, daß die Liebe zu ihrem Onkel in ihr größer wurde.
Als sich in Tauroggen die Nachricht von der Flucht des Miecznik verbreitete, erhob sich ein großer Lärm. Der wütende Sakowicz stürzte in das Zimmer von Alexandra und fragte, ohne die Mütze vom Kopfe zu nehmen:
»Wo ist Ihr Onkel?«
»Da, wo alle sind, ausgenommen die Verräter! – Im Felde!«
»Sie wußten davon?« rief der Kommandant. »O«, wäre nicht der Fürst, so – – Sie werden dem Fürsten dafür Rede stehen!«
»Weder dem Fürsten noch seinem Söldner! – Und jetzt –«
Und sie wies mit dem Finger auf die Tür.
Sakowicz knirschte mit den Zähnen und ging.
Übrigens erhielt Sakowicz an demselben Tage einen kleinen Trost. Ein Brief vom Fürsten Boguslaw traf ein mit der Nachricht, daß der schwedische König sich glücklich aus der ihm gestellten Falle gerettet habe. Gleichzeitig forderte Boguslaw, daß man ihm sämtliche Truppen, mit Ausnahme einer winzigen Garnison, die in Tauroggen bleiben mußte, nachsenden solle.
Die Reiterei verließ am nächsten Tage schon Tauroggen. Ihr folgte Ketling, Öttingen, Fitz-Gregory, kurz, alle außer Braun, der entschieden unabkömmlich war.
Nach einer ziemlich langen Zeit des Wartens traf endlich dann wieder ein Brief von Boguslaw ein.
»Warschau ist den Schweden genommen!« schrieb er. Und dann teilte er Einzelheiten über den Sturm von Warschau mit. »Der schwedische König«, fuhr er fort, »ist jetzt seiner Sache sicher. Er will vereint mit des Kurfürsten und meinen Kräften Jan-Kasimirs Truppen gänzlich vernichten. Ich verstehe vollkommen, daß, wenn wir die bevorstehende Schlacht verlieren, der Kurfürst sich gleich gegen die Schweden wenden wird, um sich dadurch Jan-Kasimirs Gunst zu sichern. Auch ich werde dann dafür sorgen, meine Haut und mein Hab und Gut zu retten. Es müssen Vorsichtsmaßregeln ergriffen werden. Verkaufe daher alles, was du zu Geld machen kannst, selbst wenn du zu diesem Zwecke mit den Konföderierten in Beziehungen treten müßtest. Du selbst geh nach Birze, von dort ist es näher nach Kurland. Ich würde dir raten, dich nach Preußen zu begeben, aber nach dorthin hat man vor kurzem Babinicz geschickt, und du mußt dich hüten, ihm zu begegnen.«
Sakowicz überlegte, was er tun solle. Der Weg nach Birze war ihm durch die Partei Billewicz' und andere größere und kleinere Parteien verlegt. In Tauroggen zu bleiben war auch gefährlich. Jeden Augenblick konnte der gefürchtete Babinicz mit seinen Tataren kommen und schreckliche Rache nehmen.
Der noch bis eben so selbstsichere Kommandant fühlte plötzlich das Bedürfnis, sich mit jemandem zu beraten und ließ Braun zu sich bitten. Beide beschlossen nun, in Tauroggen zu bleiben und dort erst weitere Nachrichten zu erwarten.
Braun ging sogleich nach diesem Beschlusse zu Panna Anna. Sie sprachen lange miteinander, dann trat Braun mit erregtem Gesicht aus dem Zimmer, und Anna flog wie ein Wind zu Alexandra. »Fliehen wir!« rief sie, noch auf der Schwelle stehend. »Morgen, morgen schon! Die Garnison kommandiert Braun, Sakowicz übernachtet in der Stadt. Braun sagt, daß er auch weggeht und noch fünfzig Mann mit sich nimmt. – O, wenn du wüßtest, wie glücklich ich bin!«
Anna warf sich Panna Billewicz um den Hals und umarmte sie.
»Ich habe dir noch nicht alles gesagt. Ahnst du nichts? Pan Babinicz kommt hierher! Sakowicz stirbt fast vor Furcht. – Zu wem mag er nur eilen?«
»Zu wem er auch eilen mag, möge Gott ihn segnen und ihm seinen Weg leicht machen!«