Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

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Erinnerung

        Einst wünscht' ich droben hoch zu stehen
In eines Gletschers Eisrevier,
Und königstolz herabzusehen
Auf all' die Hügel unter mir.

Da, meint' ich, würd' ein Lied sich schwingen
Aus freier, unbeklommner Brust,
Wie's nie im Tale kann gelingen,
Voll ungebundner, heil'ger Lust. –

Einst wünscht' ich abgesperrt zu träumen
Von aller Welt auf ferner Au;
Da, meint' ich, würd' ein Lied mir keimen
So sanft und mild wie Duft und Tau.

Einst wünscht' ich staunend zu belauschen
Den Ozean in seiner Wut;
Da, meint' ich, müßt' ein Lied mir rauschen
So ungestüm wie Sturm und Flut. –

Und als ich auf der Alpe droben
In freien Lüften blickt' herum,
Da fühlt' ich mich zu sehr erhoben,
Ich sah und staunt' und lehnte – stumm.

Und als umblüht vom stillsten Frieden
Ich wallt' auf ferner Au herum,
Da schien ich mir zu abgeschieden,
War wehmutselig, aber – stumm.

Und als ich stand auf steilen Riffen,
Wo zürnend sprang das Meer hinan,
Da starrt' ich zitternd und ergriffen,
Mein Lied ertrank im Ozean. –

Doch heimgekehrt von meiner Reise,
Im trauten, stillen Kämmerlein,
Da stellte wieder, leise, leise,
Das scheugewordne Lied sich ein;

Und klomm in der Erinnrung wieder
Mit mir zur Gletscherwelt hinan,
Und stieg mit mir zur Au hernieder,
Und trat mit mir zum Ozean;

Und rief, zum Anschaun fast gesteigert,
Vors Aug' mir alles frisch und jung,
Und was mir der Besitz verweigert,
Vergalt mir die Erinnerung.

 


 


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