Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

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Das Leben ein Traum

I.
        Kein blindes Schicksal herrscht mit dunklen Mächten
Und setzt auf unser Haupt die ehrnen Sohlen,
Dem eignen Willen ist der Mensch empfohlen
Und um sein Tun hat er mit sich zu rechten!

Nur finstrer Wahn und Aberglaube flechten
Ein knechtisch Band und fesseln uns verstohlen
Und sammeln in der Brust uns glühe Kohlen
Und reißen hin zum Unvernünft'gen, Schlechten.

Drum wehe, wer in einer schwarzen Stunde
Sich diesen Geistern blindlings überlassen:
Verfallen ist er ihrem Strafgerichte!

Er bebt und zagt, erleidet Wund' auf Wunde,
Schrickt gleich zurück vor Lieben und vor Hassen
Und kommt erst spät durch all die Nacht zum Lichte!

 
II.
Das Leben aber ist ein Traum zu nennen:
Ein Traum ist's, was wir oft so heiß begehren,
Der Schönheit Reiz, der Erdenhoheit Ehren,
Des Zornes Blitz, der Ruhmbegier Entbrennen.

Wonach sie jagen und wonach sie rennen,
Um was sie sich in bittrem Gram verzehren,
Um was sie weinen, dulden und entbehren,
Es ist ein Traum, von dem sie bald sich trennen.

Nur was sich uns, von außen nicht geboren,
Im Herzen festsetzt und in seinem Raume
Lebt, schafft und ringt mit ewig neuem Triebe,

Das bleibt zurück und geht uns nicht verloren;
So bleibt uns denn aus dieses Lebens Traume, –
Flieht alles beim Erwachen auf, – die Liebe.

 


 


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