Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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9. Kapitel.

Nach der Einnahme von Lublin – die Festung hatte nur kurze Zeit Widerstand geleistet, – ließ Sapieha seine Truppen auf Warschau zu marschieren.

An einem schönen Frühlingsabend erblickte das Laudaer Banner, das in der Avantgarde marschierte, die Türme der Hauptstadt. Bald tauchte die Stadt selbst mehr und mehr aus der blauen Ferne aus; die hohen Dächer erglänzten in den hellen Strahlen der untergehenden Sonne. Die Litauer hatten in ihrem Leben noch nichts Schöneres gesehen, als diese hohen, weißen Mauern, die mit ihren unzähligen Fensterchen in die Spiegelfläche des Wassers guckten. Die Häuser schienen sich gegenseitig überragen zu wollen, und über all den Dächern, Fenstern und Mauern erhoben sich ins Unendliche die vielen gotischen Türme.

Zagloba erklärte seinen Kameraden die Gebäude.

»Sehen Sie den Turm, ganz in der Mitte der Stadt? Das ist das königliche Palais! Könnte ich noch so vielmal ein Jahr leben, wie ich dort beim Diner gesessen habe, so würde ich noch älter als Methusalem werden müssen. An niemand wandte sich der König so oft um Rat als an mich; ich konnte Starosteien austeilen wie Nüsse.«

»Und links vom Schloß, was ist das für ein schöner Bau?« –

»Das ist das Palais der Radziejowskis, das früher den Kazanowskis gehörte. Man hält es für das achte Wunder der Welt. Möge es einstürzen, denn in seinen Mauern keimte der Untergang der Republik auf.«

»Wieso denn?« fragte Roch Kowalski.

»Als zwischen dem Pan Radziejowski und seiner Frau der Unfriede begann, fing Jan-Kasimir an, der Pani den Hof zu machen. Man erzählt, daß die Pani Radziejowska in den König verliebt war, und der Unterkanzler sei aus Rache zu den Schweden übergetreten und habe sie angestachelt, den Krieg zu eröffnen.«

Die Sonne war schon fast ganz untergegangen, es dämmerte bereits. Pan Sapieha beschloß, den Einwohnern von Warschau seine Ankunft anzuzeigen und ließ deshalb Musketen abfeuern. Die Truppen begannen über die Weichsel überzusetzen. Zuerst das Laudaer Banner, ihm folgte das Banner des Pan Kotwicz und dann Kmicic' Tataren, – im ganzen waren es achttausend Mann. Die Schweden waren auf diese Weise samt der von ihnen geplünderten Beute eingeschlossen, und Pan Sapieha blieb nur übrig, auf die Ankunft des Königs und Czarnieckis zu warten und zu verhindern, daß die Festung irgend welche Verstärkungen erhalte.

Die Nachrichten, die von Pan Czarniecki kamen, waren nicht sonderlich befriedigend. Der Kastellan schrieb, daß seine Truppen und Pferde so erschöpft seien, daß er fürs erste keinen Anteil an der Belagerung nehmen könne. Das einzige, was ihm möglich sei zu tun, wäre, die schwedische Armee, die unter dem Oberbefehle des Bruders des Königs und der Generale Douglas und Radziwill bei Narew stand, und die den Belagerten zu Hilfe kommen wollte, aufzuhalten.

Indessen bereiteten sich die Schweden auf die Belagerung mit der ihnen eigenen Entschlossenheit und Kunst vor. Noch vor der Ankunft Sapiehas hatten sie Praga verbrannt, und jetzt überschütteten sie sämtliche Vorstädte mit einem Hagel von Granaten. Alle Gebäude und Kirchen wurden ein Raub der Flammen. Hinter den Mauern irrten Haufen von Einwohnern ohne Zuflucht, ohne Nahrung umher. Hunderte von Frauen bestürmten das Heer Sapiehas und flehten um Barmherzigkeit. Überall sah man Menschen, die vom Hunger ausgedörrt und trocken geworden waren wie Holzspäne, Kinder, die an den versiegten Brüsten ihrer Mütter starben. Die Umgegend der Hauptstadt hatte sich in ein Tal des Jammers und der Tränen verwandelt.

Da Sapieha keine Kanonen und keine Infanterie bei sich hatte, konnte er nichts beginnen. Voller Unruhe blickte er auf Warschau, das die schwedischen Ingenieure in eine starke Festung verwandelt hatten. Hinter den Mauern waren dreitausend vorzüglich geschulte Soldaten versammelt. Pan Sapieha suchte seine Unruhe durch tägliche Gelage – der Hetman liebte fröhliche Gesellschaft – zu ersticken, und oft vergaß er beim kreisenden Becher seine Pflicht.

Des Tags über war er zwar auf den Beinen, inspizierte die Wachen, verhörte die Gefangenen und schickte nach allen Seiten Boten aus; aber sobald der Abend hereinbrach, begann er Trinkgelage abzuhalten. Der angeheiterte Hetman schickte nach seinen Offizieren, denen er selbst eben erst wichtige Aufträge erteilt hatte, und war gekränkt, wenn jemand einer Einladung nicht sogleich Folge leistete.

Einige Offiziere taten zwar auch ohne die Aufsicht ihren Dienst; andere aber erfüllten, da sie fühlten, daß keine Kontrolle da war, ihre Pflichten höchst lässig.

Die Schweden ließen natürlich diese gute Gelegenheit nicht unbenutzt.

Einstmals, zwei Tage vor der Ankunft des Königs und der Hetmans, schickte Sapieha eine besonders liebenswürdige Einladung an die beiden Strzetuskis, Kmicic, Zagloba, Wolodyjowski und Charlamp.

»Wie kann ich denn zum Hetman gehen? Ich stehe eben im Begriffe, mit meinen Tataren einen Streifzug zu unternehmen,« entgegnete Kmicic, der schon einen Fuß im Steigbügel hatte.

»Der Pan Hetman befiehlt, Akbah-Ulan damit zu beauftragen,« antwortete der Abgesandte Sapiehas.

Das Mahl nahm einen sehr lebhaften und fröhlichen Verlauf. Pan Sapieha toastete auf den König, auf die Hetmans, auf Pan Czarniecki und auf die anwesenden Gäste. Von Toasten ging man zu fröhlicheren Liedern über, kurz, es herrschte bald große Heiterkeit und eine recht schwüle Atmosphäre im Zimmer.

Plötzlich vernahm man von draußen Rufe.

»Was ist das?« fragte einer der Obersten.

»Ruhig, bitte!« rief der besorgte Hetman. »Man muß erfahren, um was es sich handelt.«

Kaum hatte er geendigt, als alle Fensterscheiben von Geschütz- und Musketensalven erzitterten.

Alle sprangen von ihren Plätzen auf, stürzten hinaus und fanden nur mit Mühe ihre Pferde.

»Der Feind hat Pan Kotwicz überfallen!«

Glücklicherweise war der Oberst einer Unpäßlichkeit wegen dem Gelage fern geblieben, so daß er sofort zur Stelle war; aber er konnte sich nur mit Mühe gegen die wütend anstürmenden Schweden halten. Endlich erschien der Hetman mit seiner ganzen Macht und brachte bald die in Verwirrung geratenen Massen in Ordnung. Es entbrannte auf der ganzen Linie ein heißer Kampf. Da erschien mit einem Male Akbah-Ulan vor dem Hetman.

»Effendi!« rief er, »eine Heeresabteilung will in die Stadt hinein, sie führt einen ganzen Wagenzug mit sich!«

Nun wurde es Sapieha klar, was der Ausfall der Schweden zu bedeuten hatte. Man wollte einfach die Aufmerksamkeit des Feindes von dem Proviantzuge ablenken, um diesen in die Festung schlüpfen zu lassen.

»Schnell zu Wolodyjowski! Die Laudaer, Kmicic und Wansowicz sollen der Kolonne den Weg abschneiden; ich schicke ihnen bald Verstärkung!«

Leider aber kam dieser Auftrag schon zu spät. Gegen zweihundert Wagen mit Proviant waren schon in die Stadttore eingefahren, und die sie begleitende Abteilung schwerer Kavallerie befand sich im Bereiche der Festungsgeschütze. Nur die Arrieregarde war etwas zurückgeblieben, aber auch sie ritt in schnellstem Trabe vorwärts.

Als Kmicic die Reiter beim Scheine einiger brennender Gebäude sah, konnte er sich eines wilden Aufschreies nicht enthalten.

Er erkannte Boguslaws Soldaten.

Außer sich vor Wut stürzte er sich mit seinen Tataren auf ihre Reihen und begann schrecklich zu rasen, Wolodyjowski kam ihm bald zu Hilfe. Der Kampf dauerte nicht lange. Da Boguslaws Leute auf keinerlei Hilfe rechnen konnten, warfen sie die Waffen von sich und streckten den Siegern um Gnade flehend die Arme entgegen.

»Leben lassen! Gefangen nehmen!« erscholl Kmicic' Stimme.

Die Tataren hatten bald alle gefesselt und eilten, aus dem Feuer der Festungsgeschütze herauszukommen.

In diesem Augenblicke rief einer der Gefangenen:

»Pan Kmicic, retten Sie einen alten Bekannten. Lassen Sie mir die Stricke auf mein Ehrenwort hin abnehmen!«

Kmicic wandte sich um.

»Ketling!« staunte er.

Haßling-Ketling war ein Schotte, ein Offizier des verstorbenen Wilnaer Wojewoden. Er genoß einstmals die Zuneigung Kmicic'.

»Laß den Gefangenen frei!« rief er dem Tataren zu, »Steig' vom Pferde und gib es ihm!«

Mit Mühe bestieg Ketling den hohen Sattel des Tatarenpferdes. Kmicic ergriff ihn fest bei der Hand und fragte mit stockender Stimme:

»Woher kommen Sie? Sprechen Sie, um Gottes willen, schnell!«

»Aus Tauroggen,« antwortete der Offizier.

»Oh! – Ist Panna Billewicz dort?«

»Ja, Pan Oberst.«

»Und was hat der Fürst mit ihr getan?« entrang es sich mühsam Kmicic' Kehle.

»All seine List und Ränke haben zu nichts geführt.«

Diesen Worten folgte ein langes Schweigen. Dann nahm Kmicic seine Luchsmütze ab, fuhr sich mit der Hand über die Stirne und sagte:

»Es ist nicht zu verwundern, daß ich so schwach bin; ich bin erst vor kurzem schwer verwundet worden und habe viel Blut verloren.«


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