Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

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In der Kinderstube

(1834)

             

Wenn ich so nachts in meine Kammer gehe –
Schatzkammer hab' ich sie benannt aus Scherz –
Und meine Kinder vor mir schlummern sehe,
Da greift mir's oft gar wundersam ans Herz.

Wenn jetzt – so denk' ich – eine Stimme riefe:
»Hier schläft dein Söhnlein, hier dein Töchterlein;
Sei stark, und prüfe deines Herzens Tiefe,
Denn eins davon muß heut' des Todes sein!

Nicht schonen darf ich, doch die Wahl dir lassen;
Entscheide, welches gibst du lieber hin?« –
Da würd' ich wohl zu tiefst ins Herz erblassen
Und angstvoll dastehn mit zerrissnem Sinn. –

Dich – Karl? Von dir ist nicht die Rede! – Liege,
Schlaf unbesorgt in deines Engels Schoß!
Du bist mein erstes Kind, und in der Wiege
Kauft' ich schon einmal dich vom Tode los.

Du kannst schon mehr, als »Vater! Mutter!« lallen
Du hüpfest, wenn wir kommen, schon uns zu,
Hast schon an Gottes schöner Welt Gefallen, –
Dich lass' ich nicht! Mein erstes Kind bist du! –

So muß ich also dich, mein Minchen, geben,
Mein jüngstes Kind, dich, deiner Mutter Lust?
Die Brust, woraus du schlummernd saugst dein Leben,
Zum Sarge werden soll dir diese Brust?

Aufwachen soll die Mutter, lauschen, schreien:
»Mein Kind ist – tot! Mann, töte mich dazu –?«
Dich gäb' ich preis, und könnte dich befreien?
Nein, Minchen, nein! Mein jüngstes Kind bist du!

Doch wenn dann drohender die Stimme riefe:
»Ein Kind ist mein! bald flog die Frist dahin!
Sei stark, und prüfe deines Herzens Tiefe –
Beschließe, – welches gibst du lieber hin –?«

Da, denk' ich, kehrte mir die Fassung wieder,
Zum Himmel blickt' ich tränenlos hinauf,
Säh' auf ein Kind und dann aufs andre wieder,
Und legte segnend meine Hände drauf.

»Eins, rief ich, willst du! Forderst gnädig eines,
Und hast für zwei, für uns auch deine Gruft!
Vergib! – Dir geben – geben – kann ich keines,
Doch nimm, nimm jenes, das mein Gott beruft!

Ruft er's, und trotz' ich, – und er ließ' es leben
Weil ich's gewollt, nicht weil er's so bestimmt,
So würd' es mir vielleicht zur Geißel leben:
Er schickt es mir – er weiß, warum er's nimmt!« –.

 


 


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