Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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2. Kapitel.

Pan Michail hatte recht gesehen: Kmicic triumphierte, und die Ungarn und die Dragoner bedeckten mit ihren Leichnamen dicht den Schloßhof von Kiejdane. Nur wenigen war es möglich gewesen zu entkommen. Den größeren Teil der Flüchtlinge holte die Reiterei ein; der Rest kam erst wieder zu sich, als er im Lager Sapiehas, des Witebsker Wojewoden, anlangte und nach dort die Nachricht von Radziwills schrecklichem Verrat und dem Widerstand der Obersten brachte.

Mit Staub und Mut bedeckt und der ungarischen Fahne in der Hand erschien Kmicic vor Radziwill, der ihn mit offenen, Armen empfing. Doch Kmicic war nicht siegesfroh; finster und zornig, als wenn er Gewissensbisse empfände, so trat er herein.

»Euer Durchlaucht,« sagte er, »mich gelüstet es keineswegs gelobt zu werden. Ich zöge es hundertmal vor, gegen den Feind zu kämpfen, als gegen Soldaten, die dereinst dem Vaterlande von Nutzen sein können. Ich habe das Gefühl, gegen mich selbst ins Feld gezogen zu sein.«

»Und ist dies nicht allein die Schuld der Rebellen?« entgegnete der Fürst.

»Durchlaucht, was gedenken Sie mit den Gefangenen zu tun?«

»Jeden zehnten der Soldaten werde ich erschießen lassen; den Rest werde ich in verschiedenen Regimentern unterbringen. Du wirst heute mit meinem Befehle zu den Bannern von Mirski und Stankiewicz reiten. Ich ernenne dich zum Befehlshaber dieser beiden Banner und des dritten von Wolodyjowski.«

»Und was soll ich im Falle eines Widerstandes tun? In Wolodyjowskis Banner steht die Laudaer Schlachta, die mich haßt.«

»Teile ihnen mit, daß Mirski, Stankiewicz und Wolodyjowski ohne Verzug erschossen werden.«

»So werden sie bewaffnet gegen Kiejdane ziehen und ihre Obersten zu befreien suchen.«

»Nimm ein schottisches und ein deutsches Regiment mit, umzingle sie erst und lies dann meinen Befehl vor.«

»Wie Euer Durchlaucht befehlen.«

Radziwill versank in Gedanken.

»Mirski und Stankiewicz würde ich sehr gern erschießen lassen, wenn sie nur nicht so populär im ganzen Lande wären. Ich fürchte einen offenen Aufstand... – Jedenfalls muß gehandelt werden, ehe die Rebellen zu dem Witebsker Wojewoden übergegangen sind.«

»Durchlaucht sprachen nur von Mirski und Stankiewicz; wie denken Sie über Wolodyjowski und Oskierka?«

»Oskierka muß auch geschont werden; er ist aus hoher Familie und hat große Verbindungen im Lande. Wolodyjowski aber ist aus Klein-Rußland und hat keinen Verwandten hier. – Es ist wahr, er ist ein tapferer Soldat; ich habe sehr auf ihn gerechnet, – aber nach dem, was gestern geschehen, muß er sterben. Ebenso wie die beiden Skrzetuskis und jener dritte Stier, der zuerst zu brüllen begann: »Verräter, Verräter!«

Pan Andreas sprang auf, als hätte man ihn mit einem glühenden Eisen berührt.

»Euer Durchlaucht, die Soldaten erzählen, Wolodyjowski habe Ihnen das Leben gerettet!«

»So tat er seine Pflicht, und ich habe ihm dafür Dydkiemie geschenkt. – Jetzt ist er mir untreu geworden, und dafür werde ich ihn erschießen lassen.«

Kmicic' Augen loderten auf; die Nüstern blähten sich.

»Euer Durchlaucht,« begann er hastig, »von Wolodyjowskis Haupte darf kein Haar fallen! Verzeihen Sie mir, Durchlaucht, ich flehe Sie darum an! Wolodyjowski verdanke ich vieles. – Er hätte mir Ihren Befehl vorenthalten können; denn Sie überließen dies seiner Einsicht. Er aber hat ihn mir ausgehändigt. – Er hat mich aus dem Abgrund gerissen. Ihm verdanke ich es, daß ich in Ihren Diensten stehe. – Er hat nicht einen Augenblick geschwankt, mich zu retten, obschon er selbst die Hand des Mädchens erstrebte, das ich liebe. – Ich verdanke ihm alles, und ich habe mir zugeschworen, es ihm zu vergelten. Durchlaucht, tun Sie es meinetwegen und verhängen Sie weder über ihn noch über seine Freunde die Todesstrafe. – Kein Haar darf an ihren Häuptern gekrümmt werden, das schwöre ich bei Gott! Ich flehe Sie an, Durchlaucht!«

Pan Andreas bat und faltete zwar die Hände; aber in seinen Worten, in seinem Tone lagen ohne Absicht Zorn und Drohung. Seine wilde, unbezähmbare Natur kam zum Vorschein. Er stand erregt und mit funkelnden Augen vor Radziwill. Das Gesicht des Hetmans verzerrte sich vor Wut. Zum erstenmal empfand der Despot, daß er auf dem Wege des Verrates sich mehr als einmal dem Willen anderer beugen müsse. Er fühlte, daß er oft von noch viel bedeutungsloseren Anhängern wie Kmicic war, abhängig sein werde. – Das empörte die stolze Seele Radziwills, und er beschloß Widerstand zu leisten.

»Wolodyjowski und jene drei müssen ihre Tat mit ihrem Leben büßen,« sagte er festen Tones.

Aber mit Kmicic so zu reden, hieß Funken in ein Pulverfaß schleudern.

»Hätte ich die Ungarn nicht geschlagen, so hätten sie nicht zu sterben brauchen!«

»Wie! Willst du mir deine Verdienste vorwerfen?« fragte der Hetman.

»Durchlaucht!« sagte mit brechender Stimme Kmicic, »ich werfe Ihnen nichts vor, – ich bitte, ich flehe. – Das kann nicht geschehen. – Ich will für Sie ins Feuer gehen, aber schlagen Sie mir dies eine nicht ab!«

»Und wenn ich es dir abschlage?«

»Dann – lassen Sie mich lieber auch erschießen! – Ich will nicht leben – möge mich ein Himmelsstrahl zerschmettern!«

»Besinn dich. Unglücklicher! Mit wem sprichst du?«

»Euer Durchlaucht, bringen Sie mich nicht zur Verzweiflung!«

»Einer Bitte könnte ich nachgeben, aber Drohungen werde ich gar nicht beachten.«

»Ich bitte – flehe!«

Pan Andreas fiel vor dem Hetman in die Knie.

»Lassen Sie mich Eurer Durchlaucht aus freiem Herzen dienen und nicht gezwungen!« Radziwill schwieg. – Kmicic lag noch immer auf den Knien, auf seinem Gesicht wechselten jäh die Farben. Es war leicht zu sehen, einen Augenblick noch – und er würde zornig emporfahren.

»Steh auf!« sagte Radziwill.

Pan Andreas erhob sich.

»Du verstehst es gut, deine Freunde zu verteidigen,« sagte der Fürst. »Wirst du auch ebenso für mich eintreten? Gott schuf dich aus leicht zündendem Brennstoff, sieh zu, daß du nicht bis auf den letzten Rest verbrennst. Ich kann dir nichts abschlagen. So höre denn: Stankiewicz, Mirski, Oskierka und auch Wolodyjowski und die Skrzetuskis werde ich nach Birze schicken, das ich den Schweden als Pfand überlassen habe. Den Kopf wird man ihnen dort nicht abreißen; aber sie müssen sich während des Krieges ruhig verhalten.«

»Ich danke Eurer fürstlichen Durchlaucht, meinem Vater!« rief Pan Andreas.

»Warte,« fuhr der Fürst fort, »jenen alten Schlachtschitz, diesen verteufelten Schreihals, der mit den Skrzetuskis hergekommen ist, der mich als erster »Verräter« nannte und mich der Bestechung bezichtigte, für den habe ich schon längst in meinem Innern das Todesurteil unterzeichnet. – Bitte nicht für ihn; das wird zu nichts führen!«

Kmicic aber nahm nicht leicht Abstand von dem, was er sich vorgenommen. Nur jetzt drohte er nicht, er entrüstete sich nicht. Er ergriff die Hand des Fürsten, küßte sie und sagte bittenden Tones:

»Was der Hetman und Wojewod von Wilna unterschrieben hat, das kann der Großfürst und, so Gott will, der zukünftige König von Polen als gnädiger Herrscher wieder ausstreichen.«

Selbst ein geübter Diplomat konnte kein besseres Mittel gewählt haben, seine Freunde zu schützen. Das stolze Gesicht des Magnaten klärte sich bei der Nennung seiner erstrebten Titel hell auf.

»Du sprichst so mit mir, daß ich dir nichts abschlagen kann«, sagte er nach einigen Minuten. – »So mögen sie alle nach Birze kommen; sie werden ihre Schuld bei den Schweden abbüßen. Und wenn sich erfüllt hat, was du hier voraussagtest, so kannst du kommen und bei mir um eine neue Gnade für sie bitten.«

»Das werde ich tun, bei Gott, wenn sich nur alles bald erfüllen wollte!« antwortete Kmicic.

»Nun aber verliere keine Zeit und hole die Banner von Mirski und Stankiewicz her. – Und dann wartet deiner eine Aufgabe, der du dich sicherlich nicht entziehen wirst.«

»Und was ist's für eine, Euer Durchlaucht?«

»Fahre zu dem Pan Billewicz, dem Miecznik von Rosien, und lade ihn in meinem Namen ein, samt seiner Verwandten nach Kiejdane zu kommen und sich hier während des Krieges aufzuhalten. Hast du verstanden?«

Kmicic wurde verlegen.

»Das wird er nicht tun wollen, – Er verließ gestern Kiejdane mit großem Zorn im Herzen.«

»Jetzt wird er sich aller Wahrscheinlichkeit nach schon beruhigt haben. Jedenfalls nimm genügend Leute mit dir, und wenn er nicht gutwillig kommt, so setze sie beide in eine Kalesche, umringe sie mit Dragonern und führe sie hierher. Ich denke, ich kann mir aus diesem Wachs eine solche Kerze formen, wie ich sie haben will, die ich dem zu Ehren anzünden werde, dem es mir beliebt. – Und wenn das nicht geht, so werde ich sie als Geiseln hier behalten. Die Billewicz' nehmen eine höchst geachtete Stelle in Smudien ein, sie sind fast mit der ganzen Schlachta verwandt. Wenn ich den ältesten von ihnen in den Händen habe, so werden sie es sich zweimal überlegen, ehe sie gegen mich ziehen. Ich werde den Miecznik besänftigen, und er wird dir helfen, das Mädchen zu besänftigen. – Und dann heirate sie schnell. – Oder nimm sie dir auch ohne ihre Zustimmung. Bei Frauen ist das beste Mittel Gewalt. Sie wird erst weinen, dann wird sie sehen, daß der Teufel gar nicht so schlimm ist, wie man ihn malt. Wie seid Ihr denn gestern auseinandergegangen?«

»So schlecht wie irgend möglich. Sie hat mich einen Verräter genannt.«

»Oho, die Panna ist also nicht ohne Charakter! Wenn du erst ihr Mann bist, so lehre sie, daß es sich für eine Frau besser geziemt zu spinnen, als sich mit öffentlichen Angelegenheiten zu beschäftigen. Halt nur die Zügel gut stramm.«

»Durchlaucht, Sie kennen sie nicht; um ihren Geist kann sie ein jeder Mann beneiden. – Ich will Ihnen gewissenhaft bekennen, Durchlaucht, daß ich, obwohl dieses Mädchen zu sehen für mich ein großes Glück ist, es hundertmal vorzöge, gegen die Schweden zu ziehen, als vor ihr Angesicht zu treten. – Denn sie kennt meine reinen Beweggründe nicht und hält mich für einen Verräter.«

»Nun, so werde ich jemand anderes hinschicken, Charlamp oder sonst wen.«

»Nein, lieber fahre ich selbst. Charlamp ist ja auch verwundet.«

»Desto besser. So fahre also zuerst zu dem Miecznik und dann zu den Bannern. Scheue nicht, wenn es nottut, Blut zu vergießen. Wir müssen den Schweden zeigen, daß wir keine Rebellion dulden. Es ist zu Anfang eine schwere Sache, die wir durchkämpfen müssen; denn ich sehe schon, die Hälfte Litauens wird sich gegen uns erklären.«

»Das tut nichts, Durchlaucht; wer ein reines Gewissen hat, der braucht nichts zu fürchten.«

»Ich glaubte, daß wenigstens die Radziwills zu mir halten werden; aber lies nur, was mir der Fürst-Obermundschenk aus Rieswiez schreibt.«

Der Hetman übergab Kmicic den Brief Michail-Kasimirs.

»Wenn ich Ihre Absichten nicht kennte, so würde ich ihn für den tugendhaftesten Menschen der Welt halten! – Ich spreche, wie ich denke, Durchlaucht.«

»So fahre schon, fahre!« sagte der Hetman ungeduldig.


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