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Tantes Veilchen

Zwischen verwelkten Halmen
und dunklen, entblätterten Bäumen
läßt das erste Veilchen
von kommendem Frühling träumen.

Dort schiebt es plötzlich seine dunkelgrünen Blätter hervor durch den schweren, feuchten Haufen braunen Laubes als ein kräftiger, lebendiger Protest gegen des Todes weitere Herrschaft. Und unter den ersten Strahlen einer wärmeren Stimmung der Sonne beginnt es, lieblich sich blauend über jedem der hellen, zerbrechlichen Stengel hervorzukommen. Dann öffnet sich der tiefe, farbensatte, farbenblendende Kelch wie ein träumendes Jungfrauenauge … Und der Duft rieselt einem entgegen, besänftigend, kühl, voll unaussprechlicher Verheißungen, die einem gerade durchs Herz gehen …

Für mich schleicht sich dann stets die Erinnerung an Tante herein.

Ihre freundlichen Zimmer – im Frühlingsschmuck, mit Sonnenglanz in allen Winkeln – tauchen vor dem Gedanken auf, und ihr liebes herzenswarmes Lächeln leuchtet aus den Augen, deren blauer Glanz die Zeit nie auslöschen konnte, und die am hellsten schienen, so oft sie Onkels weißhaarigen Kopf mit dem schönen, vornehmen Profil streiften.

Und sanfter Veilchenduft strömt aus von dem bekannten Bild …

Der 11. April war Tantes Geburtstag und zugleich ihr und Onkels Verlobungs- und Hochzeitstag. Dieses dreifache Fest versammelte viele Jahre hindurch einen stets wachsenden Familienkreis in der entzückenden, ländlichen Doktorwohnung.

»Sie sprengen mir schließlich das ganze Haus,« sagte Onkel ohne besonderen Unwillen über diese Aussicht.

Aber das Haus hielt. »Das Herz ist so elastisch,« sagte Tante.

Man konnte von der Hauptstadt sehr gut in einem Tage hin und zurück kommen. Aber die besten Gäste waren die, welche gleich dablieben und die Ruhe der Nacht – am liebsten mehrerer Nächte – zwischen Tantes wohl abgedämpften, lavendelduftenden Leinenlaken oben in den Starkästen, wie sie ihre kleinen, einladenden Gastzimmer nannte, auf sich fallen ließen.

Es gab keinen Ort, wohin wir Jungen von der Familie lieber kamen, keinen anderen Ort, wo so herzlich, so befreiend, so jugendlich unmotiviert gelacht wurde wie dort.

»Ich weiß nicht, woran es liegt,« sagte eine von den Cousinen, »aber ich glaube, wir werden hier draußen alle so gut und so witzig.«

Es war bei Onkel und Tante beständig Frühling, selbst wenn man zu allen anderen Jahreszeiten hinkam. Sie führten eine eigenartige Atmosphäre von Jugend mit sich und waren einstimmig zu den zwei Jüngsten in der ganzen Familie ernannt worden.

Sie waren es – im tiefsten Sinn – denn ein Gefühl, unverwelklich und frühlingsfrisch, mit einer aufsteigenden Sonne, die nichts vom Sinken wußte, hielt ihre Herzen warm und lebendig und trug ihr ganzes Leben.

Es wurde stets – in wenig verschiedenen Variationen – bei dem festlichen Tisch am 11. April hervorgehoben, wie wohltuend es sei, ein so junges Paar mitten in aller blasierten Lebensmüdigkeit unserer Zeit zu treffen.

»Ja, was ist das für eine Jugend, die ihr heutzutage habt,« pflegte dann Onkel zu sagen. »Da gibt es ja nicht einen jungen Menschen, der begeistert, lebenslustig ist, nicht einen, der sich einmal recht sterblich verliebt. Nun ja, das letzte kann ich ihm nun nicht verdenken. Denn es mag nicht so ganz leicht sein, sein Ideal in diesen transpirierenden, ausstaffierten Haubenstöcken sehen zu müssen, die auf zwei Rädern im Lande umherfahren und all den Schmutz geschluckt haben, den die neue Literatur leisten kann. – – Nein, die jungen Mädchen, die wir gekannt haben – vor fünfzig Jahren – in den hellen Jakonetkleidern mit dem blanken Zopf im Nacken und – wenn es hoch kam – mit der »Flucht des Hirsches« in ihrem Nähkorb – – die jungen Mädchen, die noch verstanden, die Augen niederzuschlagen, und die sie so lieb aufschlagen konnten – gerade wenn man sicher war, daß es nie geschehen würde – – – in sie konnte man sich für Zeit und Ewigkeit verschießen.«

»Ach, weißt du was,« sagte Tante und nickte ihren Nichten über alle Blumen und alles Eingemachte auf dem schneeweißen Tischtuch zu – »die, welche wir hier haben, sind süß genug, daß du dich in sie alle verschießen kannst, so oft du sie siehst – so daß deine alte Frau verschiedene schlaflose Nächte nach dem 11. April hat. Aber recht jung seid ihr nicht, Kinder, das ist gewiß. Ich glaube, ihr seid zu klug, ihr könnt zu viel: Die Leute in unseren Tagen verstehen weder jung zu sein, noch alt zu werden. Sie sind mit dem Leben fertig, bevor sie zwanzig Jahre alt sind, und andrerseits sind sie so forciert jugendlich! Sie gehen ja mit englischen Matrosenhüten, bis sie siebenzig Jahre alt sind. Ich würde in die Erde sinken, ehe ich einen solchen aufsetzte.«

Die süße Tante – die ganz gut wußte, daß sie es verstanden hatte, jung zu sein und alt zu werden, so daß sie dadurch beständig eine neue Schönheit erreichte – – sie bedurfte keines Matrosenhutes, um alle Herzen im Sturm zu nehmen.

Onkels Herz zuerst und vor allem! Aber das war auch ihre Lebensaufgabe.

Denn, wie sie sagte: »Ein Herz hat man nie wie eine Leibrente. Es muß beständig aufs neue gewonnen werden.«

Und dieses Herz suchte sie zu gewinnen, sei es, daß sie in der Küche die letzte Hand ans Essen legte – das stets unübertrefflich schmeckte – oder sich mit den Topfpflanzen beschäftigte – die sie sogar zu den unwahrscheinlichsten Zeiten zur Blüte brachte – oder dem Onkel Mozart vorspielte, sein Haar glatt bürstete und die Halskrause in seinen Kragen setzte, oder Onkels Schreibtisch abstäubte mit Handschuhen aus Randers, die sie über ihre hübschen weißen Hände gezogen hatte.

Und dieses Herz, das ihr gehörte, gewann sie Tag für Tag tiefer und inniger – in zärtlich werbender, unerschöpflicher Hingebung.

Doch ich wollte von den Veilchen erzählen.

Das war Tantes Lieblingsblume. Das heißt das richtige Veilchen, der Frühlingsbote, der neues Leben zu verkünden hat – »nicht die nichtssagenden Armen, welche die Blumenhändler jetzt zu allen Zeiten haben.«

Zu Tantes Geburtstag brachten wir ihr alle Blumen. Aber die Veilchen bekam sie von Onkel. Das war sein Vorrecht.

Er sagte, daß sie dem Veilchen gliche.

»Denn das Wort schüchtern –, das aus der Sprache verschwindet, weil keiner es mehr ist – das ist noch wie für sie erfunden.«

Die Veilchen hatten auch eine Rolle in ihrer jungen Liebesgeschichte gespielt.

Onkel war sechsundzwanzig Jahre alt, als er aufs Land hinauskam als Amanuensis eines älteren, schwächlichen Distriktarztes, der eine zwanzigjährige Tochter daheim und drei Söhne in der Hauptstadt hatte. Sie ging im Jakonetkleid mit glänzendem Zopf im Nacken und den Christian Winther Christian Winther (1796-1876), hervorragender dänischer Lyriker. Sein bekanntestes Werk ist die oben erwähnte »Flucht des Hirsches«. Anm. d. Übers. im Nähkorb – und sie konnte die Augen niederschlagen und sie wieder erheben, so daß es um jeden geschehen war, der es sah.

Alle jungen Menschen der Gegend schwärmten für sie – und unter ihnen war ein Baron.

Onkel, dessen Schicksal von der ersten Stunde an, wo er sie sah, entschieden war, glaubte natürlich, daß alle anderen ihm vorgezogen werden müßten, und hielt sich mehrere Monate lang in schweigender, anbetender Entfernung.

Hier pflegte Tante einzuschalten:

»Er ahnte nämlich nicht, wie er aussah. Und darüber darf man auch nie einen Mann aufklären.«

So kam der 11. April, an dem des Doktors Tochter ihr einundzwanzigstes Jahr vollendete. Und ihr Vater gab aus diesem Anlaß einen Ball.

Vom frühen Morgen an strömte es hinein mit Topfpflanzen und Buketten von allem, was die Treibhäuser der Gegend an Blumen liefern konnten.

Aber der junge Doktor war früh aufgestanden und zu einem Grabenrand tief im Wald gegangen, wo ein eben aufgesprungener Reichtum von großen, dunklen, fast purpurblauen Veilchen duftete.

Diese hatte er auf ihren Platz am Frühstückstisch gelegt. Und sie dankte ihm mit niedergeschlagenen Augen, was ihm den lebten Rest von Verstand raubte.

Im Laufe des Tages wurde es ihm zur Gewißheit, daß ihre Verlobung mit dem Baron am Abend verkündigt werden sollte.

Und er trat mit mühsam erkämpfter, bleicher Fassung in den Tanzsaal – wie einer, der das Schafott besteigt.

Aber als er sie in weißem, ausgeschnittenem Mullkleid mit einer Rosaschärpe und seinem Veilchenbukett am Gürtel sah – da war es rettungslos mit seiner Fassung vorbei.

Er engagierte keine Damen – und bei ihr meldete er sich so spät, daß sie nur einen Tanz nach Tisch für ihn hatte. Den ganzen ersten Teil des Abends stand er deshalb in einer Tür und starrte mit einem Ausdruck von Wertherscher Hoffnungslosigkeit auf die Freude der anderen.

Der Baron führte die Königin des Festes zu Tisch und brachte ihr Wohl als »der Rose aller Blumen« aus. Aber aus der Verkündigung der Verlobung wurde nichts.

Endlich kam seine Tour. Nach einigen Runden war sie so müde und warm, daß es ganz natürlich war, in dem Nebenzimmer Zuflucht zu suchen. Er tanze wohl am liebsten garnicht, hatte sie bemerkt.

»Mit wem hätte ich wohl tanzen sollen?« fragte er mit einem schwermütigen Lächeln.

»Wir haben doch genug Damen hier, sollte ich meinen.«

»Die sind für mich garnicht vorhanden.«

Die Herrin seines Herzens hatte das Veilchenbukett aus dem Gürtel genommen und saß mit demselben in der Hand da, ohne etwas zu sagen. Die Luft ging ihm völlig aus, und alle Worte auch.

Da führte sie plötzlich mit einer unbeschreiblichen Bewegung die Veilchen an ihr Antlitz, – wie um daran zu riechen. Und in demselben Augenblick brachen alle Deiche seines lange aufgedämmten Gefühles.

Als sie die Hand wieder sinken ließ, kniete er zu ihren Füßen und beugte sein Antlitz zu den duftenden Blumen nieder.

Was dann weiter vor sich ging, konnten wir nie recht erfahren.

Wir hatten den Eindruck, als ob Tante einen schwachen Versuch gemacht habe, fortzulaufen, und daß dem Onkel ein Strudel von Worten entschlüpft sei, in welchem kein vernünftiger Mensch bis zum jüngsten Tag einen Sinn würde finden können …

Aber es muß doch mit einer Verständigung geendet haben, denn am nächsten Tage knieten sie zu beiden Seiten vorm Stuhle des allen Doktors als Verlobte, und zwei Jahre darauf feierten sie an demselben merkwürdigen Tage Hochzeit.

Und an jedem 11. April lagen am Morgen auf Tantes Platz Veilchen, die Onkel etwas nach Sonnenaufgang selbst draußen gepflückt hatte. –

Aber wie die Jahre gingen, wurden die Veilchen, deren duftende Liebessprache ihr Herz mit der ersten vollen Wärme der Jugend zum Klopfen brachte, doch halbwegs für Tante zur Verzweiflung.

Denn Onkel wurde ein älterer – ja ein alter Mann, wollte aber nie darauf eingehen, das Bukett bei einem Blumenhändler zu bestellen oder es von der Rabatte im Garten zu pflücken, wo Tante Veilchen gepflanzt hatte.

Nein, es sollten richtige Veilchen sein, der Natur eigene Kinder, die »man weiß nicht wie« kommen, wie die Liebe selbst, die man unvermutet und unmotiviert findet, frisch und betaut an einem Abhang, einem Grabenrand oder bei einem Zaun.

Anfang März begann Onkel schon auf Entdeckung nach dem ersten grünen Knoten einer Veilchenpflanze auszugehen, die durchaus nicht immer leicht aufzuspüren war. Es ist ja, als ob die Naturveilchen verschwinden wollten, als ob irgend etwas sie in die Flucht gejagt hätte …

Onkel und Tante wohnten während ihrer langen Ehe an verschiedenen Orten, und selbst wenn sie in derselben Gegend waren, geschah es doch häufig, daß die Veilchen nicht an derselben Stelle wieder kamen, wo sie sich das Jahr zuvor gezeigt hatten, daß der Abhang umgegraben, der Graben ausgefüllt war, oder daß die Veilchen im Schatten des Zaunes nicht so weit herausgekommen waren, daß sie gebraucht werden konnten. Dann mußte er anderswo suchen, denn wenn es auch nur eine einzige, blauende Knospe wurde – Veilchenduft mußte er ihr zum Festtage bringen.

Je älter Onkel wurde, um so ängstlicher wurde Tante wegen dieser Jagdtouren nach Veilchen. »Mir ist ganz beklommen ums Herz, so oft wir in den März hineinkommen,« vertraute sie uns an. »Onkel geht durch Dick und Dünn, um die Veilchen zu finden. Er setzt schließlich noch sein Leben für das Bukett aufs Spiel.«

Tante bat, flehte, schalt, drohte, wollte die Blumen nicht sehen, die ihr so viele Angst verursachten – und trug sie natürlich stets beim Festmahl, wie es Sitte war.

Aber in diesem einzigen Punkt waren alle ihre Vorstellungen vergebens.

»An dem Tage, wo ich dir diese Blumen nicht mehr bringen kann,« sagte er, »an dem Tage kann ich zusammenpacken, denn dann bin ich zu nichts mehr in der Welt zu brauchen.«

Als Onkel fünfundsiebenzig Jahre alt war, stand er mit beiden Füßen in einem Graben, der unter welkem Laub mit klarem Wasser gefüllt war – um das Geburtstagsbukett zu holen, und bekam eine Bronchitis, die ihn sechs Wochen festhielt. Das Jahr darauf rutschte er bei derselben Veranlassung einen steilen Abhang hinunter und verstauchte sich die rechte Hand.

Nun wollte Tante ihm einen Eid abnehmen, daß er es nie wieder tun sollte.

»Sonst brichst du dir noch beim dritten Mal das Genick. Dann, weißt du ganz gut, sterbe ich vor Kummer. Und dann können sie die garstigen Blumen auf meine Bahre streuen.«

Aber – als die Zeit nahte, begann Onkel wie gewöhnlich auszuspähen. Und der Knecht, der ihn fuhr, vertraute der Tante an, daß der Doktor schon bis auf den Gipfel des Abhangs, wo das Unglück im vorigen Jahre passiert war, gewesen sei, um zu untersuchen, ob der Erdboden dort oben vielversprechend sei.

Daher fühlte Tante sich geradezu ein bißchen erleichtert, als Onkel ein paar Wochen vor dem Fest Influenza bekam, und sie ihn im Bett unter Schloß und Riegel halten konnte. Er stand einige Tage vor dem 11. auf, aber es sei noch keine Rede davon, auszugehen, schrieb sie etwas triumphierend an uns, als sie uns wie gewöhnlich auf seinen inständigen Wunsch einlud, den Tag, – diesmal das fünfzigjährige Jubiläum ihrer Verlobung – zusammen mit ihnen zu feiern.

Wir waren alle ganz klar darüber, daß es Onkel besonders schwer fallen müsse, gerade zu diesem Tage keine Veilchen verschaffen zu können. Eine sehr hübsche Ametystbrosche hatte er, wie wir wußten, für seine Frau gekauft, als er kurz nach Weihnachten in der Stadt war, aber die fehlenden Blumen konnte er gewiß schwer verwinden.

Und so kamen wir anderen auf die ganz natürliche Idee, daß wir alle dieses Mal Veilchen mitnehmen wollten, um dem Mangel abzuhelfen.

Tantes Wohnstube wurde ganz blau von allen unseren Buketten, und sie selbst stand mitten im Frühlingsduft mit der Ametystbrosche, die wie ein Veilchen geformt war, jünger und strahlender als je.

Aber als die Tür aufging und Onkel eintrat – er stand erst gegen Mittag auf – da blieb er mit einem Ruck auf der Schwelle stehen, übersah die ganze Stube mit einem einzigen Blick und beugte sich zurück, wie wenn er einen Schlag bekommen hätte.

Tante ging gleich zu ihm und fragte, was ihm fehle.

»Ach, ich sehe nun, daß es ganz mit mir zurückgegangen ist, da die anderen meine Veilchen haben bringen müssen. Es ist beinahe, als wäre ich tot und begraben.«

Tante küßte ihn und sagte, daß seine Veilchen keiner übernehmen könne, die habe er für sie im Herzen, und sie sei nur froh, daß er nicht sein Leben aufs Spiel gesetzt habe, um diese zu pflücken.

Onkel lächelte ein wenig und hielt bei Tisch selbst die Festrede auf sie, sagte, daß die anderen wohl auch entdeckt hätten, daß sie heute ihr einundzwanzigstes Jahr vollende, nannte sie »die Königin aller Blumen« und sich selbst ihren allen Anbeter.

Aber so oft sein Blick die Veilchen streifte oder der bekannte Duft sich nur zu ihm schlich, kehrte die Verstimmung wieder.

»Daß sie sie doch von anderen bekommen mußte! Das ist doch, als wäre ich tot und begraben!«

In der Nacht kam das Fieber wieder; am nächsten Tag mußte er im Bett bleiben und im Laufe der Woche ging seine Influenza in Lungenentzündung über. Vierzehn Tage darauf war er tot.

Nun waren wir alle bekümmert, daß der Trubel des Festtages für seine Kräfte zu viel und eine mitwirkende Ursache seines Todes gewesen sei. Aber Trine, das älteste Mädchen, das länger zum Hause gehört hakte, als jemand von uns zurückdenken konnte, schüttelte den Kopf und sagte:

»So ein Bißchen Mittag hätte er wahrhaftig ganz gut vertragen können. Aber was den Herrn tötete, war, daß er sehen mußte, wie die anderen mit dem Veilchen am Elften zur Frau angezogen kamen. Das konnte er nicht verwinden. Sie hätten ihn lieber Arme und Beine brechen lassen sollen, damit er sie selbst pflücken konnte.«

Bevor die Veilchen das nächste Mal blühten, war auch Tante gestorben, und die liebliche Doktorwohnung in fremde Hände übergegangen. Es war so selbstverständlich, daß sie schied, als ihr Lebenswerk vollendet war.

Aber so oft »das erste Veilchen vom kommenden Frühling träumen läßt,« muß ich noch an Tante und das duftende Bukett denken, das den beiden jungen Leuten half, ihre Liebe zu einander zu verdolmetschen, und später die vielen Jahre hindurch ihr Botschaft von seines Herzens Frühling brachte.

Sie hatte so oft mit ängstlicher Zärtlichkeit prophezeit, daß diese blauen Blumen doch schließlich ihrem alten Verehrer das Leben kosten würden. Und gewissermaßen hat sie darin ja auch recht gehabt.


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