Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

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Sonnenabschied

        Solang' die Sonn' am Himmel sprühet
In vollster Glut, in hellster Pracht,
Stehn wir geblendet und durchglühet
Und huld'gen staunend ihrer Macht.

Wir fühlen, daß kein Glück, kein Leben
Hiernieden blüht ohn' ihren Strahl,
Und dulden willig und ergeben
Des schweren Dienstes süße Qual.

Doch abends, wenn sie von uns scheidet,
Beseufzt vom West, beweint vom Tau,
Dann sind die Höhn von Flor umkleidet,
Und Wehmut kommt aus Tal und Au.

Und sanfter, wie durch Tränen blinkend,
Nicht blendend strahlt sie, zögert lang',
Blickt oft zurück, und zeigt, versinkend,
Am schönsten sich im Untergang! –

O Liebe, gegenwärt'ge Liebe,
Der Sonn' am Mittag bist du gleich:
Wir schmachten hin in heißem Triebe,
Durch dich gequält und doch so reich.

Doch, Liebe, wenn es geht ans Scheiden,
Der Abendsonne gleichst du dann:
Da fangen erst die süßen Leiden
Der namenlosen Wehmut an;

Und diese langen, seelenvollen,
Unendlich milden Blick' ins Herz,
Die haften, doch nicht blenden wollen,
Und diese Glorie voll Schmerz;

Dies bange Zögern im Entschwinden,
Dies ewige Zurückesehn,
Und im Verlieren dieses Finden,
Und in der Trennung dies Verstehn!

 


 


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