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Glocken, die heimläuten …

Sanfte Dämmerung legte sich aus alle grünen Wiesen. Die Tannenwälder aus den Berglehnen waren bläulich-schwarz, nur die fernen Wipfel leuchteten wie zackiges Gold gegen den bleichen Abendhimmel. Wir gingen heimwärts durch das Tal und merkten an dem etwas feuchten Duft, der uns umwogte, daß nun alles blühte, was blühen konnte. – Wir kamen an einigen kleinen Käufern vorbei, die unter ihren steinbelegten Holzdächern kauerten, und an einer kleinen Kirche, die ganz mütterlich aussah, wie sie so zwischen ihnen lag.

»Können Sie die Glocken dieser Kirche oben bei Ihnen hören?« fragte der Benediktiner Mönch, der uns auf dem Wege begleitete. »Sie haben einen ganz eigenen, treuherzigen Klang – schön ist zu wenig gesagt. Sie klingen, wie wenn eine Mutter ihren Kindern vorsingt. Wenn die Türen zu den Häusern offen stehen und die Frauen ihren Kleinen vorsingen, schmilzt es wirklich mit den Glocken zusammen …

Und es ist sonderbar,« fuhr er fort, »gerade dieser kleine, bescheidene Kirchturm und diese Glocken stehen vor den Bewohnern als der Inbegriff des ganzen heimischen Tales, wenn sie von hier fort sind.«

Ja, das konnten wir sehr gut verstehen, ohne die Glocken gehört zu haben.

»Aber dieser Kirchturm hat noch eine Eigentümlichkeit,« sagte der Pater, »wenn einer oder der andere von hier in der Fremde stirbt, dann soll man, wie es heißt, sein Gesicht oben im Schallloch unter den Glocken sehen können, nach denen das Herz sich so gesehnt hat.«

Nun wandten wir uns um und starrten alle nach dem dunklen Schallloch in dem weißen Turm, aber wir sahen nur die Glocken, die unbeweglich dort oben hingen, und einige Fledermäuse, welche lautlos aus- und einflogen. »Gibt es Geschichten darüber?« fragten wir. »Ja, mehrere – und es sind glaubwürdige Menschen, die sie berichtet haben.«

Er ging ein Weilchen schweigend, dann erzählte er: In jenem Kaufe – unten auf der Wiese – wohnte die alte Grethel, deren Söhne nach Amerika gereist waren. Von hier aus geschieht das selten; für die meisten ist Amerika noch kaum richtig entdeckt. Es ging ihnen gut, und sie schrieben, ob die Mutter nicht hinüberkommen und ihren Wohlstand teilen möchte.

Ich las ihr die Briefe vor, aber sie sagte: »Ich kann ebenso leicht den Weg zum blauen Himmel hinauf finden! Und selbst wenn man hinüberkäme – – Amerika, wer kann wissen, ob die Berge ganz so sind wie die, welche wir kennen, oder ob die Glocken mit dem rechten Klange zur Kirche läuten, so daß man gleich hören kann, daß ich es bin, den sie rufen – zu Gottes heiligem Hause hier auf Erden und – wenn sie mich hinaustragen – zu Gottes heiligem Hause über den Wolken.«

Aber eines Tages kam einer von den Söhnen zum Besuch nach Hause, und als sie diesen sah, bekam sie eine so große Sehnsucht nach dem anderen, daß sie mit ihm zurückreiste. Ihr alter Bruder schüttelte den Kopf – und wenn die Söhne später schrieben, daß es ihr gut gehe, so glaubte er es nicht.

Eines Tages etwas nach Sonnenaufgang ging er an der Kirche vorbei und dachte an seine alte, ferne Schwester. Da erhob er den Kopf zum Turm – und sah sie ganz deutlich dort oben. Von der Seite – mit etwas gebeugtem Kopf und gefalteten Händen … Es war, als ob sie auf die Glocken lauschte, die stumm über ihr hingen, und sie nickte einige Male – langsam und in ihrer eigenartigen Weise – wie wenn sie sagen wollte: »Ja, ja, das ist der rechte Klang, der, der einen heimläutet.« Dann verschwand sie. Aber er dachte: »Jetzt starb gewiß Grethel.« Und später hörte er es aus Amerika, daß sie gerade an jenem Morgen gestorben sei.« –

Wir erinnerten den Pater daran, daß er gesagt habe, es gebe noch mehr Geschichten.

»Ja, da ist die von der Martha. Ich habe sie nicht gekannt, aber ich weiß, daß sie ihrer Eltern einzige Tochter und etwas wild – oder eigensinnig war. Sie lief aus dem Dorfe mit einem umherziehenden Italiener, der in der Schenkstube der Post zum Tanz aufgespielt hatte. Man erzählt, daß ihre Mutter gesagt habe: »Martha, Martha, – ich dachte, daß ich die Glocken für dich zum Hochzeitsfest würde läuten hören – und für dein kleines Kind, wenn ich es auf meinen Armen zu der heiligen Hause trüge … Martha, Martha, nun werde ich sie nie für dich läuten hören, wie sie für mich geläutet haben« – –

Es vergingen ein paar Jahre, und ich glaube, daß die Mutter vor Kummer gestorben war. Da geschah es eines Abends, daß Sepperl, der von Kind auf an Martha gehangen hatte – er ist nun ein alter Mann – auf dem Keimweg zu seinem Hause an der Kirche vorbeikam. Da wollte er wissen, wieviel Uhr es sei, sah hinauf und sagte ganz laut: »Es ist ein Viertel nach acht« …

Aber in demselben Augenblick blieb er wie angenagelt stehen. Oben durch das Schallloch sah er eine Frau auf den Knieen liegen – den Kopf zurückgeworfen – mit langem Haar, das im Nacken niederhing – die Hände wie zum Gebet emporgestreckt … Aber als er genauer hinsah, war es ein kleines Kind, das sie zu den Glocken emporhielt …

Und er sagte wieder ganz laut: »Sie bittet sie, für sie selbst und für das kleine Kind zu läuten – zum Hochzeitsfest und zur Taufe – aber am meisten für das kleine Kind.«

Denn es war Martha, das wußte er.

Später meinte er immer, sie sei bei diesem Glockenschlag gestorben – weit fort von hier. Aber man weiß es nicht – denn man hat nie etwas von ihr gehört. – –

– Aber nun müssen Sie aus die Glocken achten,« sagte der Pater, als er stehen blieb um Abschied von uns zu nehmen. »Ich habe nie ein Gesicht oben im Turm gesehen – und ich glaube nicht, daß man danach spähen soll; aber die Glocken haben mir oft vorgesungen – ganz mütterlich. Und wenn ich fort bin von hier, kann ich Tränen in die Augen bekommen, wenn ich nur daran denke, wie sie klingen.«

Bald darauf, während wir den steilen Bergpfad nach Hause hinaufstiegen, begannen die Glocken ringsumher das Angelus zu läuten. Wir blieben stehen und sahen ins Tal hinunter, wo der kleine weiße Kirchturm sich schwach durch die Dämmerung abhob. Nun hörten wir die Glocken – mit ihrem, eigenartigen, treuherzigen Klang.« – Und wir verstanden noch besser als vorhin, wie selbst die, welche »weit fort« waren, riefen – und wie die, welche zurückblieben, meinen konnten, daß sie drinnen unter den Glocken die Gesichter sähen, nach denen sie sich sehnten. – –

Wir haben vielleicht alle im Kerzen ein Antlitz, nach welchem wir uns sehnen, – und können wohl nicht davon loskommen, daß es Glocken sein müssen, die es einst heimläuten werden …


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