Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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13. Kapitel.

Am Fuße von Jasna-Gora trat Ruhe ein, und die Mönche bereiteten sich eifrig weiter zur Verteidigung vor. Aus der Umgegend meldete sich eine Schar von Bauern, die ehemals bei der Infanterie gedient hatten, mit der Bitte, in die Garnison aufgenommen zu werden. Pater Kordecki arbeitete unermüdlich. Er hielt den Gottesdienst ab, präsidierte in den Beratungen, inspizierte die Mauern, unterhielt sich freundlich mit der Schlachta und mit den Bauern und verstand es, überall zu ermuntern und zu trösten.

Die Väter fanden ihn oft beim Schreiben von Briefen, die er nach allen Richtungen aussandte. Er schrieb an Wittemberg und bat um Gnade für die heilige Stätte, an Jan-Kasimir, der in Opola die letzten Anstrengungen machte, das undankbare Vaterland zu retten, an Wrzeszczowicz und an den Oberst Sadowski. Dieser, ein Tscheche und Lutheraner, diente unter General Müller, und als Mann mit weitem Blick bemühte er sich, den grimmigen General von der Idee einer Belagerung Jasna-Goras abzubringen. Müller jedoch gab Wrzeszczowicz' Ratschlägen den Vorzug. Der Feldzug gegen Czenstochau war eine beschlossene Sache.

Obwohl das Kloster mit seinen Vorbereitungen zum Empfang der Gäste fast fertig war, so regten sich die Hände jetzt noch eifriger, um alles möglichst widerstandsfähig zu machen. Der Sieradzker Miecznik befahl, die Läden, die die Klostermauern dicht umgaben, sowie die Gebäude auf den nächst liegenden Anhöhen niederzubrennen, um den Kanonen einen offenen Ausblick zu verschaffen. Ihre schwarzen, offenen Rachen blickten weit in die Ferne, als wenn sie mit Ungeduld darauf warteten, den Feind mit ihrer schrecklichen Begrüßung empfangen zu können.

Inzwischen nahte der Winter mit raschen Schritten. Ein scharfer Nordwind erhob sich, und das Wasser begann sich des Nachts mit einer dünnen Eisschicht zu bedecken.

Als Pater Kordecki dies bei seinem Rundgange auf den Mauern sah, rieb er sich seine blau gewordenen Hände und lächelte:

»Der Herrgott schickt uns den Frost zu Hilfe! Jetzt ist's mit den Erdarbeiten eine schlechte Sache, und der scharfe Nordost wird dem Feinde auch bald zu viel werden.«

Diese Gründe waren es auch, die Burchard Müller trieben, seine Sache so schnell als möglich zu beenden. Er führte neuntausend Mann, zumeist Fußvolk, und neunzehn Kanonen nach Czenstochau. Er hatte auch zwei Banner polnischer Reiterei bei sich, aber es war kein rechter Verlaß auf sie; denn die Polen gingen nur ungern mit und sorgten zumeist dafür, daß sie an den Kämpfen keinen Anteil zu nehmen brauchten. Die Obersten versicherten ihren Soldaten, daß sie zwar den schwedischen Befehlen gehorchen müßten, daß sie aber hauptsächlich deshalb mitzögen, um im Falle einer Übergabe die Festung vor der übermäßigen Raubgier der Sieger zu schützen.

Die Belagerung sollte am achtzehnten November ihren Anfang nehmen. Der schwedische General rechnete, daß sie nicht länger als zwei Tage dauere, und daß er die Festung mit Gewalt oder Güte nehmen könne.

Währenddessen bereitete der Prior die Seelen der Verteidiger auf den bevorstehenden Kampf vor. Er setzte eine feierliche Messe an und ließ die großen und die kleinen Glocken läuten. Als die Messe beendet war, ging eine Prozession die Festungsmauern entlang. Der Wind hatte sich gelegt, und die Herbstsonne überflutete mit ihrem blaßgoldenen Licht die Erde.

Der Prior segnete das Volk, die Truppen, die Fahnen, die in ihren bunten Farben weithin leuchteten. Er segnete die Mauern und Kanonen, die in der Ferne liegenden Dörfer, Nord und Süd, Ost und West, als wollte er über alles Gottes Segen herabrufen.

Die Turmuhr schlug zwei, und die Prozession war noch immer auf den Mauern. Plötzlich bewegte sich der Nebel am Horizonte, und es begannen, zuerst undeutlich, dann immer klarer, sich Gegenstände vom Himmel abzuheben. Es erscholl der Ruf: »Die Schweden kommen, die Schweden!«

Dann trat mit einem Male Stille ein; es schien, daß irgend eine Macht allen die Kehlen zuschnürte, und nur die Glocken fuhren unentwegt fort zu läuten. Gleich darauf vernahm man die laute, ruhige Stimme des Paters Kordecki:

»Freut euch, Brüder! Der Augenblick des Wunders und des Sieges naht!«

Die schwedische Armee kroch wie eine ungeheure Schlange immer näher heran. Fast konnte man ihre Glieder unterscheiden. Bald rollte sie sich wie ein Knäuel zusammen, bald streckte sie sich lang aus und leuchtete mit ihren Stahlschuppen. So kroch sie dahin, näher und näher kommend, und sich von dem grauen Hintergrunde des Himmels immer klarer abzeichnend.

Zuerst kam die Reiterei; ihr folgten die Vierecke der Infanterie, deren nach oben gerichtete Spieße weit hervorsahen. Dahinter folgten die Kanonen mit ihren nach unten gerichteten Rachen. Auf der holprigen Landstraße klapperte eine endlose Kette von Fuhren, die mit Pulverkisten, Zelten und allerlei Kriegsgepäck beladen waren.

Drohend, aber zugleich majestätisch war der Anblick der regulären Truppen, die an den Augen der Jasnogoraer vorbeizogen. Die Kavallerie trennte sich bald von den anderen Soldaten und fing an, im Galopp heranzusprengen. Sie teilte sich in mehrere Abteilungen. Einige näherten sich direkt der Festung, andere ergossen sich auf der Suche nach Beute in die benachbarten Dörfer, und wieder andere besichtigten das Terrain und besetzten die an der Festung liegenden Gebäude. Die Infanterieregimenter marschierten rings um die Mauern herum und suchten sich die besten Positionen aus. Bald fielen sie über Czenstochowka, das Klosterdörfchen, her, wo sich die Bauern in ihren Scheunen versteckt hatten.

Ein Finnenregiment machte den ersten Angriff auf die unbewaffneten Bauern. Wer Widerstand leistete, wurde auf der Stelle getötet, die anderen trieb man aufs Feld, wo die Reiterei über sie herfiel und sie nach allen Richtungen zerstreute.

An den Toren des Klosters erschienen Müllers Abgesandte, Die Belagerten antworteten jedoch, angesichts der Raserei der Soldaten in Czenstochowka, mit Kanonenschüssen.

Salven erschütterten unausgesetzt die Luft, die Mauern zitterten, und die Scheiben der Kirche klirrten in ihren Metallrahmen. Glühende Kanonenkugeln, unheilverkündende Parabeln beschreibend, fielen auf die von den Schweden besetzten Gebäude und zerschmetterten die Dächer. Überall, wo sie hinfielen, hinterließen sie ihre Spuren in von Flammen durchzuckten Rauchsäulen.

Das Dorf Czenstochowka fing Feuer und bildete ein Flammenmeer.

Die schwedischen Regimenter zogen sich in großer Unordnung zurück. Müller war verwundert. Einen solchen Empfang und solche gute Bedienung der Kanonen hatte er nicht erwartet.

Inzwischen brach die Nacht herein. Und da Müller seine Truppen wieder in Ordnung bringen wollte, so sandte er einen Trompeter mit dem Vorschlag um Waffenstillstand.

Die Mönche willigten schnell ein.

Die Schweden ruhten während der ganzen Nacht nicht.

Sie stellten ihre Batterien auf, richteten ihr Lager ein und warfen Schanzen auf. Trotz ihrer langjährigen Erfahrung und Tapferkeit erwarteten die Soldaten den folgenden Tag ohne besondere Freude, da sie am Tage eine so empfindliche Schlappe erlitten hatten. Selbst wenn der nächste Morgen ihnen einen Sieg brächte, so verhieß er ihnen dennoch keinen Ruhm. Was bedeutete die Einnahme einer so schwachen Festung, wie das Kloster war, für den Eroberer so großer Festungen. Allein die Hoffnung auf eine reiche Beute hielt ein wenig die Gemüter aufrecht; denn die quälende Unruhe, mit der die polnischen verbündeten Truppen sich Jasna-Gora näherten, begann sich auch allmählich den Schweden mitzuteilen. Sie unterschied sich nur dadurch, daß die einen bei dem Gedanken an eine Entweihung der Heiligtümer zitterten, während die anderen vor etwas Unbestimmtem, was sie nicht erklären konnten und deshalb einfach für Hexerei hielten, Furcht hatten. Wie sollten auch die einfachen Soldaten anders denken, wenn selbst Burchard Müller so dachte!

Alle, hatten bemerkt, daß, als Müller sich der Kirche der heiligen Barbara näherte, sein Gaul plötzlich stehen blieb, zurückwankte, unruhig zu schnaufen begann und um keinen Preis einen Schritt vorwärts gegangen wäre. Der alte General hatte mit keiner Miene gezeigt, daß er dem irgend welche Beachtung schenkte, aber am nächsten Tage stellte er an jene Stelle den Fürsten von Hessen, während er sich selbst mit den schweren Kanonen nach der nördlichen Seite, nach Czenstochowka, zurückzog, wo er die ganze Nacht hindurch Schanzen aufwerfen ließ, um von dort aus am Morgen den Angriff zu beginnen.

Kaum brach der folgende Tag an, als die Schweden mit dem Bombardement anfingen. Sie wollten nicht gleich eine Bresche in die Mauer schießen, um im Sturm einzudringen, sondern sie wollten nur das Kloster mit Kanonenkugeln überschütten, Feuer anlegen, die Geschütze zerstören und die Mannschaften, die sie bedienten, töten, kurz, möglichst viel Unruhe und Schrecken verbreiten.

Auf den Klostermauern erschien wieder eine Prozession. Nichts stärkte den Mut der Verteidiger mehr, als der Anblick der heiligen Sakramente und der ihnen ruhig folgenden Mönche. – Die Kanonen des Klosters antworteten Schlag auf Schlag, Donner auf Donner, soweit die Kräfte es erlaubten. Ein Meer von Rauch wogte über dem Kloster. Die Erde schien in ihren Fundamenten zu erzittern.

Was für Minuten! Was für ein Schauspiel für die Leute, die dem Kriege noch nie ins blutige Antlitz geschaut hatten! Und es gab derer viele im Kloster.

Dieses unaufhörliche Dröhnen, das Geknatter der platzenden Bomben, der Rauch, das Heulen der Geschosse, das schreckliche Pfeifen der Granaten, das Klirren springender Fensterscheiben, – ein Chaos, – eine Hölle! – Und keinen Augenblick Ruhe, keine Zeit für die beklommene Brust frei aufzuatmen, immer ein neuer Hagel von Kugeln, und fortwährend markerschütternde Ausrufe an allen Ecken der Festung:

»Es brennt! Wasser! Wasser! Auf die Dächer! – Höher die Kanonen! Höher! – Feuer! – –

Gegen Mittag wurde es noch schlimmer. Es schien, daß, sobald der Rauch sich verzogen haben werde, die Schweden an Stelle des Klosters nur einen Berg von Kanonenkugeln und Granaten entdecken würden.

Das Dröhnen der Schüsse folgte sehr schnell hintereinander und verschmolz zu einem anhaltenden Getöse wie der Atem eines gehetzten, ermüdeten Tieres.

Plötzlich erschallten auf dem Turme, der eben erst nach einem vorjährigen Brande ausgebessert worden war, feierliche Fanfaren. Die Töne kamen von oben, und man hörte sie überall, sogar auf den schwedischen Batterien. Bald mischten sich menschliche Stimmen mit den Trompetenklängen, und trotz des Geprassels und Pfeifens vernahm man die Worte:

»Mutter Gottes, Jungfrau, gebenedeiete Maria!« Da schlug eine Granate ein, ein Dach stürzte nieder, und ein durchdringender Ruf »Wasser!« ertönte. Aber die Klänge des feierlichen Gesanges schwebten ungestört über all der Vernichtung.

Kmicic, der an der Kanone gegenüber von Müllers Position stand, von wo aus das stärkste Feuer kam, stieß den unbewanderten Kanonier zur Seite und machte sich selbst an die Arbeit. Er schaffte so eifrig, daß er trotz der Herbstkälte seinen Pelz abwarf, und nur im Hemd und Beinkleidern dastand.

Seine Brauen waren zusammengezogen, seine Augen brannten, und der Ausdruck einer wilden Freude lag auf seinem Gesichte. Jeden Augenblick bückt er sich zur Kanone; auf nichts um sich herum achtend, zielt er, richtet ihren Lauf höher, niedriger und ruft: »Feuer!« Sobald Soroka die Lunte anlegt, eilt er schnell zum Mauerrand und sieht der Kugel nach. Von Zeit zu Zeit ruft er:

»Ganze Reihen liegen tot! Ganze Reihen!«

Seine Adleraugen dringen durch Rauch und Staub. Sobald er eine Gruppe von Soldaten sieht, wirft er sie mit einem wohlgezielten Schusse, wie vom Blitz getroffen, nieder.

Mehrmals hört man ihn froh auflachen, wenn der Schuß besonders gut gelungen ist. Über ihm, rings um ihn herum fliegen Kugeln und Geschosse; aber er achtet ihrer gar nicht.

Bis zum Mittag hat er sich keine einzige Ruhepause gegönnt. Der Schweiß rinnt von seiner Stirn, und sein Hemd dampft, sein Gesicht ist dick mit Ruß bedeckt.

Selbst Pan Czarniecki bewundert die Treffsicherheit seiner Schüsse und sagt mehrmals zu ihm:

»Für Sie ist der Krieg nichts Neues! Das sieht man gleich! Wo haben Sie das gelernt?«

Gegen drei Uhr verstummte auf der schwedischen Batterie die zweite Kanone, zerschmettert durch einen gut gezielten Schuß Kmicic'. Die übrigen wurden bald daraus von den Schanzen weggeschleppt. Die Schweden hatten anscheinend ihre Position für ungünstig erkannt.

Kmicic atmete erleichtert auf.

»Ruhen Sie aus,« sagte Pan Czarniecki zu ihm.

»Gut, ich habe Hunger,« antwortete der Ritter. »Soroka, gib mir, was du zur Hand hast.«

Der alte Wachtmeister brachte gleich Schnaps und getrockneten Fisch herbei.

Pan Kmicic begann ruhig zu essen. Von Zeit zu Zeit blickte er den um ihn herumsausenden Kugeln gleichgültig nach. Auch viele Granaten flogen an ihm vorbei, die meisten trafen jedoch nicht das Kloster, sondern fielen auf das hinter ihm liegende freie Feld.

»Schlechte Kanoniere haben die Schweden, sie zielen zu hoch,« sagte Pan Andreas, ruhig weiter essend. »Seht nur, alle Kugeln fliegen über unsere Köpfe hinweg.«

Plötzlich kam eine Granate gesaust, die auf der Mauer aufschlug, mehrere Male hochhüpfte, sich herumdrehte und die Mauer entlang bis dicht zu Kmicic rollte, wo sie sich in einen nassen Sandhaufen tief einbohrte.

Zum Glück fiel sie mit dem Rohre nach oben, die Lunte aber fuhr fort zu rauchen.

»Auf die Erde nieder! Hinlegen!« hörte man verschiedene Stimmen.

Kmicic kroch jedoch im gleichen Momente heran; er riß mit einer Bewegung das Zündrohr mit der brennenden Lunte heraus und rief:

»Steht auf! Dem Hunde sind sämtliche Zähne herausgerissen, jetzt wird er nicht mehr eine Fliege töten können!«

Alle konnten lange Zeit keinen Ton hervorbringen angesichts dieser übermenschlichen Kühnheit. Als erster kam Pan Czarniecki zu sich.

»Wahnsinniger! Wäre sie geplatzt, so wären Sie in Stücke zerrissen worden!«

Pan Andreas lachte heiter und zeigte seine glänzenden, weißen Zähne.

Der Prior, der in diesem Augenblicke gerade seinen gewohnten Rundgang machte, hatte Kmicic' Tat mit angesehen. Er trat zu Pan Andreas und bekreuzigte ihn:

»Solche wie Sie werden Jasna-Gora nicht ausliefern,« sagte er, »aber ich verbiete Ihnen, Ihr Leben solcher Gefahr auszusetzen. Das Feuer läßt nach, und der Feind verläßt das Feld. Nehmen Sie die Granate, und legen Sie sie zu Füßen der heiligen Jungfrau. Das wird ihr willkommener sein als Ihre kostbaren Edelsteine und Perlen.«

»Vater!« sprach der tiefergriffene Kmicic, »was habe ich Besonderes getan? Für die heilige Jungfrau würde mir keine Marter zu viel sein, für sie würde ich gern sterben!« In Kmicic' Augen glänzten Tränen.

»Gehen Sie hin zu ihr, solange Ihre Augen noch feucht sind. Sie wird Sie unter ihren Schutz nehmen, wird Ihnen Ruhm, Glück, alles geben!«

Der Pater nahm Pan Andreas unter den Arm und führte ihn zur Kirche. Pan Czarniecki sah beiden nach.

»Viele tapfere Ritter habe ich schon gesehen,« sprach er zu sich selbst, »aber dieser Litauer ist einfach der personifizierte Teuf–« Der fromme Pan Piotr schlug sich auf die Lippen, weil er an heiliger Stätte ein so schlechtes Wort hatte sagen wollen. – –


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